Doch wer oder was trägt die Hauptschuld am Bildungsnotstand deutscher Schüler? Die Schüler, weil sie kein Interesse mehr an einer ordentlichen Schulbildung haben? Die Lehrer, weil sie es angeblich nicht verstehen, die Schüler zu motivieren und den Unterricht interessant zu gestalten? Die Eltern, weil sie sich zu wenig um die Erziehung ihrer Kinder kümmern?
Meine Damen und Herren, es ist das System, welches hier versagt hat. Schüler müssen entsprechend ihren Fähigkeiten gefördert und gefordert werden. Welchen Anreiz hat denn ein Schüler noch, gute Leistungen zu erbringen, wenn die Leistungen noch nicht einmal regelmäßig abgefragt und bewertet werden und wenn viele Jugendliche Perspektivlosigkeit als eine Ursache ihres schulischen Desinteresses angeben? Statt eigenständiges Denken und Handeln zu fördern, setzt man die Kinder schon im Grundschulalter vor den Computer.
Doch allmählich gibt es Anzeichen für eine Rückbesinnung auf das bereits Dagewesene. So wurden beispielsweise Abschlussprüfungen am Ende der 10. Klasse wieder eingeführt, das Wort Elite ist kein Schimpfwort mehr und es wird sogar laut über Begabtenförderung nachgedacht. Modellversuche mit Turboklassen laufen und das Abitur soll bereits nach zwölf Jahren erreicht werden, wie bereits in der Vergangenheit praktiziert und in den meisten europäischen Staaten üblich. Der eine oder andere denkt sogar über die Gründe nach, die gleichzeitig zu Arbeitslosigkeit und Arbeitskräftemangel geführt haben, und gibt der einst verpönten Forderung „Bildung statt Einwanderung” insgeheim seine Zustimmung.
union fordert, dass die Kinder in den Schulen entsprechend ihren Fähigkeiten gefördert und gefordert werden. Dazu ist es auch erforderlich, dass die Schullandschaft übersichtlicher wird und die Leistungen der einzelnen Schüler besser vergleichbar werden, indem zum Beispiel verbindliche Rahmenlehrpläne und Abschlussprüfungen in allen Bildungsgängen eingeführt werden. Auch die Versetzungskriterien sollten einheitlich im Land geregelt sein. Des Weiteren fordern wir als Fraktion der Deutschen Volksunion, dass Tugenden wie Fleiß, Ordnung und Disziplin wieder einen höheren Stellenwert an unseren Schulen bekommen.
Als Resümee ergibt sich daher unsere dringende bildungspolitische Forderung, dass umgehend alles dafür getan wird, um unseren Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen, damit wir in Zukunft nicht auf ausländische Fachkräfte angewiesen sind. Denn die Schüler von heute sind die Fachkräfte von morgen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor mir haben hier nur Bildungspolitiker gesprochen. Ich möchte betonen, dass ich Mitglied des Wirtschaftsausschusses des Landtags bin.
Die PISA-Studie bedeutet insbesondere für ein Industrieland wie Deutschland einen gravierenden Einschnitt. Wenn wir weiterhin so in die Zukunft schauen, wie wir das zurzeit tun, dann kann uns nicht wohl sein. Es ist so, dass nicht nur die Gesellschaft ein Problem hat, sondern dass auch 10 % bis 20 % der Schülerinnen und Schüler ein großes Problem haben. Sie nehmen an dem wirtschaftlichen Erfolg, der sich in unserer Wohlstandsgesellschaft abzeichnet oder den es in dieser Gesellschaft gibt, nämlich nicht teil. Von der Geburt bis zur Berufsausbildung gibt es hier Verlierer. Sie durchlaufen das ganze Schulsystem. Ihre Namen sind bekannt. Man sollte sie wirklich auffordern: Lest die PISA-Studie, lasst euch das nicht gefallen, fordert von der Politik mehr als das, was bisher anhand dieser Studie diskutiert worden ist!
In der Presse kann man dazu ebenfalls einiges lesen. Da heißt es zum Beispiel: In keinem der anderen Länder, die an dem PISATest teilgenommen haben, sind die Unterschiede zwischen guten und schlechten Schülerleistungen so groß wie in Deutschland. - Es ist ein sozialpolitischer Skandal in Deutschland, dass Schülerinnen und Schüler aus unteren sozialen Schichten in unserem Schulsystem fast keine Chance haben.
In Deutschland fließt das Geld dorthin, wo die sozial Privilegierten ihre Kinder unterbringen, nämlich hauptsächlich in die Gymnasien.
Bei den laut PISA erfolgreichen Bildungssystemen kann man feststellen, dass man, wenn überhaupt, Schüler nach Leistungen in Fachgebieten sortieren sollte. Flexibilität und Durchlässigkeit sollten die Schlagworte bei der Schulreformdiskussion sein. Aber wir reden über Kita, reden da mal ein bisschen und dort ein bisschen und sehen gar nicht, dass sämtliche Schulsysteme der deutschen Bundesländer hoch selektiv arbeiten. Sie geben das Signal: Wenn du gute Chancen hast, dann führt dein Weg ganz schnell nach oben. Deine Eltern sind die Basis dafür. Damit geben sie dem verbleibenden Drittel der Gesellschaft allerdings die Mitteilung: Aufgrund deiner Herkunft, deiner Geburt, der Bildung deiner Eltern hast du hier keine Chance.
Auch wenn sich die Lehrer wirklich bemühen - wir können die Kollegen tatsächlich loben -, das nicht so zu handhaben, ist es jedoch so, dass die Gesellschaft die Signale gibt. PISA sagt uns und hält uns den Spiegel vor: Das ist wirklich so. Ihr könnt euch da in Deutschland nicht verstecken.
Seit Mitte der 90er Jahre gibt es Konzepte, die deutlich machen, dass ein solches Schulsystem in einem Industrieland nicht aufrechterhalten werden sollte. Ein solches Schulsystem ist grundsätzlich ungerecht und zerstört die Sozialstruktur dieser Gesellschaft.
Bisher haben wir dies alles negiert. Das hat mit dem Wahlzyklus von ungefähr vier Jahren zu tun. Jedes Mal, wenn eine Partei die Frage aufwirft, ob die Schüler für eine längere Zeit gemeinsam die Schule besuchen sollten, bekommt sie um die Ohren gewatscht, dass das 68er-Ideen seien. Übrigens hat Finnland sein Schulsystem gerade 1968 umgestellt, Dänemark schon vorher, und zwar sehr erfolgreich, nachdem es vorher jahrzehntelang ein anderes System gab. - Des Weiteren wird der Partei um die Ohren gewatscht, der eine mache dies und der andere mache dann wieder jenes. Aus der Richtung der CDU kommt dann meist noch der Hinweis - meine Kollegen aus jener Fraktion mögen mir das bitte nicht übel nehmen -, wir hätten doch das beste Schulsystem.
PISA besagt dagegen, dass unser Schulsystem sehr ungerecht sei und dass die Leistung dort auch nicht stimme. Die Schlussfolgerung daraus müsste eigentlich ganz eindeutig sein, dass eine längere gemeinsame Schulzeit festgelegt wird.
Dies müsste das gemeinsame Ziel sein, und zwar auch unter Berücksichtigung der Initiativen der verschiedenen Parteien, angefangen von solchen für die Grundschule bis hin zu solchen für die Sekundarstufe II. Dann könnten in Deutschland alle eine Chance haben, nicht nur die Kinder von Mittelschichteltern, die bei den Wahlen die Mehrheiten sichern.
Aber genau das ist das Problem. Das bekommen wir nicht hin. Diejenigen die jetzt skeptisch schauen, sollten einmal die Diskussionen über die Grundschulreform im Jahr 1920 nachlesen. Da gab es ähnliche Diskussionen. Wir sind bis heute nicht weiter gekommen. Die wenigen Gesamtschulen, die es beispielsweise in Brandenburg oder in Nordrhein-Westfalen gibt, sind nicht die Reform, die wir brauchen. Wir brauchen eine Reform, mit der das Ziel verfolgt wird, dass alle Kinder eine Chance
Wenn man das versteht, dann versteht man auch, warum die deutsche Industrie auf einem Symposium vor einem Jahr in Berlin deutliche Signale an die Adresse der Bildungspolitik in die Richtung gegeben hat, dass es nicht zugelassen werden sollte, dass im Durchschnitt circa 15 % der Kinder Totalversager sind, und zwar sowohl in der Schule als auch im Berufsbildungssystem. Diese Jugendlichen brauchen wir als hoch motivierte Arbeitskräfte. In einem Industrieland gibt es keine Arbeitsplätze für Ungebildete in dieser großen Zahl.
- Diejenigen, die jetzt hier Zurufe machen, müssen sich einmal die Frage stellen, warum es möglich ist, dass 95 % der Kinder in Finnland zwölf Jahre lang gemeinsam die Schule besuchen, ohne dabei Schaden zu nehmen. Finnische Kinder haben in der PISA-Studie sogar erfolgreicher abgeschnitten als unsere Kinder hier. Warum ist das auch in Dänemark der Fall, wo es 80 % der Kinder sind, oder in Schweden mit 75 %? Warum wirken sich die sozialen Unterschiede in der späteren Bildungskarriere zum Beispiel auch in den USA nicht so gravierend aus wie in Deutschland? Die USA werden ja in vielen Diskussionen als gutes Beispiel angeführt.
Meine Damen und Herren, Sie sollten einfach einmal darüber nachdenken, ob es nicht vernünftig wäre, diese Grabendiskussion zu beenden. Mir wird in Diskussionen immer vorgeworfen, wir seien Ideologen. Ich bin aber gar kein Ideologe, sondern ich möchte nur, dass es sozial gerecht zugeht.
Die großen Parteien in Deutschland sollten sich dieser Grundsatzforderung anschließen. PISA ist ein deutliches Zeichen dafür, dass es hier ungerecht zugeht. Wer darüber hinweggeht, lügt sich selbst etwas in die Tasche.
Vielleicht gelingt es ja noch, dass wir uns gemeinsam um die Grundschulkinder in unserem Ort kümmern. Dann gibt es insoweit dort die besten Bedingungen. Wenn das eigene Kind aber zum Gymnasium geht, dann geht das Interesse an der Grundschule vor Ort verloren. Das ist das Problem, das ich als Bürgermeister sehe. Die Kinder der Mehrzahl der wohlhabenden und gebildeten Eltern besuchen das Gymnasium. Dort kann man dann übrigens von Lehrern Sätze hören wie: Wir haben hier viel zu viele Gymnasiasten. Die Mehrzahl gehört gar nicht hierher. Wie wirkt das auf die betreffenden Schüler, wenn sie das jeden Tag hören? Die bemühen sich, sie schaffen das Niveau so gerade, aber sie wollen erfolgreich sein. Sie spüren aber, dass sie an dieser Schule gar nicht gemocht werden, weil sie durch die Sozialauslese verfolgt werden, wobei man natürlich hinzufügen muss, dass ein Teil der Schüler wirklich nicht begabt ist.
gendes einigen: Im Durchschnitt werden 50 % der geistigen Leistungsfähigkeit vererbt und 50 % werden im Zuge der Sozialisierung erworben. Das gilt für wohlhabende und gebildete Eltern und deren Kindern genauso wie für sozial schwache Eltern und deren Kinder. Es kann ja nicht sein, dass hier plötzlich Erbmechanismen nur deshalb wirken, weil die Eltern mehr Geld haben. Dann müssen wir doch anerkennen, dass auch bei Kindern sozial schwacher Eltern - ich will das jetzt gar nicht weiter definieren oder Prozesse nennen, die hier relevant sein können; das muss man auch hier sehr differenziert betrachten 50 % der geistigen Leistungsfähigkeit durch die von uns vermittelte Sozialisierung erreicht werden.
Wir Politiker müssen die Schule so organisieren, dass die Schüler mit ihren Defiziten leben können, das heißt, dass diese Defizite nicht bis in die Berufsbildung hineingetragen werden.
Die rote Lampe hier vor mir leuchtet und deshalb lassen Sie mich nur noch eine Abschlussbemerkung machen. Eines hat mich als Lehrer immer besonders geärgert, nämlich wenn ich im Lehrerzimmer war und es dort hieß: Der kleine Fritz hier ist genauso dumm wie seine Mutter und sein Vater. Aus dem wird nie etwas. - Wenn wir so etwas nicht abstellen und so etwas in der Gesellschaft nicht aufhört, dann werden wir in Deutschland niemals eine sozial engagierte Gesellschaft erreichen können. Danke sehr.
Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Kliesch. - Das Wort geht jetzt an die Landesregierung. Bitte Herr Minister Reiche.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dankbar dafür, dass wir uns für diese für Schule in Brandenburg lebensnotwendige Debatte Zeit nehmen.
PISA ist entgegen dem, was mancher gesagt oder geschrieben hat, keine nationale Katastrophe oder kein Desaster, sondern PISA ist eine Enttäuschung. Wir haben nämlich gedacht, dass wir besser sind, und in dieser Erwartung sind wir enttäuscht worden. Wir müssen jetzt Schlussfolgerungen aus PISA ziehen, müssen genau untersuchen: Was machen wir bisher schon gut, wo müssen wir noch verändern, wo noch nachsteuern, wo müssen wir uns Zeit nehmen, um etwas anzupacken, um es besser zu machen?
Frau Große, nicht das Gesamtsystem hat versagt. Wenn Sie das so formulieren, dann führen Sie die ideologische Debatte, von der Sie selbst zu Recht sagen, dass sie nicht geführt werden sollte. Wir müssen aus der PISA-Studie, in der ganz verschiedene Systeme untersucht worden sind, die Schlussfolgerung ziehen, dass eine einfache Antwort eben gerade nicht möglich ist. Ich bin sehr froh, dass wir eine entsprechende Debatte auch in der Kultusministerkonferenz, in der es über Jahre und Jahrzehnte immer viele gegeben hat, die gesagt haben, es liege am Sys
tem in den sozialdemokratisch regierten Ländern bzw. in den CDU-regierten Ländern, jetzt nicht führen.
Die Kultusministerkonferenz hat im Jahre 1997 entschieden, dass wir an der internationalen Debatte teilnehmen, dass wir uns mit Schulen an der PISA-Studie beteiligen und dass wir sogar zusätzlich einen nationalen Vergleich in Auftrag geben. Im Jahre 1999 haben wir zudem damit begonnen, die Schwachstellen zu analysieren. Wir wollten also nicht auf die Ergebnisse von PISA warten, sondern haben uns selbst darangemacht und haben im Forum Bildung mit den Kammern, mit den Verbänden, mit den Kirchen, mit den Eltern, mit den Schülervertretern untersucht, wo wir etwas anders machen müssen.
Da stimme ich Ihnen zu und bin dankbar, dass viele in der Debatte das so gesehen und geschildert haben. PISA ist eine Chance, nämlich die Chance, dass wir eine breite Bildungsbewegung in Deutschland bekommen, sodass Bildung, das zurzeit das Topthema in den Medien und in den Parlamenten ist, hoffentlich auch das Topthema in den Haushaltsberatungen wird; denn dort müssen wir dann umsetzen, was wir hier besprechen.
Brandenburg hat mit fünf Schulen an der OECD-weiten Vergleichsstudie und mit 77 Schulen an der deutschlandweiten Vergleichsstudie teilgenommen. Ich weiß nicht, wo wir stehen werden, denn diejenigen, die im Jahre 2000 als 15-Jährige getestet worden sind, sind ja zehn Jahre lang, nämlich vom 5. bis zum 15. Lebensjahr, durch ein sich veränderndes Bildungssystem und gesellschaftliches System gegangen. Das wird wohl auch Auswirkungen auf ihre Bildungsleistungen gehabt haben, die im Jahre 2000 getestet wurden. Insofern sollten wir nicht zu hohe Erwartungen haben, sondern froh sein, wenn sich unsere Schüler mit ihren Ergebnissen im Juni in einer der ersten beiden von drei Gruppen, die es voraussichtlich geben wird, wiederfinden.
Pisa ist ein schiefer Turm, weil es dort bei den Fundamenten nicht stimmt. Dementsprechend hat die PISA-Studie allen Ländern, in denen es schlechte Ergebnisse gegeben hat, deutlich gemacht, dass mehr in die Fundamente investiert werden muss.