Ich gehe mal davon aus, Sie meinen nicht den Häkelkurs, sondern Sie meinen die Zeiten, in denen Frau die eigenen Kinder betreut und ihre Rolle als Mutter ausfüllt oder vielleicht auch die Pflege von Angehörigen übernimmt. Für mich war das keine armutsbegünstigende Unterbrechung, sondern eine Bereicherung und ich würde mir wünschen, dass die Linke uns als Frauen und auch als Mütter in ihre Betrachtung mit einbezieht, genauso wie die Väter. Das Wort „Familie“ findet sich in diesem Antrag nicht ein einziges Mal. Da sage ich Ihnen ganz klar, das ist für mich ein sogenanntes Armutszeugnis.
Wissen Sie, was noch fehlt? Ausbildung. Kein Wort dazu. Das größte Armutsrisiko, was wir vor Ort ausgemacht haben und das unter der linken Landesregierung exponentiell angestiegen ist, das ist die Schulabbrecherquote. Was folgt, sind prekäre Beschäftigungen und am Ende eine Biografie, die oft nicht nur in der relativen, sondern in der tatsächlichen Altersarmut endet.
Bildung erwischen Sie dann noch unter Nummer 8 im Teil II. Wir müssen uns aber bewusst machen, dass Bildung nun mal der beste Aufstiegsgarant ist und dass Sie diesen Aspekt begabungsgerechter Bildung als Armutsprävention in Ihrem Antrag auch völlig vergessen haben. Ich habe das Papier einem Studenten gegeben und habe dem gesagt, guck mal drüber, was denkst du dazu. Der sagte dann zu mir, man kann doch nicht alle Probleme mit Geld zuschütten, das am Ende überhaupt nicht da ist. Und das fasst es im Prinzip sehr gut zusammen.
Wir müssen mit diesem hinterlassenen Haushalt von Ihnen nicht nur sparsam umgehen, sondern auch mit den vorhandenen Stellen und allen Ressourcen, die wir hier haben. Und Sie wollen allen Ernstes, dass wir Ihre Regierungsarbeit evaluieren? Das, das sage ich Ihnen, werden wir nicht zulassen.
Sie fragen auch nach der Anzahl der Menschen, die keinen Antrag stellen. Sie fragen nach den Gründen dafür. Wie soll denn die Landesverwaltung diese Zahlen ermitteln, wer soll Ihnen denn solche Dunkelziffern aufschreiben? Unterhalten Sie sich mit den Akteuren und machen Sie sich selbst ein Bild in den jeweiligen sozialen Milieus, bei den Trägern, in den Kommunen, die täglich damit zu tun haben.
(Zwischenruf Abg. Schubert, Die Linke: Die Armut wird immer größer im Land! Kinderarmut, Altersar- mut!)
Teilhabe bedeutet nicht nur einen Aufwuchs beim Bürgergeld und mehr Beratung, wo kriege ich was, durch noch mehr Bürokratie und zum Beispiel Beschäftigungspflichten. Teilhabe entsteht durch gute Bildung und Leistung, Teilhabe wächst mit Mobilität und einem Gesundheitswesen, das den Anforderungen der älter werdenden Gesellschaft, aber auch den Familien gerecht wird. Teilhabe ist die Möglichkeit, sich im Ehrenamt zu engagieren, Vereine von Bürokratie zu entlasten, aber eben auch Wirtshauskultur, die gerade im ländlichen Raum immer mehr auszusterben droht.
Und ja, Teilhabe heißt auch, ein auskömmliches Einkommen, Betreuungsangebote, kurze Wege zur Schule und ein sicherer Arbeitsplatz. Aber Teilhabe bedeutet eben nicht, dass der Staat unabhängig von der Leistungsbereitschaft und der tatsächlichen Arbeit der Bürger pauschale Beiträge zuteilt, die das Werk der eigenen Hände nicht wertschätzt und den Ansporn und die Aufstiegswünsche der arbeitenden Bevölkerung durch steigende Steuern und Sozialabgaben zunichtemacht.
Ich bin schockiert über diesen Staatspaternalismus, den Sie hier an den Tag legen, und diesen bevormundenden Politikstil, den die Menschen zurecht in der friedlichen Revolution 1989 beendet haben. Sie haben sicher Verständnis dafür, dass ich diesen Antrag nicht zur Annahme empfehlen kann und auch nicht empfehlen kann, ihn an den Ausschuss zu verweisen. Danke.
Danke, Frau Abgeordnete Heber. Als Nächstes erteile ich Frau Abgeordneter Maurer für die Linksfraktion das Wort.
Bei mir steht: Redezeit abgelaufen. Vielen Dank. Wir fangen ja jetzt auch erst an, die Redezeit ist noch lange nicht abgelaufen.
Frau Kollegin, ich möchte gern direkt darauf reagieren, was Sie sagen. Erst einmal zu erzählen, dass ich hier über subjektive Wahrnehmungen sprechen würde oder der Paritätische, wenn er einen Armutsbericht macht. Den macht er ja auch nur aus Spaß, weil das ja auch alles nur subjektive Wahrnehmung und Phantasterei ist.
Ihnen und allen anderen Menschen, möglicherweise aus Ihrer Fraktion, die das genauso sehen, denen empfehle ich eine sehr interessante Dokumentation in der ARD-Mediathek, wo es genau darum geht, um Ihr vermeintliches „Das ist ja alles gefühlt nur subjektiv und alles gar nicht so wahr“. Das korrigiert Ihr Weltbild sehr schnell. Da erleben Sie nämlich Menschen, die tatsächlich von Armut betroffen sind, die auch teilweise am Rand leben. Ja, wissen Sie, das Gute für Sie ist, dass der Rest der Bevölkerung nicht sieht, wie abfällig Sie gerade Ihr Gesicht verziehen. Das ist gut für Sie. Das ist aber traurig für all die Menschen, die von Ihrer Politik abhängig sind.
2. Sie sprechen hier so mir nichts, dir nichts von Leistungsträgern. Wer soll das denn sein in unserer Gesellschaft? Das sind Alleinerziehende, das sind Seniorinnen und Senioren, die ihr Leben lang ihre Familie versorgt haben oder gearbeitet haben. Das sind pflegende Angehörige, die sich jeden Tag darum kümmern, dass dieses Gesundheitssystem nicht kollabiert. Es ist so dermaßen verächtlich, dass Sie in Ihrer Rede von diesen Menschen nicht als die Leistungsträger/-innen sprechen, dabei sind genau das die Menschen, die in diesem Armutsatlas des Paritätischen als die Gruppen erwähnt worden sind, die besonders viel leisten, aber auch gleichzeitig besonders hoch von Armut betroffen sind.
Und im Übrigen: Natürlich reden wir auch von Familien. Oder sind das Alleinerziehende nicht? Ich weiß nicht, was Sie für eine Vorstellung davon haben, was Familien in dieser Gesellschaft sein sollen. Natürlich sind es auch alleinerziehende Mütter und Väter, die sich um ihre Kinder kümmern. Auch das sind Familien und auch die sind in unserem Antrag angesprochen.
Und ja, wissen Sie, ich bin auch Kommunalabgeordnete. Es ist immer lächerlich, so zu tun, als hätten Sie, wenn Sie irgendwie kommunal aktiv werden, die Weisheit irgendwie mit Löffeln gegessen. Es ist mir relativ wurscht, ob Sie es „Armutsprävention“ oder „integrierte Sozialplanung“ nennen, am Ende ist das, was die Menschen spüren, die von Armut betroffen sind oder tatsächlich arm sind, überall gleich, welches Konzept Sie auch darüberlegen mögen.
Ich will Ihnen sagen, was mich da so aufreibt: Ich bin mit ganz vielen anderen Linken-Mitgliedern und auch Menschen, die keine Mitglieder sind, an den Haustüren gewesen, insbesondere in den letzten Monaten. Wir waren an Tausenden Haustüren und wir haben mit den Menschen darüber gesprochen: Was berührt Sie denn, was betrifft Sie denn, was möchten Sie denn gern geändert haben? Und die meisten Menschen haben über die gestiegenen Preise gesprochen: Miete, Essen, Strom – übrigens die Faktoren, die für Armut sorgen. Ich habe mit einer älteren Frau gesprochen, die gesagt hat, sie muss jeden verdammten Cent umdrehen, um über die Runden zu kommen. Mit einer Mutter – die sogenannte Familie, die Sie nicht anerkennen wollen – mit vier Kindern, die sagt, sie kommt vorne und hinten nicht zurande mit dem Geld und von Urlaub ist überhaupt nicht die Rede,
Alleinerziehende, die sich Sorgen darum machen, ob sie sich am Ende Schuhe leisten können. Ich habe mit einer jungen Frau, einer Studentin, gesprochen – im Übrigen: auch Studierende sind von Armut betroffen –, sie sagt, sie hat gar keinen Bock mehr, weil sie weiß, dass der Mindestlohn nicht ausreichend steigt, weil sie keine Sicherung hat, dass sie nach einem abgeschlossenen Studium einen gut bezahlten Job findet. Sie sagt, das ist der Grund, warum sie vielleicht auch keine Familie haben will. Sie sagen, das sind Fantastereien, das ist alles subjektiv; für die Menschen fühlt es sich aber ehrlich an.
Und ja, Sie haben recht, Kinder und Jugendliche sind eine sehr große Gruppe. Mit denen habe ich nicht an den Türen sprechen können. Das sind aber die Kinder, die Ihnen Armut gar nicht beschreiben können, weil sie in Armut geboren sind und gar nicht wissen, was es denn bedeutet, wenn man ein Auto hat, in jedem Urlaub ins Ausland fährt oder permanent ein neues Federmäppchen bekommt.
Das ist versteckte Armut und die ist jeden Tag in diesem Land zugange. In Zahlen: Fast jede fünfte Person ist von Armut betroffen oder lebt in Armut. Da so zu tun, als wäre das kein ernsthaftes Problem in dieser Gesellschaft – da fehlen mir ehrlich die Worte.
Wissen Sie, was das bedeutet – fast jede fünfte Person? Dass das möglicherweise die Verkäuferin gewesen ist, die Ihnen heute Morgen Ihr Brötchen verkauft hat in der Bäckerei. Oder vielleicht ist es auch die Person gewesen, die die Bahn saubergemacht hat, mit der Sie vielleicht – Sie fahren wahrscheinlich mit einem teuren Auto hierher – gefahren sind.
Vielleicht ist es auch einer der Praktikanten, Ihrer studentischen Praktikanten, die bei Ihnen mal in Ihrer Fraktion ein Praktikum absolviert haben, die von Armut betroffen sind.
Und das sagt mir drei Dinge, wenn Sie der Realität in die Augen blicken, erkennen Sie drei Dinge: Armut ist nicht immer sichtbar, aber sie ist für die Menschen, die das durchmachen, fühlbar.
2. Armut hat mit Faulheit überhaupt nichts zu tun. Diese Debatten, die Sie immer führen, immer nach unten treten zu wollen, Ärmere gegen noch Ärmere auszuspielen und so zu tun, als hätte das was damit zu tun, man ist faul, weil man nichts leistet in der Gesellschaft. Nein, Faulheit ist ein Systemfehler.
Und 3. Man kann sehr wohl etwas dagegen tun: Mindestlohn anheben – das finden Sie ja nicht so super –, ein gerechtes Rentensystem einführen – das finden Sie auch nicht so super, ganz egal, auf welcher Landesebene –,
Ja, deswegen haben wir in unserem Antrag zum einen Fragen an die Landesregierung gestellt. Wir würden sehr gern konkret wissen: Wie hat sich die Armut in diesem Land entwickelt? Was gibt es möglicherweise für Maßnahmen? Was können wir aus Fehlern der letzten Jahre lernen, auch aus unseren Jahren, auch aus der Zeit, in der Sie schon einmal in der Regierung gewesen sind? Und ja, wir haben Forderungen an den Bund adressiert: Ganz klar, die Kindergrundsicherung, ich will es Ihnen noch mal sagen – das finden Sie auch nicht so super, es könnte ganz vielen Familien aber enorm aus der Patsche helfen.
Ich würde heute gern ein deutliches Signal aussenden, an den Bund und auch an die Menschen, die von Armut betroffen sind, nämlich: Es gibt eine Fraktion hier in diesem Thüringer Landtag, die erkennt, dass es diese Probleme gibt. Die sind bereit, diese Probleme zu adressieren. Und ich sage dem Bund: Ich finde das gut, wenn es keinen Schuldenstopp mehr gibt. Ich finde es aber auch gut, wenn dieses Geld für soziale Projekte ausgegeben wird.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Zuschauer am Livestream und auf den Tribünen! Ich möchte den Linken meine herzlichsten Glückwünsche aussprechen, dass sie es geschafft haben, wenige Monate nach ihrer zehnjährigen Regierungszeit hier einen Antrag einzubringen mit dem Titel „Armut in Thüringen bekämpfen“.
Jetzt, wo Sie nicht mehr in Regierungsverantwortung sind, können Sie sich als die Kümmerer inszenieren und trauen sich wieder an die Probleme der Bürger. Der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands weist für Thüringen im Jahr 2022 eine Armutsquote von 18,4 Prozent auf. Genau das ist ein Armutszeugnis für die letzte Regierung.
Eine sachliche Auseinandersetzung müssen wir auf Grundlage von konkreten Vorschlägen und Ideen führen, wenn wir den Betroffenen helfen wollen. Dazu gehört als Allererstes eine klare Benennung der Ursachen für Altersarmut, denn die Entwicklung der Armutsquote, die seit 2005 bis 2017 kontinuierlich abgenommen hatte, von 19,9 Prozent auf 16,3 Prozent, und mit der Pandemie erneut auf 19 Prozent angestiegen ist, ist nur eine der politisch erzeugten Ursachen.