Protocol of the Session on July 5, 2019

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor Ihnen liegt ein Vergabegesetz, dass die großen Fragen der Zeit berücksichtigt. Es geht um Umweltschutz, die soziale Marktwirtschaft und es geht um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Zuletzt dürfen wir nicht vergessen, dass öffentliche Vergaben mit Steuergeldern finanziert werden. Unsere Bürger haben ein Recht darauf, dass wir mit ihrem Geld verantwortungsbewusst umgehen. Diese Verantwortung für die Bürger und unsere Umwelt nehmen wir wahr.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu unserem Gesetz. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Als Nächster spricht Abgeordneter Rudy von der AfD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, mit den beiden hier vorliegenden Entwürfen möchte die Landesregierung vorgeblich die Normen für die Vergabe von Aufträgen vereinfachen. Tatsächlich erschwert sie den Vergabeprozess für Unternehmen durch zusätzliche, nicht quantifizierbare Kriterien. Genau diese nicht quantifizierbaren Kriterien – wie zum Beispiel ökologische Kriterien – sind das Problem.

(Beifall AfD)

Wir wiesen darauf bereits bei der ersten Beratung des Gesetzes hin. In der Evaluierung des Vergabegesetzes durch die Landesregierung wird klar und deutlich geschrieben, dass 90 Prozent der öffentlichen Auftraggeber angaben, dass die Beschaffungsstellen nicht die personelle und institutionelle Fähigkeit haben, bei der Vergabe den Umweltschutz und die Energieeffizienz betreffende Aspekte stärker zu berücksichtigen. Zudem bewerten 60 Prozent der Vergabestellen die Aussage als zutreffend, dass sich die Forderung nach Berücksich

(Abg. Mühlbauer)

tigung von sozialen und umweltbezogenen Faktoren bei der Vergabe öffentlicher Aufträge negativ auf die Rechtssicherheit der Vergabeentscheidung auswirkt. Die stärkere Berücksichtigung sozialer und umweltbezogener Kriterien im Vergabegesetz kann also meistens überhaupt nicht umgesetzt werden und dort, wo es gelingt, führt die Berücksichtigung mehrheitlich zu einer rechtsunsicheren Vergabe des Auftrags.

(Beifall AfD)

Ihr Gesetz ist schlicht und einfach eine Mehrbelastung für die Thüringer Wirtschaft. Das immer komplizierter werdende Vergaberecht und die Professionalisierungsdefizite in den Vergabestellen erklären dann auch die hohe Anzahl von Nachprüfungen und ebenso die hohe Erfolgsquote in den Nachprüfungsverfahren.

Ich möchte noch einmal aus der Evaluierung zitieren: „Im Mittel […] sind in den Thüringer Verwaltungen nur zwei Mitarbeiter überwiegend im Bereich der Beschaffung tätig […]. […] lediglich 29 Prozent der Mitarbeiter in den Vergabestellen [sind] explizit für die Durchführung von Vergabeverfahren ausgebildet“. Daraus ergeben sich dann zwangsläufig wiederum die berechtigten zunehmenden Beschwerden sowohl aus der Unternehmerschaft wie aus den Vergabestellen selbst. Wir teilen diese Kritik.

(Beifall AfD)

Sie machen hier den gleichen Fehler wie bei der Inklusion. Sie stülpen Gesetzen Ihre ideologische Überzeugungen ohne jede Rücksicht auf die organisatorischen Bedingungen und Voraussetzungen über. Wie es dann mal in Schulen oder in dem Fall in Unternehmen umgesetzt wird und was es in der Praxis bedeutet, ist Ihnen völlig egal.

(Beifall AfD)

Und am Ende müssen dann die Beteiligten und Betroffenen irgendwie damit klarkommen und sich mit dem Ärger herumschlagen. Darum lehnen wir auch Ihre stärkere Berücksichtigung grüner Weltverbesserungsziele ab. Das Vergaberecht ist das falsche Mittel, um politisch motivierte Ziele durchzusetzen. Beim Vergaberecht darf es nur um Rechtssicherheit, Transparenz und Wirtschaftlichkeit in der Beschaffung gehen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Sie vergrößern den bürokratischen Aufwand durch zusätzliche Nachweispflichten und schrecken Unternehmen ab, die sich sonst an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen würden. Damit schaden Sie der Thüringer Wirtschaft und auch dem Thüringer Freistaat.

(Beifall AfD)

Letztlich schaden Sie damit immer auch den Thüringer Bürgern. Denn wenn Sie Unternehmer von Ausschreibungen abschrecken, wird es noch schwieriger, öffentliche Investitionen umzusetzen, mit entsprechend negativen Folgen für unsere heimische Infrastruktur.

Vielleicht dazu noch ein praktisches Beispiel: Gerade haben wir bzw. Sie den Haushalt für das Jahr 2020 verabschiedet und noch groß vorgetragen, wie viel Geld doch erneut in die Rücklage geflossen ist. Elegant sind Sie wie immer dem Fakt ausgewichen, dass das meiste Geld davon aus nicht getätigten Investitionen stammt. Und nun wollen Sie das Vergaberecht für öffentliche Investitionen noch einmal verkomplizieren. Abenteuerlich!

(Beifall AfD)

Anders stellt sich die Situation beim Aspekt des Mindestlohns im Vergaberecht dar. Die Kritik, dass ein spezifischer Mindestlohn im Vergaberecht das grundsätzlich geschützte Recht der Tarifparteien auf Verhandlungen zur Lohnfindung unterläuft, ist falsch. Der Staat beeinflusst die Lohnfindung immer. Einhergehend mit seiner Existenz stellt er Personal ein, entzieht dem privatwirtschaftlichen Markt dadurch Arbeitskräfte und wirkt gleich doppelt auf Angebot und Nachfrage ein. Meistens beeinflusst er also indirekt und in diesem Ausnahmefall direkt. Das ist auch notwendig. Im Durchschnitt verdient eine in Thüringen beschäftigte Person 76 Prozent des Lohns bzw. Gehalts einer westdeutschen Person. Das ist für uns ein inakzeptabler Zustand.

(Beifall AfD)

Hier hat auch der Freistaat Thüringen die Pflicht, seinen Beitrag zu leisten. Darum fordern wir einen Vergabemindestlohn, der um diese 24 Prozent höher liegt als der allgemeinverbindliche Mindestlohn. Dies wären aktuell jene 11,40 Euro, die nun auch die Koalition festschreiben will. AfD wirkt eben auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik und bereits aus der Opposition heraus.

(Beifall AfD)

Wir werden dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition wegen des Vergabemindestlohns zwar zustimmen, machen aber eins deutlich: Wenn Sie der Wähler verdientermaßen kleingemacht hat, werden wir die sonstigen vergabefremden Kriterien rigoros rausstreichen. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Danke schön. Als Nächste hat Frau Abgeordnete Hennig-Wellsow von der Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Guten Morgen, liebe Abgeordnete, sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich glaube, Frau Mühlbauer hat recht: Wir gehen heute einen ersten wichtigen Schritt, um tatsächlich die Beschäftigungsbedingungen für die Menschen im Osten vor allen Dingen einen Schritt voranzubringen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte mich dann doch zuallererst bei Wolfgang Tiefensee bedanken, bei den Fraktionen der SPD, der Linken und der Grünen, dass wir heute von einem Vergabegesetz sprechen können, das ein Novum in der Bundesrepublik ist. Das sollten wir heute hier doch mit großer Mehrheit beschließen.

Warum überhaupt? Wir haben 1.000 Euro weniger Lohn im Monat für Ostdeutsche im Schnitt. Wir haben in Erfurt, in einer Stadt – die größte Stadt und wahrscheinlich die einzige Stadt in Thüringen, die man tatsächlich als Großstadt beschreiben kann –, einen Anteil von etwa 40 Prozent der Menschen, die ein Haushaltseinkommen von 2.000 Euro haben. Das bedeutet doch, dass wir an den Beschäftigungsbedingungen anknüpfen müssen und dass wir alle Möglichkeiten, die wir als Politik in unserem eigenen Wirkungskreis haben, tatsächlich entfalten lassen müssen. Das bedeutet: Wenn wir im Land für die Vergaben des Landes andere Beschäftigungsbedingungen schaffen können, dann müssen wir das auch tun. Das ist unsere Verpflichtung.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich müssen wir als Land in den Vergaben eine Vorbildwirkung einnehmen. Wie wollen wir denn Unternehmen erklären, dass sie mehr als 9,19 Euro Mindestlohn zahlen sollen? Indem wir auch in die Vorleistung gehen. Es geht doch darum, dass alles, was mit Lohn zu tun hat, was Menschen in ihrem Erwerbsleben verdienen, dass all das Auswirkungen darauf hat, wie sie an der Gesellschaft teilhaben können, dass all das Auswirkungen darauf hat, wie sie sich im Alter pflegen lassen können oder ob sie in Altersarmut faktisch dahinsiechen, weil sie keine andere Möglichkeit mehr haben aufgrund ihres eigenen Einkommens – denn eine Grundrente

wollen Sie ja auch nicht –, dass also das Erwerbsleben entscheidend dafür ist, wie Menschen auch würdevoll altern können, auch in Thüringen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen bin ich schwer dafür, die Vorbildfunktion tatsächlich auch noch auszubauen – aber das steht auf einem anderen Blatt. Wer von Ihnen hier im Haus kann dagegen sein, dass die Leute, die tagtäglich zum Beispiel bei uns in den Büros unseren Dreck wegputzen, dass die Leute, die uns hier bewachen, dass die einen ordentlichen Lohn bekommen? Da kommt natürlich – Frau Mühlbauer hat es schon gesagt – noch einmal die Tarifbindung in Thüringen ins Spiel. 18 Prozent Tarifbindung, das kann nicht unser Anspruch sein. Deswegen haben wir gesagt, wir wollen zum ersten Mal ein Gesetz, in dem faktisch die Tür für Tariftreue geöffnet wird, in dem wir repräsentativ Tarifverträge ausweisen. Das ist ein Novum in der Bundesrepublik, für die Entlohnung Tariftreue einzuführen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch da hat natürlich die Wirtschaft, da haben die Unternehmen die Hand drauf. Tarifverträge werden ausgehandelt. Natürlich haben wir auch Tarifverträge, die uns zumindest als Linke von dem ausgehandelten Lohn her nicht befriedigen können. Deswegen haben wir auch breit verhandelt; ein Günstigkeitsprinzip bedeutet 11,42 Euro, wenn der repräsentative Lohn unter 11,42 Euro Vergabelohn liegt. Das ist ein Spitzenwert in Deutschland. Die Presse hat es heute auch schon geschrieben und formuliert. Aber 11,42 Euro ohne weitere Bedingung, das ist in der Anlehnung an die TV-L durchaus eine Hausnummer, die sich sehen lassen kann.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In aller Deutlichkeit: Ja, wenn ich die Möglichkeit hätte und wenn meine Fraktion die Möglichkeit hätte, dann würden wir auch weiter andere Löhne verhandeln wollen, dann würden wir die Kommunen mit in dieses Vergabegesetz verhandeln wollen, dann würden wir tatsächlich für die Bundesrepublik auch von hier aus andere Löhne verhandeln wollen. Das ist allerdings nicht unser Wirkungskreis, das muss man einfach berücksichtigen. Aber es gilt weiterhin: Wir brauchen einen Mindestlohn von über 13 Euro, um tatsächlich von existenzsichernden Löhnen zu reden, und auch das muss in dieser Debatte gesagt werden.

Ich will noch einmal in Richtung CDU sagen: Wer über viele Jahre hinweg Thüringen als Niedriglohn

land verkauft hat, wer Thüringen als Niedriglohnland gelabelt hat, ist dafür verantwortlich, dass wir große Kohorten an Arbeitnehmerinnen haben werden, die tatsächlich in Thüringen in Altersarmut leben werden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Und auch ein Mindestlohn von 9,19 Euro im Bund – also echt jetzt: 9,19 Euro? Davon die Stunde Arbeit einmal hochgerechnet – machen Sie das mal! –: Glauben Sie, davon kann ein Mensch seine Familie ernähren oder tatsächlich ein würdiges Leben führen? Ich fordere Sie daher auf, Ihrem Koalitionspartner, auch der SPD, an diesem Punkt zu folgen, um möglicherweise noch viel eher als angekündigt, 2021, den Mindestlohn im Bund zu erhöhen,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

weil wir hier über das Leben von Menschen reden. Insofern sollten Sie sich heute nicht beschweren. Ein Niedriglohnland darf Thüringen nicht mehr sein, sondern gute Arbeit, gute Arbeitsbedingungen und Löhne, von denen man leben kann, müssen der Maßstab dafür sein, wie wir mit Beschäftigten im Land umgehen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann kommt immer das Argument, dieses Gesetz wäre zu viel Bürokratie. Das ist einfach nicht wahr. Dieses Gesetz vereinfacht das Vergabeverfahren. Dieses Gesetz nützt der Wirtschaft, weil Dumpingpreise in den Vergaben, in den Angeboten nicht mehr möglich sind.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört, hört!)