Protocol of the Session on November 10, 2016

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bürgerbeteiligung hat eine große Rolle gespielt. Noch nie wurde ein Reformvorhaben des Landes so tiefgründig, umfassend und breit debattiert wie die Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Herr Ku- schel, Herr Kuschel, das kann man sich ja nicht anhören!)

(Unruhe CDU)

So umfassend, überall! Jeder von uns ist in jeder Woche sicherlich mehrfach bei Veranstaltungen, wo darüber debattiert wird. Und das ist ein Beleg dafür, dass sich Bürgerinnen und Bürger eingeladen fühlen, sich in diese Debatte einzubringen. Und sie diskutieren heftig.

(Unruhe CDU)

Was Sie natürlich nicht zur Kenntnis nehmen wollen: Dass sie immer weniger das Ob diskutieren, sondern nur noch das Wie. Die Bürgerinnen und Bürger und viele Kommunalpolitiker sind viel weiter als Sie.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben erkannt, dass sich etwas bewegen muss. Deshalb geht es jetzt darum, wie eine solche Reform umgesetzt wird. Ich gehe dann noch darauf ein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Mohring hat von einem geschlossenen Beteiligungsprozess gesprochen. Die CDU hat tatsächlich die Debatte von Anfang an blockiert, indem sie beispielsweise in den Kreistagen initiiert hat, dass dort Beschlüsse gefasst werden, dass alles so bleiben soll, wie es ist,

(Unruhe CDU)

und damit natürlich auch eine Tür für eine öffentliche Debatte zugeschlagen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Abg. Mohring)

Wie ernsthaft sich Rot-Rot-Grün der Debatte stellt, zeigt auch das Gesetzgebungsvorhaben für mehr Demokratie auf kommunaler Ebene. Zum ersten Mal können jetzt Bürgerinnen und Bürger auch im Rahmen eines Ratsbegehrens über solche Fragen wie Gebietsreform abstimmen, dass also die Gemeinderäte Vorschläge oder Entscheidungen sofort an die Bürgerschaft übergeben können. Das haben Sie jahrelang blockiert. Das hätte schon längst geschehen können. Insofern ist auch hier der Vorwurf, dass wir angeblich keine Bürgerbeteiligung wollen, einfach hinfällig.

(Beifall DIE LINKE)

Oder Bürgergutachten: Sie stellen sich dem Dialog im Bürgergutachten gar nicht, Sie nehmen nicht mal teil. Das führt bei den Beteiligten zu Irritationen, weil natürlich das Gespräch mit den Vertretern der Landtagsfraktionen auch in diesem Bürgergutachten wichtig ist, weil es dort wichtig ist, unterschiedliche Positionen zur Kenntnis zu nehmen. Aber da sind Sie als CDU nicht dabei. Sie verweigern die Debatte und beschweren sich hier oder machen hier ein Gespenst auf, dass wir angeblich Bürgerbeteiligung nicht wünschen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ganz gruselig wird es, wenn der Fraktionsvorsitzende der CDU selbst bei diesem Thema die AfD aufwertet. Liebe Leute, so wichtig ist diese rechtspopulistische Partei nicht, bei der Gebietsreform schon gar nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Zu meinen, das Wahlergebnis von MecklenburgVorpommern ist ausschließlich mit rechtspopulistischen Positionen oder mit Gebietsreformen in dem Spannungsverhältnis zu erklären, ist sehr verkürzt. Die CDU muss wissen, welches Verhältnis sie zu dieser Partei aufbaut. Klar, es gibt immer wieder Signale einer schleichenden Annäherung, aber dann versuchen Sie nicht, das am Thema „Gebietsreform“ festzumachen, sondern positionieren Sie sich, setzen Sie sich mit den Inhalten dort intensiver auseinander.

Die CDU nimmt für sich in Anspruch, immer für die kommunale Familie zu sprechen – offenbar aber nicht, vielleicht für Teile, aber doch bitte schön nicht als Ganzes! Das ist anmaßend. Wer hier im Landtag blockiert, kann kein Partner für die Kommunen sein, denn die Kommunen brauchen einen Gesetzgeber, der sehr zeitnah und effizient auf Entwicklungen reagiert. Das tun wir in vielerlei Hinsicht.

(Beifall Abg. Krumpe, fraktionslos)

Leute, die immer nur im vergangenen Jahrhundert verharren wollen, die können kein Partner für die kommunale Ebene sein.

(Zwischenruf Abg. Holbe, CDU: So ein Schwachsinn!)

Da sind viele Gemeinderäte, die das im Ehrenamt machen, viel weiter als Sie als bezahlte Politiker.

Meine Damen und Herren, die ausschließliche Fokussierung der Debatte auf Personal ist auch ein neoliberaler Ansatz, der sich als Irrweg herauskristallisiert hat. Immer wieder zu fordern, den Landeshaushalt nur über Personalabbau irgendwie in die Reihe zu bekommen, verkennt, dass sich der Aufgabenkatalog des Landes und der Kommunen ständig ändert. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, wie wir diese Aufgaben so effizient wahrnehmen, dass wir sowohl die Leistungsfähigkeit sichern, aber vor allen Dingen Potenziale für Investitionen freimachen. Das ist das eigentliche Problem. Wir haben gegenwärtig ein Verhältnis von Personalkosten zu Investitionen von vier zu eins. Wir geben also viermal so viel für Personal aus, anstatt für Investitionen. Dieses Verhältnis muss verändert werden, nicht durch einseitigen Personalabbau, sondern durch andere Strukturen, um Gelder in den öffentlichen Haushalten freizubekommen, um die Investitionsquote zu erhöhen. Das ist eben ein anderer Ansatz. Das unterscheidet uns, weil wir nicht mehr neoliberal im vergangenen Jahrhundert verweilen, sondern dieses Land fit machen, und dazu gehört eine entsprechende mittelfreie Entwicklung für die entsprechenden Investitionen.

Meine Damen und Herren, die Alternative der CDU, die Leistungsfähigkeit auf kommunaler Ebene nur mit mehr Geld zu produzieren, geht völlig am Leben vorbei. Ich werde nicht müde, das am Hilfspaket 2015 zu verdeutlichen: 135 Millionen, eine fast unvorstellbare Summe, darin enthalten waren 18,71 Euro Investitionspauschale für alle Gemeinden. Wir haben 571 Gemeinden, zwei Drittel aller Gemeinden mit weniger als 1.000 Einwohnern. Das heißt, dort ist eine Summe von weniger als 20.000 Euro angekommen. Da kann man tatsächlich Türen und Fenster aufmachen und das Geld rausschmeißen. Damit bekommen wir dieses Land nicht fit. Es ist ein strukturelles Problem. Deshalb brauchen wir andere Strukturen, um auch die Finanzströme zwischen Land und Kommunen effizienter zu gestalten. Wer darin keine Effizienzpotenziale erkennt, der hat sein Recht, für dieses Land verantwortungsbewusste Politik zu machen, eigentlich verspielt.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine Damen und Herren, zu viel Geld versickert gegenwärtig in diesen Strukturen. Jetzt hat Herr Mohring auch auf Neugliederungen in dem Zeitraum der letzten Legislaturperiode verwiesen, also von 2009 bis 2014, er hat auch die Zahlen genannt. Wenn man sich aber diese Strukturveränderungen anschaut, haben Sie erhebliche raumordnerische

und landesplanerische Verwerfungen erzeugt, die wir jetzt wieder korrigieren müssen.

(Zwischenruf Abg. Korschewsky, DIE LINKE: Sonneberg!)

Ich will die Beispiele mal nennen. Das Beispiel, Kollege Korschewsky, ist auch dabei: Amt Wachsenburg und Arnstadt, das hat in der Region ein Spannungsfeld erzeugt, das nur sehr schwer und wahrscheinlich auch wieder mit viel Geld zu korrigieren ist, ohne dass wir der Region aber auch nur einen Nutzen produziert haben. Oder Barchfeld-Immelborn-Bad Salzungen – eine klare Abwehrfusion gegenüber dem Mittelzentrum Bad Salzungen, aber Bad Salzungen hat eine Brückenfunktion zwischen der Rhön, dem Thüringer Wald und Eisenach. Wer das Mittelzentrum Bad Salzungen stärkt, hängt eine ganze Region ab, den ganzen ländlichen Raum. Die CDU wird aber nicht müde, immer wieder zu betonen, sie ist angeblich für die Stärkung des ländlichen Raums. Ich stärke aber nicht den ländlichen Raum, indem ich ständig die Zentren in ihrer Entwicklung hemme. Es ist immer ein Wechselspiel. Oder – das wurde so genannt – die Eingemeindung Oberland nach Sonneberg. Damit hat zwar Sonneberg jetzt einen Zugang zum Rennsteig, aber in der Region gibt es raumordnerische Verwerfungen und seit dieser Eingemeindung hat Sonneberg erhebliche finanzielle Probleme, weil es sowohl die Infrastruktur des ständigen Verdichtungsraums finanzieren muss als auch die hohe technische Infrastruktur in einem großen ländlich geprägten Bereich. Das kann nur schiefgehen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Das war alles andere als wegweisend. Im Übrigen hatte die damalige Koalition von CDU und SPD im Jahr 2011 – es war offenbar der 15.12. – in einem Entschließungsantrag genau diese Dinge ausgeschlossen und wollte das Land zukunftsfähig machen. Damals stand Weiterentwicklung der Verwaltungsgemeinschaft durch Abschaffung. Die amtierende Ministerpräsidentin hat noch im Oktober 2014 erklärt: Wenn es zur Fortsetzung der Koalition zwischen SPD und CDU kommt, wird sie innerhalb von 100 Tagen einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Verwaltungsgemeinschaften vorlegen. Jetzt frage ich mich: Was hat sich denn seit diesem Zeitpunkt geändert? Nur eins, dass die CDU jetzt in der Opposition ist, und deshalb will sie an diesem Instrument, das lange Zeit seine Daseinsberechtigung hatte, was jetzt aber Hemmnis ist, weiterhin festhalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Mohring weiß offenbar auch nicht, was eine Anhörung ist, seine Rede hat das deutlich gemacht. Die Funktion der Anhörung in einem Ausschuss dient dazu, Sachverständige zu hören, nicht vorrangig die Landesregierung. Wir als Ausschuss und als Landtag haben jederzeit die Möglichkeit, in den

Dialog mit der Landesregierung zu treten. Aber eine öffentliche Anhörung mit einem vollen Zuschauersaal und einer Vielzahl von Angehörten dazu zu nutzen, stundenlang die Landesregierung zu befragen, ist so in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen, meine Damen und Herren.

Die Reform, über die wir reden, hat Chancen und Risiken, das ist unbestritten. Das hat aber jeder komplexe Prozess so in sich. Alle komplexen Vorgänge haben immer Chancen und Risiken. Die CDU thematisiert im Wesentlichen nur die Risiken, ohne sich auch nur ansatzweise mit den Chancen zu beschäftigen. Wir haben einen anderen Ansatz. Wir stellen die Chancen in den Mittelpunkt, ohne die Risiken auszublenden. Über die Risiken muss man reden. Aber nur auf die Risiken zu verweisen, führt dazu, dass Sie nur eine Alternative bieten können, nämlich: Es bleibt alles so, wie es ist.

(Beifall CDU)

Mit der Alternative kann man sich nicht mehr ernsthaft auseinandersetzen. Sie führt nämlich dazu, dass Sie nur noch Politik mit Ängsten und Verunsicherungen machen. Herr Mohring spricht hier Verunsicherungen an – aber die schaffen Sie doch! Wir versuchen gemeinsam – Landesregierung und Landesbehörden – mit den Kommunen Fragen und Verunsicherungen, die klar da sind, Schritt für Schritt abzubauen. Da kommen wir sehr gut voran.

Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform betreiben wir jetzt parallel. Das ist richtig. In der Wissenschaft ist schon lange tendenziell entschieden, man sollte es nacheinander machen. Aber dann hätten wir spätestens 2009 in diesen Reformprozess einsteigen müssen. Das hat aber die CDU verhindert. Die CDU hat diesen Einstieg verhindert, die SPD wollte das. Erst durch die Wahlentscheidung 2014 sind wir in die Lage versetzt worden, diesen Reformprozess auf den Weg zu bringen, aber eben in einer verkürzten Zeit, und deshalb müssen wir es parallel machen. Das ist eine hohe Herausforderung an alle Beteiligten. Ich danke insbesondere den kommunalen Akteuren, die sich dieser Herausforderung stellen.

(Beifall DIE LINKE; Abg. Helmerich, SPD)

Ich erlebe, dass ganz intensiv darüber diskutiert wird: Wie können Aufgaben künftig wahrgenommen werden? Im Übrigen müssten wir auch über die Gebietsreform debattieren, selbst wenn wir keine Verwaltungs- und Funktionalreform machen würden, weil schon jetzt insbesondere in den Verwaltungsgemeinschaften und in den kleinen Gemeinden, aber auch in einigen Landkreisen die Aufgabenwahrnehmung an die Grenzen der Leistungsfähigkeit stößt. Also wir müssten so und so handeln. Jetzt kommt aber die Herausforderung der Funktional- und Verwaltungsreform noch hinzu. Die kommunale Ebene ist da sehr aufnahmebereit und Part

ner. Da hat Herr Mohring recht, das ist völlig unabhängig vom Parteibuch. Und zu Recht macht die kommunale Ebene auch auf Risiken aufmerksam. Damit müssen wir uns eben einfach auseinandersetzen und das machen wir. Das machen wir aber nicht, indem man Ängste schürt. Weil, wenn jemand Risiken befürchtet und dann noch auf eine Front von Ängsten stößt, dann kann es gar nichts werden. Man braucht auch eine optimistische Aussicht.

(Beifall DIE LINKE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Entscheidungsproblem. Selbst wenn wir die Reform jetzt noch mal schieben würden, hätten wir in zwei oder drei Jahren keine anderen Erkenntnisse. Die Erkenntnisse liegen alle vor. Wir müssen entscheiden. Die Erkenntnisse liegen deshalb vor, weil sich in der 4. Legislaturperiode eine Enquetekommission mit diesen Fragen beschäftigt hat. In der 5. Legislatur gab es eine Stellungnahme, die die Landesregierung in Auftrag gegeben hat – Herr Fiedler bezeichnet das immer als das sogenannte „Blaue Wunder“. Das ist sicherlich eine Überzeichnung, aber immerhin. Also wir haben ausreichende Erkenntnisse und deshalb müssen wir jetzt entscheiden. Und das ist klar: Rot-Rot-Grün hat diesen Mut, zu entscheiden. Und das überrascht Sie natürlich als CDU, weil Sie immer noch im alten Denken sind und dachten: Wir reden mal darüber, aber wir machen nichts. Und jetzt sind Sie alle völlig überrascht und sind mit dieser Rolle eigentlich nicht zufrieden, meine sehr geehrten Damen und Herren. Und Ihre eigenen Kommunalpolitiker lassen Sie ja zunehmend im Regen stehen und ganz allein. Ich will das betonen: Der Oberbürgermeister von Ilmenau hat selbst die Übergabe von Technik an die Einheiten des Katastrophenschutzes genutzt,

(Zwischenruf Abg. Mühlbauer, SPD: 32 Fahr- zeuge!)

ja! –, um eindeutig zu sagen: Ich bin Oberbürgermeister der CDU und ich finde die Reform, die RotRot-Grün macht, ganz vernünftig – ganz vernünftig.

(Zwischenruf Abg. Mühlbauer, SPD: Deshalb auch, ich war dabei!)

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Herr Fiedler war da in Uniform der Feuerwehr – er ist ja Feuerwehrangehöriger, da hat er immer meinen großen Respekt – und er musste dann ans Mikrofon und musste das also noch mal klarstellen, dass der Oberbürgermeister nicht für die CDU als Ganzes spricht. Das hat er auch für sich nicht in Anspruch genommen. Oder – der Innenminister hat es genannt – der Oberbürgermeister von Nordhausen, aber auch der Bürgermeister von Schleusingen – die haben schon die Verträge fertig,

Schleusingen mit Nahetal-Waldau und mit St. Kilian. Die warten nur darauf, dass sie sich zusammenschließen können. Und Sie tun hier so, als würde es nur Proteste gegen diese Reform geben.

(Unruhe CDU)