Protocol of the Session on October 13, 2011

Es hat jetzt das Wort der Abgeordnete Barth für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, politische Identität, Demokratieverständnis, Verbundenheit der Thüringer mit ihrer Heimat, all das wird jährlich einmal in schöner Regelmäßigkeit mit dem Thüringen-Monitor abgefragt. Den Anspruch an den Thüringen-Monitor formulieren die Autoren, denen ich auch im Namen meiner Fraktion für ihre Untersuchungen, für ihre Arbeit danke, auch höchstselbst. Sie - Zitat -: „hoffen, dass sie auch den politischen Entscheidungsträgern im Freistaat Anregungen für ihre Arbeit geben können.“ Dieser Hoffnung will ich mich ausdrücklich anschlie

ßen, auch wenn die heutige Debatte natürlich nicht viel mehr sein kann als eine erste Reflexion, insbesondere seitens der Fraktionen. Es war seit Montagabend nicht so viel Zeit, sich intensiv und ausführlich mit den doch sehr komplexen Fragen und natürlich auch den durchaus nicht immer ganz leicht zu verstehenden Antworten zu beschäftigen. Ich will das deswegen zu Beginn sagen, dass ich das schon als ein bisschen merkwürdiges Vorgehen finde, wenn den Fraktionsvorsitzenden am Montagabend quasi im Schutze der Dunkelheit mit dem Vermerk „vertraulich“ ein Papier überbracht wird, über welches wir alle schon vier oder fünf Tage vorher in der Zeitung, insbesondere in einer Zeitung lesen konnten.

(Beifall FDP)

Es ist nicht so ganz, sage ich mal, gewollt, wahrscheinlich auch nicht so ganz der feine Stil, wenn es den gewählten Abgeordneten dann so geht wie dem bekannten Victor von Hase, er weiß von nichts, aber zum Glück gibt es ja die Zeitung. Aber Schwamm drüber. Auch der Inhalt ist an einigen Stellen durchaus interessant und legt schon den Verdacht nahe, dass der Thüringen-Monitor auch in diesem Jahr ein Stück weit ein Regierungs-Monitor ist, nämlich auch bestimmte Regierungsprojekte legitimieren soll. Der Verdacht erhärtet sich, je näher man sich mit den Untersuchungen beschäftigt. Waren es in den vergangen Jahren vor allem große gesellschaftspolitische Themen - die Frage Jugend und Politik, das Zusammenleben der Generationen, Einstellungen zur sozialen Marktwirtschaft -, die der Thüringen-Monitor erfragte, so geht es dieses Mal auffallend viel, zumindest in einem großen auffallenden Anteil um ganz konkrete Regierungsprojekte. Sie lassen sich für bestimmte Projekte eine Pseudo-Vorablegitimation erteilen und das ist durchaus in dieser Form neu.

Lieber Kollege Ramelow, wer schreibt, der bleibt, das ist keine Regel, sondern umschreibt freundlich den Versuch, ein bisschen zu bescheißen und auch dafür entschuldige ich mich gleich vorab, liebe Frau Präsidentin.

(Beifall FDP)

Doch bei aller Euphorie, die man jetzt daraus als Auftraggeber vielleicht durchaus ziehen kann, rate ich durchaus zur Vorsicht bei auch der etwas übereilten Inbesitznahmen der einzelnen Ergebnisse, denn die sind bei Weitem nicht so konsistent, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat und wie mancher, der sich scheinbar bestätigt sieht, das vielleicht auch ganz gern hätte. Auch die Presseveröffentlichungen legen da Schlüsse nahe, die so einfach in der Tat nicht sind. Nehmen wir das Thema „Erwartungen an den Staat“. Was soll der Staat für die Thüringer leisten, wurde gefragt, was erwarten die Thüringer vom Staat und was gestehen sie dem Staat auch an Eingriffen in ihr persönliches Le

(Abg. Ramelow)

bensumfeld, in ihr persönliches Leben, in ihre ganz persönliche Freiheit zu? Da muss man konstatieren, auf den ersten Blick gestehen die Thüringer dem Staat einiges zu, viel mehr, als ich es persönlich, wenn man mich gefragt hätte, da beantwortet hätte. Der Staat soll Einkommensunterschiede nivellieren, Behörden dürfen in persönliche Grundrechte eingreifen, es soll gesundheitsgefährdendes und umweltverschmutzendes Verhalten durch staatliche Eingriffe verhindert werden; gesundheitsgefährdendes Verhalten übrigens für jeden selbst, man soll vor sich selbst durchaus auch durch den Staat geschützt werden. Die Thüringer begeben sich offenbar ganz bereitwillig ein weites Stück in die Obhut des Staates, er soll flankieren, beschützen, anleiten und auch angleichen.

Auf den zweiten Blick sind aber an diesem Befinden zunächst auch ernsthafte Zweifel angebracht, denn es fehlt meistens

(Beifall FDP)

die Quantifizierung. Keiner der Befragten nimmt Stellung dazu, in welchem Umfang er sich beispielsweise eine durch staatlichen Eingriff verursachte Angleichung der Einkommen tatsächlich vorstellen und mit welchen Mitteln dieses erreicht werden soll. So geben selbst die Autoren zu bedenken, ich zitiere: „Damit könnte sich jeder Befragte eine Reduktion der bestehenden Unterschiede in den Einkommen zwischen 1 und 99 Prozent vorstellen und dürfte das auch tatsächlich getan haben. So gesehen, wäre eine einfache Sozialhilfe an Menschen in existenzieller Not (die es bereits gibt) ebenso von den Antworten gedeckt wie ein utopisch sozialistisches Programm. Diese Überlegungen sollten zur vorsichtigen Interpretation der Befragungsergebnisse Anlass geben.“, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Ich ergänze: Diese Überlegungen sollten durchaus auch zu der Frage Anlass geben, was die Antworten tatsächlich für Rückschlüsse zulassen und warum sie derart weit interpretierbar sind. Die Ambivalenz dieser Ergebnisse wird, ich glaube, auch ein Stück weit dadurch deutlich, dass auf der anderen Seite 87 Prozent der Befragten der Aussage zustimmen, die Menschen sollten sich nicht zu viel auf den Staat verlassen, sondern ihre Probleme selbst stärker in Angriff nehmen. Zwei Drittel der Befragten begrüßen es, wenn sich der Staat aus der Wirtschaft weitgehend heraushält. Ich frage Sie und ich frage offen gestanden auch mich, wie passen diese Ergebnisse wiederum zu dem Wunsch nach einem allumfassend fürsorgenden Staat? Es äußert sich keiner der Befragten, wie weit die Polizei in die Grundrechte konkret eingreifen dürfe und wo er dann für sich selbst sagt, stopp, bis hierhin und eben nicht weiter. Auch diese Frage wurde nicht gestellt.

(Beifall FDP)

Es darf durchaus bezweifelt werden, ob jeder der Befragten einer staatlichen Anleitung auch dann noch so offen gegenübersteht, wenn das Thüringer Tourismusministerium, dessen Vordenker gerade nicht da ist, aber wenn er dann auf die Idee käme, aus Umweltschutzgründen plötzlich eine Obergrenze von Thüringern festzulegen, die pro Jahr nach Antalya oder Ägypten fliegen dürfen. Da, glaube ich, würde dann eine Grenze erreicht,

(Beifall FDP)

an der man plötzlich merkt, was mit solchen Dingen dann ganz konkret - und das ist letztlich ein Ausfluss dieser Dinge - gemeint sein kann. Um es deutlich zu machen, ich ziehe nicht die Antworten in Zweifel, aber jeder aufmerksame Leser und auch jeder aufmerksame Interpret - und dazu zähle ich natürlich auch die Mitglieder der Landesregierung tut gut daran, die Ergebnisse in der richtigen Relation zu bewerten und nicht voreilig naheliegende, vielleicht auch gewünschte Schlüsse zu ziehen.

(Beifall FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Thüringen-Monitor zeigt die Defizite der schwachen politischen Führung dieser Landesregierung in einem Kernthema der Landespolitik mit ganz besonderer Deutlichkeit auf, nämlich der Haushaltskonsolidierung. Die Thüringer sind bereit zum Sparen. Gesunde Landesfinanzen erreicht durch echtes Konsolidieren, das heißt durch Sparen, diesen Weg würden und wollen 82 Prozent der Thüringer mitgehen. Ich habe den Eindruck, die Thüringer haben da einen klareren Kompass als die Landesregierung.

(Beifall FDP)

Ich will das an zwei konkreten Beispielen festmachen. Sie erteilen der Finanzpolitik der vereinigten Linken hier in diesem Landtag, die gleich dort neben meiner Fraktion losgeht, eine schallende Ohrfeige, wenn es um das Thema „Steuererhöhungen“ geht.

(Beifall FDP)

Im März - ich erinnere daran - hat eine große Mehrheit von Schwarz über Hellrot, Grün bis zu Dunkelrot hier eine Erhöhung der Grunderwerbsteuer beschlossen, die sich insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch für Familien auswirkt, die in diesem Land Grund erwerben wollen und die sich in diesem Land niederlassen wollen. Die Thüringer räumen auch mit der Mär auf, dass ein ausgeglichener Haushalt kein Wert an sich sei, wie das Herr Machnig gelegentlich zum Besten gibt.

(Beifall FDP)

Im Gegenteil, die Ministerpräsidentin hat es auch gesagt, fast zwei Drittel wollen, dass sich das Land selbst hohe Hürden auflegt, bis es neue Schulden aufnehmen darf. Rund zwei Drittel der Thüringer stimmen einer verfassungsrechtlichen Schuldenbremse zu. Das ist genau die Mehrheit, die wir hier in diesem Parlament bräuchten. Diese Mehrheit wäre ganz offenbar auch tatsächlich durch eine entsprechende Mehrheit in der Bevölkerung gespiegelt.

(Beifall FDP)

Aber - und auch das gehört natürlich zur Wahrheit dazu - wenn es dann konkret wird, dann wird es auch für jeden Einzelnen schwer zu entscheiden, wo sollen wir denn nun im Einzelnen sparen. Bei den Schulen? Nicht. Bei der Kinderbetreuung? Auch nicht. Bei den Hochschulen? Selbstverständlich auch nicht und auch nicht bei der Polizei. Sind wir ein Volk der Neinsager? Die Frage drängt sich auf. Die Ministerpräsidentin hat es gesagt, es gibt zwei, drei Stellen: Sport, Städtebau und natürlich die Flugplätze. Da ist eine große Mehrheit bereit einzusparen, da kann man jetzt darüber nachdenken, wie viele dann auch von diesen konkreten Dingen sich selbst betroffen fühlen. Aber es sind auch nicht die großen Posten im Landeshaushalt. Ob diese Prioritätensetzung richtig ist, darüber ist damit überhaupt noch gar nichts gesagt. Es stecken aber dahinter Prioritätensetzungen der einzelnen Befragten und auch durchaus Erwartungen an die Politik: Ausbildung, Kinderbetreuung, innere Sicherheit. Das sind offenbar Kernbereiche, bei denen die Thüringer sagen würden, das wäre Sparen am falschen Ende. Es ist nun Aufgabe der Landesregierung, es ist Aufgabe der Politik, aber insbesondere der Landesregierung zu vermitteln, in welchen Bereichen nun tatsächlich gespart werden muss. Da müssen Bereiche dabei sein, das ergibt sich aus der Größe der Haushaltsanteile, in denen das Sparen nicht so populär ist, wie man das gern hätte, weil es dann nicht so schwierig ist in der Umsetzung und auch der Kommunikation.

Welche Schritte gegangen werden, welche Einschnitte gemacht werden müssen unvermeidlicherweise, das zu kommunizieren, die Prioritäten dafür zu setzen und es zu kommunizieren, das, verehrte Frau Ministerpräsidentin, ist klassische Regierungsarbeit. Das ist die Aufgabe, vor der Sie stehen, mit und ohne Thüringen-Monitor hätte dies im Übrigen gegolten.

Für einen der Schritte lassen Sie sich aber oder versuchen Sie zumindest, sich nun Absolution geben zu lassen. Beim flüchtigen Lesen des Thüringen-Monitors sieht es so aus, als ob die Befragten auf allen Ebenen Gebietsreformen gut finden und befürworten. Aber auch hier hilft ein Blick auf die Fragestellung. Die lautete: „Außerdem wird diskutiert, aus Kostengründen einzelne Kreise zusam

menzulegen. Könnten Sie sich eine Zusammenlegung vorstellen oder sind Sie grundsätzlich dagegen?“ Diese Fragestellung legt den Befragten schon die Bedingungen, die Grundannahme in den Mund, nämlich, wir sparen mit einer Gebietsreform. Das ist so eine Frage aus der Kiste: Stellen Sie sich vor, niemand würde mehr krank. Würden Sie dann zustimmen, dass wir keine Krankenhäuser mehr brauchen?

(Beifall FDP)

Die Antwort liegt nahe. Daraus aber die Schlussfolgerung zu ziehen, die Menschen wären dafür, tatsächlich die Krankenhäuser zu schließen, das geht fehl, das ist erkennbar.

(Zwischenruf Lieberknecht, Ministerpräsiden- tin: Das prüfen wir ja.)

(Unruhe SPD)

Das ist erkennbar und deshalb suggeriert die Frage, eine Gebietsreform spart Geld, also ist sie automatisch sinnvoll, also ist sie automatisch richtig. Sie nimmt die Entscheidung vorweg und genau das ist der Fehler. Ich glaube, dahinter eine klassische SPD-Frage zu erkennen. Ich bin sicher, das ist eine Frage, die die SPD gern in den Thüringen-Monitor haben wollte und dann auch bekommen hat.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Das gibt’s doch nicht.)

Ihnen geht es doch in Wahrheit gar nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um die Frage, wie wir eine Gebietsreform machen. Die Antwort auf die Suggestivfrage ist dann natürlich auch die erwünschte. Aber wie glaubhaft ist das Ergebnis?

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Ignorant.)

Ein Blick in den Thüringen-Monitor - und da sollten Sie mich nicht „Ignorant“ nennen, sondern vielleicht mal nachlesen, ich sage Ihnen auch die Stelle, auf Seite 58/59 schreiben die Autoren selbst,

(Zwischenruf Abg. Metz, SPD: Was haben Sie für ein Wissenschaftsbild.)

ich zitiere: „Führt die Zusammenlegung von Gebietskörperschaften tatsächlich zu Kosteneinsparungen? Manche Erfahrungen mit solchen Reformen, etwa im deutschen Südwesten, machen hier skeptisch. Kurz- bis mittelfristig sind vielmehr sogar zusätzliche Belastungen zu erwarten. Des Weiteren wäre zu prüfen, ob erhoffte Einsparungen beim Staat nicht durch Mehrkosten beim Bürger (etwa durch weitere Wege und größeren Zeitaufwand bei Behördengängen) ganz oder zum Teil aufgewogen würden.“

(Beifall FDP)

So sagen die Autoren weiter: „... sollte untersucht werden, ob und wie weit die technokratische Ratio

nalisierung, falls sie denn erreicht würde, mit einem Verlust an demokratischer Teilhabe einherginge.“

(Beifall FDP)

„In aller Regel“ - so die Autoren - „sinken durch solche Reformen die Zahl und häufig auch die Bedeutung kommunaler und regionaler Ehrenämter mehr oder weniger drastisch. Wiegt eine effizientere Verwaltung diesen Nachteil auf? Es sollten also nicht beabsichtigte, deswegen aber nicht minder reale negative Nebenwirkungen sorgfältig geprüft und ihrem Gewicht gegenüber den Vorteilen der Reformen abgewogen werden.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dem ist zu dem Thema nichts hinzuzufügen.

(Beifall FDP)

Dem ist nichts hinzuzufügen außer vielleicht noch einem eindrücklichen Beispiel, dem Blick nach Sachsen-Anhalt. Nach der Gebietsreform gibt es in unserem Nachbarland Kreise, die so groß sind wie das Saarland, und Städte, die in der Fläche größer sind als Düsseldorf oder München. Nehmen Sie die Stadt Gardelegen - in der Wiederholung, lieber Kollege, liegt die Mutter der Pädagogik, deswegen sage ich es hier gern noch einmal - in der Altmark. Gardelegen ist seit der Gebietsreform in SachsenAnhalt die drittgrößte Kommune der Bundesrepublik Deutschland. Eine Stadt, von der die meisten wahrscheinlich überhaupt noch nichts gehört haben, ist die drittgrößte Stadt in der Bundesrepublik, 632 km² groß. 632 km² müssen Bürger und auch kommunale Mandatsträger, Ehrenamtler usw. durchfahren, um ihre Kreisstadt zu erreichen, um das Zentrum zu erreichen. Halten Sie sich diese Größe einmal vor Augen und verraten Sie mir, warum beispielsweise ein Stadtrat 60 bis 70 km hin und zurück zwei bis dreimal pro Woche fahren soll, um sich in einem Ehrenamt im Stadtrat zu engagieren für seine Gemeinde Gardelegen?