Protocol of the Session on February 2, 2024

sein. Sprache ist grundsätzlich nie unbeeinflusst von Gesellschaft. Sie ist Ausdruck von gesellschaftlichen Verhältnissen. Sprache entsteht, bildet sich, entwickelt sich weiter durch die Gesellschaft. In ihr bilden sich gesellschaftliche Machtverhältnisse ebenso ab wie sich gesellschaftliche Veränderungen widerspiegeln. Setzen sich Veränderungen von Sprache wirklich nur durch, wenn sie von der Mehrheit der Sprechenden allgemein akzeptiert werden? Darauf kann man mit Ja und Nein antworten.

(Zwischenruf Abg. Montag, Gruppe der FDP)

Lassen Sie mich doch mal ein Beispiel nennen, Herr Montag.

Herr Abgeordneter Montag!

Ein Beispiel: So wurde das Wort „Fräulein“ 1971 nicht durch einen Zweidrittelbeschluss der Bevölkerung aus der offiziellen Sprache der Bundesrepublik getilgt, sondern durch den politischen und den gesellschaftlichen Kampf der Frauenbewegung und der 68er,

(Ministerin Werner)

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

also durch die von Ihnen so diskreditierten gesellschaftlichen Strömungen.

Ein ganz anderes Beispiel von sprachlichen Vorschriften betrifft die Verwendung nationalsozialistischer Sprache, die nach 1945 verboten wurde. Auch hier hätte eine Umfrage zu besagter Abschaffung wahrscheinlich keine Zwei-Drittel-Zustimmung mit sich gebracht. Andererseits gibt es natürlich auch die nachregulierenden Veränderungen zur tatsächlichen Sprachentwicklung. Zahlreiche Fremdwörter werden auch schriftlich dann nachträglich eingedeutscht, wenn sie in der Alltagssprache von sehr vielen Menschen gesprochen werden. Auch die Überwindung des generischen Maskulinums nimmt immer öfter Gestalt an, weil sich Frauen eben nicht mehr mitgemeint fühlen wollen, wenn sie nur männlich angesprochen werden. Und es ist richtig, dass in Diskussionen eben Frau sagen, sie wollen nicht mehr Professor oder vielleicht Taxifahrer genannt werden, sondern eben Professorin oder Taxifahrerin.

Damit komme ich zu einem zweiten, wesentlichen inhaltlichen Aspekt Ihres Entwurfs. Wie gesagt, Sie wollen etwas verbieten, was gar keine Vorschrift ist. Niemand in der Landesverwaltung oder den Schulen ist verpflichtet, Sonderzeichen mit Geschlechterbezug zu verwenden. Dass es dennoch von einigen gemacht wird, über die sich die AfD heute hier auch lustig gemacht hat, liegt an der Akzeptanz für diejenigen, die sich sprachlich und gesellschaftlich ausgeschlossen fühlen, weil sie sich keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen. Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht die Einführung des dritten Geschlechtes beschlossen. Damit wären wir nun bei der gesellschaftlichen Realität. Sie können gern verbieten, was Sie verbieten möchten, Sie werden aber eine sprachliche Entwicklung nicht aufhalten, die auf Rücksicht und Einsichtigkeit basiert.

Wir wollen darüber sprechen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Ist es eine Gesellschaft, in der – und hier sitzen nun doch mehrheitlich Männer –, Menschen anderen vorschreiben wollen, wie sie zu sprechen und zu leben haben, wen sie sprachlich benennen oder auch nicht benennen dürfen, eine Gesellschaft, in der frauenfeindliche Abgeordnete der Männerpartei der AfD ihre Ideologie hoffähig machen können, weil sie Schützenhilfe durch die CDU erhalten? Darüber sprechen wir heute auch.

Und sehr geehrte Abgeordnete der CDU, Sie wissen genau was Sie machen, wenn sie einen völlig überflüssigen Gesetzentwurf einbringen, der Vorurteile in der Gesellschaft schürt und sich gegen Minderheiten richtet und von dem Sie wissen, dass sie ihn ausschließlich mit der Unterstützung der AfD durchbekommen. Und ich frage sie wirklich, ist es das wirklich wert? Wollen Sie ein solches Thema, bei dem es um Gesellschaft, um Entwicklung geht, wollen Sie dieses instrumentalisieren, um sich, tja, man könnte denken, die AfD-Abgeordneten gewogen zu halten. Erzählen sie nicht wieder, dass es hier ein wirklich notwendiges Gesetz zum Schutz von ach so vielen Menschen sei. Nein, es ist ganz und gar nicht notwendig. Diejenigen, die keinen Gendergap benutzen wollen, machen das auch ohne Ihr Gesetz nicht. Es gibt keine Vorschrift. Es gibt keinen Zwang. Alles, was Sie damit erreichen ist das Signal „im Zweifel immer gern mit der AfD“. Und gerade nach den Demonstrationen in den letzten Wochen können Sie sicher sein, das wird nicht nur von dem Großteil der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nicht akzeptiert werden. Sie gehen damit auch einen falschen Weg. Denn Sie wissen, am Ende werden nicht die Trittbrettfahrer gewählt, sondern das Original.

(Beifall AfD)

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Ministerin Werner)

Vielen Dank, Frau Ministerin. Als nächster Redner hat sich für die Landesregierung Herr Minister Stengele gemeldet.

Liebe Kolleg/-innen und Kollegen, liebe Menschen auf der Tribüne und am Livestream!

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Was wird das denn jetzt?)

Herr Prof. Voigt, weil Sie auf Baden-Württemberg abgehoben haben, ich zitiere den baden-württembergischen Ministerpräsidenten: „Mir könnet alles, bloß net hochdeutsch“? „Im traurigen Monat November war’s,

die Tage wurden trüber, der Wind riss von den Bäumen das Laub, da reist ich nach Deutschland hinüber. Und als ich an die Grenze kam, da fühlte ich ein stärkeres Klopfen in meiner Brust, ich glaube sogar die Augen begunnen zu tropfen. Und als ich die deutsche Sprache vernahm, da ward mit seltsam zumute, […] [mir war] nicht anders, als ob das Herz recht angenehm verblute.“ So beginnt der deutsche Jude, Heinrich Heine, sein weltberühmtes „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Er war nach Frankreich vor den antisemitischen, intoleranten, muffigen, rückwärtsgewandten Sprachzensoren seiner Zeit geflohen. Und er wollte zurück nach Deutschland, um seine Mutter zu besuchen und sein geliebtes Deutsch zu sprechen. Da entstand übrigens die Zeile „Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht“, da entstand diese Zeile. Es war eine Zeile, des Heimwehs, er hatte Heimweh nach seiner Mutter. Erzählen Sie das mal Ihrem Bundesdings Chrupalla, der Heine als seinen Lieblingsdichter benannt hat und noch nicht einmal zwei Zeilen von ihm verstanden hat. Was für eine Blödigkeit

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

oder was für eine Unverschämtheit diesem politisch verfolgten deutschen Juden gegenüber, der nicht nach Deutschland einreisen durfte.

(Unruhe AfD)

Heines Sprache gab mir und gibt mir Heimat.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Was hat das mit der Debatte zu tun?)

Sprache war und ist für mich Heimat und, ja, das Deutsche ist die schönste Sprache der Welt. Das hat sie übrigens gemein mit allen anderen 7.000 Sprachen auf der Welt, die alle die schönsten Sprachen der Welt sind.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ja klar, denn Sprache macht uns zu dem, was wir sind, sie repräsentiert unsere Gedanken und unsere Gefühlswelt und sie schenkt uns Schutz und Geborgenheit.

Herr Voigt, spätestens seit Wittgenstein wissen wir, dass Sprache erst unsere Welt errichtet und gestaltet. Und so sehr ich das Deutsche liebe, so sehr kann es nur einem unsensiblen und unintelligenten Menschen verborgen bleiben, dass das Deutsche wie andere Sprachen auch eine Sprache des Patriarchats, eine Sprache der Ungerechtigkeit und der Unterdrückung sein kann.

(Zwischenruf Abg. Montag, Gruppe der FDP: So hätte Heine auch geantwortet!)

So kämpfe ich seit meiner Kindheit gegen die durch das Wort „Gottvater“ entstandene Vorstellung von einem, der über allem thront, und weit unten drunter kommt erst die Frau.

(Unruhe CDU)

Wir wissen, wie viele Kriege und wie viel schreiendes Unrecht durch dieses Sprachbild legitimiert wurde und immer noch legitimiert wird.

(Zwischenruf Abg. Montag, Gruppe der FDP: Dann gab es aber die Aufklärung, Herr Minister!)

Herr Montag, ich spreche gerade darüber, dass ich darum ringe, weil ich mit diesem Bild gefüttert wurde, und ich bin weit nach der Aufklärung geboren worden.

Deshalb ist es richtig, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir diese Machtstruktur der deutschen Sprache aufheben können, um zu einer gerechteren Ausdrucksweise zu kommen.

(Unruhe CDU)

Das ist ein kluger, mitfühlender und intelligenter Ansatz. Dass das zu Diskussionen führt, ist verständlich, es stört unsere Gewohnheit. Die Vorschläge sind oft produktiv, manchmal allzu schematisch und manchmal auch untauglich. Die Auseinandersetzung aber ist richtig und natürlich hält das unsere Sprache leicht aus. Am Ende wollen wir alle durch unsere Sprache einen Raum schaffen, indem alle Menschen gleichermaßen gesehen, gehört, repräsentiert und heimisch sein können.

Gerade weil ich das Deutsche liebe, weiß ich natürlich, wie die deutsche Sprache manipuliert werden kann. Durch die Barbarisierung und Pervertierung der deutschen Sprache wurde der Grundstein gelegt, Millionen von Menschen ins Gas zu schicken, Abermillionen Menschen zu töten und zu vertreiben. Deshalb hatten wir aus gutem Grund nach dem zweiten Weltkrieg viele Worte, die in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden oder brutal interpretiert wurden, aus unserem Sprachgebrauch verbannt. Aber vor etlichen Jahren hat sich eine Bewegung, die auch hier im Parlament prominent vertreten ist, aufgemacht, unser Deutsch wieder zu pervertieren, zu brutalisieren, zu verhunzen und zu missbrauchen

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und radikale Dinge zu verharmlosen. Remigration ist das jüngste, widerliche Beispiel dafür. Und wie das Wort auf Menschen wirkt, die unseren besonderen Schutz verdient haben, zum Beispiel Juden und Jüdinnen, konnte man überall nachhören und nachlesen. Es ist eine Schande, es werden Worte wieder gesellschaftsfähig gemacht, die ausgrenzen, die Intoleranz und Inhumanität den Boden bereiten.

Liebe Kolleginnen der – ich kann sagen: liebe Kollegen der CDU, liebe Frau Tasch und liebe Frau Meißner – bei Ihnen komme ich leicht damit durch, dass ich die Geschlechter unterscheide –, Sie sind dabei, eine erstaunliche Fehlleistung erneut zu begehen. Sie suchen wieder den Feind auf der falschen Seite. Es gibt eine riesige Gefahr für unsere Sprache. Es ist die Sprache der Antidemokraten, der Verhetzer, der Verharmloser und der Verhunzer. Da müssen wir ran. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe AfD)

Wenn sich die Reihen etwas beruhigt haben, würde ich Abgeordnetem Kemmerich noch einmal das Wort erteilen.

(Minister Stengele)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste, vor allen Dingen auf der Tribüne, und liebe staunende Zuhörer außerhalb dieses Saals, wir haben jetzt zuletzt zwei Vertreter der Thüringer Landesregierung gehört, die in erster Linie dazu verpflichtet sind, neutral im Interesse aller Bürger des Freistaats zu handeln. Die Mehrheit der Bürger des Freistaats Thüringen wie auch der Bundesrepublik Deutschland lehnt nach wie vor Gendern ab,

(Beifall CDU)

und zwar eine Mehrheit von weit über 80 Prozent. Sie können Ihre persönliche Meinung haben, aber wenn Sie hier vorn stehen als Vertreter dieser Regierung, dann haben Sie auch die Geschicke aller im Auge zu behalten.

(Beifall CDU, Gruppe der FDP)