Protocol of the Session on December 12, 2019

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße auch die Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierung, unsere Gäste auf der Zuschauertribüne, die Zuschauerinnen und Zuschauer am Livestream sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Medien ganz herzlich.

Für diese Plenarsitzung hat Frau Abgeordnete Dr. Klisch als Schriftführerin neben mir Platz genommen und die Redeliste führt Herr Abgeordneter Urbach.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Herr Abgeordneter Kellner, Herr Abgeordneter Prof. Voigt, Herr geschäftsführender Minister Prof. Hoff zeitweise und Herr geschäftsführender Minister Maier.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich Ihnen wieder eine leidvolle Mitteilung zu machen. Am 6. Dezember 2019 verstarb Günter Joachim Rohr, ehemaliger Direktor beim Thüringer Landtag, im Alter von 87 Jahren. Von Mitte 1991 bis Ende 1992 war Herr Rohr Landtagsdirektor. In dieser Zeit gelang es ihm, durch sein Engagement und seine juristische Fachkompetenz eine funktionstüchtige Verwaltung in der jungen parlamentarischen Demokratie aufzubauen. Aufgrund seiner hohen Sachkenntnis und seiner von ehrlich gelebter Humanität geprägten Art wurde ihm parteiübergreifend hoher Respekt entgegengebracht. Der Thüringer Landtag und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landtagsverwaltung werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Ich bitte Sie, sich im Gedenken an Günter Joachim Rohr zu einer Schweigeminute von Ihren Plätzen zu erheben.

Vielen Dank.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, aufgrund der Eilbedürftigkeit habe ich für Johannes Romeyke, Kameramann der Kommunikationsagentur GMM AG, für die heutige Sitzung eine Genehmigung für Bild- und Tonaufnahmen gemäß der Regelung für dringende Fälle nach § 17 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteilt.

Ein weiterer Hinweis: Die UNICEF-Arbeitsgruppe Erfurt führt heute im Foyer ihren traditionellen Verkauf von Grußkarten und Kalendern zugunsten der UNICEF-Kinderhilfsprojekte durch. Wenn Sie die Gelegenheit haben, können Sie dort gern hinschauen.

Einige Hinweise zur Tagesordnung: Im Ältestenrat wurde vereinbart, den Tagesordnungspunkt 1 heute als ersten Punkt, den Tagesordnungspunkt 5 als zweiten Punkt und den Tagesordnungspunkt 6 als dritten Punkt aufzurufen. Die Tagesordnungspunkte 12 bis 15 werden heute nach der Fragestunde aufgerufen. Daran schließt sich der Tagesordnungspunkt 11 an, der heute auf jeden Fall aufgerufen werden soll. Bei der Feststellung der Tagesordnung sind wir am gestrigen Tag übereingekommen, die Tagesordnungspunkte 2 und 3 gemeinsam zu beraten.

Zu Tagesordnungspunkt 7 wurde ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU in der Drucksache 7/85 verteilt. Gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1 der Geschäftsordnung sind Änderungsanträge zu selbstständigen Vorlagen, die keinen Gesetzentwurf enthalten, nur mit Zustimmung der Antragstellerinnen und Antragsteller zulässig. Ich frage deshalb die FDP-Fraktion: Erteilen Sie die Zustimmung zur Einbringung des Änderungsantrags in Drucksache 7/85 zu Ihrem Antrag? Vielen Dank. Damit ist der Änderungsantrag zulässig.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wird der Ihnen vorliegenden Tagesordnung zuzüglich der von mir genannten Hinweise widersprochen? Herr Kowalleck, bitte.

Frau Präsidentin, wir beantragen noch die Aufnahme unseres Antrags – der Fraktionen der CDU und der FDP – zur Anzahl der Mitglieder der Strafvollzugskommission gemäß § 13 Abs. 1 Thüringer Petitionsgesetz, § 76 Abs. 4 und § 9 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags. Der Antrag wurde den Mitgliedern ausgeteilt.

Vielen Dank. Dann ist auch gemäß § 21 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung vorgesehen, dass die Frage zu stellen ist: Soll die Dringlichkeit begründet werden? Herr Kowalleck, bitte, dann haben Sie das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits in der vergangenen Landtagssitzung haben wir den Petitionsausschuss mit unserem Antrag auf den Weg gebracht. Es ist notwendig, dass natürlich auch die weiteren Ausschüsse arbeitsfähig werden. Deshalb werden wir auch im Laufe der Plenarsitzung noch über entsprechende Beantragungen sprechen.

Mit dem vorliegenden Antrag bringen wir die Arbeit der Strafvollzugskommission auf den Weg. Der Petitionsausschuss wird damit ermächtigt, abweichend von § 9 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags die Strafvollzugskommission bei deren Bestellung mit 13 Mitgliedern zu besetzen. Die Mitglieder verteilen sich damit auf die Fraktionen unter Beachtung ihres Stärkeverhältnisses, das sich nach dem Rangmaßzahlverfahren bestimmt, nach den Grundsätzen des § 9 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags. Dabei entfallen die Stellenanteile entsprechend dem Rangmaßzahlverfahren auf die Fraktionen. Der Antrag liegt Ihnen vor und wir bitten um Aufnahme in die Tagesordnung. Danke schön.

Vielen Dank. Möchte jemand gegen die Dringlichkeit sprechen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir ab über die Aufnahme in die Tagesordnung mit Fristverkürzung. Wer dem zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. Vielen Dank. Gegenstimmen? Keine. Stimmenthaltungen? Sehe ich auch keine. Damit ist es in die Tagesordnung aufgenommen.

Ich schlage Ihnen vor, diesen Tagesordnungspunkt nach Tagesordnungspunkt 5 in die Tagesordnung aufzunehmen. Gibt es gegensätzliche Auffassungen dazu? Stimmenthaltungen? Kann ich nicht erkennen. Damit verfahren wir entsprechend.

Ja, bitte schön.

Namens der Fraktionen der CDU und der FDP bitte ich darum, den Tagesordnungspunkt 4 – Zweites Gesetz zur Änderung des Thüringer Gesetzes zur Sicherung der kommunalen Haushalte – auf alle Fälle heute noch zu beraten.

Das ist ein Antrag, der abzustimmen ist. Ich frage Sie: Gibt es Zustimmung für den eben gemachten Antrag zur Befassung mit Tagesordnungspunkt 4 auf jeden Fall am heutigen Tag? Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Vielen Dank. Gegenstimmen? Sehe ich keine. Stimmenthaltungen? Sehe ich auch keine. Dann verfahren wir entsprechend.

Damit stimmen wir über die Tagesordnung zum heutigen Tag in Gänze ab. Wer der Tagesordnung mit den eben abgestimmten Änderungen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Vielen Dank. Gegenstimmen? Sehe ich keine. Stimmenthaltun

gen? Sehe ich auch keine. Dann verfahren wir entsprechend.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1

Regierungserklärung des geschäftsführenden Ministerpräsidenten zum Thüringen-Monitor 2019 Unterrichtung durch die Landesregierung - Drucksache 7/46 -

Ich bitte Herrn Ministerpräsidenten Ramelow um seine Regierungserklärung. Wird die Aussprache im Anschluss gewünscht?

(Zuruf Abg. Aust, AfD: Ja!)

(Zuruf Abg. Mohring, CDU: Ja!)

Ja. Bitte schön, Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.

Ramelow, geschäftsführender Ministerpräsident:

Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Abend des 20. April 2000 verübten drei jugendliche Neonazis einen Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge. Sie hatten vorher Hitlers Geburtstag gefeiert. Sie hinterließen vor Ort ein Bekennerschreiben. „Dieser Anschlag“, so lautete das Bekennerschreiben, „basiert auf rein antisemitischer Ebene! […] Heil Hitler. Die Scheitelträger.“ Das war das Jahr 2000.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich am frühen Morgen des darauffolgenden Tages durch einen Anruf über die Ereignisse informiert wurde. Wir haben dann sofort über Rundfunk zur Aktion „Bürger stellen sich schützend vor unsere Synagoge“ aufgerufen und uns um 10.00 Uhr am Ostersonntag vor der Synagoge versammelt. Wir waren viele und das war trostreich. Es war auch schön, dass die Kirchgänger aus den Gottesdiensten alle zur Synagoge kamen. Es war trostreich an einem so bestürzenden Tag.

Der materielle Schaden war eher gering. Die beiden Brandsätze verfehlten das Ziel, jedenfalls das Ziel, die Synagoge abzubrennen. Gott sei Dank wurde niemand verletzt. Der ideelle und moralische Schaden allerdings war immens. Er hat bis heute tiefe Spuren in unserem Land hinterlassen. Nicht erst seit Halle, sondern seit dem Brandanschlag 2000 wissen wir, wie hoch die Gefahr ist und wie es mit unseren jüdischen Mitbürgern geschehen ist, wenn auf sie wieder antisemitische Anschläge gedacht oder möglich gemacht werden.

(Abg. Kowalleck)

Das Phänomen des Antisemitismus ließ sich nicht länger verstecken und die Worte des damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde, dem hoch geachteten Wolfgang Nossen, der damals sagte – ich zitiere –: „Ich bin nicht sonderlich überrascht“, die Rechtsextremisten in Thüringen würden – ich zitiere – „immer frecher“. Das waren Wahrheiten und nüchterne Sätze, die aber erschütternd wirkten.

Der Anschlag auf die Synagoge war zugleich Grund und Anlass für den Thüringen-Monitor, den wir heute in der 19. Auflage debattieren. Es ist und bleibt das Verdienst des damaligen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel, der diese Studien in Auftrag gegeben hat. Er wollte Ausmaß und Inhalt jener Gesinnung erforschen lassen und transparent machen, die zu dem Anschlag auf die Erfurter Synagoge geführt hat. Er hat sich mit der Autorität seiner Person und seines Amts allen Versuchen widersetzt, das Problem des Antisemitismus kleinzureden oder gleich zu verschweigen.

(Beifall DIE LINKE, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP)

Dafür zolle ich ihm große Anerkennung und Respekt.

Ich will noch anmerken, ich war wenige Wochen später in New York zu einem Besuch. In New York wurde ich gefragt, wann wir denn in Thüringen die Synagoge wieder aufbauen würden, weil die Botschaft in der ganzen Welt war, die Synagoge sei abgebrannt. Wenn man dann erklärt hat, es ist kein größerer materieller Schaden entstanden, dann bleibt aber der Eindruck, der sich auf der ganzen Welt damit verbunden hat, sie hätte aber abgebrannt sein können. Und wie schlimm diese Situation auch in der Aktualität ist, zeigt der Mordanschlag in Halle, der der jüdischen Gemeinde gedacht war.

Wir wissen durch den Thüringen-Monitor, dass über die Jahre bis zu einem Viertel der Bewohner des Freistaats empfänglich für rechtsextremistische bzw. antisemitische Einstellungen sind. Diese Erkenntnis ist bitter – und der demokratische Auftrag ist eindeutig. Der Schwur von Buchenwald verpflichtet uns immer wieder und immer wieder aufs Neue: Nie wieder!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es fügt sich deshalb gut, dass sich die erste grundsätzlichere Debatte des neu gewählten Landtags mit den Ergebnissen des diesjährigen Thüringen-Monitors befasst. Die Erhebungen des Thüringen-Monitors definieren wissenschaftlich präzise und empirisch fundiert die politischen Einstellungen der Thüringerinnen und Thüringer. Ich habe es erwähnt: Es ist

keine empirische Arbeit, die wir jetzt erst in Auftrag gegeben haben, sondern es ist der 19. ThüringenMonitor, der von der Universität Jena, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erstellt wurde. Es verbietet sich deshalb zu glauben, dass es ein parteipolitisches Manöver sei, sondern es ist ein wissenschaftlich fundiertes Instrument.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Thüringen-Monitor beschreibt die Herausforderungen und den Handlungsauftrag für alle in unserem Land, die die Verantwortung tragen, sei es in der Regierung, im Parlament, in der regierungstragenden Koalition oder in der Opposition. Diese Grenzziehungen verschieben sich aktuell im Thüringer Landtag sowieso, weil der Souverän, der Wähler, uns gemeinsam den Auftrag gegeben hat, dieses Land voranzubringen.

Wie in den vergangenen Jahren sollten wir unser Augenmerk sowohl auf die feststellbaren, zum Teil signifikanten Veränderungen gegenüber früheren Umfragen als auch auf die konstant gebliebenen Werte richten. Es lohnen gerade im Hinblick auf die Ambivalenz eine genaue Analyse und eine ernsthafte Erörterung.

Der thematische Schwerpunkt des diesjährigen Thüringen-Monitors behandelt die Felder „Gesundheit“ und „Pflege“. Es war uns wichtig, diesen Themenfeldern, die alle Bürgerinnen und Bürger berühren, eine größere Aufmerksamkeit zu geben. Ich bin überzeugt, dass sich gerade an diesen Fragen der praktische Auftrag einer bürgernahen und gemeinwohlorientierten Politik ableiten lässt. Fragen einer älter werdenden Gesellschaft, die spezifischen Probleme des ländlichen Raums, der Einsatz digitaler Technik und die Fragen eines gerechten und eines egalitären Gesundheitssystems insgesamt verlangen nach produktiven und vor allem vorwärtsweisenden Antworten. Aus vielen Gesprächen, aber auch aus eigener Erfahrung weiß ich, dass diese Antworten für viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Freistaat wichtig sind, die als Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegesektor eine unglaublich wertvolle Arbeit leisten,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

die Krankenschwestern, Krankenpfleger, die Hebammen, die Physio- und Ergotherapeutinnen und ‑therapeuten, Ärztinnen und Ärzte, die Landarztpraxen, Krankenhäuser, die Medizinischen Versorgungszentren – wie wir die Polikliniken heute nennen – oder Schwester Agnes, die jetzt Vera heißt. Die Antworten sind aber auch für die große Zahl pflegender Angehöriger wichtig, Bürgerinnen und

(Ministerpräsident Ramelow)

Bürger unseres Freistaats, die sich um ihre Eltern, Partner oder – leider eben auch, wenn es notwendig ist – um Kinder pflegend kümmern, oftmals parallel zu ihrer eigenen Tätigkeit, die jeden Tag eine Vielzahl von Bällen jonglieren, um den Alltag, ihren Alltag, und die Pflege unter einen Hut zu bringen, und sich dabei selbst nicht verlieren dürfen. Meine Damen und Herren, diese Menschen sind die Heldinnen und Helden des Alltags, vor denen kann man nur den Hut ziehen und ihnen Dank sagen.

(Beifall DIE LINKE, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP)

Der Themenschwerpunkt des diesjährigen Thüringen-Monitors hat auch ihre Bedürfnisse und Interessen im Blick. Ich werde später noch einmal darauf zurückkommen.

Ich danke an dieser Stelle einer guten Tradition folgend den wissenschaftlichen Autoren des Thüringen-Monitors für ihre wichtige und vor allem hilfreiche Arbeit sehr herzlich: Frau Prof. Reiser und ihrem Team des Zentrums für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration an der Universität Jena. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben eine ausgezeichnete Arbeit vorgelegt. Es liegt an uns, diesen reichen Schatz an Erkenntnis in gelebte Praxis umzusetzen.