hier diskutierte Regelung von Artikel 70 Abs. 3 Satz 3 der Thüringer Verfassung Regelungen, die wir in einer Vielzahl von Landesverfassungen, übrigens auch im Grundgesetz finden, nämlich dort in Artikel 63 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz, in dem geregelt ist, dass im dritten Wahlgang die meisten Stimmen für die Wahl des Kandidaten und das Amt des Bundeskanzlers ausreichend seien, so übrigens auch in Artikel 33 Abs. 4 Satz 2 der Verfassung Schleswig-Holstein. Die aktuelle Regelung der Thüringer Verfassung, wonach derjenige Kandidat als Ministerpräsident gewählt ist, der im dritten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigen kann, ermöglicht bereits im Moment des Wahlakts eine Minderheitsregierung und damit eine originäre bzw. formelle Minderheitsregierung, von der wir wissen, dass sie verfassungsrechtlich einer Mehrheitsregierung in keiner Weise nachsteht.
Insofern haben wir auch eine Situation, dass es durchaus historische Vorbilder für den Fall gibt, der hier
theoretisch für Thüringen nur angenommen wird, denn sowohl im Rahmen eines mehrstufigen Wahlverfahrens anlässlich der Ministerpräsidentenwahl in Schleswig-Holstein am 25. Juli 1951 unter Anwendung des mit Artikel 70 Abs. 3 Thüringer Landesverfassung und dem damals inhaltsgleichen Artikel 22, heute Artikel 33, der schleswig-holsteinischen Verfassung wurde Friedrich Wilhelm Lübke als einziger zur Wahl stehender Kandidat im dritten Wahlgang im Meiststimmverfahren mit 28 Ja- bei gleichzeitig festgestellten 37 Neinstimmen und 2 Enthaltungen in das Amt gewählt und hat es dann in dieser Funktion des Ministerpräsidenten, in das er unstrittig gewählt worden ist, später geschafft, den Bund der Heimatvertriebenen zu einer Koalition zu bewegen und damit zur Mehrheitssituation zu kommen. Gewählt wurde er in einer Minderheitsposition. Insofern ist die Diskussion, die wir hier führen, eine, die häufig vernachlässigt, dass es historische Vorbilder gibt, und die insinuiert, es sei eine verfassungsrechtlich unhaltbare Situation, wobei sie im Bundesgebiet den Mehrheitsfall der Landesverfassungen regelt. Vielen Dank.
Vielen Dank. Ich habe jetzt keine weiteren Wortmeldungen vorliegen und wir kommen zurück zum Antrag. Ich habe Ausschussüberweisung an den Ausschuss für Justiz, Migration und Verbraucherschutz gehört. Gibt es weitere Anträge auf Ausschussüberweisung? Das kann ich nicht erkennen.
Dann stimmen wir über die Ausschussüberweisung an den Ausschuss für Justiz, Migration und Verbraucherschutz ab. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Fraktionen Die Linke, der SPD, der CDU, der AfD, die Gruppe der FDP und die fraktionslose Abgeordnete. Gibt es Gegenstimmen? Keine. Gibt es Stimmenthaltungen? Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Vielen Dank. Damit ist der Gesetzentwurf an den Ausschuss überwiesen und ich schließe den Tagesordnungspunkt.
Thüringer Gesetz zur Reform des land- und forstwirtschaftlichen Grundstücks-, Landpachtverkehrs- und Siedlungsrechts Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 7/9113 - ERSTE BERATUNG
Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Gäste! Immobilienkonzern kauft Agrarbetrieb mit 2.500 Hektar landwirtschaftlicher Fläche – so oder so ähnlich lauteten Anfang März die Schlagzeilen. Es ging damals um die Quarterback Immobilien AG, eine Tochtergesellschaft der Deutsche Wohnen, die in Brandenburg den Agrarbetrieb der Röderland GmbH erworben hat. Die Gesellschafter der Röderland GmbH haben sich darauf geeinigt, den Agrarbetrieb für 10 Millionen Euro an die Deutsche Wohnen zu verkaufen, anstatt für 2 Millionen weniger an einen interessierten Landwirt und seine Familie. Das ist nur ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit. Bei dem Geschäft handelt es sich um einen Anteilskauf, einen Sharedeal. Bei einem Anteilskauf werden nicht einzelne landwirtschaftliche Grundstücke verkauft, sondern ein ganzer landwirtschaftlicher Betrieb wird veräußert samt Flächen. Die bekommt dann
Wer in Thüringen ein landwirtschaftliches Grundstück veräußert, unterliegt der staatlichen Grundstücksaufsicht. Das macht das Landesamt für Landwirtschaft und Ländlichen Raum. Ich frage jetzt einfach mal in die Runde: Wissen Sie, bei welcher Größe des Grundstücks die Genehmigungspflicht in Thüringen einsetzt? Bei einem Viertel Hektar. Also ab 0,25 Hektar – so niedrig, wie in keinem anderen Bundesland – beginnt die Genehmigungspflicht, aber ein Anteilskauf, bei dem 2.500 Hektar übertragen werden, läuft gänzlich ohne Genehmigung. Ohne eine staatliche Grundstückskontrolle gehen 2.500 Hektar sozusagen durch die Lappen, wobei bei der Genehmigung ein Zehntausendstel, also 0,25 Hektar, der Kontrolle unterliegt. Das hat Reformbedarf. Dafür muss man auch kein Sozialist oder keine Sozialistin sein, um das zu erkennen.
Im Koalitionsvertrag haben sich Die Linke, SPD und Grüne darauf verständigt, ein Agrarstrukturgesetz zu erarbeiten. Ich freue mich, dass wir Ihnen heute den Entwurf des Thüringer Gesetzes zur Reform des landund forstwirtschaftlichen Grundstücks-, Landpachtverkehrs- und Siedlungsrechts vorlegen können. Ich bin so ein bisschen stolz darauf, dass wir es doch nach jahrelangen Vorarbeiten geschafft haben, heute hier den Entwurf des Agrarstrukturgesetzes in Thüringen präsentieren zu können. Wir sind damit in Thüringen auch gewisse Vorreiter in einer bundesweiten gesellschaftlichen Debatte zur Novelle der Agrarstrukturgesetzgebung.
Wir haben uns in der Vergangenheit mit der Analyse des landwirtschaftlichen Bodenmarktes beschäftigt. Deswegen möchte ich heute vor allen Dingen über die Neuregelungen, von denen wir überzeugt sind, dass sie die Agrarstruktur in Thüringen nachhaltig verbessern werden, informieren. Bei diesen vorgeschlagenen Maßnahmen haben wir uns vor allen Dingen davon leiten lassen, dass die Landwirtinnen und Landwirte und ihre landwirtschaftlichen Betriebe im Mittelpunkt stehen. Uns geht es darum, die gewachsene Agrarstruktur in Thüringen zu schützen und zu bewahren. Dafür müssen wir auf die Entwicklungen vor allen Dingen der jüngsten Zeit auch die richtigen Antworten finden. Genau zu diesen Entwicklungen gehört die Zunahme von Anteilskäufen in der Landwirtschaft. Deswegen schlagen wir im Gesetzentwurf eine Regulierung von Anteilskäufen vor, und das bedeutet, dass beim Erwerb eines Anteils von 90 Prozent einer Gesellschaft mit landwirtschaftlichem Grundbesitz in Thüringen künftig eine Genehmigung erfolgen soll, wie wir es auch bei einem Grundstückskaufvertrag haben.
Warum bei dieser Regelung 90 Prozent? Die Regelung entspricht dem Tatbestand bei der Grunderwerbssteuer. Daran haben wir uns orientiert. Anteilskäufe von 90 Prozent unterliegen nämlich wie ein Grundstückskauf der Grunderwerbssteuer. Und wenn ein Geschäft der Grunderwerbssteuer unterliegt, dann sind wir auch der Meinung, dass dafür die Kontrolle des landwirtschaftlichen Grundstücksverkehrs auch gelten muss. Der Erwerb eines Anteils von mindestens 50 Prozent an einem landwirtschaftlichen Betrieb soll ange
zeigt werden müssen. Da geht es uns nicht darum, jede Veränderung des Gesellschafterbestands zu erfassen, es geht auch nicht darum, die Beteiligung beispielsweise finanzstarker Partner an landwirtschaftlichen Unternehmen zu verhindern, sondern ausschlaggebend ist, dass der beherrschende Einfluss, der durch einen Anteilserwerb dann auf den Agrarbetrieb, also auf den landwirtschaftlichen Betrieb, ausgeübt werden kann, durch landwirtschaftsfremde Investoren, die also damit überhaupt nichts zu tun haben, verhindert wird.
Wie bisher sollen Grundstücksveräußerungen, die land- und forstwirtschaftliche Grundstücke betreffen, der staatlichen Genehmigung unterliegen. Wir haben hier eine Vereinfachung und eine Entbürokratisierung vorgeschlagen. Wir haben gesagt, okay, Mindestgröße bei der Genehmigungspflicht soll nicht mehr bei 0,25 Hektar liegen, sondern auf 1 Hektar das anzuheben. Aber wir haben in der Verbände-Anhörung von den landwirtschaftlichen Verbänden gehört – und die haben darauf gedrängt –, die Mindestgröße bei 0,25 Hektar beizubehalten. Deswegen haben wir uns zum Kompromiss entschlossen, haben eine Regelung vorgeschlagen, die befristet bis Ende 2028 gilt, um das Verfahren, auch des Für und Wider, ganz in Ruhe abzuwägen.
Wir wollen die Übertragung von Grundstücken innerhalb der Familie erleichtern. Auch die Kommunen sollen mehr Planungssicherheit erhalten und landwirtschaftliche Grundstücke beginnend mit der Bauplanung genehmigungsfrei erwerben bzw. veräußern können. Auch gemeinwohlorientierte Landwirtschaftsbetriebe wollen wir im Rahmen des europäischen Unionsrechts Zugang zu landwirtschaftlichen Flächen ermöglichen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein großes Problem für unsere einheimische thüringische Landwirtschaft ist vor allen Dingen die Entwicklung der Boden- und Pachtpreise. Landwirtschaftliche Flächen stehen unter Druck konkurrierender Flächennutzung, sei es jetzt mit Gewerbe oder Wohnansiedlungen oder auch die zunehmende Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen für die Energiegewinnung bzw. auch für die Energieverteilung. Dazu schlagen wir eine verschärfte Preismissbrauchskontrolle im Grundstücks- und Landpachtrecht vor. Nach geltendem Recht, also bisher gilt, dass eine Preismissbrauchskontrolle stattfindet, wenn ein Kauf- oder ein Pachtpreis 50 Prozent der üblichen Preise ausmacht bzw. 50 Prozent der üblichen
Preise übersteigt. Diese Grenze wollen wir auf 20 Prozent in den Gebieten, wo es bislang auch schon hohe Preissteigerungen gab, absenken. Im Übrigen stehen wir damit überhaupt nicht alleine da, sondern diese Regelung findet bereits in Baden-Württemberg seit über 15 Jahren Anwendung und wird auch erfolgreich praktiziert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein unverzichtbares Instrument der Agrarstrukturpolitik ist das siedlungsrechtliche Vorkaufsrecht für Landwirtinnen und Landwirte im landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr. Das Vorkaufsrecht wollen wir auch vor allen Dingen grundsätzlich beibehalten und damit mit dem vorstrukturellen Vorkaufsrecht vereinheitlichen. Also wenn die Genehmigung zu einem Grundstückskauf nicht erteilt werden kann, wird Landwirtinnen und Landwirten das Vorkaufsrecht für das zum Verkauf stehende Grundstück eingeräumt. Jetzt stellt sich natürlich so die Debatte, wer eigentlich dafür zuständig ist. Und wenn wir dann noch mal in die Geschichte zurückschauen, wer eigentlich tatsächlich hier Regelungen vollziehen kann, wer tatsächlich auch hier Regelungen vornehmen kann, so müssen wir sagen, dass seit 2006, seitdem die Föderalismusreform vollzogen worden ist, die Länder die Gesetzgebungskompetenz zur Regulierung des landwirtschaftlichen Grundverkehrs haben. Seit vielen Jahren bemühen sich auch die Bundesländer, die äußerst komplexe Thematik aufzuarbeiten. Uns ist es jetzt gelungen, einen Gesetzentwurf auf die Beine zu stellen. Im Anhörungsprozess wurden natürlich aber auch Bedenken deutlich, verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf erhoben, und das nehmen wir auch ernst. Es geht nicht darum, hier
diese Bedenken vom Tisch zu wischen, sondern wir haben sie sehr intensiv geprüft. Auch die verfassungsrechtlichen Fragen werden natürlich noch weiterhin Bestandteil der parlamentarischen Beratungen sein hier im Haus, aber ich bin davon überzeugt, dass der Gesetzentwurf der verfassungsrechtlichen Kritik standhält. Die vorgebrachte Kritik zielt letztendlich darauf, das Gesetz in der vorliegenden Form auch zu verhindern, und sie beruht auch auf der Haltung, dass es besser wäre, das Gewohnte beizubehalten. Aber das, meine Damen und Herren, ist eine Fehleinschätzung. Denn alle, die die Agrarstruktur in Thüringen weiterentwickeln wollen und alle, die am Schutz der heimischen Landwirtschaft interessiert sind, Interesse haben, müssen sich jetzt auch an diesem Gesetzgebungsprozess heute mit der Einbringung dieses Gesetzes oder mit der Diskussion anfänglich im thüringischen Landtag konstruktiv beteiligen. Die Entscheidungen liegen natürlich jetzt im Hause des Parlaments. Aber ich kann nur eines dazu sagen, sehr trefflich formuliert, meine Damen und Herren: Ackerland gehört in Bauernhand.
Dafür ist dieser Gesetzentwurf der Aufschlag, und ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen und auch die gesellschaftliche Debatte. Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin. Damit eröffne ich die Aussprache. Als Erstes erhält Abgeordneter Malsch für die Fraktion der CDU das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Besucher auf der Tribüne! Das, was Frau Ministerin ausgeführt hat, hört sich im ersten Schritt nach einem Lösungsansatz an. Ich habe noch gut die Worte von Olaf Müller im Gehörgang von 2017, wo er gesagt hat, auch in dieser Legislatur wird es auf jeden Fall ein Gesetz geben. Seitdem wird eigentlich laboriert an einem Gesetzentwurf, der was regeln soll, was schwer zu regeln ist. Das ist uns allen bewusst.
Und, werte Kolleginnen und Kollegen, zur Reform des land- und forstwirtschaftlichen Grundstücksrechts taugt dieser Gesetzentwurf leider nicht. Für die CDU-Fraktion steht fest, die Eigentumsrechte der Landund Forstwirte müssen gewahrt bleiben. Wir haben immer gesagt, dass wir uns der Novellierung bodenrechtlicher Vorgaben mit dem Ziel einer ausgewogenen Agrarstruktur und zur Abwehr außerlandwirtschaftlicher Investitionen nicht verschließen. Dazu müssen die Regelungen aber auch tauglich sein. Die CDU-Fraktion hat aber auch immer gleichzeitig gesagt, dass man mit tiefgreifenden Änderungen bodenrechtlicher Vorgaben sehr vorsichtig sein muss, weil in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum eingegriffen wird.
Beides, werte Kolleginnen und Kollegen, erfüllt der vorgelegte Gesetzentwurf eben nicht. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass der von der Thüringer Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf in weiten Teilen verfassungswidrig sein soll. So jedenfalls das Ergebnis eines umfassenden unabhängigen Rechtsgutachtens, das der Thüringer Bauernverband, der Verband der Familienbetriebe Land und Forst Sachsen und Thüringen sowie der Genossenschaftsverband im September im Thüringer Landtag der Öffentlichkeit vorgestellt haben. Ob die Vorstellungen der Landesregierung zur Reform des land- und forstwirtschaftlichen Grundstücksrechts juristisch haltbar sind, ist deshalb mehr als zweifelhaft. Entscheidend ist, dass Eigentumsrechte gewahrt bleiben. Staatliche Eingriffe oder gar die Verhängung von Bußgeldern bergen die Gefahr, rechtlich auf tönernen Füßen zu stehen.
Und, werte Kolleginnen und Kollegen, insbesondere die Regelungen von Anteilskäufen, die sogenannten Sharedeals – es wäre wichtig, genau diesen Geschäften einen Riegel vorzuschieben, wenn landwirtschaftliche Fläche über Anteilsverkäufe an nichtlandwirtschaftliche Investoren geht. Genau diese Regelungen zu den Sharedeals werden mit Blick auf das Verfassungsrecht massiv bemängelt. Mit dem Gesetz überschreitet der Freistaat Thüringen seine Gesetzgebungskompetenz, insbesondere im Hinblick auf die Regelung der Genehmigungspflicht für den Erwerb von Unternehmensanteilen, sogenannten Sharedeals – so die renommierte Gutachterin Frau Prof. Dr. Leisner-Egensperger von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.
Diese und weitere Erkenntnisse – ich will das hier nicht alles einzeln aufzählen, was im Gutachten kritisiert wird. All dies hat die Landesregierung ignoriert. Der Gesetzentwurf sieht nach dem zweiten Kabinettdurchgang an dieser Stelle genauso aus wie nach dem ersten. Mit der Gesetzeskosmetik ist den vorgetragenen rechtlichen Bedenken ebenso wenig Rechnung getragen worden wie den Einwänden und Vorschlägen der Anzuhörenden.
Wir können uns meinetwegen im Ausschuss entsprechend den parlamentarischen Gepflogenheiten Gesetzentwürfe auf jeden Fall mal zu überweisen, damit beschäftigen, Anhörungen durchführen, das Gutachten besprechen und es wiederum vom Wissenschaftlichen Dienst begutachten lassen. Aber ich sage es Ihnen schon heute: Selten gab es einen Gesetzentwurf, der schlechtere Chancen hatte, verabschiedet zu werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, werte Zuschauer! „Die Tatsache, daß der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte
und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern.“ So begründete das Bundesverfassungsgericht im Januar 1967 die Sonderstellung von Grund und Boden in der rechtlichen Behandlung im Vergleich zu anderen Gütern.
Der landwirtschaftliche Grundstücksverkehr, also der Verkauf von landwirtschaftlicher Nutzfläche, ist einer der meist regulierten Bereiche der Marktwirtschaft in Deutschland. Verkäufe von Agrarland können von den Behörden unter bestimmten Bedingungen verboten werden, obwohl das ein Eingriff ins Eigentumsrecht ist. Wie sieht es also mit dem landwirtschaftlichen Grund und Boden hier in Thüringen aus? Laut Situationsbericht der Landwirtschaft haben sich die Kaufpreise für landwirtschaftliche Nutzflächen im bundesweiten Durchschnitt seit 2007 mehr als verdreifacht. Bei den Pachtpreisen sieht es ein wenig moderater aus. Das Kapital sucht besonders in Krisenzeiten nach günstigen Anlagemöglichkeiten. Auch wenn landwirtschaftliche
Fläche auch keine großen Renditechancen bietet, so bietet sie doch große Sicherheit vor einem Werteverfall. Besonders die vielen mittelgroßen bis großen Betriebsstrukturen im Osten, mit den entsprechenden Flächen, wecken da große Begehrlichkeiten. So stieg der Pachtpreis im Flächenagrarland Mecklenburg-Vorpommern allein im letzten Jahr um 8 Prozent. In Thüringen liegen die Pachtpreise noch bei vergleichsweise moderaten 219 Euro pro Hektar, aber in Thüringen haben wir uns bis jetzt unsere kleinteiligen, komplexen Strukturen bewahrt. Das wird allerdings nicht so bleiben, denn 2019, da horchte das Land auf, als die Adib Agrargesellschaft mit rund 6.000 Hektar Eigentums- und Pachtfläche für insgesamt 40 Millionen Euro an die außerlandwirtschaftliche Boscor Group ging, ein Teil der Aldi-Stiftung.
Der rechtlich eigentlich hoch regulierte Bodenmarkt funktioniert also heute de facto heute nur noch bedingt, um landwirtschaftliche Böden für die, die sie bewirtschaften, nämlich unsere Landwirtinnen und Landwirte, zu bewahren. Die Preise für Land sind so hoch, dass der Kaufpreis durch die Bestellung des Bodens nicht mehr zu erwirtschaften ist. Dadurch bietet das Vorrangrecht nach Grundstückverkehrsgesetz keinen Schutz mehr vor einer Konkurrenz, mit den kapitalstarken Nicht-Landwirten. Die Konkurrenz mit Nicht-Landwirten kann sich bei den derzeitigen Flächenpreisen kein Landwirt und keine Landwirtin mehr leisten.
Hinzu kommt, dass wir hier in Thüringen mit einer Pachtquote von 75 Prozent den höchsten Pachtflächenanteil in Deutschland zu verzeichnen haben, der Bundesdurchschnitt liegt bei rund 60 Prozent. Durch die bisher fehlenden Anzeigepflichten sind die wahren Eigentumsverhältnisse auf dem Bodenmarkt zudem auch völlig unbekannt. Als Beispiel: Bereits 2017 gehörte im Landkreis Märkisch-Oderland in Brandenburg knapp die Hälfte der Betriebe und der Flächen nicht mehr regional ansässigen Landwirtinnen und Landwirten – auf diese Situation wollen wir ja nicht zusteuern. In Thüringen verlieren wir auch seit mehr als 30 Jahren stetig an landwirtschaftlicher Nutzfläche, vor allen Dingen durch den Zubau von Siedlungs- und Verkehrsinfrastruktur. Unsere Bevölkerung sinkt in Thüringen im gleichen Zeitraum ebenfalls stetig. Das bedeutet, immer weniger Menschen verbrauchen also immer mehr Fläche, und auch das lässt die landwirtschaftlichen Kauf- und Pachtpreise steigen.
Nicht zuletzt wird der Ausbau der Solarenergie auf landwirtschaftlichen Nutzflächen stark vorangetrieben. Über die Energieerzeugung verspricht der Kauf von landwirtschaftlichen Nutzflächen für Investoren noch höhere Anlagesicherheiten und Renditeerwartungen als bisher. Das fatale Zusammenspiel von zunehmender Flächenkonkurrenz und damit einhergehender Preissteigerung bei Landkauf und Pacht wird sich dadurch noch um ein Vielfaches verstärken. Hinzu kommt auch noch die Regelungslücke von indirekten Landkäufen bei Anteilskäufen, den sogenannten Share Deals. Durch diese Regelungslücke wird das im Grundstücksverkehrsgesetz festgeschriebene Vorkaufsrecht für Landwirtinnen und Landwirte de facto seit Jahren ausgesetzt und gleichzeitig weiß niemand, wie viele Agrarflächen so jährlich von Investoren gekauft werden. Dieser unregulierte Rechtsraum steht dem ansonsten hoch regulierten Wohnmarkt de facto gegenüber. Denkt man dieses Monopoly zu Ende, werden nicht die Landwirtinnen und Landwirte zukünftige Flächeneigentümer sein, sondern landwirtschaftsferne Unternehmenskonstrukte wie die Aldi-Stiftung. Deswegen wollte meine Fraktion trotz der Vorbehalte, die uns wegen der DDR-Vergangenheit und der Bodenreform entgegenschlagen würden, ein Agrarstrukturgesetz auf den Weg bringen, das diese Regelungslücken schließt. Dieses Agrarstrukturgesetz sollte dafür sorgen, dass landwirtschaftlicher Boden nicht zweckentfremdet und zum Spekulationsobjekt wird. Auch den Zugang für regionale Landwirtinnen und Landwirte über faire Pachtund Kaufpreise sollte es sicherstellen.