Protocol of the Session on June 30, 2005

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 96. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Urlaub für heute habe ich den Herren Abg. Dr. Döring und Kübler erteilt.

Dienstlich verhindert sind Herr Minister Stratthaus und Herr Minister Renner.

Meine Damen und Herren, infolge des Ausschlusses von Herrn Abg. Ulrich Maurer aus der SPD-Fraktion finden Sie auf Ihren Tischen eine Vorschlagsliste der Fraktion der SPD für Umbesetzungen in verschiedenen Ausschüssen (Anlage). – Ich stelle fest, dass Sie den vorgeschlagenen Umbesetzungen zustimmen.

Im Übrigen wird sich das Präsidium in seiner nächsten Sitzung mit den weiteren Auswirkungen auf die Ausschussbesetzungen befassen.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums – Abwerbung von Messen aus Sinsheim durch die Messe Stuttgart – Drucksache 13/4390

b) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums – Kooperation statt Konfrontation: Ein strategisches Konzept der Landesregierung für die baden-württembergischen Messen ist überfällig – Drucksache 13/4409

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung zu a und b je fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Das Wort zur Begründung des Antrags Drucksache 13/4390 erteile ich Herrn Abg. Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Einer der Gründe, warum wir eine neue Stuttgarter Messe ablehnen, ist die Befürchtung, dass hier mit öffentlichen Mitteln, also mit Subventionen, Überkapazitäten auf dem Markt geschaffen werden, auf denen man dann sitzen bleibt, sodass sich die Geschichte insgesamt nicht lohnt.

Das habe nicht ich gesagt, sondern mein Vorgänger hier im Landtag, Fritz Kuhn, schon vor sieben Jahren bei einer Aktuellen Debatte.

In der heutigen Debatte geht es um die gescheiterte Messesubventionspolitik des Landes. Dafür gibt es einen Anlass und eine Ursache. Der Anlass ist die Abwerbung der Messe Sinsheim nach Stuttgart. Die Ursache können Sie in dem obigen Zitat finden. Es ist der folgenschwere Eingriff in den Messemarkt mit Subventionen, den eine CDU-geführte Landesregierung nach der anderen in diesem Land macht. Beides ist skandalös.

(Beifall bei den Grünen)

Und bei beidem drückt sich die Landesregierung vor der Wahrheit.

Der Fall der Abwerbung der Messe Sinsheim ist wirklich ein Skandal. Sie wissen, dass ich dieses Wort nur selten und nicht leichtfertig verwende. Was ist geschehen? Der Messeveranstalter Paul Schall hat in Sinsheim den einzigen privaten Messestandort in Baden-Württemberg hochgezogen. Dafür gab es Zuschüsse der öffentlichen Hand: für den Bau der Hallen 2,1 Millionen € vom Land; die Stadt Sinsheim gibt ein zinsloses Darlehen von 1,7 Millionen € über 25 Jahre. 40 000 Quadratmeter Hallenfläche sind entstanden, fast so viel wie auf dem Killesberg.

Außerdem werden munter Straßen gebaut. Allein die von der Landesregierung auf unseren Antrag hin aufgezählten Projekte haben ein Volumen von 25 Millionen €. Dazu kommen die ganzen privaten Investitionen, die dem gefolgt sind. Noch vor sechs Wochen hat der Ministerpräsident dort ein Hotel und ein Tagungszentrum eingeweiht und den Messestandort Sinsheim gelobt.

Gleichzeitig hat die Landesregierung die Regionalmessen gefördert. Jede Kommune, die bis 2003 einen Antrag gestellt hat, hat einen Zuschuss bekommen. 65 Millionen € hat das Land dafür gegeben, von den Kommunen kamen rund 400 Millionen €. Viele Messen sind noch im Bau. Gleichzeitig wurde der Neubau der neuen Messe Stuttgart mit über 100 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche und 800 Millionen € Kosten für die öffentliche Hand nach dem bisherigen Stand gegen den Widerstand der Bevölkerung dort oben, gegen den Widerstand der Kommune LeinfeldenEchterdingen durchgedrückt.

Jetzt ist klar, was „Landesmesse“ überhaupt bedeutet. Landesmesse heißt offensichtlich, dass die Landesregierung für den Erfolg ihres Prestigeobjekts noch tiefer in die Tasche,

aber auch in die Taschen anderer Leute greifen will. Landesmesse heißt im Falle Sinsheim nicht nur „Messekannibalismus“ – um den Kollegen Birk zu zitieren –, sondern es heißt auch, dass mit Einverständnis und Förderung der Landesregierung der Messezentralismus in Baden-Württemberg ausgebrochen ist.

(Beifall bei den Grünen)

Vor drei Wochen hat die Öffentlichkeit erfahren, dass die Stuttgarter Messe- und Kongressgesellschaft Paul Schall mit all seinen Sinsheimer Messen ab dem Jahr 2007 auf die neue Messe auf den Fildern abgeworben hat. Dabei wird ein zweistelliger Millionenbetrag – genau wissen wir es noch nicht – fließen, weil sich die SMK offensichtlich verpflichtet hat, für Vertragsstrafen und Rückforderungen des Landes und anderer aufzukommen.

Das Land – und das ist der erste Teil des Sinsheim-Skandals – zahlt faktisch die Hälfte davon. Das Land wird in den nächsten Wochen rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres ordentlicher statt wie bisher stiller Gesellschafter der SMK. Das Land ist mit 50 % am Ergebnis des Geschäftsbereichs Messe und Ausstellungen der SMK beteiligt. Allein das Land hat nach eigenen Angaben eine Rückforderung an die Schall-Gruppe von 1,5 Millionen €, und das dürfte noch der kleinste Brocken sein. Denn es kommen Vertragsstrafen und Rückforderungen hinzu, wobei von jedenfalls einem zweistelligen Millionenbetrag – bis zu 50 Millionen € – die Rede ist.

Der zweite Teil des Skandals ist, dass Sie in die Verhandlungen über diese Abwerbung involviert waren und das auch noch leugnen. Sie behaupten auf unsere parlamentarische Anfrage hin, Sie seien daran nicht beteiligt gewesen, Sie seien nachrichtlich darüber unterrichtet worden, dass es Verhandlungen gebe. In der Aufsichtsratssitzung – Staatssekretär Mehrländer ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der SMK – hätten Sie dann dem ausgehandelten Vertrag zugestimmt.

Wer soll Ihnen das denn glauben? Wer soll denn glauben, dass die Vertreter der Landesregierung bei einer Angelegenheit von so großer finanzieller Dimension für die SMK und ihre Gesellschafter und von so großer landespolitischer Bedeutung einfach in die Aufsichtsratssitzung der SMK gehen und dort eine Tischvorlage abnicken, ohne ausreichend lange zuvor deren Inhalt zu kennen? Dies glaubt Ihnen niemand – gewiss nicht wir.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Fischer SPD – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Wenn es so wäre, wäre es noch schlimmer!)

Wir wissen, dass das Staatsministerium bereits vor der Veröffentlichung der Details manche Betroffene informiert hat.

Ich fordere Sie, Herr Ministerpräsident, und Sie, die Herren vom Wirtschaftsministerium, daher auf: Legen Sie die Karten auf den Tisch,

(Minister Pfister: Gern!)

und stehen Sie zu Ihrer Verantwortung!

(Minister Pfister: Mache ich!)

Legen Sie offen, wie Sie Einfluss auf die Verhandlungen über die Abwerbung der Messe Sinsheim genommen haben! Legen Sie endlich dar, welche finanziellen Verpflichtungen das Land als Gesellschafter der SMK durch diesen Vertrag eingegangen ist! Geben Sie Einsicht in diesen Vertrag, und sagen Sie am besten ehrlich vorher, welche Überraschungen uns da noch erwarten!

(Beifall bei den Grünen)

Und: Hören Sie sofort mit Ihrer zentralistischen Abwerbungspolitik auf!

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Schmiedel.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Abwerbung der Sinsheimer Messen durch die Stuttgarter Messe ist das Ergebnis schwerer handwerklicher Fehler, einer fehlenden Messestrategie im Land und schwerwiegender Versäumnisse der Landesregierung.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Bei dieser Abwerbung handelt es sich um ein Bubenstück mit allen Facetten von Tarnen und Täuschen, und der Ministerpräsident des Landes steht mittendrin.

(Abg. Capezzuto SPD: Oi!)

Herr Ministerpräsident Oettinger, Sie haben am 12. Mai in Sinsheim ein neu erstelltes Messehotel feierlich eröffnet. Sie haben dabei auf die Bedeutung der Messen für die Stadt und die Region hingewiesen. Sie haben das Engagement der Unternehmerfamilie Layher in den höchsten Tönen gelobt. Zwei Wochen später waren alle Messen aus Sinsheim weg – alle!

(Abg. Gaßmann SPD: Unglaublich!)

Als Sie Ihre feierliche Eröffnungsrede gehalten haben, hatte die Stuttgarter Messe mit Billigung der Landesregierung schon Monate mit dem Messeveranstalter Schall über die Verlegung der Messen verhandelt.

Jetzt gibt es nach Lage der Dinge doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie sind, bevor Sie nach Sinsheim gefahren sind, durch Ihre Minister nicht darüber informiert worden, dass eine Vertragsunterzeichnung bevorstehe,

(Abg. Stickelberger SPD: Das wäre peinlich!)

und Sie waren ahnungslos, als Sie Ihre feierliche Rede gehalten haben.

(Abg. Stickelberger SPD: Peinlich, peinlich!)

Oder Sie wussten, was läuft, und haben die Bevölkerung, die Stadt Sinsheim und die Region um Sinsheim absichtlich getäuscht.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Sti- ckelberger SPD: Noch peinlicher!)