Protocol of the Session on January 26, 2017

Damen und Herren Abgeordnete, sesshafte wenige Besucher, meine sehr verehrten Damen und Herren! Große Anfrage „Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Thüringen“, 98 Seiten; 161 Fragen wurden beantwortet und jetzt so am Ende der Debatte, um halb acht abends, soll man einen Weg finden, das als Wirtschaftsminister in irgendeiner Weise zusammenzufassen oder seine Erkenntnisse daraus zu ziehen. Ich würde die Überschrift wählen: Thüringen – viel erreicht, viel zu tun. Ich bin der CDUFraktion dankbar, dass sie die Große Anfrage gestellt hat, weil wir im Ministerium relativ wenig zu tun hatten und so haben wir uns gefreut,

(Heiterkeit und Beifall CDU, SPD)

dass wir die Antworten zusammentragen dürfen. Nein, der entscheidende Punkt ist, auch wenn es

(Abg. Korschewsky)

heute spät ist, wenn die Öffentlichkeit vielleicht nicht so viel Kenntnis davon nimmt, es gibt uns die Gelegenheit, über den Wirtschaftsstandort zu diskutieren und auf der anderen Seite denen hohen Respekt und Dank zu zollen, die für diese wirtschaftliche Entwicklung verantwortlich zeichnen. Und das will ich am Anfang tun.

Wenn die Vorredner, bis auf Herrn Möller von der AfD-Fraktion, die positive Entwicklung gewürdigt haben, dann hängt das zuallererst – und auch das ist angeklungen – mit der Leistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusammen, mit den Unternehmerinnen und Unternehmern, die Arbeitsplätze schaffen und Rahmenbedingungen geben; dann hängt das damit zusammen, dass es eine gute Ausbildung gegeben hat, quer über den gesamten Bildungsweg, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen in der Verschränkung mit der Wirtschaft sehr erfolgreich agiert haben. Aber, und das würde ich gerne den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zurufen: Es hängt auch damit zusammen, dass die Politik auf verschiedenen Ebenen kluge Entscheidungen gefällt und die Rahmenbedingungen gesetzt hat,

(Beifall DIE LINKE, SPD)

die für diese Entwicklung nötig waren. Ich darf den Dank nicht nur an mein Haus richten, das die Anfrage bearbeitet hat, nicht nur an ein Ministerium, nicht an viele Ministerien, die hier zugearbeitet, sondern – da fällt mir kein Zacken aus der Krone – ich danke den Vorgängerregierungen, ich danke den Landtagsabgeordneten – ich spreche von der Zeit 1990 bis jetzt –, die dafür gesorgt haben, dass Thüringen sich so hervorragend entwickelt hat,

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass das Geld gut angelegt wird, dass wir im Maßstab der neuen Bundesländer, aber auch insgesamt so gut vorangekommen sind. Ich danke den Gesellschaften, die Wirtschaftsförderung betrieben haben, denjenigen, die das finanzieren, denjenigen, die jetzt den Gründern unter die Arme greifen seit vielen Jahren. All denen ist dieser Erfolg Thüringens zu verdanken. Wir haben wirklich viel erreicht und ich brauche mich eigentlich nicht lange bei diesem Thema aufzuhalten. Ich möchte aber ein paar kurze Bemerkungen machen.

Das Erste ist: Ich wünschte mir, dass die Thüringer Bevölkerung – das meint die Menschen allgemein, aber auch die Unternehmen – mehr stolz auf das ist und davon redet, was geschafft wurde.

(Beifall CDU, SPD)

Wir sind immer noch ein wenig zu defensiv. Die Hidden Champions, die sind nicht im Scheinwerferlicht. Unsere Erfolge werden oftmals nicht gesehen, zumindest nicht vermarktet.

Das führt mich zu Herrn Möller von der AfD. Das ist genau der Tenor, den wir in Thüringen nicht gebrauchen können. Ich stehe jedem kritischen Wort offen gegenüber, aber diese Miesmacherei – alles ist schlecht, immer nur die Zahlen herauszuziehen, die, wenn man sie richtig dreht und wendet, das Negative aufzeigen – nimmt uns diesen Stolz und damit die Kraft, die Herausforderungen der Zukunft anzunehmen.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich wünsche mir, dass wir offensiv mit dem umgehen, was wir geschafft haben.

Ich spreche auch noch einmal das Unternehmertum an. Wir reden immer von Mittelstand – eigentlich kein schönes Wort. Es geht um Familienunternehmen, es geht um inhabergeführte Unternehmen, es geht um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in relativ kleinen Einheiten zusammenarbeiten. Ich wünschte, dass wir mehr dafür tun, dass einerseits Unternehmertum mehr an der Tagesordnung ist, und auf der anderen Seite den jungen Menschen zurufen: Setzt euch auf den Hosenboden, besteht die Schule gut, macht eine gute Berufsausbildung, damit ihr für die zukünftigen Herausforderungen gewappnet seid, denn die sind nicht leicht!

(Beifall CDU, SPD)

Meine Vorredner haben beschrieben, wo Thüringen steht. Ich werde nicht müde zu betonen, dass das Bruttoinlandsprodukt Ost zu West oder Thüringen zu Bayern nicht das einzige Kriterium sein darf. Wir haben es gehört: Wenn zum Beispiel der Umsatz, die Wertschöpfung in Thüringen deutlicher über dem ostdeutschen Durchschnitt liegt, was das Wachstum anbetrifft, deutlich über einer Fülle von westdeutschen Ländern, ist das auf der Habenseite, ist das gut. Wenn der Industriearbeitsplatzbesatz deutlich höher ist als in allen anderen ostdeutschen Ländern, also auch in Sachsen, und weit über vielen westdeutschen Ländern liegt, ist das gut. Wenn die Arbeitslosigkeit deutlich niedriger ist als in anderen ostdeutschen Ländern, deutlich niedriger als in vielen westdeutschen Ländern, ist das gut – die Zahlen sind aufgeführt worden. Wir haben eine hervorragende Ausgangsposition, auf der wir aufbauen können. Aber die Kategorie der Zufriedenheit darf es in der Politik nicht geben, weil „zufrieden“ heißt: Ich lehne mich zurück, bin zufrieden im Sinne von Ausruhen und erkenne nicht die Herausforderungen und werde nicht aktiv.

Aus diesem Grund möchte ich meine Redezeit dafür nutzen, deutlich zu machen, wo die schwierigen Herausforderungen liegen, die wir gemeinsam mit der Wirtschaft, mit Industrie, Handwerk, Handel, Dienstleistung zu bestehen haben. Ich weiß nicht, ob Sie zufällig die „Truthahn-Illusion“ kennen oder – um ein deutsches Tier im Vergleich zu nennen –

(Minister Tiefensee)

die der Weihnachtsgans. Der Mensch neigt dazu, in der Regel rückwärts zu schauen und mal in die Zukunft vielleicht bloß ein Jahr. So macht das auch der Truthahn, der schaut immer zurück und merkt, wie er gefüttert wird, wie es immer besser wird, immer schöner wird.

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Und dann guckt er in die Röhre!)

Dann guckt er in die Röhre, dann kommt Thanksgiving oder Weihnachten und dann plötzlich ist es vorbei. Dieses etwas scharfe, überzeichnete Bild wähle ich nicht etwa, weil ich den Teufel an die Wand malen will oder schwarzsehen will, aber ich sehe schon auf die Thüringer Wirtschaft, auf die deutsche Wirtschaft Herausforderungen zukommen, die wir ins Auge fassen müssen, wollen wir auch in der Zukunft bestehen.

In Thüringen: Wir haben einige Branchen, denen geht es nicht so gut bzw. denen wird es in der Zukunft nicht gut gehen, wenn sie sich nicht neu positionieren. Ich mache mir Sorgen um die Automobilzulieferer, ich mache mir Sorgen um die Tourismusbranche. Wir müssen hier wirklich intensiv arbeiten, um diese Branchen fit für die Zukunft zu machen. Wir arbeiten hart daran, haben Konzepte vorgelegt, unterstützen finanziell, haben Maßnahmenpläne erarbeitet, setzen uns mit den Playern, mit den Betroffenen zusammen. Aber ich bitte Sie ausdrücklich, auch Ihr Augenmerk darauf zu richten. Wir müssen uns den Fragen des Fachkräftemangels oder eines Fachkräfteengpasses und den Fragen der Unternehmensnachfolge zuwenden. Das ist eine Aufgabe, die gesamtgesellschaftlich zu sehen ist. Das sind die Reservoirs in Deutschland, in Thüringen, die wir heben müssen: Familie und Beruf, Langzeitarbeitslosigkeit, Schulabbrecher, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Frage der Auspendler. Das müssen wir lösen, indem wir um höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, damit die Leute hierbleiben. Das müssen wir lösen, indem wir die Unternehmen dazu anhalten, aber auch die politischen Rahmenbedingungen setzen. Wir brauchen Einwanderung, wir brauchen ein Einwanderungsgesetz. Wenn wir das nicht bekommen, werden wir die Lücke nicht schließen können. Wir müssen Unternehmen anhalten, produktiver zu sein. Ich sehe mit Sorge auf die Innovationskraft Thüringens, es ist angesprochen worden. Ich würde gern Herrn Bühl in Bezug auf die Digitalisierung zurufen, dass das natürlich – wie er es völlig zu Recht ausgeführt hat – eine der Grundvoraussetzungen, das Rückgrat für die Innovation, für Digitalisierung, für Wirtschaft 4.0 ist. Wir geben jetzt im Rahmen der kommenden Fördercalls bis zum Jahre 2019/ 2020 mehrere zig Millionen, um diese Förderprogramme gegenzufinanzieren und um unser Ziel – Herr Bühl, er merke auf, wenn er es dann liest – zu erreichen, bis 2019 flächendeckend 50 Megabit pro Sekunde und an den sogenannten Points of Inte

rest 1 Gigabit und mehr zu haben; das sind Gewerbegebiete, das sind Unternehmen, das sind Krankenhäuser, Verwaltungen, Universitäten, Schulen, die mit wesentlich höheren Bit-Raten ausgestattet werden müssen. Wir müssen im WLAN-Bereich vorankommen. Hier sind die Weichen gestellt. Wir werden bis zum 28.02. alle diejenigen aus den Gemeinden und Landkreisen heraus gestellten Anträge abgeben können und ich gehe davon aus, dass es nahezu 100 Prozent sind, bis auf diejenigen, die nicht wollen, und das sind sehr wenige.

(Beifall CDU)

Ein nächstes Thema ist das der Internationalisierung, es ist angesprochen worden. Ja, wir sind hier nicht gut. Die Exportquote ist zu niedrig. Wenn ich am Sonntag in die USA gehe, wenn ich in den letzten Monaten mit einer Delegation aus Wirtschaftsund Wissenschaftsvertretern unterwegs war, dann geht es genau darum, uns auf Messen zu präsentieren wie jetzt auf der Optikmesse in San Francisco, Venture-Capital zu bekommen, so wie wir das in Palo Alto versuchen wollen, wie wir das in Israel versucht haben. Da geht es darum, präsent zu sein, Kooperationspartner zu finden, Käufer, Märkte zu erschließen. Wir haben eine Außenwirtschaftsstrategie, die dieses Ziel in Angriff nimmt.

Und ein nächstes Thema ist das der Investitionen. Auch hier meine dringende Bitte an die Unternehmen, die Zeichen der Zeit zu erkennen, das Zeitfenster, in dem wir mit relativ niedrigen Zinsen, hohen Förderquoten und Absolutbeträgen unterstützen können. Da sind wir nicht schlecht. Da komme ich zu den Aussagen, die seitens der CDU, seitens Herrn Bühl zu den Gründungen und zu den Unternehmen gesagt worden sind. Bitte sehen Sie nicht nur auf die reinen Zahlen, wie viele Unternehmen gibt es, wie viele haben sich neu angemeldet, wie viele sind vom Markt verschwunden. Beim Thema „Gründungen“ geht es nicht darum, den dritten Friseurladen in der Straße zu gründen, sondern es geht um wirtschaftsrelevante, innovative Gründungen. Da sind wir an Platz 2 und das wird uns in der Zukunft die Basis schaffen, die wir dringend brauchen.

Natürlich müssen wir die demografische Situation berücksichtigen. Gott sei Dank müssen nicht mehr so viele Langzeitarbeitslose in Ein-Mann-Unternehmen in eine Gründung gehen. Was die Gewerbeabmeldungen anbetrifft: Wir haben Gott sei Dank eine Verschmelzung von Unternehmen, wir haben ein Wachstum aus den Unternehmen heraus und eine ganze Reihe von Neuanmeldungen. Wir unterstützen das mit unserer Großflächeninitiative. Ich gebe viel Geld, sauer erspartes Steuergeld, aus der EU, aus Berlin und aus Thüringen in die Entwicklung von Gewerbegebieten, in die Investitionen, in Maschinenparks, Neuinvestitionen, Erweiterungsinvestitionen, damit wir hier zulegen können. Wir sind

(Minister Tiefensee)

hier sehr erfolgreich und ich bitte den Landtag, uns auch in Zukunft im Haushalt 2018/2019 dabei zu unterstützen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, viel erreicht, viel zu tun! Ich richte ganz kurz den Blick über den Tellerrand Thüringens hinaus, fordere vom Bund, dass wir ein Strukturprogramm, einen – wenn Sie so wollen – Solidarpakt III für die strukturschwachen Gebiete in ganz Deutschland brauchen,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass wir eine steuerliche Forschungsförderung brauchen, dass wir die Wettbewerbsbedingungen verbessern müssen, indem wir ein einheitliches Netzentgelt in Deutschland schaffen. Wir müssen Sorge dafür tragen, dass wir die Frage der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Langzeitarbeitslosigkeit, auch in der Zukunft angehen – Stichwort: soziale Einheit vollenden –. Ich richte meinen Blick darüber hinaus nach Europa. Ich habe Sorge, was die Solarbranche angeht. Wir brauchen nach wie vor die Zollregelungen zu China. Als nächste Branche ist die der Fahrradverleiher dran. Die Chinesen wollen uns mit Fahrrädern überschwemmen. Wir brauchen, was den Brexit anbetrifft, Antworten, die auch für Thüringen akzeptabel sind. Denken Sie daran, dass Arbeitsplätze in der Automobilindustrie – Stichworte: Opel, Vauxhall – daran hängen. Und wir müssen die Kontakte zu den USA und zu Russland weiter aufrechterhalten, obwohl die politischen Rahmenbedingungen nicht besonders günstig sind.

Meine Damen und Herren, wenn wir das alles zusammennehmen, dann, denke ich, haben wir eine gute Basis; wir kennen die Herausforderungen. Ich möchte an die CDU ausdrücklich noch mal die Bitte richten, uns kritisch zu begleiten, weil wir am Ende alle in einem Boot sitzen – das machen Sie auch ohne Aufforderung, kann ich mir vorstellen –, ich bitte ausdrücklich darum, damit wir untergehakt und Ärmel aufkrempelnd die Thüringer Wirtschaft weiter

voranbringen. Danke für die Anfrage, danke, dass Sie Ihren Beitrag dazu jetzt und in der Vergangenheit geleistet haben! Vielen Dank.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. Ich schließe die Aussprache, und wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe, ist vom Abgeordneten Bühl die Fortsetzung der Beratung im entsprechenden Fachausschuss – das wäre der für Wirtschaft und Wissenschaft – beantragt worden. Wer diesem Wunsch folgen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. Das sind die Stimmen aus der CDU-Fraktion und der verbliebenen AfD-Fraktion.

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: In dem Fall würde es aber passen, ihn als fraktions- losen Abgeordneten zu bezeichnen!)

Die Gegenstimmen bitte. Die Gegenstimmen aus den Reihen der Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und der SPD. Damit ist dieser Antrag abgelehnt. Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass die nächste Sitzung des Thüringer Landtags morgen um 14.00 Uhr beginnt und – wie Sie ja alle hoffentlich wissen – um 10.00 Uhr unser Festakt zum Gedenken stattfindet. Bis dahin einen guten Nachhauseweg!

(Beifall SPD)

Ende: 19.44 Uhr