Protocol of the Session on June 1, 2023

Und das spüren die Leute, dass sie da in eine Überforderung hineingeraten und das nennt man dann auch Abgehängtsein.

Fachkräfte: Ich kann es nicht verstehen, dass unser Ministerpräsident sich dafür feiert, dass auf 100 Auszubildende – also 100 Leute, die einen Ausbildungsplatz suchen – 140 Stellen kommen. Da ist nichts Gutes an der Nachricht. Denn am Ende bleibt, dass 40 Stellen unbesetzt sind.

(Beifall Gruppe der FDP)

Und was soll ich dem Mittelstand denn antworten, was soll ich aber auch dem Kunden antworten, der vielleicht seine Heizung sanieren will, wenn

der Sanitärunternehmer keine Lehrlinge mehr hat? 40 fehlen, die Tendenz wird steigen. Wir müssen eben auch mal überlegen, ob wir unsere Verwaltung richtig organisiert haben, gehen die an die richtigen Stellen, wo gehen denn Jugendliche heute hin. Ich muss die Stellen doch besetzen, die die Wirtschaft braucht, die für unsere zukünftige Entwicklung wichtig sind. Auch damit sollte eine Landesregierung sich nicht schmücken, das, was Herr Ramelow immer so schön UTP nennt, heißt ja eigentlich TiP – Tag in der Praxis – und das ist eine Initiative der Akteure vor Ort, der IHKs, der Unternehmen im Nordthüringer Raum. Bitte, nicht mit fremden Federn schmücken, auch das hinterlässt ja bei den Akteuren vor Ort einen bitteren Beigeschmack.

(Beifall Gruppe der FDP)

(Zwischenruf Abg. Schubert, DIE LINKE: Herr Kemmerich, waren Sie denn jemals in der Polytechnischen Oberschule? Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden!)

Ich weiß sehr wohl, wovon ich rede. Hören Sie zu, da lernen Sie noch was mehr dazu.

(Beifall Gruppe der FDP)

Also die berühmten Stadt-Land-Unterschiede: Die Bürger im ländlichen Raum sind deutlich unzufriedener als in den Städten, das ist nun mal Fakt. In allen kreisfreien Städten liegt die Breitbandversorgung übrigens bei 90 Prozent, in allen Landkreisen unter dieser Schwelle. Finde die Ursache, warum die Leute unzufriedener sind! Das sind einfach Tatsachen.

(Zwischenruf Abg. Bilay, DIE LINKE: Was ist denn jetzt Ihre Analyse?)

Versorgung mit Supermärkten: Das ist eine bemerkenswerte Feststellung im Monitor, dass die Menschen im Landkreis Sömmerda gegenüber den Menschen in Jena im Durchschnitt das Vierfache des Weges zurücklegen müssen, um Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs zu erwerben. Auffällig hoch ist auch in den ländlichen Kreisen der Anteil derjenigen Befragten, die mit dem Angebot an Hausärzten überhaupt nicht zufrieden sind – 15 Prozent. Noch deutlicher zeigen sich die StadtLand-Unterschiede bei der Erreichbarkeit von Fachärzten. Wie schon 2019 bestehen signifikante Mittelunterschiede zwischen kreisfreien Städten und den Landkreisen. Insofern, wir müssen das sehr ernst nehmen und nicht immer sagen, wir spielen da was gegeneinander aus. Unternehmen machen Kundenbefragungen und sagen, okay, ich richte mein zukünftiges Handeln danach aus, sonst habe ich die Abstimmung mit den Füßen. Und das erle

ben wir gerade hier. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir die regionalen Unterschiede stärker in den Blick nehmen und versuchen, auszugleichen, auch ernst nehmen und das nicht einfach so wegwischen. Forderung nach Transparenz und Aufbereitung der Problemfelder – die sind da, das ist Realität. Und nicht, wenn die Ideale nicht mehr passen, dann passe ich die Realität an. Das wird nicht funktionieren.

Ich komme jetzt noch zu etwas ganz Wichtigem und Dringendem: Wir müssen unsere politische Kultur in der Auseinandersetzung verbessern.

(Zwischenruf Abg. Bilay, DIE LINKE: Das sagt der Richtige!)

Kollege Hey hat es mit Recht gesagt: Man muss auch mal eine andere Meinung aushalten, und das, ohne laut zu werden, ohne ausfällig zu werden, ohne direkt zu schimpfen. Man muss auch wirklich versuchen, bei der – was man auch immer nennt – Wahrheit zu bleiben.

Herr Höcke – er ist ja leider nicht mehr da –, ich halte es für völlig abwegig und aus der Luft gegriffen, davon zu sprechen, dass man Journalisten kaufen kann, wenn man ihnen ein Honorar zahlt für die Moderation einer Veranstaltung.

(Beifall Gruppe der FDP)

Das ist doch lächerlich. Dafür lässt sich kein Mensch kaufen, für die 3 Euro oder was auch immer gezahlt wird. Und wenn Sie dann noch sagen, Lina E. ist einfach auf freien Fuß gesetzt worden, ist auch das an den Haaren herbeigezogen. Lina E. ist unter Auflagen auf freien Fuß gekommen. Herr Braga, Sie wissen das besser.

(Beifall Gruppe der FDP)

Die Auflagen sind: Ihr ist der Pass weggenommen worden, sie muss sich zweimal die Woche melden und sie darf den Wohnsitz nicht ändern. Das gilt nur so lange, bis Rechtskraft für das Urteil eintritt. Das ist Rechtsstaatlichkeit und die ist zu akzeptieren.

(Zwischenruf Abg. Braga, AfD: Sie darf wei- ter studieren!)

Wenn Sie das schlechtreden – Sie können das nicht gutheißen, aber bleiben Sie wenigstens bei der Wahrheit, sagen Sie, was passiert ist, dann können wir darüber reden, wie man es bewertet.

(Beifall Gruppe der FDP)

(Unruhe AfD)

Irgendwie ist bei Ihnen die Freude groß über die Dysfunktionalität, aber einen konkreten Ansatz,

(Zwischenruf Abg. Cotta, AfD: Wenn sie bei Ihnen vor der Tür steht, dann reden Sie aber anders!)

etwas zu verbessern für unser Land Thüringen, höre ich von Ihnen überhaupt nicht.

(Beifall Gruppe der FDP)

(Zwischenruf Abg. Braga, AfD: Wir hatten ja einen Ministerpräsidenten von der FDP, der wollte aber nicht!)

Herr Hey, bei allem Respekt für den überwiegenden Teil Ihres Vortrags, wenn wir aber die politische Kultur und die Diskussionskultur verbessern wollen, dann muss man auch darauf reflektieren, wenn wir im Jahr 2011 diesen Ausstiegsbeschluss machen, dann ist es uns doch unbenommen, zwölf Jahre später schlauer zu sein. Wir stehen nach einem begründeten Risiko, Gas aus Russland zu bekommen, einfach vor dem Problem, Energie nicht ausreichend zur Verfügung zu haben. Deshalb haben sich CDU und vor allen Dingen wir entschieden, zu sagen, wir revidieren die Auffassung aus 2011 und sagen, heute wäre es schlauer, die friedliche Nutzung der Kernkraft fortzusetzen. Dann hat man keine Oppositionsdemenz oder redet über Schrottmeiler – das sind übrigens die sichersten Meiler, die in Europa stehen –, sondern man hat sich einfach nur eines Besseren besonnen. Das sollte unserer politischen Kultur innewohnen. Das drückt auch Respekt aus und wird uns wahrscheinlich wieder Respekt außen verschaffen. Danke schön.

(Beifall Gruppe der FDP)

Als Nächste erhält für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Abgeordnete Rothe-Beinlich das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste auf der Tribüne, es ist schon eine lange Debatte heute und es ist immer nicht einfach, quasi als Letzte in diesem Reigen zu reden. Trotzdem will ich an erster Stelle einen ganz ausdrücklichen Dank aussprechen, nämlich an Marion Reiser und ihr Team für die fundierte Analyse, die sie uns mit diesem Thüringen-Monitor einmal mehr vorgelegt hat

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und die gerade für uns als Politikerinnen und Politiker, aber, ich glaube, auch für die gesamte Gesellschaft von unschätzbarem Wert ist. Wir diskutieren

(Abg. Kemmerich)

mittlerweile den 22. Thüringen-Monitor und manche erinnern sich auch noch, warum der Thüringen-Monitor überhaupt ins Leben gerufen wurde. Ich bin sehr froh über diese Initiative, die ja einer schlimmen Tat entsprang, das muss man ganz klar sagen, nämlich dem Angriff auf die Erfurter Synagoge. Ich bin sehr froh, dass wir diese Langzeitstudie haben, denn die gibt es sonst in keinem anderen Bundesland so in der Form, bei der nämlich politische Einstellungen von Bürgerinnen und Bürgern erhoben werden. Das ist in der Tat einmalig und das sollten wir zu schätzen wissen. Dass die AfD das nicht schätzt, das wissen wir. Mit Björn Höcke haben wir ja einmal mehr den personifizierten Angriff auf das Grundgesetz heute hier erlebt. Viel mehr will ich zu ihm auch gar nicht sagen.

Vielleicht noch mal zur Einordnung der Analyse, die heute tatsächlich auf dem Tisch liegt. Die aktuelle Erhebung fand im vergangenen Herbst statt. Und wenn wir uns erinnern, wie die Situation da war, dann prägten diese Zeit ganz besonders die Energiekrise, der Energiepreisschock, auch die höchste Inflation seit mehr als 70 Jahren, ebenso auch die fortschreitende Klimakrise. Zudem lag die Befragung noch vor dem Inkrafttreten und Wirken zahlreicher abfedernder Maßnahmen der Bundesebene, die es ja ganz klar und nachweisbar gibt. Die Erhebung fand also vor dem Hintergrund einer sich aus politischen, ökonomischen und ökologischen Dimensionen zusammensetzenden Vielfachkrise statt, und dementsprechend müssen die Befunde natürlich auch gelesen werden.

Außerdem gibt es durchaus Ergebnisse des Thüringen-Monitors, die uns beunruhigen müssen und die ganz unbedingt unserer politischen Aufmerksamkeit bedürfen und auf die ich heute natürlich auch in aller Kürze eingehen möchte. Zwar ist die Zustimmung zur Demokratie als Staatsform und auch zu den staatsferneren Institutionen wie zum Beispiel Gerichten und Polizei gleichbleibend hoch, und das ist ein gutes Ergebnis, das will ich ganz klar auch vorwegschicken, aber die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger – einige meiner Kollegen sagten es hier ja auch schon – mit dem Funktionieren der Demokratie selbst, ist auf ein besorgniserregendes Niveau gesunken. Der starke Rückgang mit der Demokratiezufriedenheit kann sicherlich auch mit einer – ich nenne es mal – Normalisierung angesichts extrem hoher Zustimmungswerte zur Demokratie während der Coronapandemie erklärt werden, denn da hatten wir nämlich einen anderen Befund, und das muss man natürlich auch immer wieder mit in den Blick nehmen. Ein Absinken der Demokratiezufriedenheit um 17 Prozent, so ist nämlich der Befund, ist eine alarmierende Zahl. Wir alle wissen schließlich – jedenfalls die demokratischen

Fraktionen – aus der Geschichte, was mit Gesellschaften passieren kann, die das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen verlieren. Wenn die aktuelle Entwicklung in Thüringen noch nicht zu einer relevant stärkeren Unterstützung für andere Regierungsformen geführt hat, bedeutet das in allererster Linie, dass die Zustimmung zur Politikpraxis abnimmt, und diese Entwicklung kann – da bin ich ganz bei Matthias Hey – tatsächlich niemanden zufriedenstellen. Das muss uns zu denken geben, außer, man macht es sich vielleicht so leicht wie Mario Voigt, der ja leider jetzt nicht mal mehr da ist. Ich verweise hier aber gern auch noch mal auf die Autoritarismusstudie für ganz Deutschland, die uns da auch sehr deutliche Befunde liefert. Es hängt sicher nicht zuletzt auch damit zusammen, wie sich das politische Miteinander – auch das war ja jetzt hier schon Thema – gerade auch hier in Thüringen in den letzten Monaten verändert hat. Der Ton, das politische Klima sind deutlich rauer geworden, die Auseinandersetzungen auch um vermeintlich weniger relevante Themen werden immer schärfer geführt. Aussagen werden verdreht, auch vor Falschinformationen wird nicht zurückgeschreckt, schon geeinte Punkte werden kurz vor knapp wieder über den Haufen geworfen, und das alles nur, um einen parteipolitischen Punkt zu machen. Ja, da schaue ich jetzt sehr konkret in die relativ gelichteten Reihen der Oppositionsfraktionen, das muss man auch mal ganz klar sagen, auf deren Stimmen wir ja aufgrund der aktuellen politischen Situation immer wieder angewiesen sind. Sie agieren nur noch mit Schlagworten, vorhin wieder. Sie sprechen immer von der Ramelow-Regierung, und auch das ist eine Verkürzung, die so schlichtweg nicht stimmt und die einfach nur dazu dient, mit Schlagworten Stimmung zu machen. Das kann und darf aus unserer Sicht jedenfalls nicht sein. Politik, die sich nur um parteipolitischen Schlagabtausch und nur um möglichst öffentliche Show dreht, festigt eben nicht das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Vielmehr verstärkt sie das Gefühl, dass sich Politik nicht um die tatsächlichen Probleme der Menschen kümmert und sich stattdessen nur noch um sich selbst dreht, und das will tatsächlich niemand hören. Auch uns selbst geht das ja mitunter auf die Nerven.

Die Sondersituation in der Minderheitsregierung, in der wir ja auch durch den von Ihnen, Herr Kemmerich und Herr Voigt – beide nicht mehr da –, verursachten Dammbruch erst geraten sind, verlangt eben auch von der Opposition, sich für Lösungen einzusetzen und nicht nur für billige Schlagzeilen auf Bildzeitungsniveau. Da ist eine Enthaltung zum Haushalt eben leider keine Haltung, das muss ich Ihnen auch noch mal ganz deutlich sagen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

So was hilft nur der AfD, das hat ja auch mein Kollege Hey schon ausgeführt, und wenn Ihnen Thüringen wichtig ist, dann sollten Sie tatsächlich schnellstmöglich zu einer konstruktiven Oppositionspolitik zurückkehren, die Sie ja, Herr Voigt, zumindest in Ihrer Pressearbeit für Ihre Partei immer wieder beanspruchen. Sie sind ja leider nicht da.

Besorgniserregend sind im Übrigen auch die Ergebnisse zu den demokratischen Einstellungen der Thüringerinnen und Thüringer. Zwar bleiben die rechtsextremen Einstellungen mit 12 Prozent auf dem Niveau des Vorjahres, und somit ist die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nicht rechtsextrem eingestellt, aber die Zustimmungswerte – und da muss ich jetzt ein bisschen mehr ins Detail gehen – zu abwertenden Aussagen über ethnische, kulturelle oder auch soziale Minderheiten sind wieder angestiegen. Das Problem heißt ganz oft Rassismus. Das ist auch eine Wahrheit, die wir hier benennen müssen, beispielsweise zu der Aussage, die Bundesrepublik sei im gefährlichen Maße überfremdet oder – Zitat – die Ausländer kämen nur her, um den Sozialstaat auszunutzen. Wir müssen aufpassen, dass diese Entwicklung bei den aktuell hohen Zuzugszahlen von Geflüchteten aufgrund des Ukrainekriegs – es ist nämlich keine Kriegsrhetorik gegen Russland, sondern Russland führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Auch das ist etwas, was man noch mal klarstellen muss.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Gruppe der FDP)

Das wird so einfach in einer Rede der AfD mit fallen gelassen. So entstehen übrigens auch Fake News. Also diese hohen Zuzugszahlen von Geflüchteten müssen wir zur Kenntnis nehmen und wir wissen, dass es weltweit noch sehr viel mehr Krisen gibt, die Millionen von Menschen zur Flucht zwingen. Ich sage es noch mal: Kein Mensch flieht freiwillig.

Außerdem stützen die Ergebnisse des ThüringenMonitors auch die These, dass negative Einstellungen gegenüber Migrantinnen und Migranten eben nicht auf persönlichen Erfahrungen oder Eindrücken beruhen, sondern auf abstrakten und medial vermittelten Ängsten und Vorurteilen. Auch hier haben wir gerade als demokratische Politikerinnen und Politiker eine besondere Verantwortung, diese eben nicht noch zu verstärken, so wie es leider regelmäßig gerade auch aus den Reihen der CDU passiert, sondern zu erklären und zu vermitteln. In Thüringen erleben wir gerade, dass sich die Debatte um Migrantinnen und Asylsuchende und der Diskurs rund um Integration und Weltoffenheit

immer weiter nach rechts verschieben. Mir macht das große Sorgen. Migrantinnen- und migrantenfeindliche Aussagen der AfD werden fast salonfähig und nahezu inhaltsgleich von CDU-Politikerinnen übernommen, wie vorhin ja auch noch mal von Prof. Voigt vorgetragen. Wenn Herr Voigt in der Landespressekonferenz – jetzt ist er wieder da, wie schön – letzte Woche Mittwoch sagte, dass es Geflüchtete gibt, die nur aufgrund des guten Standards nach Deutschland kommen, die sich ihren Scheck abholen und dann weg sind, und das ohne irgendwelche empirischen Belege, dann unterstützen Sie genau solche Entwicklungen und Vorurteile. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.

Beim besten Willen ist für mich jedenfalls schon lange nicht mehr erkennbar, wofür das C in der CDU stehen soll. Und wenn uns die FDP in einer Pressemitteilung erklärt, wie wichtig es ist, möglichst schnell und möglichst viele Asylsuchende abzuschieben, dann entfernen auch Sie sich von den Grundlagen unserer Verfassung.

(Zwischenruf Abg. Montag, Gruppe der FDP: Ja, ja!)