Protocol of the Session on November 3, 2023

Damit eröffne ich die Aussprache. Mir liegen bisher nur zwei Wortmeldungen vor. Deshalb hat zunächst für die Gruppe der FDP Herr Abgeordneter Montag das Wort.

Gut, ich habe 10 Minuten. Dann hole ich mir noch mal den Gesetzentwurf.

Die Zeit ist noch gestoppt.

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Also, wenn man im Thema steht, braucht man keinen Zettel!)

(Abg. Plötner)

Danke schön, Frau Präsidentin, danke für den Dispens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Ralf, ich bin sehr für politischen Wettbewerb, das Konkurrieren von Ideen, um am Ende zu einer Lösung zu kommen, die besser ist als das, was man hat. Das ist ja quasi das politische Engineering, was man in einer komplexen Gesellschaft, in einer komplexen Welt tun sollte, wenn man gute Politik machen will. Aber die Grundlage muss schon etwas sein, worüber es sich tatsächlich zu reden lohnt. Und da, muss ich sagen, sehe ich nicht die Grundlage beim rot-rot-grünen Entwurf. Ich bin wirklich…

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Es verwundert uns nicht!)

Ja, das glaube ich auch. Aber es gibt unterschiedliche Gründe, warum man möglicherweise darüber verwundert ist. Normalerweise – und das ist auch völlig legitim – schauen wir ganz unterschiedlich auf die Welt, vielleicht weniger im Fachbereich Gesundheit, da kommen wir auch immer wieder zu Lösungen, auch zu guten Lösungen. In anderen Bereichen ist das nicht so. Aber die Grundlage ist, immer einen qualitativen Anspruch zu haben, ein Problem tatsächlich auch lösen zu wollen. Und das, was die Koalition hier vorlegt, ist wirklich untauglich und – ich sage mal – hat mit einer respektvollen Auseinandersetzung nichts zu tun.

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Das ist doch Quatsch!)

Denn Sie geben vor, etwas lösen zu wollen, was Sie dann explizit nicht lösen. Ich will das mal nur ganz vorsichtig formulieren.

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Was?)

Ja, Sie müssen zuhören. Ein bisschen abwarten müssen Sie, das ist auch ein Spannungsbogen.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie hat doch gar nichts gesagt!)

Ich will Sie auch mitnehmen und nicht verlieren unterwegs. Deswegen versuche ich das sukzessive.

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Dann bringen Sie doch endlich mal Fakten!)

Ich komme gleich dazu, deswegen gedulden Sie sich, liebe Frau Kollegin, das hilft dann auch beim Verstehen.

Sie führen immer wieder die Coronapandemie im Munde, um Strukturen erneuern, verbessern zu wollen oder Sie sprechen davon, dass Sie vieles nicht machen konnten, weil Corona eben die Strukturen überlastet hatte. Wir haben doch gerade in der Coronapandemie gesehen, dass wir strukturell ein Problem im Öffentlichen Gesundheitsdienst haben. Wir hatten eine unzureichende Krisenplanung. Wir hatten hochkomplexe Koordinationsaufgaben und damit verbundene Probleme. Wir haben wesentliche Aufgaben in der Pandemie nur lösen können, weil es Leute gemacht haben, die dafür gar nicht verantwortlich sind, nämlich beispiels

weise die Kassenärztliche Vereinigung und eben auch die Kassenzahnärztliche Vereinigung. Der Öffentliche Gesundheitsdienst konnte seinen eigenen Aufgaben nicht gerecht werden und auch die Strukturen nicht. Wir diskutieren ja immer wieder darüber, warum die Auslegungen von landesweit gültigen Verordnungen so unterschiedlich geraten sind. Ein erheblicher Grund dafür war, dass die Rechtsauslegung eben nicht koordiniert und für alle einheitlich erfolgt ist, sondern alle regional auf sich alleingestellt waren. Jetzt könnte man als Konsequenz daraus sagen, auch um die permanente Verwirrung der Leute draußen im ÖGD, aber auch der Bürgerinnen und Bürger in einem solchen Fall demnächst zu vermeiden, dass man hier aus Corona lernt und den ÖGD ertüchtigt und eine Möglichkeit schafft, dass er diese Aufgaben, die er zur Bewältigung braucht, auch leisten kann.

(Beifall Gruppe der FDP)

Aber was Sie machen, ist, dass beispielsweise in § 24 des Gesetzentwurfs die obere Gesundheitsbehörde die Bewältigung der Pandemie vollständig auf andere Stellen übertragen kann. Dabei ist das die originäre Aufgabe des ÖGD. Ich will das mal vorlesen: Gemäß § 4 Abs. 5 sollten KV und KZV die Arbeit des ÖGD unterstützen, sobald das für die originäre Aufgabenerfüllung erforderlich ist. KV und KZV können aber nicht nach Belieben zu einer Aufgabenerfüllung verpflichtet werden, denn KV und KZV haben nämlich nach dem SGB V völlig andere gesetzliche Aufgaben. Das heißt, daraus folgt entweder, dass Sie den ÖGD ertüchtigen, was Sie ja immer vorgeben, tun zu wollen, oder aber dass Sie zukünftig Mittel an KV und KZV zum Aufbau von Strukturen geben, damit sie im Falle einer Pandemie die Aufgaben auch erledigen können, die Sie ihnen jetzt gesetzlich übertragen. Das hat auch nichts damit zu tun, den ÖGD in seiner

Struktur voranzubringen, sondern das ist ein ÖGD-Übertragungsgesetz, nämlich auf die, die Ihnen in der Coronapandemie ohnehin mit ihrer Arbeit den Hintern gerettet haben.

(Beifall Gruppe der FDP)

Gemäß § 3 Abs. 4 von Ihnen können die unteren Gesundheitsbehörden ihre Aufgaben wiederum auf Dritte übertragen, anstatt diese Aufgaben eigenständig erfüllen zu können.

Noch mal: Ihr Entwurf enthält genau für dieses Problem, was Sie hiermit manifestiert fortschreiben, keinerlei Lösung, obwohl Sie seit drei Jahren das Gegenteil behaupten, tun zu wollen. Ihr Gesetzentwurf ist untauglich, den ÖGD in irgendeiner Art und Weise voranzubringen.

(Beifall Gruppe der FDP)

Sie ziehen auch keine Lehren aus der Pandemie. Das Erste, worüber man sich Gedanken machen müsste, ist, wie ich den Befund, dass Personal fehlt, dass der ÖGD nicht in der Lage ist und aufgrund von strukturellen Schwächen nicht sein kann, seine ganze Aufgabenbreite wahrnehmen zu können, wie ich ihn ertüchtige, wie ich ihn von Bürokratie entlaste, wie ich das Arbeiten derer, die für die öffentliche Gesundheit per Gesetz zuständig sind, tatsächlich leichter mache. Ihr Entwurf enthält dafür nicht eine einzige substanzielle Lösung.

Ich sage Ihnen eines: Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man sieht, wie dieser Entwurf zustande kommt. Wenn man sich mal die Struktur anguckt, ist das nicht nur mit der heißen Nadel gestrickt, sondern Sie haben alles darin verrührt, was irgendwie in einem ÖGD vielleicht möglicherweise Relevanz besitzen könnte.

(Zwischenruf Werner, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie: Beschluss der GMK!)

(Zwischenruf Abg. Plötner, DIE LINKE: Ganzheitlich!)

Ganzheitlich, ja, ja. Da sollte man aber besser kopieren, als nur mit Copy-and-paste die unterschiedlichen Absätze hier durcheinander zu bringen.

Und noch einmal: Sie wollen eine Mittelbehörde – also das ist auch gegenüber dem ÖGD respektvoll. Denn, wenn Sie der Meinung sind, dass das auch medizinische Fragen betrifft, haben wir in diesem Land eine gute Tradition, nämlich dass wir das so politikunabhängig wie möglich organisieren. Deswegen haben wir beispielsweise die Selbstverwaltung. Deswegen ist Medizin und sind medizinische Entscheidungen keine durch Politik vorzugebende und zu administrierende Entscheidungen, sondern wir haben die Unabhängigkeit von Ärztinnen und Ärzten zu wahren, auch derer im öffentlichen Gesundheitsdienst. Sie tun das nicht. Auch das ist ein Problem.

Ich freue mich sehr auf die anstehende Debatte. Aber ich bitte auch, wenigstens im politischen Wettbewerb dafür zu sorgen, dass die Grundlagen für eine potenzielle gemeinsame Lösung dargelegt werden und dort hinkommen, wo sie hingehören, nämlich in einen Entwurf, der wirklich substanziell und strukturell Thüringen voranbringt. Bei Ihrem bin ich äußerst skeptisch. Vielen Dank.

(Beifall Gruppe der FDP)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält Frau Abgeordnete Pfefferlein das Wort.

Einen schönen guten Morgen, sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste hier im Thüringer Landtag. Lieber Herr Montag, Sie haben sich hier kräftig aufgeregt. Aber allzu viel Kritik an unserem Gesetzentwurf konnte ich Ihren Worten jetzt nicht entnehmen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich versuche es mal ein bisschen mit Sachlichkeit. Ich freue mich, dass wir heute endlich – das stimmt, es hat lange gedauert – über zwei Gesetzentwürfe zum öffentlichen Gesundheitsdienst sprechen und das auf den Weg bringen. Ja, es stimmt. Der öffentliche Gesundheitsdienst wurde aber nicht nur in Thüringen in den letzten Jahren, Jahrzehnten stiefkindlich behandelt. Das war schon vor der Coronapandemie bekannt. Man muss aber auch mal feststellen, dass die Gesundheitsämter unter Corona, gerade auch in Thüringen, eine hervorragende Arbeit geleistet haben. Das war oft nicht einfach unter diesen ganzen Umständen. Das muss an der Stelle auch mal betont werden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich kann man viele Dinge kritisieren. Ich habe auch viel kritisiert. Aber selbst die Ampel in Berlin hat das erkannt, im Koalitionsvertrag reagiert und betont, dass der Gesundheitsdienst gestärkt werden muss. Schon 2020 wurde in Berlin beschlossen, dass bis 2026 4 Milliarden Euro vom Bund für den „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ für Personal, Digitalisierung und moderne Strukturen zur Verfügung stehen. Der Teil des Geldes, der für Thüringen zur Verfügung steht, den wollen wir gut anlegen für die Baustellen, die ich eben schon ein bisschen angerissen habe. Wir wollen mit dem von uns hier vorgelegten Gesetzentwurf die Anforderungen an einen modernen und zukunftsorientierten Gesundheitsdienst auf eine rechtssichere gesetzliche Basis stellen.

Die FDP hat auch einen Gesetzentwurf eingereicht, einen eigenen.

Beiden Initiativen liegt die Überzeugung zugrunde, dass der öffentliche Gesundheitsdienst ein unverzichtlicher Teil des Gesundheitswesens ist. Inhaltlich liegen uns beide Gesetzentwürfe vor. Wir müssen darüber reden und wir müssen uns damit auseinandersetzen. Ich bin davon überzeugt, dass wir da eine gute Lösung hinbekommen, auch noch in dieser Legislatur. Wir wollen den ÖGD als dritte Säule des Gesundheitswesens wieder so ausstatten, dass er seinen vorrangigen Aufgaben im Bereich der Bevölkerungsmedizin, der Prävention, der Gesundheitsförderung und der Gesundheitsberatung bestens nachkommen kann. Denn in den vergangenen Jahrzehnten sind die Strukturen starr geblieben. Doch nur gute Strukturen können bei Veränderung bestehen. Sie müssen mit der Zeit gehen, sich an die Erfordernisse anpassen. Nur dann können die vielfältigen Aufgaben in guten wie in schlechten Zeiten bewältigt werden. Mit der Reform des ÖGD müssen

(Abg. Montag)

wir vorankommen, um für zukünftige Krisen und Bedrohungen gewappnet zu sein. Weitere Epidemien und Pandemien wie Corona sind absehbar. Die weltweit zerstörten Ökosysteme und der Klimawandel werden als Ursachen gern verdrängt, sind aber die Konsequenz des menschlichen Umgangs mit der Natur. Und weil wir darum wissen, muss das neue ÖGD-Gesetz so aufgestellt sein, dass dieses wichtige Organ unsere Gesellschaft besonders gut für die Aufgaben der kommenden Jahre gerüstet ist. Wir wollen, dass der öffentliche Gesundheitsdienst multiprofessionell, interdisziplinär und vernetzt arbeiten kann. Dazu braucht es neue und effizient arbeitende Strukturen, moderne und digitalisierte Verwaltung und die gut bezahlte Fachlichkeit mit Anbindung an die Wissenschaft. Die Arbeit darf nicht durch finanz- und verwaltungspolitische Schranken ausgebremst werden. Dafür müssen wir im Schulterschluss zusammen auf der Landes- und auf der Kommunalebene arbeiten.

Unser Thüringer Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst in Drucksache 7/8922 greift das auf und beinhaltet im Wesentlichen klare Aufgabenzuweisung auf der Ebene der unteren Gesundheitsbehörden. Diese werden darin auch genauer zugeordnet und besser beschrieben. Neue Aufgabenzuweisungen werden auf der Ebene der oberen Landesbehörde etabliert und der Öffentliche Gesundheitsdienst soll in moderne und digitale Strukturen eingebettet werden. Damit können die auch vom Bund bereitgestellten Gelder in die Neuaufstellung eines leistungsfähigen ÖGD fließen, in dem die Orientierung am Gemeinwohl und gesundheitliche Chancengleichheit an erster Stelle stehen.

Damit soll auch in Thüringen der ÖGD aus der Stiefkindecke herauskommen. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss und, wie gesagt, ich bin davon überzeugt, dass wir ein gutes Gesetz auf den Weg bringen werden. Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion erhält Herr Abgeordneter Liebscher das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Besucherinnen auf der Tribüne! Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen stellvertretend für unsere erkrankte Gesundheitspolitikerin Dr. Klisch kurz vorstelle, was aus unserer Sicht die Highlights des eigenen Gesetzentwurfs für ein Thüringer Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst sind.

Thüringen ist das letzte Bundesland ohne ein eigenes Gesetz für den ÖGD. Als SPD-Fraktion ging es uns aber von Anfang an um weitaus mehr, als einfach nur die bisherigen Aufgaben und Befugnisse nach über 30

Jahren endlich in ein Gesetz zu gießen. Stattdessen formulieren wir mit dem Gesetz ein neues, zeitgemäßes Verständnis von der Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdiensts, das gemeinhin unter der Überschrift „Public Health“ zusammengefasst wird.

Die Gesundheitsämter werden künftig ihre Schwerpunkte nicht nur in der Kontrolle, Verwaltung und Durchsetzung gesetzlicher Vorschriften setzen, sondern als regional vernetzte Akteure im Gesundheitswesen auftreten. Sie werden dabei eine gesamtgesellschaftliche Perspektive einnehmen und die unterschiedlichen Lebensbedingungen und Gesundheitschancen gerade von vulnerablen Gruppen in den Blick nehmen.