Wir übersehen nicht, dass Sie Probleme teilweise gekonnt interpretieren. Es kommt aber darauf an, sie zu lösen, Herr Ministerpräsident.
Im Frühjahr, meine Damen und Herren, war die Welt der großen Koalition anscheinend noch in Ordnung. Nur wenige Wochen nach der größten Verfassungs- und Staatskrise der Bundesrepublik, wie das damals einige bezeichneten, an der Brandenburger Akteure maßgeblich beteiligt waren, hörten wir hier in diesem Hause am 18. April eine Regierungserklärung. Als hätte es den Skandal bei der Bundesratsabstimmung zum Zuwanderungsgesetz nicht gegeben, beschwor Manfred Stolpe die Erfolge und Gemeinsamkeiten von SPD und CDU in diesem Lande. Der erfolgreichen SPD-Alleinregierung war die noch erfolgreichere Regierung der großen Koalition gefolgt. Was Stolpe aber vergaß: Bei den entscheidenden Fragen blieb der Erfolg aus.
„Die Pflicht, zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu wirken... ist und bleibt die solide Grundlage, auf der wir unsere erfolgreiche Regierungsarbeit der vergangenen zweieinhalb Jahre fortführen wollen.”
- Das ist ja erst ein halbes Jahr her. - Allerdings scheuten Sie im April und auch heute eine klare Bilanz der Regierungsarbeit. Da wäre Klartext angesagt gewesen. Den lassen Sie vermissen. Sie schwelgen lieber in der Zukunft, statt sich über die Ergebnisse der Regierungsarbeit, und zwar sehr konkret, auszulassen. Dafür habe ich ein gewisses Verständnis - angesichts der Ergebnisse -, ich will Ihnen aber auch sagen: Wir werden in den nächsten Jahren hartnäckig auf diese Ergebnisse zurückkommen.
Die Brandenburger Theaterinszenierung im Bundesrat wird vermutlich noch ein Nachspiel haben, wenn das Bundesverfassungsgericht die Formalien der Abstimmung zum Anlass nehmen sollte, die Zustimmung zum Zuwanderungsgesetz für ungültig zu befinden. Dann liegt es an dieser Brandenburger Koalition, dass - zum Nachteil vieler Menschen - eine durchaus brauchbare gesetzliche Grundlage für die Zuwanderung nicht in Kraft tritt. Weil sich diese Brandenburger Regierung nicht einigen konnte, werden dann neue Verhandlungen nötig sein und Roland Koch droht schon mit dem Wahlkampf in Hessen, in dem sich die CDU mit jenem scheinheiligen fremdenfeindlichen Bierdunstgerede Luft verschaffen wird.
Sollte diese Befürchtung wahr werden, kann man Ihrem musealen Kabinett nur gratulieren. Ist dieser altkonservative DeutschtumMief das, was Sie unter einem modernen Brandenburg verstehen wollen? Sie sind in dieser Frage politisch ein Grufti-Team, Sie versperren eine moderne Entwicklung bundesweit und werden als die Zuwanderungs-Betonköpfe in die Geschichte eingehen.
Die Toleranz in Brandenburg nimmt zu, sagen Sie, Herr Ministerpräsident. Das stimmt aber nur zum Teil. Durch die schwammige Haltung Ihrer Regierung nimmt sie auch ab. Eine Regierung, die
sich in einer so wichtigen Frage nicht einigen kann, kann man nur als schwankendes Rohr im Winde der Modernisierung sehen, als mehr nicht, als Bremsklotz der Moderne.
Wir sitzen aber schon in einem neuen Theaterstück: Alle warten auf den Aufschwung, der nicht kommt. Alle warten auf Godot. Der Titel ist bekannt. Die Stimmung ist schlecht. Die Steuerschätzungen drücken jeglichen Optimismus. Es dreht sich die Abwärtsspirale, ein Abgleiten in die wirtschaftliche Rezession droht. Die Politik des rot-grünen Durchwurstelns auf Bundesebene wird keinen wirtschaftlichen Aufschwung bringen und treibt gegenwärtig viele Menschen im Protest auf die Straße.
Die Herbstumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt eindeutig, dass die Stimmung in der brandenburgischen Wirtschaft noch schlechter als in anderen ostdeutschen Ländern ist. Sie ist einfach mies. Und anstelle eines wirtschaftspolitischen Gegensteuerns - hier könnte man ja bei Blair lernen, der Nachfrage stimulieren lässt - warten alle auf den Aufschwung wie auf Godot.
Sie halten Ihre Regierungserklärung in einer denkbar ungünstigen Situation, Herr Ministerpräsident; das will ich einräumen. Aktuell kommen ja noch hausgemachte Skandale hinzu wie die Dollarkredite aus Dubai für Ihren ehemaligen Wirtschaftsminister und der nun gerichtlich bestätigte ungeheure Skandal der Verstrickung des Brandenburger Verfassungsschutzes in rechtsextremistische Straftaten, darunter in die Verbreitung von Mordaufrufen.
Dass Sie gestern das sechste Mitglied des zehnköpfigen Kabinetts der großen Koalition von 1999 verloren haben, spricht Bände über die Kraft des strategischen Bündnisses von SPD und CDU im Lande, zumal wenn man sich die Rücktrittsgründe der drei CDUMinister ansieht. Und all das liegt nicht an der Lage der Weltwirtschaft, an der ausbleibenden Konjunktur. Meinen Sie wirklich, Sie wären mit dieser Mannschaft zukunftsfähig, Herr Ministerpräsident?
Aber ich will jetzt systematisch nach einer Gliederung auf politische Schwerpunkte Ihrer Erklärung eingehen und Schritt für Schritt zu den Einzelheiten und Zusammenhängen kommen. Ihrer Gliederung kann ich ebenso wenig folgen wie mancher Ihrer Aussagen. Sie behandeln etwa die Bevölkerungsentwicklung als das größte Problem. Die Menschen leben immer länger und bekommen immer weniger Kinder, sagen Sie. Das ist richtig. Sie fragen dabei aber nicht weiter nach den Gründen. Das mag ja angehen. Dass Sie es in diesem Zusammenhang jedoch versäumen, auf die Abwanderung der Jüngeren aus Brandenburg einzugehen und eine Strategie dagegen zu entwickeln, lässt vermuten, dass Sie wie Ihr Vorgänger den unangenehmen Tatbeständen gern ausweichen.
Seit dem 26. Juni hat das Land Brandenburg einen neuen Ministerpräsidenten, den nicht nur die Medien bei seiner Wahl mit viel Vorschusslorbeeren versahen. Was hat Matthias Platzeck als Chef der großen Koalition bisher an neuen Botschaften verkündet? Ich will einige herausgreifen; wir lesen ja aufmerksam:
Auf dem Wittenberger Parteitag startete Platzeck den Aufbruch in das „moderne Brandenburg”. „Bildung, Forschung und Wissenschaft als Ausgangspunkt für kreative Menschen, neue Technolo
gien und neue Produkte” sollten einen Mittelpunkt der Landespolitik bilden. Wie das konkret aussehen soll, blieb/bleibt relativ offen, dennoch ist dieser Ansatz richtig und wichtig. Das will ich ausdrücklich unterstreichen.
Eine nicht ganz neue Botschaft aus Wittenberge war die, dass Brandenburg den Landeshaushalt konsolidieren müsse. Bekanntlich hat ja die Finanzministerin im September - zur Überraschung der großen Koalition - ein zusätzliches Defizit im Haushalt in Höhe von 700 Millionen „entdeckt”. Herr Platzeck kündigte an, den Marsch in den Schuldenstaat stoppen zu wollen. Wie das geschehen soll - wir warten bis heute auf eine Antwort. Sie ist nicht sichtbar. Auch das bleibt festzuhalten.
Zum Thema Arbeitsmarktpolitik, zum selbst produzierten Wahlschlager der SPD, dem Hartz-Konzept, hörten wir anfangs noch kritische Töne: Die Tonlage passt mir nicht, sagten Sie. Es kann nicht sein, dass die Arbeitslosen schuld an der Arbeitslosigkeit sind. - Später verstummten die kritischen Wertungen immer mehr. Wie ist heute Ihre Position? Ihrer Formulierung entnehme ich eine möglicherweise als leichte Distanz zu interpretierende Haltung.
Schließlich ein letzter Punkt: Die Hälfte der Wegstrecke beim Aufbau Ost sei geschafft, hörten wir im Sommer von Manfred Stolpe, Matthias Platzeck und anderen auf vielen Brandenburger Marktplätzen.
Wie aber geht es weiter? Versprochen wurde im Wahlkampf vieles. Was bleibt angesichts eines selbst verursachten Milliardenloches in einem 10-Milliarden-Haushalt davon noch übrig? Und welche neuen Akzente hat der neue Ministerpräsident? Das wollen nicht nur wir wissen.
Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident hat heute versucht, uns sein Bild eines modernen Brandenburg zu zeichnen. Für mich ist es ein reichlich unscharfes Bild.
Da ich sehr viel Kritisches vorzutragen habe und noch vortragen werde, will ich es nicht versäumen, ausdrücklich Ihre Redepassagen, Herr Ministerpräsident, über die Chancen und die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Osterweiterung der EU hier in Brandenburg zu würdigen, und ich finde die mehrfache Erwähnung der Zivilgesellschaft in Ihrer Rede sehr positiv.
Modernität misst sich für die Menschen, ganz besonders für die im Osten, immer noch maßgeblich daran, ob sie ihre Fähigkeiten in die Arbeitswelt einbringen und ihren Lebensunterhalt durch Arbeit bestreiten können.
Ich sage: Nichts ist unmoderner als die Ausgrenzung von Millionen von Menschen in die Arbeitslosigkeit.
In Brandenburg ist die Lage anhaltend kritisch. 227 000 Menschen waren im Oktober ohne Arbeit, 40,4 % davon sind Langzeitarbeitslose. Hinzu kommen mehr als 71 000 Menschen, die an ausgewählten Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik partizipieren. Insgesamt sind das rund 300 000 Brandenburger. Damit sind weit mehr Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen als zu Beginn der Wahlperiode.
Unser Arbeitsmarkt - das wollen wir bei diesen Zahlen auch nicht vergessen - wird in erheblichem Maße durch Auspendler in andere Bundesländer entlastet. Deren Zahl ist doppelt so groß wie die
der Einpendler. Das kommt hinzu. Außerdem muss hier gefragt werden, wie viel Menschen unser Land für immer verlassen haben.
Ich bin schon im April ausführlich auf die Situation eingangen. Wir von der PDS haben zum wiederholten Male die Unfähigkeit der Landesregierung kritisiert, Großprojekte umzusetzen und auf die stärkere Nutzung regionaler Potenziale umzusteuern. Davon habe ich kein Wort zurückzunehmen. Die Schlagzeilen der letzten Wochen verdeutlichen das:
Der Lausitzring ist weiterhin in den Negativschlagzeilen. Nachdem das Projekt zu 90 % öffentlich finanziert worden war, nachdem statt 1 500 nur ganze 48 feste Arbeitsplätze geschaffen worden waren, gibt es jetzt erneut 2 Millionen Euro vom Land. Wir haben ja das Geld in der Kasse.
Auch wenn die Landesregierung vom „Luftdrehkreuz Schönefeld” Abstand genommen hat, sind die Probleme beim Flughafen Berlin Brandenburg International schwerwiegend. Die Übernahme der Risiken ist weitgehend ungeklärt. Das betrifft das Finanzierungskonzept, die Rolle der Bundesrepublik als Gesellschafter, die Einbeziehung aktueller Fluggastprognosen und vieles andere mehr.
Die Chipfabrik ist noch lange nicht in trockenen Tüchern, und zwar trotz der Genehmigung durch die EU-Kommission. Die Fakten, die der „Spiegel” über den privaten Dubai-Kredit an Minister Fürniß in Höhe von 1 Million US-Doller verbreitete, machen die Gewinnung von Kapital mit Sicherheit nicht einfacher. Sie sind eher geeignet, das Ansehen des Landes langfristig zu mindern.
Nun noch eine Bemerkung zu den entfernten Landesteilen. Durch die Einteilung des Landes in eine Region Nordost und eine Region Südwest, durch das Geschwätz vom Verzicht auf die dezentrale Konzentration und durch die strikte Weigerung, sich zu den Rahmenbedingungen für die Entwicklung des äußeren Entwicklungsraums - hier wohnen immerhin 1,6 Millionen Brandenburger - konkret zu äußern, hat die Landesregierung Vertrauen in die Politik nicht befördert. Statt sich klar dazu zu erklären, wird aus der SPD heraus eine Diskussion über eine neue Kreisgebietsreform losgetreten. Es wäre gut, wenn Sie einmal eine Reform beendeten, bevor sie schon wieder mit einer neuen anfangen.
Herr Ministerpräsident, wir wollen wissen, was für eine Strategie Sie künftig im Wirtschaftsbereich verfolgen wollen. Das wird ohne eine kritische Auseinandersetzung mit der Brandenburger SPD-Politik seit 1990, ohne ein Umsteuern in der Wirtschaftspolitik hin zur Unterstützung der Entwicklungspotenziale der Regionen nicht gehen.
Wenn wir über Arbeitsplätze in Brandenburg reden, dann gehören in unserem agrarstrukturierten Land dazu auch Arbeitsplätze im ländlichen Raum, insbesondere in der Landwirtschaft.
Die durch die EU-Agrarpolitik für unsere Landwirtschaft hervorgerufenen Gefahren lassen sich mit den Stichworten Direktzahlungen, Kappungsgrenze, Modulation und Roggenintervention beschreiben. Es ist durchaus als deutliches Signal bei den Brandenburger Agrarbetrieben verstanden worden, dass Sie, Herr Ministerpräsident, dazu den direkten Kontakt in Brüssel gesucht haben. Aber die Hoffnung, die Europäische Union könne von ihren Plänen in der gemeinsamen Agrarpolitik abrücken, trügt offensichtlich. Die Art, in der Kommissar Fischler auf das Treffen
mit Ihnen, Herr Platzeck, reagierte, lässt vermuten, dass Sie besser erst nach Berlin zu Frau Künast und Herrn Schröder gefahren wären. Die Position eines deutschen Bundeskanzlers und seiner Verbraucherschutzministerin hat in Brüssel nämlich mehr Gewicht als die eines einzelnen Bundeslandes.
Dass Fischler massiv für Kappungsgrenzen eintritt, hat zwei Gründe, einen ideologischen - er will die „aus der kommunistischen Ära stammenden Strukturen” ausmerzen - und einen fiskalischen - der Kommissar hält es für sinnvoller „dass ein 5 000 ha großer Betrieb aufgeteilt wird und wir mehreren Bauernfamilien eine Chance geben”.
Herr Ministerpräsident, beenden Sie im Interesse der Brandenburger Bauern und der Sicherung vieler Arbeitsplätze im ohnehin schon gebeutelten ländlichen Raum die Sprachlosigkeit Ihres obersten Genossen in Berlin.