Protocol of the Session on October 19, 2000

mitgeteilt. Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der beantragenden Fraktion. Herr Abueordneter Vietze. bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion wollte heute ursprünglich über die geplante Polizeistrukturreform diskutieren. ein wichti ges Thema. das nicht nur Polizisten bewegt, sondern auch in den Städten. in denen Präsidien aufgelöst werden sollen. energischen Protest hervorruft. was gestern auch durch circa 3 000 Demonstranten vor dem Landtag belegt wurde. Letzlich haben wir uns aber anders entschieden. weil wir meinen. über die Polizeistrukturreform zu diskutieren wird es noch Möglichkeit in diesem Hause geben.

Wir reden heute über ein Thema. das die Menschen hierzulande wie kein anderes bewegt: die Einschränkung des Rechtsanspruchs eines jeden Kindes auf Erziehung. Bildung. Betreu

ung und Versorgung in einer Kindertagesstätte.

Was ist in Brandenburg passiert? Wir haben eine hervorragende Verfassung. Wir hatten ein von Regine Hildebrandt initiiertes Kindertagesstättengesetz mit ernünftigen Regelungen. Das wurde alles akzeptiert. Dann ergab sich die Situation. dass im Zusammenhang mit der Notwendigkeit zum Sparen eine Mehrheit dieses Landtages mit einem Haushaltsstrukturgesetz den bisherigen Rechtsanspruch beseitigte. Das Volk. die Brandenburgerinnen und Brandenburger. nach der Landesverfassun g der erste Gesetzgeber, akzeptierte diese Entscheidung der Parlamentsmehrheit nicht und begann eine Volksinitiative für die Wiederherstellung des bisherigen Rechtsanspruchs. Ich betone. dass es nicht um etwas völlig Neues, sondern nur uni die Beibehaltung eines bisher in Brandenburg gewährten Rechtsanspruchs ging.

(Beifall bei der PDS)

Dann haben 152 000 Menschen in Brandenburg in kürzester Zeit diese Initiative unterschrieben, 20 000 wären nur nötig gewesen. Die Bürger erwarten nun, dass sich der Landtag nochmals mit dem Kita-Gesetz. den Regelungen in § I, dem Rechtsanspn.ich. beschäftigt. Sie erwarten. dass die Vertreter dieser Volksinitiative nochmals die Möglichkeit erhalten. ihre Argumente in den entsprechenden Ausschüssen des Parlamentes vorbringen zu können. Sie erwarten möglicherweise eine andere Entscheidung in der Sache.

(Beifall bei der PDS)

In Brandenburg war es bisher Praxis, dass der Landtag die Zulässigkeit von Volksinitiativen stets gewährte und sich mit solchen Initiativen dann auch beschäftigte. Auch diesmal hatten wir Hoffnung; denn obwohl die Landesregierung von Beginn an ihre angeblich verfassungsrechtlichen Bedenken artikuliert hatte und damit auch öffentlichen Druck auf die Koalitionsfraktionen ausübte. beschloss der Hauptausschuss am 7. September auf unseren Antrag hin, vor der Entscheidung über die Zulässigkeit der Initiative zunächst eine Anhörung von Rechtsexperten durchzuführen. Die hat nun stattgefunden. Herr Ottinar Jung. Herr Prof. Michael Nierhaus, Herr Prof. Karl-Heinz Schöneburg und Herr Prof. von Brünneck haben dem Hauptausschuss und weiteren Abgeordneten Rede und Antwort gestanden.

Die Argumentation der Sachverständi gen war eindeutig. Drei von vier Gutachtern plädierten für die Zulässigkeit. Was sagten die Sachverständigen in diesem Zusammenhang?

Erstens: Volksinitiativen, die mittelbare Auswirkungen auf den Landeshaushalt haben, sind nach der Landesverfassung zulässig. Selbst derjenige. der die Verfassungsinterpretation an dieser Stelle mit der Konsequenz der Ablehnung der Volksinitiative in einer anderen Weise zum Ausdruck brachte. Herr von Brünneck. gehört zu jenen. die im Kommentar zur Brandenburger Verfassung geschrieben haben. dass Initiativen zum Landeshaushalt. zu Dienstversoruunusbezügen. zu Abgaben- und Personalentscheidungen unzulässig sind. Auf diese Weise soll dem Missbrauch der Volksinitiative entgegengewirkt werden. Darauf bezieht sich aber niemand in dieser Volksinitiative. Das macht keiner,

„Damit das Recht".

schreibt er.

„auf Volksinitiative nicht leer läuft. müssen Volksinitiativen mit mittelbaren Auswirkungen auf den Landeshaushalt. Abgaben- und Personalentscheidungen aber zulässig sein."

Das steht im Handbuch zur Verfassung von Sachs auf Seite 3 4.

(Beifall bei der PDS)

Nun fragen wir: Was ist passiert in Brandenburg. dass man die Vertreter einer Volksinitiative nicht einmal mehr ins Parlament lässt. um sie anzuhören. weil man ihre Initiative für unzulässig erklärt?

(Beifall bei der PDS)

Das Zweite, was die Sachverständi gen festgestellt haben: Die von der Regierung genannte Höhe der finanziellen Auswirkungen der Volksinitiative - in diesem Jahr 0.17 %. im nächsten 0.2 des Haushaltes. bis 0.25 D. -(1 im Haushalt 2002 - ist fernab der Höhe. die das Gleichgewicht des Haushaltes stören bzw. den Staatshaushalt als Ganzes umstoßen würde. - Also ist eine sachliche Begründung für das, was möglicherweise für Sie. meine

Da1110.11 und Herren von SPD und CDU. Grundlage Ihrer Entscheidung war. gar nicht gegeben.

Drittens - auch das halten wir für logisch -: Soweit eine Volksinitiative Auswirkungen auf den Landeshaushalt hat, ist der Landtag in der Pflicht. die Wirkungen durch entsprechende Haushaltsentscheidungen abzufangen.

Ich möchte nur an die Haushaltsdiskussion erinnern. Es hat auch ein konkreter Vorschlag für die Finanzierung einer anderen Regelung für den Rechtsanspruch vorgelegen. Trotz dieser Argumentation der Sachverständigen erkannte der Hauptausschuss mit den Stimmen von SPD und CDU bei Enthaltung des Abgeordneten Wagner auf Unzulässigkeit. Herr Fritsch. der Vorsitzende des Ausschusses, war so freundlich, freimütig zu bekennen: Wir hatten zwar im Hauptausschuss eine Sachentscheidung, eine juristische Entscheidung über die Zulässigkeit zu treffen. er hat aber eine politische Entscheidung getroffen. Die ist nun einmal situationsbedingt von der momentanen Stimmungslage abhängig. Deswegen haben am Donnerstag vergan

gener Woche die Mitglieder der SPD- und der CDU-Fraktion eine politische Entscheidung getroffen. Das war im Rundfunk zu hören.

Brandenburgern und vor einer vorher hier. im Parlament. stattfindenden.

(Beifall bei der PDS) Nun sagen wir: Was ist los mit der SPD in dieser Situation? Wovor haben die gut eingestellten Kolleginnen und Kollegen Angst? Ist es vielleicht die Angst davor. dass erstmals mit einer Volksinitiative und dieser Anzahl \ an Stimmen die Möglichkeit besteht. dass eine Volksinitiative erfolgreich ist, sich auch im Volksbegehren durchsetzt. (Beifall bei der PDS)

und dass möglicherweise etwas aus der Krone derer fällt. die doch vom Volke gewählt hier sitzen. um für das Volk zu entscheiden? Aber der Brandenburger Verfassungsgeber war, wie auch Sie, der festen Überzeugung: Nicht wir allein sollen entscheiden; der Landtag ist der zweite Gesetzgeber. der erste ist das Volk.

Das ist der Ausdruck der Modernität unserer modernen Brandenburger Verfassung. Warum haben Sie auf einmal Schwierigkeiten mit der Modernität?

(Beifall hei der PDS)

Haben Sie wirklich Angst vor dem Volk und davor, dass Sie einmal eine Entscheidung zurücknehmen müssen?

Herr Bräuti gam war so freundlich. darauf zu verweisen:

_Von Plebisziten geht eine heilsame Wirkung. ein heilsamer Einfluss auf den parlamentarischen Routinebetrieb aus. Sie verhindern, dass Parteien und Berufspolitiker sich allzu sehr von den Bedürfnissen der Bevölkerung und von der Lebenswirklichkeit entfernen...

Das hat er gesagt. als wir darüber geredet haben, warum Volksinitiative und Volksgesetzgebung notwendig sind.

Bisher haben wir alle Volksinitiativen inhaltlich abgelehnt. Vier sind in ein Volksbegehren gegangen, haben es aber nicht geschafft: das Volk hat es nicht geschafft.

Aber haben wir uns, wenn wir über Volksinitiativen insgesamt reden. schon einmal die Frage gestellt: Hat das Parlament im Umgang mit dem Volk seine Aufgaben erfüllt? Sind wir nicht auch aufgefordert, uns kritisch zu befragen: Was ist los. wenn 152 000 Menschen in diesem Land eine andere Entscheidung von uns verlangen? Und wie großzügig gehen wir mit Geld um? Wieso machen wir es gerade beim Kita-Gesetz zur Na gelprobe die 36 Millionen oder.40 Millionen DM - und nicht beim Flughafen oder bei der BUGA? Da liegt dem Haushaltsausschuss wegen der Budgethoheit des Parlaments ganz einfach ein Kabinettsbeschluss über 12 Millionen DM für die BUGA - und zwar für das hervorragend geplante Biosphiirenreservat - vor, ausgegeben werden aber 49 Millionen DM.

(Zuruf von der PDS: Eine Schande ist das!)

Da muss ich ganz einfach sagen, hier werden Proportionen verschoben. Es wird sich gedrückt vor der notwendigen ehrlichen Auseinandersetzung mit den Brandenbur gerinnen und

Ich empfehle jedem das heuti ge Interview mit Frau Thiel-Vigh zur Lektüre. Sie ist enttäuscht über die Entscheidung des Hauptausschusses. Herr Klein, das haben Sie sicher schon gehört.

(Klein [SPD]: Ich werde dazu etwas sagen.)

- Das können Sie dann alles sagen. - Sie hat sehr deutlich gemacht: Wenn man eine andere Meinung als die Initiatoren der Volksinitiative hat. dann sollte man nicht die Anerkennung verweigern oder die Zulässigkeit in Abrede stellen, sondern erneut in die inhaltliche Auseinandersetzung gehen.

(Beifall bei der PDS)

Schauen Sie doch einfach nur nach Sachsen-Anhalt.

(Zuruf des Abgeordneten Klein [SPD])

Sie verweisen immer auf Meckl enburg-Vorpommern, wo Sie auch den Ministerpräsidenten stellen. In Sachsen-Anhalt gibt es eine ähnlich gelagerte Initiative. Nur mit einem Unterschied: Dort hat man das Volksbegehren zugelassen. obwohl es die Landesregierung - die Regierung der SPD - in diesem Lande inhaltlich auch nicht befürwortet. Man hat aber gesagt: Das Wort des Bürgers hat die höchste Souveränität und ist von einer Regierung und von einem Parlament zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall hei der PDS)

Es gäbe vieles anzufügen. Herr Fritsch. der Vorsitzende des Ausschusses - ich bedauere sehr. dass er als der Zuständige nicht hier ist -. hat gesagt:

_Mit dieser Entscheidung hat der Hauptausschuss den Weg freigemacht. damit die Volksinitiative zum Verfassungs

gericht gehen kann."

Ich will dazu nur sagen: Bei Ablehnung und Nichtanerkennung der Zulässigkeit bleibt - das haben wir hier schon vor vielen Jahren geregelt - dann der Weg der Volksinitiative vor das Verfassungsgericht. Da ist nichts durch die SPD und ihren Vorsitzenden des Hauptausschusses _freizumachen-.

(Klein [SPD]: Doch!)

Das Einzige, was freizumachen ist, ist der direkte Weg der Vertreter dieser Volksinitiative in das Parlament.

(Beifall bei der PDS - Zuruf des Abgeordneten Klein [SPD) )