Zum Änderungsantrag der Fraktionen Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen – erster –: Themenkomplex „Inklusion und individuelle Förderung“. Mit diesem Schulgesetz wird es keine Schulen ohne Schüler geben. Punkt. Schutz vor Mobbing und Diskriminierung steht bei uns ganz oben an. An zentraler Stelle im Gesetz sowie mit dem Entschließungsantrag, den mein Kollege Schaft zu diesem Themenkomplex hier vorgestellt hat, beauftragen wir alle Schulen, hier Maßnahmen zu ergreifen. Dies bekräftigen wir noch einmal mit dem gemeinsamen Auftrag an die Schulen, für Akzeptanz einzutreten und Mobbing und Gewalt an Schulen entgegenzutreten.
Die verbindliche Festschreibung der Entwicklungspläne für Inklusion schafft in Verbindung mit der Regelung zur Schulnetzplanung alle fünf Jahre die baulich-sächlichen und personellen Voraussetzungen, Gemeinsamen Unterricht weiter voranzubringen. Inklusion planmäßig und mit Augenmaß – das ist unsere Devise.
Die individuelle Förderung an allen Schulen wird dadurch gestärkt, dass an den Regelschulen, in den Gemeinschaftsschulen und Gesamtschulen die Anforderungsebenen, die zum Hauptschulab
schluss, Realschulabschluss oder zum Abitur führen, auch mit sonderpädagogischer Förderung und Nachteilsausgleich festgeschrieben werden.
Analog werden bei der Aufnahmeprüfung in Form des Probeunterrichts an Gymnasien – hier ganz neu – ebenso die sonderpädagogische Förderung und die erforderlichen Hilfsmittel mit berücksichtigt. Erstmals regeln wir auf gesetzlicher Basis die förderpädagogischen Gutachten. So halten wir den Anspruch auf Begutachtung innerhalb einer SechsWochen-Frist nach Antragstellung fest. Zudem sorgen wir für eine frühzeitige und rechtzeitige Erstellung von Erstgutachten vor Schuleintritt. So bleibt genug Zeit, um notwendige Vorbereitungen in der Schule, insbesondere im Gemeinsamen Unterricht, vor Beginn des Schuljahres in Angriff zu nehmen oder auch den Lernort Förderschule festzulegen. Zudem sollen Förderbedarfe, die bereits im frühkindlichen Bereich festgestellt wurden, dabei Berücksichtigung finden. Im Bereich Förderbedarf im Lernen können zukünftig Gutachten mit Beginn der Schuleingangsphase geschrieben werden. Schließlich werden die freien Träger durch gemeinsame Teams des MSD angemessen bei dem Feststellungsverfahren berücksichtigt. Der Elternwille wird wie nie zuvor bei der Lernortentscheidung doppelt gestärkt. Eltern sind Teil des Begutachtungsverfahrens und können auch einen Lernort über die Grenzen des örtlichen Schulträgers oder des Schulamtsbereichs anstreben. Wenn die Eltern jedoch den Besuch der Förderschule gar wohnortnah wünschen, können sie sich auch für diesen Lernort entscheiden.
Neben der pädagogischen Förderung wird auch der Anspruch der sonderpädagogischen Förderung zukünftig im Ganztag – eine wichtige Forderung, insbesondere der GEW – Berücksichtigung finden. Die Begrenzung der Doppelzählung – auch hierauf ist Kollege Tischner überhaupt nicht eingegangen – haben wir abgeschafft. Alle Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder mit Platzförderbedarf werden bei der Klassenmindestgröße gezählt.
Themenkomplex 2 – Mindestklassengrößen und andere Schulparameter: Sieben Schulträger erfüllen derzeit ihre Pflichten aus der kommunalen Selbstverwaltung heraus nicht, einen Schulnetzplan aufzustellen. Mancher dieser Schulnetzpläne ist mehr als 15 Jahre alt. Zukünftig müssen alle Schulträger die Schulnetzpläne alle fünf Jahre vorlegen und mit den Kreis- und Stadträten abstimmen. Bereits vor 20 Jahren wurde für die CDU-Landesregierung ein Gutachten angefertigt, das Schul- und Klassengrößen beschrieb und forderte. Wir regeln
jetzt genau dies für Thüringen, damit zukünftig Fachlehrer und Fachlehrerinnen vor jeder Klasse stehen. Thüringen ist hier – mein Kollege Hartung ist darauf schon eingegangen – das letzte Bundesland, welches das noch nicht hat. An den Grundschulen, die zukünftig auch einzügig geführt werden können, hat die erste einzurichtende Klasse eine Mindestgröße von 15 Schülerinnen, jede weitere einzurichtende Klasse eine Mindestgröße von 14. Alle weiterführenden Schulen sollen mindestens 20 Schülerinnen pro Klasse haben. Dabei werden Regelschulen grundsätzlich mindestens zweizügig geführt. Kleine Regelschulen, insbesondere im ländlichen Raum, die heute schon einzügig sind, können dies auch zukünftig bleiben. Gymnasien sollen hingegen mindestens zweizügig geführt werden. Die starren Mindestgrößen für die gymnasiale Oberstufe haben wir gestrichen. Um Schulstandorte zu sichern, kann die Oberstufe durch Schulkooperationen gemeinsam gestaltet werden. Zudem haben wir die Möglichkeit, im Kurssystem klassenübergreifend zu arbeiten, um zusätzlich das Wahlangebot in der Qualifikationsphase breit zu halten. Gemeinschaftsschulen sollen ebenso mindestens zweizügig sein, Gesamtschulen mindestens dreizügig geführt werden. Von den vorgegebenen Zahlen kann abgewichen werden. Dafür kann das TMBJS Ausnahmen genehmigen. Drei Jahre sollen die Schulen Zeit haben, um wieder die Mindestzügigkeit der Eingangsklassen zu erreichen.
Weitere Regelungen: Im Schuljahr 2021/2022 kann jeweils um 15 Prozent von den Mindestvorgaben, die ich gerade vorgetragen habe, nach § 41 a abgewichen werden. Mindestgrößen können aber auch – und das ist unser besonderes Anliegen – durch Schulkooperationen erreicht werden.
Themenkomplex 3 – Demokratisierung von Schule –: Gemeinschaftsschulentwicklung steht bei uns ganz oben. Nach den Regelungen im Entwurf der Landesregierung, insbesondere zur Umwandlung der Förderschulen und Gemeinschaftsschulen und einer Sechs-Monate-Regel für die Entscheidung des Schulträgers nach Entscheidung der Schulkonferenz, können Gemeinschaftsschulen noch besser demokratisch von unten wachsen. Wir schaffen die Möglichkeit, dass eine Schulkonferenz den Antrag auf Gründung einer Gemeinschaftsschule im Verbund an eine andere Schule stellen kann, an eine andere Schulkonferenz. Die Schulkonferenz der angefragten Schule entscheidet dann direkt.
Schülerinnen und Schüler erhalten mehr Informations-, Beschwerde-, Anhörungs- und Vorschlagsrechte. Zudem können sie sich an eine zentrale Ombudsstelle wenden, auch in persönlichen Ange
legenheiten. Schülerinnen und Schüler können sich auch zukünftig im sachlichen Zusammenhang vom Unterricht frei äußern. Wir stärken damit auch die Meinungsäußerungen, Meinungsfreiheit an den Schulen. Andere Bundesländer machen uns dies schon lange vor und es funktioniert.
Meinungspluralismus ist uns ebenso in schulischen Medien wichtig. So können nun mehrere Schülerzeitungen an einer Schule existieren. Wir ermöglichen erstmals die Einrichtung von Klassenräten. Der Klassenverband kann einmal monatlich zusammenkommen und über seine Angelegenheiten beraten sowie den Unterricht mit den Lehrern besprechen. Freistellungsmöglichkeiten für Schülerinnenvertretungen werden ausgeweitet.
Einen großen Schritt bildet die Einrichtung der zentralen Ombudsstelle. Diese besitzt einen Beratungs- und Informationsauftrag, ist unabhängig und weisungsungebunden und im Übrigen ein besonderes Anliegen der Landesschülervertreter.
Durch die Ermöglichung von mindestens zwei Vertrauenslehrerinnen pro Schule haben die Schüler die Möglichkeit zu differenzieren und engere Bindungen zu den Vertrauenspersonen aufzubauen.
Wir stärken mit diesem Gesetz auch die Schulkonferenz. So können zukünftig an den Grundschulen zwei Schüler der Klassenstufe 4, aber auch die Schulfördervereine an der Schulkonferenz beratend teilnehmen. Wir führen ein aufschiebendes Vetorecht ein. Wenn eine Statusgruppe eine Entscheidung nicht mitträgt, muss die Schulkonferenz in dieser Angelegenheit spätestens vier, längstens sechs Wochen danach neu entscheiden.
Wir erweitern die Entscheidungsrechte der Schulkonferenz unter anderem beim Unterrichtsbeginn im Einvernehmen mit dem Schulträger – was bisher bei der Lehrerkonferenz lag – über die schulinternen Grundsätze nach § 56 auf Grundlage des Überwältigungsverbots. Die Klassensprecherversammlung muss verpflichtend angehört werden vor Entscheidungen zur Pausenregelung, Pausenzeiten, schulinternen Grundsätzen, zu Wandertagen, Klassen- und Kursfahrten.
Ganz besonders wichtig ist meiner Fraktion auch die Transparenz in der Notengebung. Diese wurde gestärkt, indem die Bewertungsmaßstäbe und die Begründung der Notengebung zukünftig erläutert werden müssen.
Weitere Änderungen: Die Gesamtschulen wurden endlich zu einer eigenen Schulart im Schulgesetz aufgenommen.
Die Rahmenbedingungen sowie die Entwicklungsperspektiven für die Ganztagsschulen werden definiert. Die Schulsozialarbeit wird gestärkt und erhält einen eigenen Paragrafen. Wir schaffen auch weiter eine Verdoppelung der Stellen für Schulsozialarbeit mit dem 2020er-Haushalt. Ziel ist es, eines Tages – und zwar in naher Zukunft – tatsächlich multiprofessionelle Teams an den Schulen zu erreichen und an jeder Schule einen Schulsozialarbeiter zu implementieren.
Mit der Stärkung der Berufsorientierung und der arbeitsweltlichen Orientierung greifen wir insbesondere auch Forderungen der Kammern, der Gewerkschaften und Verbände mit auf. Gewerkschaften werden zukünftig fester Bestandteil dieses Prozesses, und zwar auch innerhalb der Lehrpläne. Bewährte kommunale Schulträgerschaften aus bestehenden Modellprojekten können beibehalten werden.
Vor allem die Schulträger haben sich gewünscht, informiert zu werden, wenn Evaluationen an ihren Schulen stattfinden, und möchten im Sinne der Schulentwicklung über dessen Ergebnisse Bericht erstattet bekommen. Diesem Wunsch werden wir mit diesem Schulgesetz auch folgen.
Mit dem neuen Schulgesetz schaffen wir Verbindlichkeit und Rechtssicherheit für eine bessere Fachlehrerversorgung bei der individuellen Förderung aller Kinder und Jugendlichen und für eine demokratische Schule. Von all dem findet sich im Entschließungsantrag der CDU, heute vorgelegt, nichts. Deswegen muss ich darauf auch nicht eingehen.
Thomas Morus hat einmal gesagt – das jetzt auch in Richtung des Kollegen Tischner, im Übrigen war Ihr Fraktionsvorsitzender während Ihrer gesamten Rede nicht im Plenum –: Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme. – Mit diesem Schulgesetz geben wir die Flamme weiter, Sie wollen die Asche behalten.
Ich bitte um die Annahme unseres Gesetzes und Entschließungsantrags und bedanke mich insbesondere bei den Mitarbeitern des Ministeriums und bei unseren eigenen Mitarbeitern der Fraktion, die diese Änderungsanträge abgestimmt haben. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete, liebe Gäste auf der Tribüne, herzlich willkommen! Wir haben in den zwei Anhörungen zum Gesetzesentwurf der Landesregierung umfängliche Kritik gehört. Nach der ersten Anhörung versuchte Bildungsminister Holter, seine eigenen Vorschläge als bloße Provokation darzustellen. Das, meine Damen und Herren, ist an sich schon peinlich genug.
Richtig ist, Sie mussten zum zweiten Mal von Ihren ursprünglichen Vorgaben für die Mindestgrößen von Schulen und Klassen abrücken, weil der Widerstand gegen die rot-rot-grünen Schulschließungspläne zu stark ist. Und das ist gut so. Herr Dr. Hartung, Herr Wolf, ganz ehrlich, an einem so schlechten Gesetzentwurf ist durch Änderungsanträge einfach nichts mehr zu retten.
Dass Sie zurückgerudert sind, war richtig. Nichtsdestotrotz bleibt das Ursprungsproblem erhalten. Ihr Gesetz führt weder dazu, dass an Thüringer Schulen mehr Unterricht erteilt wird, noch gewährleistet es die Qualität des Unterrichts. Und das ist doch eigentlich das Wichtige und das ist das, was gelöst werden müsste.
Stattdessen schafft Ihr Gesetz eine Reihe neuer Probleme. Was die Schulgrößen angeht, so haben Sie die Größenvorgaben gegenüber Ihrem ersten Entwurf abgesenkt. Der Thüringische Landkreistag formuliert, dieses Abrücken von Ihren ursprünglichen Plänen sei ein, ich zitiere, Frau Präsidentin, „notwendiger Schritt zur Vermeidung massiver Einschnitte in die Versorgung des ländlichen Raums mit staatlichen Schulangeboten“. Mit anderen Worten: Die vollkommene Katastrophe ist abgewendet, aber das, was Sie machen, ist noch lange nicht gut – im Gegenteil. Darüber hinaus kritisiert der Thüringer Lehrerverband, dass sich die Landesregierung an vielen Stellen vorbehält, Anpassungen durch Rechtsverordnungen vornehmen zu dürfen, zum Beispiel bei den Kooperationsmodellen, der Schulnetzplanung, den Schulbezirken und den Einzugsbereichen. Wenn der Thüringer Lehrerverband
Auch die Landeselternvertretung hat recht, wenn sie kritisiert, dass sich die jetzt vorgeschlagenen Schulgrößen nicht an Unterrichtsanforderungen, nicht an schulqualitativen Kriterien orientieren und deswegen nicht nachvollziehbar sind und daher abzulehnen sind.
Außerdem möchte ich auch noch einmal auf den Schulleiter des Osterlandgymnasiums in Gera aufmerksam machen, der wiederholt darauf hingewiesen hat, dass im Gesetz nicht klar ersichtlich ist, wie die Fahrzeiten der Schüler berechnet werden. Sollte dieses Gesetz heute beschlossen werden, ist zu befürchten, dass für betroffene Schüler die Fahrwege länger werden und im Übrigen nichts dafür getan wird, die Absicherung des Unterrichts zu gewährleisten.
Das ist eine vertane Chance und – ich sage es ganz deutlich – das ist auch die falsche Weichenstellung für die nächsten Jahre. Auch wenn es um das Thema „Inklusion“ und die Abschaffung der Förderschulen geht, ist Ihr Gesetzesentwurf – mit Verlaub – ein Trauerspiel. Sie, Herr Bildungsminister, rühmen sich öffentlich, sich des Reizwortes „Schulen ohne Schüler“ entledigt zu haben, doch Ihr Gesetzentwurf schwächt nach wie vor die Förderschulen und läuft auf eine mittelfristige Abschaffung dieser so wichtigen Schulart hinaus.