Protocol of the Session on March 18, 2022

wie viele zusätzliche echte und vermeintliche oder noch zu generierende Opfergruppen sollen diese Standorte des Stasi-Unterlagen-Archivs in Zukunft offenstehen und Steuermittel bekommen?

Die Forderungen unter II beschäftigen sich wieder mit dem Randthema „70. Jahrestag der Grenzschließung in Thüringen“

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Randthema, aha!)

und der Aufarbeitung des Unrechts. Ich möchte an dieser Stelle – weil ja auch oft davon gesprochen wird, dass es immer noch lebende Opfer gibt – zweier toter Opfer gedenken. Am 14. März 1966 sind in Berlin Jörg Hartmann und Lothar Schleusener mit 40 Schuss an der innerdeutschen Grenze erschossen worden, die Opfer waren 10 und 13 Jahre alt.

Die in den weiteren Unterpunkten erwähnten Überlegungen für die Erinnerungen an den 70. Jahrestag des 17. Juni 1953 bleiben vage und vergessen zufällig zu erwähnen, dass es sich bei dem 17. Juni um einen Arbeiteraufstand handelte, der sich dezidiert gegen die Maßnahmen des Politbüros der SED in Berlin gerichtet hatte. Die im Antrag erwähnte „Teilung der Deutschen Staaten“ ist eine verbale Nebelbombe. Es gab vor der Errichtung der Berliner Mauer und der Etablierung zweier deutscher Staaten keine mehreren deutschen Staaten, die geteilt werden konnten.

Unter 2. werden die Opfer an der Staatsgrenze und die Opfer der Zwangsaussiedlungen erwähnt. Wir sind gespannt, ob die in die Tausende zählenden Opfer stalinistischer Willkürherrschaft, der Schauprozesse, der Enteignungen, der gebrochenen Biografien, der zerrissenen Familien, der Zwangsadoptionen und der jahrzehntelangen Unterdrückung und Gehirnwäsche ebenso angemessene Erwähnung und Würdigung finden. Ebenso werden wir kritische Nachfragen stellen, wenn es darum geht, die Geschichte des 20. Jahrhunderts, die historische Rolle von Sozialismus und Kommunismus darin und natürlich zu guter Letzt die wahrheitsgemäße und ungeschminkte nostalgiefreie Betrachtung der DDR und ihrer Machthaber an den Schulen den kommenden Generationen nahezubringen.

Wegen dieser und anderer inhaltlicher und methodischer Mängel werden wir uns bei diesem Antrag enthalten. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Danke. Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Bergner von der Gruppe der FDP.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Antrag reiht sich in eine Liste von Anträgen aus diesem Haus. Nun hat jede Partei einen Gedenktag bzw. eine Gedenkveranstaltung beantragt, jeder hat sich dafür ein eigenes historisch bedeutsames Datum ausgesucht und jeder will damit DDR-Unrecht aufarbeiten.

Begonnen hat alles damit, dass die FDP daran erinnerte, dass für diese Legislatur vergessen worden war, die Abgeordneten auf Stasivergangenheit zu überprüfen. Was wurden wir hier dafür niedergeredet, wie unnütz das wäre, da es ja eh Neuwahlen gäbe. Was soll ich sagen? Zum Glück hat die Präsidentin dennoch die Überprüfung eingeleitet, wofür wir ihr ausgesprochen dankbar sind.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das wollten wir auch! Was soll denn das?)

Nun versuchen Sie uns zu überbieten in einem Wettrennen um die Anerkennung von DDR-Unrecht. Dabei vermisse ich freilich die Beschleunigung und Vereinfachung von Rehabilitationsverfahren, die Zusammenführung von Eltern und gestohlenen Kindern, die Implementierung des DDR-Unrechts als pflichtiger Bestandteil in Thüringer Lehrplänen, die Aktualisierung der Informationen zu DDR-Renten wie auch für die Doping-Opfer und auch die Fortsetzung des Berichts der interministeriellen Arbeitsgruppe „Aufarbeitung“, die ja nur deshalb stillgelegt ist, weil hier sonst keiner dran gedacht hat, den Antrag noch einmal erneut zu stellen, wie bei der Überprüfung der Abgeordneten auf eine Stasivergangenheit.

Ausdrücklich begrüße ich die Würdigung des innerdeutschen Grenzregimes – ich gebe zu, auch aus einer gewissen persönlichen Befangenheit heraus, wenn ich an den Bruder meines Großvaters denke, der die Zwangsaussiedlung am eigenen Leib mitsamt seiner Familie erleben musste.

Meine Damen und Herren, Sie haben im Ausschuss die Stellungnahme einer Person bekommen, die als Kind bereits Opfer der DDR wurde, in deren Stellungnahme Sie das unendliche Leid geschildert bekamen, das dieser Person nur widerfuhr, weil der Mann, um den es hier geht, Kind eines Arbeiters war, der beschuldigt wurde, angeblich Rädelsführer des Aufstands am 17. Juni 1953 zu sein. Nun beantragt R2G, was wohl auch nahe

(Abg. Herold)

liegend ist, eine Gedenkveranstaltung zum 17. Juni. Aber es gibt schon noch einiges mehr zu tun, wenn wir von der Aufarbeitung des DDR-Unrechts sprechen, als dass sich hier die Parteien im Thüringer Landtag gegenseitig mit Gedenkveranstaltungen oder vielleicht sogar Vorwürfen überbieten.

Nachdem Herr Minister Hoff und auch Frau RotheBeinlich bereits in der Beratung zu unserem Antrag kundtaten, dass diese Gedenkveranstaltungen sowieso geplant sind, sei Ihnen der Antrag so natürlich auch gegönnt. Nun, da jede Partei sich einen Tag zum Gedenken ausgesucht hat, wäre es schön, wenn dann nach fast einem Jahr im Ausschuss auch über die wirklichen Notwendigkeiten beraten werden könnte, und die habe ich weiter oben bereits benannt.

So hoffen wir, dass Sie alle sich der noch zu bewältigenden Aufgaben bei der Aufarbeitung des DDRUnrechts ebenso bewusst sind wie der Bedeutung von Gedenktagen. Deswegen, meine Damen und Herren, freuen wir uns auf eine sachliche Diskussion im Ausschuss und werden selbstverständlich einer Überweisung an den Europaausschuss zustimmen, weil wir – wie soeben ausgeführt – noch jede Menge Diskussionsbedarf sehen und glauben, dass dort etliche Dinge noch ausdiskutiert und ausgestanden werden müssen, um offen und ehrlich mit der Aufarbeitung dieser Diktatur umzugehen. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.

(Beifall Gruppe der FDP)

Danke. Als nächster Redner spricht von der SPDFraktion Herr Abgeordneter Dr. Hartung.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, wir wollen alle gemeinsam – das ist ja überwiegend bei den demokratischen Fraktionen zum Ausdruck gekommen – ein angemessenes Gedenken pflegen. Aber wer des Baus der Berliner Mauer 1961 und deren Fall gedenken will, der muss eben auch anerkennen, dass das keine singulären Ereignisse waren. Wer den Fall der Mauer 1989 betrachtet, der muss auch nach Polen zu Solidarność schauen, der muss auf die Veränderungen in der Sowjetunion schauen. Auch das muss man in den Blick nehmen. Das Ganze lässt sich natürlich auch nicht davon trennen, dass nur diese Veränderungen es möglich gemacht haben, dass die friedliche Revolution in der DDR eben genau das geblieben ist, friedlich, und nicht wie 1953 in einen Gewaltakt ausgeufert ist.

Wer des Falls der Mauer gedenken will, der muss natürlich auch den Bau in den Blick nehmen. Und dieser Bau ist ebenfalls nicht einfach so ein singuläres Ereignis, sondern er ist der Abschluss einer Entwicklung, die spätestens im Mai 1952 mit der Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen begonnen hat. Die Abriegelung der innerdeutschen Grenze, die Vertreibung von Menschen, das Trennen von Familien, das alles gehört dazu und es erinnert uns daran, dass die DDR im Prinzip durch Bespitzelung und Einsperren, durch Stacheldraht und Mauern ihre Macht aufrechterhalten hat. Es sollte uns aber auch daran erinnern, dass es während dieser gesamten Zeit Widerstand und Opposition, Formalität und Selbstermächtigung gab. An all das wollen wir gemeinsam erinnern. Ich bin der Überzeugung, dass die Landesregierung uns ein Konzept vorlegen wird, damit sowohl der 70. Jahrestag dieser beginnenden Grenzschließung als auch der 70. Jahrestag des Aufstands vom 17. Juni 1953 ordentlich gewürdigt werden.

(Beifall SPD)

An dieser Stelle muss ich aber dann doch noch auf eine meiner Vorrednerinnen kurz eingehen. Ich glaube, das kann hier nicht unwidersprochen stehen bleiben. Man sollte natürlich darauf verweisen, dass die Sprache von Frau Herold ein sehr eindrückliches Bild der früheren DDR-Sprache ist. Mancher Funktionär hat mit diesen plakativen Beschimpfungen sehr viel Aufmerksamkeit erregt.

(Beifall SPD)

Manche können sich noch daran erinnern. Ich sage jetzt mal, „Der schwarze Kanal“ hatte jetzt irgendwann Jahrestag der Einstellung. So ähnlich hört sich so etwas hier an, wenn von vereinigten Linksfraktionen geredet wird, wenn hier plakativ Vorwürfe erhoben werden. Ich möchte das an der Stelle schon mal sagen, ich finde es schon ein bisschen erbärmlich, wenn man das Schließen der innerdeutschen Grenze als Randerscheinung bezeichnet.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Tausende Menschen sind umgesiedelt worden, Familien sind auseinandergerissen worden, manche haben es gerade noch geschafft, über die Grenze zu kommen, andere haben es nicht geschafft. Wer da sagt, dass das eine Randerscheinung ist und warum wir dessen gedenken, dann ist das schon peinlich. Ich glaube auch, es ist peinlich, wenn man sich dagegen verwahrt, dass Stasi-Unterlagen-Archive für Opfer von Diktaturerfahrung geöffnet werden. Was haben Sie denn zu befürch

(Abg. Bergner)

ten, Frau Herold? Dass Menschen, die unter Ihren Freunden Putin und Lukaschenko gelitten haben, dort vielleicht Hilfe suchen? Wir brauchen nicht nur ein Gedenken an unsere Geschichte, das ist zu wenig. Ein Denkmal oder eine geöffnete Behörde ist zu wenig. Wer Geschichte aufarbeiten möchte, muss daraus lernen. Das ist doch der Sinn aus der ganzen Übung, dass wir lernen, dass so etwas nie wieder passiert, und dass wir lernen, dass, so wie wir Hilfe brauchten, Hilfe von außen über Polen, über die Sowjetunion, aber auch über die Bundesrepublik, um unsere Diktatur zu überwinden, wir verpflichtet sind, anderen Menschen zu helfen, Diktatur zu überwinden. Deswegen ist die beste Nutzung dieser Stasi-Unterlagen-Archive neben dem Gedenken, neben der Einsicht, neben der Auswertung dieser Unterlagen, Menschen, die heute noch dasselbe Problem haben, zu unterstützen, oder Menschen, die aus solchen Problemen geflüchtet sind, zu unterstützen. Genau deswegen ist das die richtige Art des Umgangs und genau deswegen liegt die AfD wie immer bei diesen Dingen grundfalsch. Insofern, wenn sich die AfD enthält – ich hätte ja mit einer Ablehnung gerechnet –, können wir damit sehr gut umgehen. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss.

Und, Herr Bergner, das ist doch kein Wettlauf, wer das bessere Gedenken hat. Ich glaube einfach, wir haben genauso wie die CDU und die FDP einen legitimen Anspruch, eine eigene Sicht – nicht eine eigene ganz andere Sicht, aber eine eigene Facette – auf diese Themen zu legen. Ich glaube, dafür ist dieser Antrag gut. Wir wollen alle Menschen mitnehmen, die in der DDR Erfahrungen gesammelt haben. Wir wollen die negativen – wir müssen nicht unbedingt Täter mitnehmen, aber die Menschen, die dort gelebt haben, wollen wir alle mitnehmen. Deswegen ist, je breiter wir aufgestellt sind, umso besser das Gedenken organisiert. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Aus den Reihen der Abgeordneten gibt es keine weitere Wortmeldung. Dann erteile ich der Landesregierung, Herrn Minister Hoff, das Wort.

(Zwischenruf Abg. Herold, AfD: Hallo!)

Ach, doch noch. Dann hat Frau Herold noch einmal das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Wenn die SPD etwas ganz besonders gut kann, dann jemandem das Wort im Mund rumdrehen.

(Beifall AfD)

Ich habe mit keiner Silbe von Randerscheinung gesprochen,

(Zwischenruf Abg. Dr. Hartung, SPD: Doch!)

sondern von Symptomen und Folgen, und habe betont, dass Grenzschließung, Grenzregime, Mauerbau, Zwangsaussiedlungen und alle weiteren totalitären Zwangsmaßnahmen Folgen und Symptome von Sozialismus, Stalinismus und Kommunismus waren. Um diese Grunderkenntnis drückt sich die SPD seit ihrer glorreichen Zwangsvereinigung mit der KPD 1946 folgenreich und folgenschwer bis heute herum. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Das ist wirklich absurd, was sich hier abspielt!)

Herr Dr. Hartung.

Frau Herold, Sie können das dann gern in der Mitschrift, im Protokoll nachlesen, wahrscheinlich werden Sie es im Nachhinein korrigieren. Sie haben sehr wohl von Randerscheinung gesprochen. Wenn Sie schon – Sie sind selbst Zahnärztin, also so etwas wie eine Medizinerin – eine Aussage nach wenigen Minuten vergessen haben, gibt es dafür einen Fachbegriff. Er fängt mit „D“ an und hört mit „z“ auf. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Ich bitte um Mäßigung bei den persönlichen Unterstellungen bestimmter Erkrankungen.

So, jetzt hat die Landesregierung das Wort. Herr Prof. Dr. Hoff.

(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Hier von einer glorreichen Zwangsvereinigung zu sprechen, ist wirklich unglaublich!)

(Unruhe AfD, SPD)

(Abg. Dr. Hartung)