Barbara Stamm
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Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich ergreife das Wort, weil ich diesen Gesetzentwurf, den wir heute, wie ich bis jetzt gehört habe, gemeinsam verabschieden wollen, für äußerst wichtig halte. Ich halte ihn deshalb für besonders wichtig, weil wir für die Zukunft gewährleisten wollen, dass mit der Zusammenführung der ambulanten und stationären Eingliederungshilfe den Menschen mit Behinderung Rechnung getragen wird in einer Gesellschaft, die auch in Zukunft menschliches und ein humanes Gesicht haben muss.
Wir alle – und ich bin dem Kollegen Unterländer und meiner Fraktion sehr, sehr dankbar – wünschen uns heute, dass die Bezirke, denen wir diese Aufgabe und Verantwortung anvertrauen, dass die Verantwortlichen in den Bezirken, sowohl die gewählten als auch die in den Verwaltungen, dem Auftrag, den das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung enthalten, gerecht werden.
Ich glaube, es steht uns gut an, das auch zu tun.
Es steht uns deshalb gut an, weil ich daran denke – und ich kann das hier nur noch einmal zum Ausdruck bringen –, dass die Eingliederungshilfe – es geht nicht um Sozialhilfe – bedeutet, dass Menschen mit Behinderung – und ich träume immer noch davon, verehrte Kolleginnen und Kollegen, und, Frau Staatsministerin, wenn ich recht informiert bin, ist ja die Sozialminister- und -ministerinnenkonferenz beauftragt worden, noch einmal darüber nachzudenken –, tatsächlich ein eigenes Leistungsgesetz in Deutschland auf den Weg zu bringen, natürlich in der Zuständigkeit der Länder, damit wir endlich den Sozialhilfegedanken aus der Eingliederungshilfe herausbekommen.
Ich denke dabei an ein Kind, das mit Behinderung zur Welt kommt, in eine Familie hineingeboren wird, die es annimmt, an ein Kind, das durch Krankheit für die Zukunft eine Behinderung mit sich trägt, an Menschen, die schwer verunglücken. Das sind Menschen, die nicht Almosen von unserer Gesellschaft erwarten, sondern mit der Solidarität rechnen können und rechnen müssen.
Dafür plädiere ich. Es ist die Aufgabe der Bezirke in der Zukunft, die Einzelpersönlichkeit derjenigen zu sehen, die Eingliederungshilfe benötigen, wo auch immer, sei es in den Werkstätten oder in den Wohnheimen oder in der Frühförderung.
Noch ein Wort zu dem Bezirk, der heute schon mehrfach angesprochen worden ist. Dieser Bezirk hat in einem Schreiben an die Familien einen angeblichen Anspruch des Bezirkes geltend gemacht, bei dem sich im Nachhinein herausstellt, dass dieser Anspruch rechtswidrig war. Aber darum geht es mir jetzt nicht; es geht um die Sprache, die in diesem Schreiben zum Ausdruck kommt:
Der Bezirk hat im Jahre 2006 circa 135 Millionen Euro für die laufenden Maßnahmen der Eingliederungshilfen und der Hilfe zur Teilhabe aufbringen müssen. Im Jahre 2000 waren dies noch circa 100 Millionen Euro.
Und dann bekommen die Eltern weiter mitgeteilt, dass diese rasante Kostenentwicklung und die ohnehin prekäre Finanzlage die Sozialverwaltung zwinge, gesetzlich vorgesehene Ansprüche ausnahmslos geltend zu machen, um dem Nachrangigkeitsgrundsatz der Sozialhilfe gerecht zu werden.
Das ist übrigens kein Schreiben von vor 10 oder 15 Jahren, sondern das Schreiben stammt vom 8. Feb
ruar 2007. Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt wissen Sie, was ich meine. Ein solcher Brief darf an eine Familie nicht geschrieben werden;
denn die Familie kann nichts für den Anstieg der Eingliederungshilfe. Und dann lese ich immer in den Papieren, dass die Fallzahlen gestiegen sind.
Es sind Menschen und keine Zahlen.
Es sind auch keine Fälle. Aber die Zahlen nehmen zu. Das beginnt schon bei der Geburt von Frühchen, die durch den medizinischen Erfolg heute mehr Lebenschancen haben als früher; auch die Bewältigung von Krankheiten oder die Fortschritte in der Rehabilitation nach schweren Unfällen wirken sich aus. Auch die erfreulicherweise längere Lebenserwartung von Menschen mit Behinderung müssen gesehen werden. Das sind offene Baustellen, die wir in der Zukunft haben. Wie gehen wir mit Menschen mit Behinderung im Alter um? Welche Möglichkeiten und Formen des Zusammenlebens haben wir für sie?
Es kann nicht sein, dass wir Menschen mit Behinderung mit 45 oder 50 Jahren in Pflegeheime geben, in denen das Eintrittsalter bereits heute bei durchschnittlich 87 Lebensjahren liegt. Wir müssen hier eigene Formen des Wohnens und des Zusammenlebens bei der Eingliederung älterer Menschen mit Behinderung selbstverständlich werden lassen, wenn die Familien das nicht mehr leisten können.
Jeder von uns hat sicherlich schon Mütter oder Väter erlebt, die uns fragen, was sein wird, wenn sie einmal nicht mehr sind. Sie selbst haben Sorge dafür getragen, 40 oder 45 Jahre lang den Sohn oder die Tochter mit Behinderung in der Familie zu betreuen. Solche Familien brauchen die Unterstützung und die Solidarität der Gemeinschaft.
Wofür werbe ich? Ich mache heute keine Vorwürfe, sondern ich werbe dafür, bereits durch die Sprache mit den Menschen einen Umgang zu pflegen, der die erwachsenen Menschen mit Behinderung spüren lässt, dass wir sie ernst nehmen, wenn sie ein selbstbestimmtes Leben gestalten wollen. Das persönliche Budget – Frau Staatsministerin, das ist etwas, wofür Sie zu Recht werben – gibt großartige Möglichkeiten für eine solche Gestaltung, aber man muss letzten Endes richtig damit umgehen und die Eingliederungshilfe zugeschnitten auf die jeweilige Persönlichkeit auf den Weg bringen.
Und nun noch ein Wort zu dem Beispiel, dass es in den Werkstätten kein Mittagessen mehr gibt. Das mag jetzt etwas lapidar klingen, denn es gibt schon noch ein Mit
tagessen, aber es muss bezahlt werden. Die Begründung, das Mittagessen gehöre nicht zur Eingliederungshilfe, ist eine juristische Begründung, die uns mit auf den Weg gegeben wird. Ich dachte eigentlich immer, dass ich etwas von Eingliederungshilfe verstehe. Wenn ein Mittagessen bedeutet, an einem schön gedeckten Tisch zu sitzen, sich am Essen zu freuen, mit anderen zu kommunizieren und sich dabei wohlzufühlen, und wenn dann dieses Mittagessen nicht zur Eingliederungshilfe gehört, dann möge man mir das doch bitte erläutern. Juristisch hat man mir das rauf und runter begründet, aber ich möchte doch sehr dafür werben, aus der Eingliederungshilfe das zu machen, was sie letztlich ist und vom Gesetzgeber auch gewollt ist.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss wirklich sagen, ich bin nicht nur bestürzt, sondern erschüttert über diese Debatte, die wir in diesem Hohen Hause führen.
Ich möchte deutlich sagen, liebe Frau Kollegin Ackermann – ich spreche auch viele Kolleginnen und Kollegen der Opposition an –: Wann schaffen wir es endlich, in diesem Haus aufzuhören zu spalten? Wann schaffen wir es endlich? – Ich sage mit Blick auf Frau Kollegin Radermacher: Wir haben gemeinsam im Stadtrat Familienpolitik geleistet. Wann schaffen wir es endlich, die Familien in den Mittelpunkt zu stellen, die Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollen? Wann schaffen wir es endlich, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen? Wann schaffen wir es endlich, liebe Frau Kollegin Ackermann, die Familien, die Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, nicht mehr als altmodisch oder rückwärts gewandt zu bezeichnen? – Es ist nicht richtig, meine Partei, die CSU, in eine Ecke zu stellen, in die wir nicht gehören.
Das haben Familien nicht verdient.
Ich muss Ihnen deutlich sagen – ich gehe selten hier in die Debatte –: Ich fi nde es schlimm, Eltern von vornherein zu unterstellen, sie seien nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen, und nicht fähig, ihre Kinder zu erziehen.
Ich halte es für unmöglich, Frau Kollegin Ackermann, dass Sie jegliche direkte Unterstützung – ob das Erziehungsgeld ausreicht oder nicht, ist eine andere Frage – für die Familien sozusagen als altmodischen Rückschritt, der ideologiebefrachtet ist und nicht in die Zeit passt, betrachten.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wahnschaffe, bitte sehen Sie es mir nach, aber bei Ihrem Beitrag kam mir jetzt nur in den Sinn: Wer selbst im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.
Ich vergegenwärtige mir, dass Ihre Parteifreunde in Berlin das erste Mal mit dem großartigen Satz angetreten sind, der in Deutschland Geschichte gemacht hat: Wir wollen nicht alles anders, aber wir wollen alles besser machen.
Dazu muss ich wirklich fragen: Was haben Sie denn in diesen Jahren besser gemacht?
Das alles gehört mit zur Gesundheitsreform. Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist nicht besser, sondern schlechter geworden.
Sie ist deshalb schlechter geworden, weil das Vertrauen in die Wirtschaft fehlt und die Arbeitskosten trotz Ökosteuer nicht gesunken, sondern gestiegen sind, und damit ist eine Benachteiligung für die deutsche Wirtschaft, aber auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbunden.
Sie haben zum anderen dazu beigetragen, dass wir die Spitzenfunktion im Gesundheitswesen in Deutschland immer mehr verlieren, wenn wir diese Diskussion weiterführen. Damit sind enorm viele Arbeitsplätze verbunden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wichtig ist es doch, dass wir auf der einen Seite die Solidarität mit den Kranken in dieser Gesellschaft aufrechterhalten. Es geht darum, dass den alten, kranken Menschen auch weiterhin Spitzenmedizin zugänglich sein muss.
Es muss weiterhin möglich sein, dass die Jungen nicht alles alleine schultern müssen. Das heißt, dass wir eine Antwort auf die Demografie geben. Das bedeutet eben, neue Wege zu gehen und zu überlegen, wie wir das für die Zukunft tatsächlich angehen können.
Sie haben gesagt, Sie hätten die Bürgerversicherung. Damit lassen Sie die Menschen in diesem Land alleine. Sie haben es fertig gebracht zu sagen, wir haben die Bürgerversicherung. Keiner der Menschen in diesem Land weiß – auch nicht die kleinen Leute, für die Sie heute angeblich sprechen –, was Sie unter „Bürgerversicherung“ eigentlich verstehen.
Sie ist zum einen eine Zwangsversicherung. Zum anderen haben Sie noch nicht ausgesprochen, wie Sie es mit den Kapitaleinkünften machen wollen.
Wenn Sie eine sinnvolle Bürgerversicherung auf den Weg bringen wollen, muss die Einnahmenseite stimmen. Sie müssen hier auch die Kapitaleinkünfte und Zinsen einbeziehen.
Im Übrigen haben Sie, Herr Kollege Wahnschaffe, mit Ihrem Beitrag bei vielen Anleihen genommen. Ich darf zum Beispiel bei den Gewerkschaften Anleihe nehmen.
Die Gewerkschaften haben einmal berechnet, ob der Beitrag mit einer Bürgerversicherung sinkt. Wir sind uns doch in diesem Hause einig, dass wir von den Arbeitskosten herunterkommen und dass die Beiträge, vor allem die Beiträge im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, sinken müssen. Nun sagen Ihnen die Berechnungen der Gewerkschaften, dass bei einer Bürgerversicherung in den nächsten zehn Jahren in der GKV überhaupt keine Beitragsenkung zu erwarten ist.
Dann müssen Sie doch eine Antwort darauf geben, wenn Ihnen die Ihnen nahe stehende Gewerkschaft so etwas mit auf den Weg gibt. Ich gehe davon aus, dass wir alle gemeinsam wollen, dass die Arbeitskosten und die Beiträge zur GKV heruntergehen.
Aber wissen Sie, Herr Kollege Wahnschaffe, mir wurde es jetzt wieder einmal deutlich. Was können Sie eigentlich dagegen haben – jetzt verstehe ich auch, warum Sie der gut verdienende Facharbeiter mittlerweile bei Wahlen im Stich gelassen hat –, dass zukünftig ein gut verdienender Facharbeiter einen geringeren Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt, damit entlastet wird und für sich persönlich und für seine Familie wieder mehr im Geldbeutel hat?
Was können Sie dagegen haben, dass die kleinen Leute unter 1500 Euro brutto, zum Beispiel mit 1000 Euro, nur noch 70 Euro Krankenversicherungsbeitrag bezahlen?
- Wer dafür zahlt?
Lieber Herr Kollege, interessanterweise hat Kollege Wahnschaffe eine Anleihe bei Herrn Rodenstock genommen. Das finde ich wirklich toll. Sie müssen sich das ein
mal vorstellen. Warum hat denn Herr Rodenstock das Modell der CDU/CSU kritisiert? Deswegen, zusammen mit der FDP, weil er nicht das bekommen hat, was er wollte, nämlich den Arbeitgeberbeitrag auszubezahlen, womit dann der einzelne Arbeitnehmer selbstverständlich auch mehr in der Tasche hätte. Also trägt indirekt und direkt der Höherverdienende zum sozialen Ausgleich bei, dass es eine einheitliche Gesundheitsprämie in der Größenordnung von 109 Euro gibt.
Herr Kollege Wahnschaffe, würden Sie bitte dem kleinen Beamten im einfachen und mittleren Dienst erklären, warum Sie dagegen sind, dass zukünftig das heute nicht beitragsfreie Kind in der PKV durch das Modell der Union beitragsfrei ist? Was können Sie dagegen haben? Geben Sie bitte dem kleinen Beamten im Land darüber Rechenschaft.
Wollen Sie dem Höherverdienenden, dessen Spitzensteuersatz nicht wie im Unionskonzept vorgesehen 36 %, sondern 39 % beträgt, verwehren, dass er jedes andere Kind mitfinanziert, aber sein eigenes Kind über seine Steuer nicht frei ist?
Ich schließe gar nicht aus, dass bei diesem Konzept, dessen Rahmen jetzt vorgegeben ist, beim sozialen Ausgleich, vor allem bei Familien, noch einmal Hand anzulegen ist. Aber zu sagen, das ist unsolidarisch, oder zum Ausdruck zu bringen, dass man sich aus der Solidarität verabschiedet ist unredlich.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie müssen erst einmal beweisen, dass Sie es besser können, dass Sie Vorschläge auf den Tisch bringen, wie die Arbeitskosten gesenkt werden können, und dass Sie es fertig bringen, das Vertrauen der Menschen in die Politik wieder herzustellen. Das, was Sie momentan bieten, kann wirklich nicht gutgeheißen werden.
Lassen Sie mich noch einmal etwas zu den Kleinverdienern sagen. Es ist Ihnen doch sicher aufgefallen, dass im Unionskonzept, was die Steuer anbelangt, der Eingangssteuersatz nicht erhöht wird. Der Eingangssteuersatz wird auf 12 % abgesenkt, wie im Unionskonzept vorgesehen. Das bedeutet, dass die Kleinstverdiener nicht mit herangezogen werden, wenn es vor allem darum geht, die Kinder in Zukunft beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung zu stellen.
Ich finde es ganz lustig, wenn Sie dazu sagen, das sei nicht nur unsozial, sondern auch bürokratisch. Erstens müssen Sie uns einmal vorlegen, wie Ihre Bürgerversicherung in der Bürokratie aussieht. Ich kann nicht erkennen, dass wir seit 1. Januar 2004 in der GKV keine Bürokratie haben.
Da haben Sie ja auch mitgewirkt.
Einer, der es kritisiert hat, hat auch daran mitgewirkt. – Ich habe gesagt einer, der die Bürokratie kritisiert, war auch dabei. Wir müssen weg von dieser Bürokratie. Wie sieht es denn aus? Was muss der Bürger bei unserem Modell wissen? Er muss drei Dinge wissen: Die Prämie beträgt maximal 109 Euro, keiner bezahlt mehr als 7 % seines Einkommens, und die Kinder sind kostenlos versichert. Alles andere wird in einem automatisierten Verfahren erledigt. Geringverdiener müssen den sozialen Ausgleich, Herr Kollege Wahnschaffe, nicht selbst beantragen. Bitte nehmen Sie das auch zur Kenntnis. Vielen Dank.