Helga Schwarz-Schumann
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, ich muss Ihnen leider vorwerfen, dass Sie völlig beratungsresistent sind.
Nicht nur Sie, sondern auch die Regierungsfraktionen, die diese Landesregierung tragen, sind beratungsresistent. Wären Sie nur gegen die Argumente der Opposition beratungsresistent, könnte ich das vielleicht noch nachvollziehen, auch wenn es in der Sache nicht sinnvoll ist.
Aber Sie sind beratungsresistent gegen die Argumente der Kirchen, den Sonntag wirkungsvoll zu schützen. Den wenigen kleinen Korrekturen, die Sie vorgenommen haben, stehen andere Verschlimmbesserungen gegenüber, wie zum Beispiel die Freigabe eines Adventssonntages. Und das soll christlich sein, wo der Adventssonntag doch zur Vorbereitung auf Weihnachten dienen soll?
Sie sind beratungsresistent gegen die Argumente der Gewerkschaften, die immer wieder darauf hingewiesen haben, dass die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten zu prekären Beschäftigungs
verhältnissen und zu immensen sozialen Belastungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führen wird.
Sie sind aber auch gegenüber den Argumenten der Einzelhändler beratungsresistent, die in der Anhörung hervorgehoben haben, dass die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten zu einem weiteren Sterben der kleinen und mittleren Einzelhandelsgeschäfte führt. Letztlich tragen Sie deshalb dazu bei, dass die Verödung der Innenstädte noch ein Stück weiter nach vorne getrieben wird.
Sie sind selbst gegen die Vorschläge der Industrie- und Handelskammern beratungsresistent, die sich insbesondere gegen die Ausweitung der Öffnungszeiten und des Angebotes an Sonntagen ausgesprochen haben. Auch das haben Sie nicht vollständig berücksichtigt.
Beratungsresistent sind Sie gegen das Votum des Nordrhein-Westfälischen Handwerkstags, der deutlich macht, dass die Liberalisierung zu einem unübersehbaren Sterben kleinerer familiengeführter Einzelhandelsbetriebe führt.
Sie sind beratungsresistent gegenüber den Argumenten des Städte- und Gemeindebundes sowie des Städtetags, der auf die Problematik des ebenfalls zu verlängernden Personennahverkehrs hinweist. Diese Verlängerung ist nicht leistbar.
Sie sind auch gegen wissenschaftlichen und verfassungsrechtlichen Sachverstand beratungsresistent. Sowohl die Sozialforschungsstelle wie auch der Verfassungsrechtler Pieroth haben deutlich gemacht, dass es keinerlei wirtschaftliche Vorteile für die Unternehmen bedeutet, die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer verschlechtert würden und sogar verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.
Beratungsresistent sind Sie auch gegenüber den Vorschlägen des Frauenrates und des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte, der insbesondere auf die Belastung für Frauen hinweist.
Im Augenblick nicht. Ich möchte gerne zum Ende kommen und habe nur noch eine Minute Redezeit: Doch all jene Bedenken ignorieren Sie, vorbei an den Interessen der Beschäftigten, der Einzelhändler, der Interessenverbände und letztlich auch einem großen Teil der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.
Wir haben dazu eine Position. Der Kollege Schmeltzer hat sie deutlich gemacht: Wir brauchen keine Ausweitung des geltenden Rechts. Übernehmen Sie doch einfach die Regelungen des Bundes. Das, was Sie hier praktizieren, ist ein völlig falsches Verständnis von Föderalismus. Dem Gesetzentwurf werden wir daher nicht zustimmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, dass meine Redezeit knapp bemessen ist. Erlauben Sie mir trotzdem eine persönliche Vorbemerkung. Schaue ich mich im Plenum um, habe ich doch den Eindruck, dass wir bereits die neuen Ladenöffnungszeiten praktizieren, weil jeder kommt und geht, wann er will, alles nach seinen Bedürfnissen. Ich bitte es nur als Anregung zu verstehen: Deshalb sollte man noch einmal darüber nachdenken, ob die Kernplenumszeiten hier überhaupt noch den Bedürfnissen der Abgeordneten entsprechen. – Soweit meine Vorbemerkung!
Ich möchte mich jetzt gerne Frau Ministerin Thoben zuwenden, weil ich den Eindruck nicht loswerde, dass Sie mit dem Ladenöffnungsgesetz oder LÖG NRW – wie es so schön heißt – Herrn Minister Pinkwart Konkurrenz machen möchten. Herr Pinkwart war seinerzeit angetreten, das freiheitlichste Hochschulgesetz der Republik zu schaffen. Ich habe den Eindruck, dass Sie, Frau Ministerin Thoben, jetzt den Versuch unternehmen wollen, das freiheitlichste Ladenöffnungsgesetz der Republik zu installieren.
Warten Sie einmal ab, ich bin noch nicht fertig.
Wenn man aber Freiheit predigt, muss man auch wissen, dass die Freiheit des einen die Freiheit des anderen eingrenzen kann und in der Regel auch tut. Genauso sehe ich es bei diesem Gesetzesvorhaben: Natürlich kann ich mir vorstellen, dass es angenehm ist, nachts um 1 Uhr, wenn mir einmal wieder die Zigaretten ausgegangen sind – ich weiß, dass das ein anderes Thema ist, auf das ich gar nicht weiter eingehe –, um die Ecke im Supermarkt Nachschub zu holen.
Demgegenüber kann ich es mir als überhaupt nicht lustig vorstellen, würde ich nachts um 1 Uhr an der Kasse des besagten Supermarktes sitzen, nur weil manche Menschen nicht in der Lage sind, sich so zu organisieren, ihren Bedarf nach Konsum zu menschenwürdigen und weniger gesundheitsschädlichen Arbeitszeiten zu regeln.
Wenn jemand wegen der Bedürfnisse der Menschen oder – wie es in Ihrem Gesetzentwurf heißt – weil sich die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren nachhaltig geändert haben eine grundlegende Neukonzeption des Ladenschlussgesetzes will, muss er auch fragen, welchen Nutzen ein solches Gesetz und, wenn ja, für wen hat: Überwiegen die Vorteile? Überwiegen die Nachteile?
Glaubt man den wissenschaftlichen Untersuchungen, die es zum geltenden Ladenschluss gibt, kann man folgende Ergebnisse festhalten, wie es die Sozialforschungsstelle Dortmund beschreibt:
Die verlängerten Ladenöffnungszeiten waren nur zum Vorteil für großflächige Betriebssysteme. Kleinere Einzelhändler mussten insgesamt rückgängige Umsätze hinnehmen. Aber selbst bei den großflächigen Betrieben sind die Umsatzerwartungen nicht erfüllt worden.
Die beschäftigungspolitischen Hoffnungen, die mit der Lockerung des Öffnungszeitraumes verbunden waren, haben sich nicht erfüllt.
Die Arbeitsbedingungen haben sich für viele Beschäftigte durch die Arbeit zu sozial wertvollen Zeiten und den Druck auf die Personalkosten verschlechtert. Möglichkeiten der Flexibilisierung wurden kaum genutzt.
Konkret: Die Zahl der Arbeitsplätze wurde deutlich abgebaut. Überproportional wurden Vollzeit- und sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsplätze abgebaut.
Demgegenüber hat sich Zahl der geringfügig Beschäftigten deutlich erhöht. Betroffen waren hier überwiegend Frauen. Nur etwa ein Drittel der Betriebe macht von den neuen Öffnungszeiten Gebrauch.
Ich komme sofort zum Ende.
Nur etwa ein Drittel der Beschäftigten, die zu Spätöffnungszeiten arbeiten, erhält dafür nach eigenen Angaben Zuschläge. 90 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möchten keine weitere Ausdehnung der Arbeitszeit.
Nach diesen Ergebnissen habe ich zumindest Zweifel daran, ob es zu Ihrem Gesetz – wie es in der Vorlage steht – keine Alternative gibt. Deswegen befürworte auch ich eine Anhörung. Vielleicht hört man ja den Experten eher zu und nimmt von ihnen aufgezeigte Alternativen eher zur Kenntnis. – Vielen Dank.