Protocol of the Session on November 3, 2023

Es wird schon dunkel draußen.

Nichtsdestotrotz sprechen wir jetzt über ein sehr wichtiges Thema. Ich glaube, die Problembeschreibung ist hier bei allen Fraktionen angekommen, dass Thüringen mit Blick auf 2030 und auch darüber hinaus einen massiven Bedarf an Arbeitskräften, an Fachkräften hat, aufgrund der demografischen Situation, des demografischen Wandels, der älter werdenden Bevölkerung, derjenigen, die verdient in den Ruhestand gehen und die wir ersetzen müssen, damit das Land leistungsfähig bleibt, damit Wohlstand im Land erhalten werden kann. Bis 2030 werden 344.000 Menschen gebraucht. Das macht deutlich, was für eine riesige

(Abg. Lehmann)

Aufgabe vor uns liegt, wenn wir wollen, dass Wohlstand, dass Wirtschaft, dass Leben in Thüringen weiter möglich ist, so wie wir es bisher kennen.

Die Anträge, die heute vorliegen, zeigen, dass es in der Problembeschreibung vielleicht Übereinstimmungen gibt, aber in der Lösung deutlich unterschiedliche Einschätzungen. Wir haben eben schon den AfD-Beitrag gehört, die davon ausgeht, dass man das rein mit Menschen, die bereits im Land sind, mit Qualifizierungen möglich machen kann. Ich glaube, das ist ein Teil, den wir machen müssen und den wir auch nicht außen vor lassen dürfen. Aber es wäre zu kurz gesprungen, zu sagen, damit können wir die Herausforderung, die vor uns liegt, lösen. Wir müssen das Ganze ein ganzes Stück breiter betrachten. Deshalb ist unser Antrag auch breiter gefasst, nämlich mit drei Säulen, die wir als Lösung dieses wichtigen Problems sehen und die wir auch gemeinsam hier für Thüringen angehen müssen.

Das ist zum einen die Fragestellung: die Menschen, die aktuell vielleicht nicht ausreichend qualifiziert sind, die die Schule ohne Abschluss verlassen, dass wir dort entsprechend Anreize setzen, dass wir dort entsprechend aktiv werden. Denn es kann nicht sein, dass praktisch jeder Zehnte in Thüringen die Schule ohne Abschluss verlässt. Das ist ein Zustand, der ist einfach nicht hinzunehmen. Es ist wichtig, das zu ändern, genauso wie natürlich auch die Qualifizierung und auch die Hinführung zu Wirtschaft und zu Handwerk zum Beispiel. Deswegen ist uns auch die Frage des Meisterbonus, die Frage von Meisterprämie – das haben wir heute auch schon besprochen – hier ein ganz wichtiges Anliegen genauso wie der Tag in der Praxis, der als Anreizmöglichkeit für junge Menschen als Möglichkeit, Einblick zu nehmen in Wirtschaft, wichtig ist, um diese Fachkräfte für die Wirtschaft gewinnen zu können. Aber, ich will sagen, das ist ein Punkt, der nicht ausschließlich dafür sorgen kann, dass unsere Fachkräftethematik gelöst wird. Wir brauchen noch eine weitere Säule.

Die nächste Säule, die wir dafür sehen, ist die Frage, dass wir mit weniger Mitarbeitern die gleiche Wertschöpfung in unserer Wirtschaft erzielen müssen. Das ist unterschiedlich möglich in unterschiedlichen Wirtschaftsfeldern. Aber wenn ich mir zum Beispiel mal die Produktion am Erfurter Kreuz anschaue, dort ist es schon so, dass vieles automatisierter funktioniert. Ich bin mir sicher, dass mit Automatisierung und Digitalisierung viele Prozesse in unserer Wirtschaft, aber auch in unserer Verwaltung ein ganzes Stückchen

effizienter gestaltet werden können, um mit weniger Mitarbeitern die gleiche Wertschöpfung und damit den gleichen Wohlstand im Land zu erhalten. Auch für die Wirtschaft bzw. für den Bereich der Verwaltung ist es eine wesentliche Frage. Denn wenn das Land zum Schluss bis 2030 deutlich kleiner wird, dann wird sich für uns die Frage der Strukturen und der Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung stellen. Dann müssen wir Vorgänge digitaler gestalten, um zum Beispiel Regelanträge, die man vielleicht online und digital machen kann, ohne dass viele Bearbeiter dransitzen, dass wir solche Prozesse dann eben anstoßen, um auch Effizienz hier zu gewinnen.

Auch das wird zum Schluss nicht ausreichen, dass wir die riesige Fachkräftethematik, die wir mit Blick auf 2030 zu lösen haben, lösen können. Deswegen braucht es eine dritte Säule, eine Säule, die die AfD nicht sieht, die im Antrag von Rot-Rot-Grün aber auch – sagen wir mal aus unserer Sicht – missinterpretiert wird, nämlich die Fragestellung: Wie gewinnen wir Fachkräfte, befähigte Fachkräfte aus dem Ausland? Für uns ist das eine ganz wesentliche Frage, die es auch anzugehen gilt. Aber wir sehen das nicht aus der Sicht – und das wird ja dann auch der Folgeantrag, den wir im nächsten Tagesordnungspunkt noch haben, zeigen –, wir sehen es nicht aus der Möglichkeit des Reservoirs der Asylbewerber, die nach Thüringen kommen, hieraus dann entsprechende Fachkräfte zu machen. Denn ich glaube, das ist ein riesiger Aufwand, der sich auch mit Blick auf 2015 zeigt, der schwer zum Erfolg führt, weil zum Schluss eben das, was wir für unsere Wirtschaft,

was wir für das Gelingen des Staates brauchen und das, was, ohne dass wir es uns bewusst mit auswählen können, zu uns kommt, wird so nicht übereinander zu bringen sein. Deswegen sind wir für eine gezielte Anwerbung von Menschen, die wir auch hier für Thüringen für das im Land brauchen und die hier auch die Arbeit machen wollen, die dringend zu tun ist.

Deswegen sind wir für eine Anwerbung von Fachkräften und dann auch eine Anerkennung von Abschlüssen. Und da hätte man im Land schon viel mehr tun können und das wissen wir alle von den Beispielen, die uns geschildert werden, wie lange die Verfahren im Landesverwaltungsamt dauern, um zum Beispiel Arbeitsabschlüsse anzuerkennen. Ich habe allein zwei Fälle bei mir im Wahlkreis jetzt aus den letzten drei Wochen, wo ein Zahnarzt eingestellt werden sollte aus Bosnien, der schon ewig auf seine Anerkennung vom Landesverwaltungsamt wartet und der sich im Zweifel jetzt nach anderen Bundesländern umschaut, um das Ganze zum Beispiel in Bayern zu machen, weil ihm dort gesagt wird, dass es deutlich schneller geht. Ein zweites Beispiel ist eine Apothekerin aus Serbien, die auch hierherkommen wollte und über zwei Jahre gebraucht hat, ehe die Anerkennung durch war, zum Schluss nur mit großem Einsatz des Apothekers, der sie unbedingt haben wollte, auch im Land gehalten wurde, der sie bezahlt hat, obwohl sie eigentlich den Abschluss dafür gar nicht hatte.

Das sind Beispiele, die zeigen, es gibt große Motivation aus der Wirtschaft, Menschen zu uns zu holen, die hier auch arbeiten wollen und auch arbeiten sollen, aber die das Land, die die Verwaltung des Landes eben daran hindert. Das ist was, was wir ganz dringend angehen müssen und das sind Bedarfe, die wir decken müssen und vor allen Dingen auch schauen, wie wir Menschen qualifizieren, die zu uns kommen wollen, damit sie hier arbeiten können. Deswegen sind wir auch sehr offen gegenüber der Idee einer German Professional School. Die haben wir im Haushalt auch unterstützt. Dieser Antrag, der vorliegt, ist ja ursprünglich auch mal ein Haushaltsantrag gewesen. Man muss sich ja mal bewusst machen, wie lange dieser Antrag hier schon liegt. Wir haben zwischenzeitlich auch eine Neufassung dieses Antrags gemacht. Allerdings wurde er ursprünglich für den Haushalt geschrieben, dort war die German Professional School als Punkt vorgesehen. Zwischenzeitlich wissen wir, dass die Förderung des Bundes, die uns versprochen wurde, nicht gekommen ist, auch deswegen, weil man versucht hat, die German Professional School in Thüringen umzuinterpretieren. Der Bund sieht es auch so, dass Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, bewusst angeworben, hier qualifiziert werden sollen. Die Landesregierung hat versucht, das auf die Flüchtlinge umzumünzen. Das halten wir auch nicht für richtig, denn da sind wir wieder bei dem Punkt, den ich eben angesprochen habe: Wir müssen gezielt für uns nach Menschen werben und suchen, die wir für die Bedarfe des Landes brauchen. Und da scheint uns der Bund zumindest in diesem Punkt auch recht zu geben.

Zum Schluss also drei Säulen, die es braucht, um den Fachkräftebedarf im Land mit Blick auf 2030 zu decken. Das ist eine riesige Aufgabe, die von uns liegt. Wir sehen, Menschen werden älter, damit steigen auch zum Beispiel Bedarfe für Pflege, da steigen Bedarfe in Gesundheitsversorgung. Auf der anderen Seite fehlen sie in der Wirtschaft, in der Verwaltung. Das heißt, wir müssen das angehen, deswegen sind wir auch dafür, die Anträge heute hier an den Ausschuss für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft zu überweisen, um dort dann weiter zu diskutieren und nicht nur Anträge zu verabschieden, sondern zum Schluss auch konkrete Maßnahmen umzusetzen. Wir haben das im letzten Landeshaushalt schon mit Anträgen begleitet und werden das auch in Zukunft tun. Von daher freue ich mich dann auf die Diskussion im Ausschuss und danke für die Aufmerksamkeit. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bühl. Ich rufe jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Pfefferlein auf.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, wir haben heute hier vier Anträge liegen für ein wirklich wichtiges Thema, es wurde ja schon von den Vorrednerinnen angesprochen. Der Aufschlag war der Antrag von der CDU „Heimat für Fachkräfte – Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel ergreifen, Thüringens Zukunft sichern“. Es wurde schon viel gesagt, aber eine Sache können wir wirklich nicht verleugnen, dass auf uns ein riesengroßes Problem zukommt. Nämlich in Thüringen werden bis 2035 386.000 Menschen in Rente gehen. Und wir haben leider nicht so viele Jugendreserven, die da nachrücken. Übersetzt heißt das, auf 100 Personen, die in Rente gehen, kommen noch 50 Arbeitsfachkräfte hinzu. Und das können wir einfach nicht kompensieren. Im Durchschnitt stehen in Deutschland dafür 70 Menschen bereit, in Baden-Württemberg sind es sogar 80. Sie sehen also, nirgends in Deutschland ist es so niedrig wie hier.

Versetzen wir uns in das Jahr 2035 und nehmen wir mal an, dass 100 Menschen in den wohlverdienten Ruhestand gehen – was da theoretisch leer bleibt, in den Supermärkten, in den Krankenhäusern, in den Pflegeeinrichtungen, im Automobilwerk usw. Es ist eine nicht schöne Vorstellung, aber wir wissen es schon lange, dass das so kommen könnte.

Deshalb müssen wir gute Anreize schaffen. Das ist natürlich nicht so einfach zu beantworten und das ist auch ein riesengroßes Problem. Und wenn wir den oben beschriebenen Arbeitskräftemangel abpuffern wollen, dann müssen wir jedes erdenkliche Potenzial nutzen, umwerben, hegen und pflegen, was wir für unser Bundesland bekommen können. Dafür müssen wir allen Menschen, die sich für Thüringen, für den Arbeitsmarkt interessieren, gute Angebote machen. Dazu gehören eben gute Aus- und Weiterbildungsangebote, die allen dafür infrage kommenden Personen gleichermaßen zur Verfügung stehen.

Ja, ich gebe Ihnen Recht, Herr Bühl, die Anerkennungsverfahren in Thüringen könnten an der einen oder anderen Stelle schneller gehen. Aber das reicht eben auch nicht. Wir müssen auch gute Antworten auf Verdienstmöglichkeiten geben und wir müssen den Menschen, die hierherkommen, die auf der Flucht vor Krieg, Seuchen sind, gute Bedingungen anbieten, dass sie sich auf unseren Arbeitsmarkt konzentrieren können, und auch gute Angebote schaffen.

Diese ganzen Sachen müssen wir noch weiter diskutieren. Darauf werden wir hier heute keine Antworten finden. Das habe ich jetzt auch gemerkt. Aber ich finde es gut, dass wir uns dieser Debatte stellen, auch

gemeinsam, und auch nach Lösungen suchen, denn wir sind es einfach den Kindern und Jugendlichen, die hier in unserem Land wohnen, auch schuldig zu sagen, dass wir gute Möglichkeiten bieten, gute Perspektiven in jede Richtung, und dass es auch Spaß macht, in unserem schönen Bundesland zu arbeiten und sich hier weiterzuentwickeln. Deshalb danke ich allen, die sich hier an den Anträgen beteiligt haben, und freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Pfefferlein. Für die Gruppe der FDP rufe ich jetzt Abgeordneten Kemmerich auf.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauer auf der Tribüne und sicherlich auch noch ein paar Interessierte an den entsprechenden Möglichkeiten, hier teilzunehmen! Fachkräftemangel, demografischer Wandel, das sind ja schon seit langer Zeit durchaus Mega-Themen. Ich kann mich noch an die Zeit vor ungefähr zehn Jahren erinnern, als auch da wieder von der Seite hier links von mir noch Ausbildungszwangsabgaben gefordert wurden. Da tobte schon sehr erkennbar der War for Talents um die besten Leute, denn wer eben vor 16, 18 Jahren nicht geboren worden ist – wir hatten es heute schon mal –, konnte nun mal keine Lehre beginnen. Insofern ist das Problem eigentlich seit Langem bekannt und umso verwunderlicher ist es, dass wir jetzt alle beklagen und es anpacken – in meinen Augen teilweise viel zu spät.

Ich wiederhole es gern noch mal: Ich glaube, wir müssen an die Gesellschaft auch wieder andere Leistungsparameter stellen. Da ist eben nicht die Antwort – das führt eben auch zu einer Verschärfung des Fachkräftemangels –: Verkürzung der Arbeitszeit. Fehler. Selbst Frau Nahles, inzwischen Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, hat inzwischen gesagt, die Rente mit 63 ist ein Irrweg. Als sie mal losgetreten wurde, rechnete man mit 1,5 Millionen Menschen, die die Rente mit 63 in Anspruch nehmen. Nach meinen Kenntnissen sind es jetzt weit über 2,1 Millionen Menschen. Rente mit 63 heißt, talentierte Menschen mit einem großen Wissensschatz haben die Arbeitswelt verlassen und überwiegend haben wir diese Menschen nicht ersetzen können. Insofern haben wir viele Probleme hausgemacht. Und jetzt müssen wir halt sehen, wie wir da wieder anpacken können. Deshalb glaube ich, wir müssen mehr arbeiten, wir müssen digitaler arbeiten und an alle die, die immer meinen, man müsste zum Arbeiten anwesend sein: Nein, müssen wir nicht, man muss was leisten, es muss was rauskommen.

(Beifall Gruppe der FDP)

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Was? Ich habe es nicht verstanden!)

Tja, sehen Sie mal, Herr Dittes, können Sie noch viel bei mir lernen.

Da fangen wir mal bei unserem Lieblingsthema an, da sind wir gerade bei Ihnen, deshalb müssen wir eben auch an die öffentliche Verwaltung rangehen. Ich habe viele Bürgermeister und Verantwortliche im öffentlichen Bereich, die sich dafür feiern: Toll, wir haben dieses Jahr 50 neue Lehrlinge eingestellt. Ich fordere Sie gern mal auf: Kommen Sie mit mir zu 50 Gewerbebetrieben, 50 Handwerksbetrieben, die keinen Lehrling haben. Und die, die keinen Lehrling haben, zahlen die Steuern, mit denen wir gerade hier versuchen Politik zu machen. Die verdienen unsere Unterstützung und die weitere Unterstützung der öffentlichen Hand. Ich wiederhole es gern: Da sind Riesenpotenziale dabei im öffentlichen Bereich, 18.000 Menschen – jedenfalls nach Auskunft des Thüringer Beamtenbundes –, die in der nächsten Zeit in den Ruhestand gehen. Also ha

ben wir die Riesenchance, auch die Kritik des Rechnungshofs aufzunehmen, endlich eine Aufgabenkritik zu machen und den Bereich „öffentliche Verwaltung“ neu zu organisieren, schlanker zu organisieren, digitaler zu organisieren und damit für die Beschäftigten der öffentlichen Hand und für die Kunden, also die Bürger, serviceorientierter und leichter erreichbar zu gestalten. Das wäre eine Riesenaufgabe, mit der wir ein großes Problem der Fachkräfte für Thüringen schon mal mildern könnten, nur mildern könnten.

(Beifall CDU, Gruppe der FDP)

Wir sprachen – Kollege Bühl hat es gerade gesagt – über die Frage, wie wir die Leute, die Menschen, die zurzeit hier in Thüringen sind, in Arbeit bringen können. Wir haben eine Unterbeschäftigung – konnten wir die Tage noch hören – von 84.000 Menschen. Davon sind nicht alle nicht arbeitsfähig. Da müssen wir sehen,

welche Talente die haben, wie wir die an den Arbeitsmarkt heranführen. Und ob da ein vergabespezifischer Mindestlohn von 14 Euro oder auch der Mindestlohn von 12 Euro sinnvoll ist – alles ist besser, als zu Hause zu hocken und Geld zu kriegen. Wir müssen den Anspruch stellen: Brauchen die Leute, die jetzt hier sind, wirklich für jede Tätigkeit in Thüringen B2? Ist es noch sinnvoll – die Bundesregierung hat sich ja durchgerungen, die Möglichkeit, Arbeit aufzunehmen, von neun Monaten auf sechs Monate zu reduzieren. Das ist mir immer noch viel zu lang. Wer arbeiten kann, muss vom ersten Tag an machen dürfen und auch können. Wir müssen es auch abverlangen. Wenn jemand aus unserem Sozialetat Geld erhält, dann müssen sie auch in Arbeit gehen und deshalb ist es die Frage: Wer entscheidet das besser? Ich glaube, immer noch der Unternehmer, der sagt: Ich kann den-/diejenige für die Erbringung meiner Dienstleistungen brauchen meiner handwerklichen Dienstleistungen und anderen Dienstleistungen, dann soll er auch bitte bei uns anfangen.

(Beifall Gruppe der FDP)

Insofern gibt es eine Menge, was wir von Thüringen aus machen können. Und als Schlusswort muss ich Frau Karawanskij zitieren, die Anfang der Woche gesagt hat, der Bevölkerungsrückgang wäre eine Chance für den Arbeitsmarkt. Der Bevölkerungsrückgang ist eine Last für uns als Volkswirtschaft, denn wenn immer weniger Leute zur Verfügung stehen, um das zu erreichen, was wir heute unser Bruttosozialprodukt in Thüringen nennen, dann ist es ein schlechter Weg für Thüringen. Deshalb sollten wir alles tun, um dieses Bruttosozialprodukt tatsächlich zu steigern, ohne den bekannten Song zu zitieren. Da ist es so, dass wir mit den Leuten, die wir haben, einfach effektiver und mehr für die gute Sache machen müssen, nämlich für die Erlangung von Wohlstand und Fortschritt und damit Zukunft für Thüringen. Herzlichen Dank.

(Beifall Gruppe der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kemmerich. Für die Fraktion Die Linke hat sich Frau Abgeordnete Güngör zu Wort gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Einbringung bin ich schon auf mehrere Einzelmaßnahmen unseres Alternativantrags eingegangen. Deswegen würde ich jetzt noch mal zwei grundlegende blinde Flecken betonen wollen, die wir beim Antrag der CDU-Fraktion sehen. Der erste ist ganz offensichtlich, weil wir aktuell in Thüringen und auch in Gesamtdeutschland ein grundlegendes Problem hinsichtlich des Umgangs mit Migrantinnen und geflüchteten Menschen haben.

Herr Bühl, Sie hatten das, glaube ich, als Missverständnis formuliert. Ich würde es wirklich eher als eine Frage der Haltung formulieren, denn einerseits zu sagen, wir brauchen Fachkräfte, wir wollen eine gezielte Anwerbung, und andererseits zu verkennen, dass diejenigen, die aus einem Asylanspruch nach Deutschland gekommen sind, auch Arbeits- und Fachkräfte sind und darstellen können, zeigt schon, dass es eine Gegenüberstellung ist, bei der mal wieder rechte Narrative insofern bedient werden, als wir eine Zweiklassenkategorisierung machen in diejenigen, die wegen Asyl hierherkommen, und diejenigen, die wir aktiv wegen unseres Arbeitsmarktes und seiner Bedarfe angeworfen. Das ist Punkt 1, der problematisch daran ist.

Und Punkt 2, der problematisch daran ist: Es wird irgendwie immer ganz gern mal vergessen, das ist weiterhin auch eine simple Nutzen-Argumentation von Menschen. Also wir wollen nur diejenigen, die uns auf irgendeine Art und Weise nützen. So eine Art des Nutzen-Alltagsrassismus wird vor allem dazu führen,

(Abg. Kemmerich)

dass sich viele Menschen hier in Thüringen eben kein Leben vorstellen können und sich hier kein Leben mit ihren Familien aufbauen werden. Deswegen glaube ich, dass unser Alternativantrag hier sehr deutlich jeden einzelnen Menschen mit seinen oder ihren Potenzialen in den Mittelpunkt stellt.

Der zweite blinde Fleck Ihres Antrags – Forderung der CDU-Fraktion nach einer pauschalen Absage der Landesregierung, eine 4-Tage-Woche oder Vorschläge für eine steuerfreie Anerkennung von Mehrarbeit: Das sind alles antiquierte Ideen, die die Ursachen des Arbeits- und Fachkräftebedarfs verkennen. In die Richtung war jetzt auch, ich sage mal, üblicherweise Herr Kemmerich unterwegs, der über die Erhöhung des Renteneintrittsalters philosophiert hat. Ich fand es schön, Sie haben gesagt – ich habe es mir mitgeschrieben –, wir müssen mehr arbeiten. Vielleicht nehmen Sie das doch mal für Ihre eigene Parlamentarische Gruppe ganz ernst, was Sie da gesagt haben, statt immer nur veraltete Forderungen zu wiederholen, die keine Lösung darstellen. Denn, wenn wir uns angucken, worin das Problem begründet liegt: Es sind schlechte Arbeitsbedingungen, es ist eine Mehrarbeit, es sind prekäre Arbeitsbedingungen statt guter Arbeit. Beschäftigte gehen eben dann aus Ihren Jobs raus, wenn die Arbeitsüberlastung zu hoch ist, wenn die Personalschlüssel unzureichend sind, wenn immer alles auf Kante genäht ist und man sich fragen muss, Mist, jetzt geht es in den Herbst und Winter, wenn die Kollegin/der Kollege ausfällt, wie viel anstrengender wird dann heute mein Arbeitstag. Das sind alles Probleme, mit denen man seinem Job im Fall der Fälle den

Rücken kehrt und eben auch Thüringen den Rücken kehrt. Deswegen wollen wir genau hier ansetzen, dass Menschen gut und gern hier arbeiten und hier leben und hier leben bleiben wollen. Und gute Arbeit wird dabei der Goldstandard sein, an dem sich die zukünftige Bewältigung des Arbeits- und Fachkräftemangels bemisst. Denn gute Arbeit bedeutet eben, gern zu meiner Arbeitsstelle zu gehen, nicht nur als Humankapital angesehen zu werden oder als Verschiebemasse benutzt zu werden, sondern als konkretes Individuum mit vielfältigen Biografien und Talenten. Und gute Arbeit bedeutet eben auch, dass ich durch meine Arbeit gut leben kann, also, dass wir unsere Tarifbindung erhöhen müssen, dass ich einen gerechten Lohn für meine Arbeit erhalte, anstatt einen immer noch größeren Niedriglohnsektor, den wir in Thüringen leider historisch bedingt haben, weiter auszubauen.

In dem Sinne freue ich mich auf die Debatte in den Ausschüssen. Ich glaube, es ist noch gar keine Ausschussüberweisung beantragt worden bisher, deswegen würde ich das doch zumindest für die Anträge von CDU, von Rot-Rot-Grün und von FDP an den zuständigen Arbeitsausschuss vornehmen wollen. Den Antrag der AfD, der vor diversen Rassismen nur so strotzt, werden wir natürlich ablehnen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Güngör. Aus den Reihen der Abgeordneten sehe ich jetzt keine Wortmeldungen mehr. Frau Ministerin Werner, bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, welche Auswirkung der demografische Wandel auf unsere Fachkräfteentwicklung hat, das ist hier in vielen Teilen schon dargestellt worden. Es gab schon viele Zahlen. Ich will vielleicht eine Zahl nennen, die, wie ich finde, sehr beeindruckend ist und auch noch mal viel nachvollziehbarer für viele Menschen, warum die Probleme doch recht groß sind und wir denen begegnen müssen. Wir werden bis 2035 20 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung verlieren – 20 Prozent weniger Menschen, die erwerbstätig sein werden – und gleichzeitig wird der Anteil derjenigen, die über 66 sind, die also älter werden, die entsprechende Betreuung, Unterstützung usw. brauchen, steigen.

(Abg. Güngör)

Diese 20 Prozent weniger erwerbstätige Bevölkerung werden sich natürlich in allen Bereichen auswirken. Das tut es zum Teil jetzt schon, aber es wird auf jeden Fall prekärer werden. Das wird in der Industrie, im Handwerk eine Rolle spielen, natürlich auch im Bereich der Dienstleistungen, bei Gesundheit und Pflege, aber natürlich auch in der öffentlichen Verwaltung. Es ist also eine Dramatik, der wir uns stellen.

Um noch mal eine andere Zahl zu nennen, unsere neue Fachkräftestudie: Nach den Projektionen, die dort vorgenommen wurden, würden bis 2035 rund 140.000 Arbeitsplätze wegen fehlender Arbeitskräfte nicht mehr besetzt werden können – 140.000, das zeigt, dass es ein Risiko ist für unser Land, auch für die Produktivität unserer Wirtschaft.