7.604 verstorbene COVID-19-Fälle in Thüringen hinterlassen Familien und Angehörige, Freunde und Bekannte und all dies macht doch etwas mit unseren Kindern und Jugendlichen.
Als Parlament tragen wir die politische Verantwortung dafür, aus der Vergangenheit für die Zukunft die richtigen Schlüsse aus der Pandemie zu ziehen. Es geht darum, sicherzustellen, dass unsere Kinder und Jugendlichen gesund und gut aufwachsen können, dass Kinderrechte nicht nur eine Floskel bleiben, sondern Beachtung finden und soziale Benachteiligungen bestmöglich ausgeglichen werden.
Dieser Verantwortung wollen und werden wir uns stellen. Eine politische Enquetekommission – so, wie Sie von der CDU hier nun beantragt wird – ist dafür allerdings völlig ungeeignet.
Sie ist – und so hart muss ich das tatsächlich sagen – nicht nur eine reine Zeit- und Geldverschwendung, sondern basiert auch auf der grandiosen Fehlannahme, dass eine jetzt eingesetzte Enquetekommission im Jahr vor einer Landtagswahl 2024 unter diesen Mehrheitsverhältnissen in der Lage ist, konstruktive Vorschläge für zukünftige Pandemien und den Umgang damit im Land zu erarbeiten. Diesen Irrglauben teilen wir jedenfalls nicht. Stattdessen sehen wir vielmehr die Gefahr einer ergebnislosen Selbstbeschäftigung des Parlaments, und das in einer Zeit, in der es vielmehr die volle Konzentration des Landtags auf die Bewältigung der Inflations- und Energiekrise braucht. Außerdem blendet der vorliegende CDU-Antrag die bisherigen Aktivitäten im Parlament völlig aus. Im Bildungsausschuss beschäftigen wir uns seit 14 Monaten mit den Schlussfolgerungen aus der Coronapandemie für das Thüringer Bildungswesen.
Dazu liegen über den gesamten Zeitraum bislang drei umfassende Anträge vor, eine detailreiche schriftliche Anhörung fand statt. Diese wurde ausgewertet und zwischenzeitlich befinden sich die Anträge in der Schlussphase ihrer Beratung. Auch die
CDU hat übrigens bereits ihre Schlussfolgerungen aus der Pandemie gezogen. Umso mehr sind wir verwundert, dass nun eine politische Enquetekommission beantragt wurde.
Wir wissen also um die psychischen und sozialen Folgen der Pandemie, die Auswirkungen auf die Lernfortschritte und auch die Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen, die bildungspolitischen Herausforderungen, die mit der digitalen Bildung verbunden sind, die notwendigen Bedarfe in der Schulentwicklung, die Fortbildungsbedarfe und Fördernotwendigkeiten in der Bildung.
Als Fraktion haben wir umfassende Empfehlungen und Maßnahmen entwickelt. Auch im Bildungsministerium gibt es viele Ideen für gezielte Maßnahmen zum Ausgleich von in der Pandemie entstandenen und durch sie verstärkten Lerneinbußen. Das Land hat zentrale Bausteine über die Umsetzung des Corona-Aufholprogramms entwickelt und im Haushaltsentwurf 2023 entsprechend Mittel eingeplant.
Für uns sind besonders die individuellen Lernstandserhebungen wichtig, verbunden mit zusätzlichen Förder- und Lernangeboten. Ebenso die verlässliche Einbeziehung außerschulischer Partner und insgesamt mehr Schulentwicklung zum Ausgleich herkunftsbezogener Bildungsbeeinträchtigungen.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Eine echte unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung der Pandemie finden wir im Gegensatz zu einer politischen Schlammschlacht völlig richtig. Deswegen schlagen wir die Finanzierung von Sonderforschungsvorhaben mit Pandemiebezug vor, um tatsächlich unabhängig und wissenschaftlich Sachund Fachverstand für die Politik zu generieren. Dazu werden wir – denke ich – auch mit unseren Koalitionspartnerinnen gern in den kommenden Wochen eine Initiative vorlegen. Vielen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich Frau Abgeordneter Dr. Bergner von der Gruppe der Bürger für Thüringen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Abgeordnete, liebe Zuhörer, es ist sehr begrüßenswert, dass die CDU nun versucht, die Auswirkungen bzw. Folgen von und die Erfahrung mit allen während der Pandemie getroffenen Maßnahmen und Verordnungen, insbesondere für unsere Kinder und Jugendlichen
sowie für unsere jungen Erwachsenen zu untersuchen und zu analysieren. Die Hoffnung ist, dass bei der Untersuchung ideologiefrei, ehrlich, unabhängig und ergebnisoffen mit einem Blick in die Zukunft gearbeitet wird.
Unsere Kinder sind unser aller Hoffnung und unser Vertrauen in die Zukunft unserer Gesellschaft. Sie sind das Kostbarste, was wir haben, aber nicht besitzen. Bedauerlicherweise wird in diesem Konzept viel Wert auf Auswertung der technischen und organisatorischen Probleme in Bezug auf Tests, Masken und Regeln gelegt.
Die Untersuchung der Gesundheit unserer Kinder im Hinblick auf die Auswirkungen muss hierbei die größte Rolle spielen. Die Lebensqualität und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hat sich in Deutschland im Verlauf der Coronapandemie extrem verschlechtert. Laut der Copsy-Studie leidet fast jedes dritte Kind schon ein knappes Jahr nach Beginn der Pandemie unter psychischen Auffälligkeiten. Wie würde diese Studie wohl heute, nach einem weiteren Jahr, ausfallen? Vier von fünf der befragten Kinder und Jugendlichen fühlen sich massiv belastet durch die Coronapandemie. Ihre Ernährungsgewohnheiten, die sich in der Pandemie zu schlechten und ungesunden Speisen entwickelt haben, sind geblieben. Zehnmal mehr Kinder als vor der Pandemie und doppelt so viele wie bei der ersten Befragung machen überhaupt keinen Sport mehr. Mit Erlaubnis möchte ich die leitende Wissenschaftlerin der Copsy-Studie, Prof. Dr. Ravens-Sieberer, zitieren. „Sport ist ganz wesentlich für das psychische und physische Wohlbefinden. Neben der für die gesunde Entwicklung so wichtigen Bewegung treffen Kinder und Jugendliche beim Sport auch ihre Freunde, lernen, sich in eine Mannschaft einzuordnen und mit Konflikten, Siegen und Niederlagen umzugehen.“
Die Studie gibt auch Aufschluss über einen extremen Medienkonsum unserer Kinder. Fazit: Sie machen keinen Sport mehr. Stattdessen spielen sie am Handy, Tablet usw. Laut DAK-Studie, die tiefe Einblicke in weitere Gesundheitsfolgen gibt, werden 54 Prozent mehr Essstörungen bei 15- bis 17jährigen Mädchen diagnostiziert. Bei Mädchen im Alter zwischen 10 und 14 Jahren werden 23 Prozent mehr Depressionen diagnostiziert. Das Risiko auf Adipositas bei Jungs zwischen 15 und 17 Jahren erhöhte sich um ganze 62 Prozent. All diese Problematiken sind unseren Fachpolitikern bekannt und müssen nun in diesem Rahmen zu einer Aufarbeitung kommen.
Werte Frau Vorsitzende, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich anschließend Herrn Jens Spahn zitieren. In ei
nem Interview, welches er in der „Zeit“ gab, sagte er wörtlich: „Die Familien, Kinder und Jugendlichen können wir nur um Verzeihung bitten. Auch ich.“
Wir stimmen prinzipiell diesem Antrag zu und bitten, den Schwerpunkt auf die Gesundheitsanalyse der Kinder zu legen.
Vielen Dank. Als nächstem Redner erteile ich Herrn Abgeordneten Möller von der SPD-Fraktion das Wort.
Herzlichen Dank, Frau Vorsitzende. Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Zuschauerinnen hier auf der Tribüne und am Livestream, ich will etwas erwidern oder ergänzen. Jetzt ist Herr Spahn schon zweimal zitiert worden, dass wir uns irgendwann mal viel verzeihen müssen. Ich glaube, im ersten Schritt stimmt das auch, aber im zweiten Schritt müssen wir vielleicht auch Dinge in die Zukunft hinein verändern. Ich will damit deutlich sagen: Wir müssen also handeln und uns nicht entschuldigen. Mir geht es nicht nur darum, zu gucken, ob es um staatliches Handeln geht, sondern vielmehr, was diese Pandemie, die Maßnahmen in der Pandemie und die Folgen der Pandemie mit unserer Gesellschaft gemacht haben.
Ich will Ihnen gleich eingangs ein Beispiel nennen, was ich damit meine. Wir hatten vor gut einem Vierteljahr hier in diesem Hohen Haus eine Fachtagung der pflegenden Angehörigen und dort haben uns viele Menschen aus der Pflege berichtet, wie die Situation ist. Auch in der infektionsarmen Zeit im Mai, Juni, Juli ist es immer noch so, dass es einzelne Pflegeheime in Thüringen gibt, die das Besuchen von Angehörigen in der Einrichtung einschränken. Das zeigt, dass es in Einrichtungen, in Institutionen Praktiken gibt, die sich mit den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung eingeschlichen haben, die jetzt vielleicht bleiben und die auch ein Stück weit die Frage stellen: Okay, mit welchem Menschenbild arbeiten denn insbesondere Sozialeinrichtungen, Bildungseinrichtungen mit den ihnen übergebenen Schutzbefohlenen, mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, mit den Menschen, die Hilfe brauchen? Ich glaube, das trifft gut und gern den Kern dessen, was wir Wohlbefinden nennen.
Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass sowohl die Coronapandemie selbst als auch die Maßnahmen ihrer Bekämpfung dieses Wohlbefinden zum Teil massiv belastet haben. Betroffen hat das ganz besonders die Kinder und Jugendlichen, das ist hier schon gesagt worden. Aber meiner Meinung nach
kommt es auch viel zu kurz, denn es hat auch die Familien insgesamt getroffen, Seniorinnen und Senioren, Menschen mit Behinderung, die Pflegebedürftigen und erkrankte Menschen – kurzum: In der Fachdebatte sagen wir dazu „die vulnerablen Gruppen“. Es ist gerade mal drei Monate her, da haben wir hier in diesem Saal darüber debattiert, welche drastischen oder nachdenklich stimmenden Berichte uns die Angehörigen dieser Risikogruppen in einer großen Anhörung durch den Sozialausschuss auf den Weg gegeben haben. Wir wissen inzwischen von vielen fachärztlichen Vereinigungen, wie stark die seelische und körperliche Gesundheit, aber auch die soziale Teilhabe gerade von Kindern und Jugendlichen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das wirkt immer noch, und es wirkt nicht nur nach, es wirkt.
Denken Sie auch an die breite Kritik der Kinder, der Jugend, der Seniorenvertretungen, dass sie viel zu spät und oftmals viel zu wesentlich und nicht an den wesentlichen Entscheidungen und Beratungen beteiligt waren, dass sie also nicht nachvollziehen konnten, nicht umsetzen konnten, was an Maßnahmen notwendig ist. Das ist viel der Zeit geschuldet, aber eben auch der Frage, wie wir Teilhabe, wie wir Beteiligung, wie wir Mitbestimmung leben.
Ganz allgemein mussten wir feststellen, dass die Art und der Inhalt der Kommunikation zur Pandemie und zu den Maßnahmen an ganz vielen Punkten nicht diejenigen erreicht hat, die sie am dringendsten gebraucht hätten.
Mit dem Antrag „Gesundheit und Wohlbefinden von Risikogruppen auch in Extremsituationen schützen“, den wir damals hier beschlossen hatten, haben wir daraus einige Forderungen abgeleitet. Aber damit ist das Thema doch noch lange nicht erledigt. Meine Partei hat zum Beispiel mehrere Familiengipfel abgehalten und sich mit Verbänden getroffen. Hier wird deutlich, dass es eine systematische Aufarbeitung braucht, die echte Lehren für die Zukunft zieht und unsere soziale Infrastruktur, also Jugendhilfe, Kitas, Schulen, Heime, Krankenhäuser oder Begegnungsstätten widerstandsfähiger gegenüber Krisen macht.
Da ist die Frage, die wir uns stellen müssen: Wo können wir in Thüringen – was ist unsere Verantwortung, wo können wir handeln?
Nun liegt uns heute der Antrag der CDU vor. Wir von der SPD sagen: Eine vom Thüringer Landtag eingesetzte Enquetekommission kann eine geeignete Form sein, um genau diese Auswirkungen aufzuarbeiten.
Ich sage bewusst „kann“, liebe Kollegen von der CDU, und ein Stück weit wirkt es ja auch so, als hätten Sie hier Ideen einfach aufgenommen und umgeschrieben.
Damit die Enquetekommission diesem Anspruch gerecht werden kann, braucht es aber zwingend eine breite Perspektive auf alle beteiligten Akteure und auf alle vulnerablen Gruppen, und nicht allein auf die Landesregierung und nicht allein auf Kinder und Jugendliche. Was niemand braucht, ist eine Enquete, die nur Verordnungen seziert und dann als politische Schlammschlacht darüber missbraucht wird, welches Landesministerium wesentlich die schlimmsten Fehler gemacht haben solle. Das hilft weder den Betroffenen noch den Institutionen der sozialen Infrastruktur, die wir gemeinsam stärken wollen und müssen.
Denn die nächste Krise ist doch schon da, und auf die kommenden Krisen müssen wir einfach besser vorbereitet sein.
Wir werben deshalb auch bei allen demokratischen Abgeordneten ausdrücklich dafür, der Idee einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtung eine echte Chance zu geben. Es ist, so glaube ich, allen bewusst, dass wir nur darüber sprechen müssen, wie das am besten funktioniert. Für heute bitte ich Sie deshalb namens meiner Fraktion um Überweisung dieses Antrags an den Fachausschuss für Bildung, Jugend und Sport. Lassen Sie uns dort gemeinsam und sachlich darüber diskutieren, in welcher Form und mit welchem Auftrag wir die Auswirkungen der Coronapandemie konstruktiv aufarbeiten können und wollen. Vielen Dank.
Ja, Herr Präsident, dem kann ich mich natürlich nur anschließen. Gut, dass Sie wieder da sind, dass Sie genesen sind und dass Sie uns hier wieder mit Ihrer Kompetenz zur Verfügung stehen.
ter den Bedingungen des weitgehenden Mangels an Informationen und dies in einem dem allgemeinen Wohle aller Menschen dienlichen Sinne, hier der Gesundheitsvorsorge, dies war in den ersten 20 Monaten der Coronapandemie Grundlage allen staatlichen Handelns, und zwar auf Bundesebene, auf Landesebene und auf Kommunalebene.
Kollege Tischner, Sie haben vorhin Ihren Bundesgesundheitsminister, Herrn Spahn, zitiert. Sie haben das Zitat aber nicht ganz zu Ende gefasst. Er hat nicht nur gesagt, dass wir uns vieles wohl werden verzeihen müssen, sondern er hat danach noch gesagt: „[...] noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik [...] in so kurzer Zeit unter solchen Umständen, mit dem Wissen, das verfügbar ist, und mit all den Unwägbarkeiten, die da sind, so tiefgreifende Entscheidungen haben getroffen werden müssen. Das hat es noch nicht gegeben. Und ich bin immer ganz neidisch auf diejenigen, die schon immer alles gewusst haben.“ Kollege Tischner, das ist, glaube ich, auch das, was Ihnen Herr Spahn voraushat, und zwar der gesamten CDU-Fraktion, dass er sehr wohl weiß, was es heißt, in schwierigen Situationen zu regieren, Kurs zu halten und das Beste für ein Land und für die Menschen in dem Land auch zu erreichen. Ich habe das Gefühl aus vielen Situationen, dass die CDU immer noch sehr dankbar dafür ist und ihrem lieben Herrgott jeden Tag eine Kerze dafür hinstellt, dass sie in dieser Zeit nicht regieren musste.
Davon mal ganz abgesehen, was passiert wäre, wenn es keinen Regierungswechsel 2020 von einem Ein-Monats-Ministerpräsidenten oder Drei-Tage-Ministerpräsidenten zu einer ordentlichen Landesregierung gegeben hätte.