Protocol of the Session on December 12, 2019

Was die Ergebnisse des diesjährigen ThüringenMonitors in Bezug auf diese beiden großen Themenkomplexe – also „Pflege“ und „Gesundheitsversorgung“ – betrifft, gibt es meines Erachtens sehr prägnante Erkenntnisse. Ich will mal so beginnen: Die zentrale Frage, die unter anderem auch bestimmte Werte im Thüringen-Monitor oder aber auch die Beantwortung durch die Befragten betrifft, ist: Gibt es in Deutschland zum Beispiel eine ZweiKlassen-Medizin? Auf diese Frage hat interessanterweise mal der Vorsitzende des sächsischen Hartmannbundes – das ist ein Berufsverband der Ärzte in Deutschland, die haben auch einzelne Länderverbände – in einem LVZ-Interview im Februar des letzten Jahres mit relativ klaren Worten gesagt – Frau Präsidentin, ich zitiere –: „Wir haben keine Zwei-Klassen-Medizin.“ Und kurz darauf erklärt er seine Haltung folgendermaßen: „Das deutsche Gesundheitswesen ist im Grunde wie ein ICE: Alle Fahrgäste fahren zur selben Zeit ab und kommen zur selben Zeit an […]. Nur: In der 1. Klasse sind die Sitze etwas breiter und die Bild-Zeitung ist kostenlos.“

Er hat mit dieser Feststellung oder mit diesem bildhaften Vergleich nicht ganz unrecht mit dem, was er sagt, ich ergänze das sogar gern: Was früher die Mitropa war, heißt heute Bordrestaurant oder Bordbistro und immer, wenn man ICE fährt, kommt man aus Richtung 2. Klasse dahin, also in dieses Bordbistro, und wenn man weiterläuft, geht es in die 1. Klasse. Dort riecht es nach warmen Ledersitzen. Die neuen Züge sind sogar mit extra Leselampen an jedem Sitzplatz ausgestattet. Hier werden Fahrgäste direkt am Platz bedient. Die Gänge sind in

(Abg. Höcke)

der Regel frei, auch wenn der Zug ziemlich ausgelastet ist, während man in der 2. Klasse oft auf Taschen und Koffern zwischen den Abteilen sitzen muss. Auf den Kontext unseres Gesundheitssystems übertragen kommt der Hartmannbund jedoch definitiv zum falschen und – wie ich finde – auch nicht zum plausiblen Schluss. Natürlich haben wir in Deutschland eine Zwei-Klassen-Medizin und das Beispiel vom ICE als Gesundheitszug bringt sehr anschaulich auf den Punkt, warum das so ist.

Kommen wir mal, wenn wir bei diesem Vergleich mit den Zügen bleiben, im übertragenen Sinne zu den Fakten. 81 Prozent der Befragten sind mit der medizinischen Versorgung zufrieden. Das ist, wie ich finde, ein grandioser Wert. Die Befragten sind also generell, wenn man unser Beispiel nimmt, mit der Zugtaktung und der Streckenführung zufrieden. Aber fast die Hälfte der Befragten bemängelt eine generell schlechte Versorgung mit Fachärzten – also man könnte auch sagen, sie sind mit den Anschlussverbindungen von der Hauptstrecke zu den unterschiedlichen Nebenzielen unzufrieden. Die fehlen oder die sind ungenügend. Und zwei Drittel der Befragten des diesjährigen Thüringen-Monitors sind unzufrieden mit den Wartezeiten, der sie sich nicht erwehren können, wenn sie sich in einer Facharztpraxis vorstellen wollen. Übertragen formuliert: Man steht zu lange in Wind und Regen herum, bis der Anschlusszug überhaupt mal kommt. Und je weiter die jeweiligen Befragten von einer größeren Stadt entfernt leben, umso größer ist die Unzufriedenheit. Das ist auch interessant, aber leicht erklärlich, denn gerade im ländlichen Raum fehlen Fachärzte ja noch mehr als in der Stadt. Und um bei unserem Bild mit der Eisenbahn zu bleiben, ist es ja auch tatsächlich so: Das Schienennetz auf dem flachen Land ist genauso in den letzten Jahren ausgedünnt und teilweise stillgelegt worden wie das Versorgungsnetz mit Arztpraxen.

Der Chef des sächsischen Hartmannbundes hat gesagt: Im Grunde sitzen alle im gleichen Zug, nur der Komfort ist eben ein wenig verschieden. Ich will das mal mit einem kleinen Beispiel garnieren, das ich hier zum Besten geben kann. Das Ganze ist passiert im direkten Bekanntenkreis. Es gab einen Skiunfall eines Bekannten, der schleppt sich mit dickem Knie in die Notaufnahme, dort wird das Knie zumindest geröntgt. Es wird festgestellt, es ist nichts angebrochen. Er kriegt zwei Krücken und die Empfehlung, mal zum Orthopäden zu gehen und sich erst mal zu schonen. Nachts werden die Schmerzen unerträglich und ein Freund dieses Bekannten empfiehlt: Lass dir ein MRT machen, irgendwas kann da in dem Knie nicht stimmen. Du könntest, sagt der Freund, natürlich auch erst zum Orthopäden humpeln, aber da musst du erst mal ei

nen Termin bei ihm bekommen und der wird natürlich dann auch genauso veranlassen, dass ein MRT gemacht wird, denn er braucht ja diese genauen Befunde. Also spar dir diesen Umweg, versuche, so schnell es geht, an so ein MRT ranzukommen. – Für den medizinischen Laien: Bei einem MRT ist feststellbar, ob beispielsweise Bänder verletzt oder angerissen sind, das sieht man bei einem Röntgenbild eben nicht. Und mit diesem MRT-Befund kann man zum Beispiel bei einem Facharzt vorstellig werden und der kann flink entscheiden, was zu tun ist.

Jetzt ruft der Bekannte mit dem kaputten Knie also morgens in einer Praxis an, in der so ein MRT gefertigt werden kann. Da sagen sie ihm, dass sie den nächsten Termin in drei Wochen haben. Morgens kurz nach acht sagt man ihm: In drei Wochen gibt es eine Chance. Der ist so verzweifelt – dickes Knie, furchtbare Schmerzen –, dass er am Telefon blufft und sagt, er ist privatversichert. Da kommt die Rückfrage: Können Sie heute Nachmittag um halb vier?

Mal zurück zum ICE, der alle mitnimmt, nur eben in 1. und 2. Klasse. Es gibt zweifellos zwei Klassen, die unterschiedlich am Gesundheitssystem unseres Landes beteiligt sind: Das sind Privat- und das sind Kassenpatienten. Das System zwingt die Beteiligten dazu, mit den dadurch entstehenden Unterschieden umzugehen – und dazu gehört auch die Wartezeit bei Fachärzten und -ärztinnen. Das ist in der Vergangenheit zum Teil durch die Gesetze auf Bundesebene deutlich besser geworden. Aber in unserem Gesundheitssystem gibt es nach wie vor die sinnbildlich bequemen Lederstühle auf der einen Seite und die mit Koffern vollgestellten 2.-Klasse-Abteile auf der anderen. Und in vielen Fällen gibt es nicht mal denselben Zug, den die Fahrgäste nehmen können – wenn Sie jetzt mal zum Beispiel das exemplarische Beispiel meines Bekannten nehmen, der den Unterschied zwischen einem ICE und einer Regionalbahn kennengelernt hat.

Damit verbinde ich keinen Vorwurf an die Ärzteschaft und auch keinen Vorwurf an Privatpatientinnen und ‑patienten, sondern ich kritisiere einfach die fehlende politische Mehrheit für ein einheitliches Gesundheitssystem mit einer solidarischen Bürgerversicherung. Interessant ist: Was die Unterschiede im Kassensystem der Gesundheitsvorsorge betrifft, haben die Befragten im Thüringen-Monitor eine erstaunlich klare Haltung. 89 Prozent der Menschen sagen: Auch die Privatversicherten sollten in die gesetzlichen Kassen überführt werden. Es soll also nur noch ein Kassensystem geben. Sie definieren damit ein gerechtes Gesundheitssystem.

Meine Partei, die SPD, hat in dieser Frage seit Langem eine klare Haltung und wir haben einen Plan, wie wir unser Gesundheitssystem verbessern können: eine Krankenversicherung, in die alle gleichermaßen und ohne Unterschiede einzahlen und von der alle gleichermaßen auch die gleiche Versorgung und den gleichen Service erwarten dürfen. Dann sitzen die Versicherten tatsächlich alle im selben Zug, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD)

Solange das nicht so ist, so lange wird es Leute geben, die gern ICE fahren und sich den Kaffee am Platz servieren lassen können, und andere stehen stundenlang am Bahnsteig und hoffen, dass die Regionalbahn, die wieder mal mit Verspätung kommt, nicht so überfüllt ist.

Genauso sieht es auch bei dem Themenschwerpunkt „Pflege“ aus, dem zweiten Schwerpunkt im Thüringen-Monitor in diesem Jahr. Jeder oder jede von uns, jede und jeder in der Gesellschaft ist persönlich von der Situation betroffen, sich mit dem Thema „Pflege“ auseinandersetzen zu müssen – wenigstens über das engere soziale Umfeld. In der Regel sind wir jedoch persönlich und auch familiär aufgefordert, pflegebedürftigen Menschen Hilfe zu leisten oder ihnen Hilfe zu gewährleisten, die dann eben von Dritten kommt. Knapp ein Viertel der Thüringerinnen und Thüringer empfindet – so sagt es der Thüringer-Monitor – die finanzielle Belastung durch ein zu pflegendes Familienmitglied als zu hoch. Ich bin sicher, dass diese Zahl mit einem entscheidenden Hinweis deutlich höher ausfiele. Immer dann nämlich, wenn wir im Pflegesektor etwas verbessern wollen – beispielsweise den Personalschlüssel in den Pflegeheimen, was etwas mehr Zeit ermöglicht für all die Dinge, die in der Pflege wichtig sind, oder was sicherstellt, dass nicht zwei Fachkräfte allein im Nachtdienst die Verantwortung für eine gesamte Pflegeeinrichtung mit allen Bewohnerinnen und Bewohnern übernehmen müssen –, dann kostet das am Ende diejenigen Geld, die in der Einrichtung untergebracht sind.

Das System unserer Pflegeversicherung ist – wenn man so will – selbst zu einem Pflegefall geworden. Ein festgelegter Betrag wird gewissermaßen vom Staat bezahlt und alles, was über diesen Betrag hinausgeht, muss aus dem privaten Portemonnaie bezahlt werden. Jede Verbesserung, die wir im politischen Raum durchsetzen wollen und die dann eben auch Geld kostet, muss also der Steuerzahler dann direkt oder indirekt selbst tragen und selbst bezahlen. Deswegen sagen wir: Wir wollen eine Bürgerversicherung – auch hier bei dieser Pflegeversicherung –, in die alle einzahlen. Dies würde die finanzielle Situation der beiden Versicherungen

auch für die Zukunft stärken und die Beiträge stabil halten. Die Finanzierung der Pflegeversicherung muss auf eine breitere finanzielle Grundlage gestellt werden, denn wir sagen, nur so können Verbesserungen beim Personalschlüssel und bei der Entlohnung der Beschäftigten durch die Pflegeversicherung ausgeglichen werden.

Anderenfalls wird jede Verbesserung zulasten der Beitragszahler, der Pflegebedürftigen, deren Angehörigen oder der Kommunen gehen. Um die Angehörigen beispielsweise von den Pflegekosten zu entlasten – mein Vorredner Mike Mohring ist vorhin schon in seiner Rede darauf eingegangen –, hat der Bund ja das Angehörigenentlastungsgesetz auf den Weg gebracht. Und das sieht vor, dass Kinder erst ab einem gewissen Bruttoeinkommen, das dann relativ hoch gehalten ist – ich begrüße das auch –, an den Pflegekosten der Eltern beteiligt werden. Aber im Falle, dass die Pflegebedürftigen und deren Kinder nicht zahlen können – und das ist ja der Knackpunkt –, kommen die Kosten dann auf die Kommunen zu. Und wir sagen deshalb: Hier muss mehr finanzielles Engagement des Bundes sichergestellt werden, sonst gibt es auch in dieser Situation eine derartige Schieflage, dass auch dieses neue Angehörigenentlastungsgesetz zu einem juristischen Super-GAU werden könnte, meine Damen und Herren.

Ich bin den Autorinnen und Autoren des ThüringenMonitors 2019 außerordentlich dankbar, dass in diesem Jahr das Thema „Gesundheit und Pflege“ abgefragt wurde, und ich sage Ihnen auch gern warum. Weil damit nämlich eine ganze Bandbreite von Themen aufgegriffen wird, die von hoher Bedeutung für unser Land sind.

Das Thema „Pflege und Gesundheit“ betrifft erstens mal alle Menschen in Thüringen gleichermaßen, also wir müssen über dieses Thema sprechen und bei diesem Thema auch über den demografischen Wandel. Es werden immer mehr Menschen immer älter, brauchen dabei aber ein gut funktionierendes Gesundheits- und Pflegesystem. Wir müssen aber auch über diejenigen sprechen, die in diesen Sektoren gebraucht werden, also Ärzte, Fachärzte, auch Pflegepersonal, wie ich eben schon sagte. Wir müssen über die Ausbildung dieser Berufsgruppen sprechen, über die Perspektiven in diesen Berufen, über die Arbeitsbelastung – oder besser: die Arbeitsüberlastung – dieser Menschen, über ihre Bezahlung und auch über die Debatte einer ZweiKlassen-Medizin, die ich hier schon angesprochen habe. Es steckt also viel, viel mehr in diesen beiden im Thüringen-Monitor abgefragten Bereichen, als man beim ersten Blick annehmen kann.

Der Themenschwerpunkt „Gesundheit und Pflege“ geht uns alle an, insbesondere deshalb, weil die Menschen in Thüringen das Funktionieren des Staates mit mehreren Komponenten gleichsetzen. Es geht da viel um den Komplex beispielsweise der inneren Sicherheit, um die Frage, ob unsere Polizei gut funktioniert, aber eben auch um Gerichte, darum, ob unser Schulsystem in Ordnung ist, oder eben auch um die Frage der medizinischen Versorgung und der Pflege im Alter. Mir läuft das während der Gespräche mit den Leuten immer wieder über den Weg. Die Frage, ob das in bestimmten Bereichen gut funktioniert, wird gleichgesetzt mit der Frage, ob der Staat gut funktioniert und damit auch die Demokratie als Gesellschaftsform, in der wir leben.

Ich bin sicher, dass die Zufriedenheit mit der Demokratie noch weiter steigen wird, wenn wir in Zukunft auch zur Umsetzung solcher Lösungen für die drängenden Fragen unserer Zeit kommen, die eben auch in diesen beiden großen Bereichen Gesundheit und Pflege im Thüringen-Monitor aufgegriffen wurden.

Damit komme ich zum zweiten großen Teilbereich. Der wird im Thüringen-Monitor jährlich abgefragt und über den ist heute auch schon trefflich geredet, diskutiert und gestritten worden. 63 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer – der eine oder andere hat es hier auch schon erwähnt – sind mit der Demokratie zufrieden. Das ist ein phänomenaler Wert im Vergleich zu den Zahlen aus den vergangenen Jahren. Noch besser: 90 Prozent der Befragten sagen, die Demokratie sei die beste aller Staatsideen. Und seit fast zwei Jahrzehnten sind die Zufriedenheit und das Vertrauen in die politischen Institutionen, wie zum Beispiel die Polizei mit 73 Prozent und – Herr Höcke, das wird Ihnen nicht gefallen, aber auch das ist eben ein Befund – immerhin auch die Landesregierung mit 43 Prozent, der höchste gemessene Wert seit dem Jahr 2000, seitdem es diesen Thüringen-Monitor gibt.

Aber jede Medaille hat zwei Seiten, meine Damen und Herren, und damit kommen wir zu den Umfrageergebnissen, über die wir gleichzeitig auch sprechen müssen. Der eine oder andere Vorredner hat es auch bereits in unterschiedlicher Beleuchtungsweise getan. Die Menschen fühlen sich zu fast drei Vierteln von der Politik bzw. den Politikern unzureichend vertreten. Das ist ein Befund, ein Ergebnis im Thüringen-Monitor. Genauso viele Menschen sagen, den Parteien geht es im Grunde nur noch um Stimmen der Wähler und nicht um die Interessen der Wähler. Und dann gibt es noch so eine Reihe eigenartiger Befunde, die gar nicht so recht zusammenpassen wollen mit den Zahlen, die ich vorhin genannt habe. 26 Prozent hier im Land sagen – al

so mehr als jeder Vierte –, der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten. Und mehr als jeder Vierte würde es begrüßen, wenn wir wieder zurückkehren in den Sozialismus. Und wenn diese Befragten derart auf diese Fragen antworten, sehen sie auch meist keinen Widerspruch zu der Aussage, dass die Demokratie doch eigentlich die beste aller Staatsformen ist.

Es gibt weitere Befunde im Thüringen-Monitor, über die auch schon hinreichend berichtet wurde und die uns genauso ratlos zurücklassen. Ich nenne mal nur als Beispiel das Ergebnis auf die Frage: Haben Juden denn etwas Eigenartiges an sich? Da sagen mittlerweile 16 Prozent in diesem Land zu dieser Frage: Ja.

Ich will angesichts solcher Werte fragen, wie es denn bestellt ist um unsere Demokratie, um die beste aller Staatsformen, wie die übergroße Mehrheit in diesem Land auf diese Befragung hin auch gesagt hat. Ich habe schon in vorangegangenen Jahren bei diesem Thema immer wieder gesagt, dass ich zumindest zum Teil eine gewisse Form der sogenannten Politikverdrossenheit verstehen kann, weil Politik in all ihren Verästelungen und in der Kompliziertheit ihrer Entscheidungen tatsächlich oft schwer verständlich ist, weil Politiker sich dem zum Teil zumindest angepasst haben und es oft schaffen, selbst einfache Dinge genauso kompliziert darzustellen, dass man als geneigter Zuhörer oft sehr verwirrt ist beim Zuhören, weil oftmals Kompromisse beschlossen werden, die von verschiedenen Seiten dann immer in schöner Regelmäßigkeit deshalb kritisiert werden, weil sich die jeweilige Seite nicht zu hundert Prozent wiederfindet. Es gibt sicher viele Beispiele, warum Politik derzeit in der öffentlichen Meinung so in der Kreide steht. Aber was ich hinterfragen will, ist: Was macht das mit uns mittlerweile? Nicht mit uns als Politiker alleine. Was macht das in unserer Gesellschaft? Was geht da vor sich?

Ich habe vor dem heutigen Tag mal ein wenig in meinem Mail-Fach gestöbert und möchte gern das eine oder andere zum Besten geben, was mir da zum Teil geschrieben wird. Ich habe mittlerweile so einen Extraordner eingerichtet. Ich zitiere da einfach mal munter drauf los, Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten. Unter anderem schreibt mir ein Bürger: „Was Sie da erzählen ist nämlich absoluter Blödsinn. Am besten wäre es, Sie würden mal aus ihrem Sessel raus und unter die Leute, aber das können Sie ja gar nicht mehr. Jeden Monat die fette Kohle, Sie gehören allesamt mal aufs Arbeitsamt.“ Oder ein anderer: „Jetzt kommen Sie mir nicht mit der Nazikeule, ich bin kein Rechter und habe eben eine andere Meinung als Sie. Aber Sie werden Ihre

Quittung bekommen als Volksschmarotzer. Warten Sie nur ab, wenn die Wahlen kommen.“ Oder: „Sie stellen sich vor den Landtag und schwafeln dann noch, dass das SPD-Politik wäre. Ich will Ihnen nur eins sagen, Sie können einpacken und alle Ihre feinen Kollegen auch. Diese SPD gehört auf den Müll und die anderen Alt-Parteien gleich hinterher.“

(Beifall AfD)

Schön, dass sich bei der AfD gleich Applaus regt, muss man hier mal feststellen, auch fürs Protokoll.

„Nur dass das klar ist“ – schreibt ein anderer –, „diesen Landtag braucht keiner, das frisst nur Geld. Für euch und die ganzen Kanaken werden die Taschen aufgemacht und das Volk guckt zu. Aber ihr kriegt noch die gerechte Strafe.“

Ich glaube, der eine oder andere wird das hier kennen. So was bekommt man manchmal zwei-, dreimal die Woche. Ich will das mal klar sagen: Was sich seit gut drei, vier Jahren abspielt in E-Mails, auf Facebook und anderswo, ist mehr als bedenklich – nicht nur uns gegenüber. Das merken mittlerweile Bürgermeister, das merken Landräte, selbst kleine Gemeinderatsmitglieder. Das merken Polizisten, Staatsanwälte, Richter, Angestellte und Beamte im öffentlichen Dienst, selbst Feuerwehrleute, selbst Ärzte. Und das ist keine Modeerscheinung mehr, meine Damen und Herren. Das ist mittlerweile trauriger Alltag. Als Erklärungsmuster muss vieles dafür herhalten. Es gibt verschiedene Deutungsmuster, die da angelegt werden. Die einen sagen: Das wird insbesondere von den Scharfmachern von rechts in Gang gesetzt, sowohl außerhalb als auch innerhalb der Parlamente. Ganz falsch liegen sie nicht. Ich habe mir das jetzt seit 2014 hier in diesem Landtag angehört, dieses Lied von den Altparteien. Ich habe vorhin mal mitgezählt: Herr Höcke hat es wieder mindestens 30-mal in seiner Rede bemüht, dieses Vokabular von den Kartell-Parteien,

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr kann er nicht!)

diese Folklore, jetzt wäre da einer, der die Dinge mal beim Namen nennt, der als Alternative für alles und jeden und für Deutschland insbesondere jetzt mal ordentlich aufräumt, denn die anderen können das ja nicht, das sind ja Altparteien, ein überkommenes System, das abgelöst gehört. Schon der Begriff „Altparteien“ macht das deutlich. Was alt ist, ist nicht gut, kann eigentlich weg. Ich habe mir das gestern erst wieder hier in einer Aktuellen Stunde vom Kollegen Frosch von der AfD angehört. Er sagte sinngemäß – Sie können es gern anhand des Livestreams nachprüfen, der jetzt aufgezeichnet wird, man kann jeden Redebeitrag noch mal ansehen –:

Es wäre besser, es gebe die SPD gar nicht mehr. – Das ist so der neue Sound, mit dem hier aufgespielt wird.

Diese Begleitmusik, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird immer schriller. Aber das ist sicher nicht der alleinige Grund. Die einen sagen: Das kommt direkt aus den Parlamenten, weil es in die Parlamente hineingetragen wird. Wenn auf den Vortrag einer dieser unsäglichen E-Mails Beifall beispielsweise von der AfD-Fraktion kommt, wissen wir genau, wessen Geistes Kind der eine oder andere jetzt drüben auf der Seite rechts von uns ist. Aber es gibt auch andere, die sagen, es wäre jetzt unbedingt erforderlich, um diese Verrohung auch in der Politik einzudämmen, dass man zum Beispiel mehr Wert legt auf die politische Bildung von Kindesbeinen an. Das ist auch nicht ganz falsch. Aber da muss ich Ihnen ein prägnantes Beispiel direkt aus meinem Wahlkreis und auch direkt nach der diesjährigen Landtagswahl am 28. Oktober bringen. Es hat sich bei mir im Bürgerbüro abgespielt. Da kommt ein Mann und fragt sehr interessiert: Was passiert eigentlich, Herr Hey, mit den Leuten, die nicht gewählt haben, wie werden denn die Stimmen gezählt? Da habe ich gesagt: Wie meinen Sie das? – Na ja, sagte er, die, die überhaupt keinen wählen wollten, wie wird denn das gezählt? Da sagte ich: Meinen Sie jetzt die, die da hingegangen sind und beispielsweise den Wahlschein ungültig gemacht haben, indem sie ihn oder jeden einzelnen Namen durchgestrichen haben? – Nein, sagte er, die, die zu Hause geblieben sind. Da habe ich gesagt: Die werden gar nicht gezählt, das wäre Unsinn, das sind ja Nichtwähler. – Nein, sagte er, aber wie werden denn die Stimmen von denen gewichtet? Ich sagte: Na guter Mann, wenn von zehn Leuten nur fünf hingehen, dann werden auch nur die fünf Stimmen gezählt. – Das ist interessant, sagte er. Er habe gehört, dass all die, die nicht wählen, automatisch dem Sieger zugeschlagen würden. Ich sagte: Wo haben Sie denn das her? – Na ja, sagte er, das liest man so auf Facebook, das wird so geteilt. Ich sagte: Jetzt mal ein Rechenbeispiel: Wir hatten in Thüringen, sagen wir mal, rund 50 Prozent Wahlbeteiligung. Der Ramelow und Die Linke haben da rund 30 Prozent bekommen. Wenn dann 50 Prozent Wahlbeteiligung zu 100 Prozent fehlen, weil 50 Prozent nicht gewählt haben, müssten die im Parlament ja 80 Prozent haben, da würden ja 50 Prozent draufgeschlagen. Da hat er ein bisschen überlegt und hat gesagt, ja, das stimmt, da hätte ich eigentlich recht. – Jetzt sage ich Ihnen, der Mann war Mitte 70, das ist keiner, der aus der Schule kam, wo wir sagen können, da fehlt die politische Bildung. Der hat mit Sicherheit von 1990 bis heute viele Wahlen begleitet. Ich hoffe, er ist auch

immer hingegangen. So viel zum Thema „Politische Bildung von Kindesbeinen an“.

Es geht da nicht nur um Kinder, sondern um all diejenigen – ich weiß nicht, ob Ihnen das vielleicht auch untergekommen ist –, die mich explizit, auch am Wahlkampfstand, immer noch, nach 1990, nach dem Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme gefragt haben. Erwachsene Leute! Deswegen sage ich: Wenn jemand die Demokratie anerkennt – viele Leute tun das laut Thüringen-Monitor, 90 Prozent sagen, Bombensache, beste aller Staatsformen –, wenn jemand das tut, dann gehört als Allererstes auch dazu, die Gremien anzuerkennen, die Demokratie machen. Das ist nicht nur der Landtag, das sind auch die Kreistage, die Stadträte, die Gemeinderäte. Wer generell ein solches Gremium infrage stellt – das sage ich ganz deutlich –, der stellt auch die Demokratie infrage. Mich lässt jedenfalls das Gefühl nicht los, dass die Ergebnisse des Thüringen-Monitors immer mehr auch zur Mahnung werden, nicht nur an uns hier als Menschen, die hier in diesem Saal Thüringer Politik gestalten wollen, sondern an unsere gesamte Gesellschaft.

Es fragen sich mittlerweile auch immer mehr Menschen, mit denen ich rede: Was ist hier in diesem Land eigentlich los, wo sind wir mittlerweile hingeraten? Man muss sich das nur noch mal vor Augen führen, auch aufgrund dieser Umfragewerte, dass 16 Prozent der Thüringer sagen, mit den Juden stimmt irgendetwas nicht, die haben etwas Eigenartiges an sich. Man muss das noch mal klar ansprechen: Es war, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Stärke einer Synagogentür, die in Halle dafür gesorgt hat, dass Menschen nicht einfach so erschossen wurden, weil sie eine andere Religion haben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, zwischen dem Tod von Männern, Frauen und Kindern lagen ein paar Zentimeter Stahl. Mitten in unserem Land! Der Täter wurde in rechtsextremen Netzwerken gefeiert und ein Stadtrat der AfD postet bei Facebook dazu wörtlich – ich zitiere, Frau Präsidentin –: „Bin ja mal gespannt, wer das in Halle inszeniert hat. Die Zeit wird's zeigen. Das stinkt zum Himmel – Weshalb nur habe ich noch vor der Thüringen-Wahl mit einer derartigen Schweinerei gerechnet?“ Bis heute gibt es übrigens dazu seitens der AfD keine Maßnahmen gegen diesen Kerl, gegen solch einen Hasardeur, keine öffentliche Entschuldigung.

Ich sage Ihnen etwas: Wenn das so weitergeht auf dieser schiefen Ebene, wenn das so weiterläuft, wie in Parlamenten mittlerweile gehetzt wird, wie im In

ternet gepöbelt wird, wie das auch zum Teil unterstützt wird, tausendfach gelikt und geteilt, unterfüttert mit jeder Menge an Falschinformationen, ständig garniert mit hämischen Kommentaren zu Politik und Behörden, dann wird diese Gesellschaft mit all ihren Institutionen immer mehr in Schieflage gebracht. Das kann doch eigentlich nicht sein mitten im 21. Jahrhundert, meine sehr geehrten Damen und Herren,

(Beifall DIE LINKE, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP)

dass wir uns immer mehr Stück für Stück vermeintlich zurückbewegen. Wir müssen dem entgegnen, auch dem, aus dem andere versuchen, politisches Profil und politischen Profit zu ziehen. Wir müssen das nicht nur im Parlament machen, aber natürlich in allererster Linie auch hier, weil dies das Haus ist, das Demokratie vorlebt. In diesem Haus wird Demokratie gemacht, meine sehr geehrten Damen und Herren. Und dass wir dem entgegentreten müssen, was uns da so vielerorts in unterschiedlichsten Mäntelchen über den Weg läuft, das ist ein Gebot der Stunde. Es wird höchste Zeit, denn es steht nicht nur viel auf dem Spiel, meine sehr geehrten Damen und Herren, sondern ich glaube, eigentlich alles. Ich danke Ihnen.

(Beifall DIE LINKE, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Abgeordneter Adams, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Kollegen hier im Thüringer Landtag, der Thüringen-Monitor gibt uns über vieles Auskunft. Der Thüringen-Monitor sagt uns vieles. Und kontinuierlich über die letzten Jahre sagt er uns eines sehr deutlich: Ein Viertel bis ein Fünftel in dieser Gesellschaft sind stramm rechts, und das ist ein beunruhigend stabiler Wert, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Definieren Sie doch mal „rechts“, Herr Adams!)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gucken Sie doch hin!)

Herr Höcke, im Gegensatz zu all dem, was Sie hier in Ihrer unendlich langen Redezeit erzählt haben, ist die große Stärke des Thüringen-Monitors, dass er sich damit auseinandersetzt. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren – ich hoffe, dass das