Protocol of the Session on June 17, 2011

Meine Frage war, ist der Klebeeffekt 1 Prozent, ist er 5 Prozent, ist er 30 Prozent oder 50 Prozent? Wir alle wissen ja, dass es einen erfreulicherweise nicht unerheblichen Arbeitsplatzzuwachs gab in den letzten Monaten. Insofern noch einmal die Frage: Können Sie mir eine gesicherte Prozentangabe geben, wie hoch der Klebeeffekt, also der Übergang von Leiharbeit in Stammbelegschaften derzeit Ihrer Einschätzung nach ist?

Die aktuellen Zahlen werden immer mit einem ungefähr halbjährigen Rückstand erst seriös ermittelt. Ich werde in sechs Monaten gern auf Ihre Frage zurückkommen und Ihnen das dann mitteilen.

Danke, Herr Abgeordneter. Aus der Mitte des Hauses liegen mir keine weiteren Redewünsche vor. Deshalb erteile ich das Wort dem Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Herrn Staschewski.

Vielen Dank, sehr geehrter Herr Präsident. Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, manchmal bin ich schon erstaunt, wie hier über dieses Thema diskutiert wird. Wie ist denn die Realität, Herr Kemmerich? Die Realität ist - und die hat der Herr Abgeordnete Lemb von der SPD deutlich aufgezeigt - in vielen Thüringer Betrieben so, dass Menschen ausgebeutet werden, dass sich Geschäftsmodelle auf Leiharbeit, auf Billiglohn gründen und so die Ausbeutung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Freistaat entsprechend voranschreitet. Das ist die Realität.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe FDP)

Und auf der anderen Seite, Herr Kemmerich, ich rede hier nicht auf dem Parteitag, ich rede im Parlament, weil wir hier Verantwortung für den Freistaat Thüringen und die Menschen haben, die hier leben, das ist die Realität.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann gehen wir doch noch einmal zu dem Fakt, was ist die andere Seite der Realität? Fachkräftemangel in Thüringen.

(Unruhe FDP)

200.000 Fachkräfte fehlen bis zum Jahr 2020. Da wundern Sie sich, wenn jetzt auf einmal in den einen oder anderen Branchen die Leiharbeitsbranche nicht mehr Billiglohndiener bekommt, sondern weil die einen anständigen Job bekommen. Selbstverständlich ist das so.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da müssen eben die Leiharbeitsfirmen entsprechend auch einen guten Lohn zahlen, dann bekommen sie die entsprechenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Unruhe FDP)

Dann schauen Sie einmal das Beispiel Frankreich an. 10 Prozent mehr Lohn für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, 10 Prozent, weil sie andere Nachteile haben. So ist die Situation in diesem Land.

Dann noch einmal, weil das angesprochen worden ist von Herrn Günther. Herr Günther, es ist eben nicht so, dass die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen ausschließlich auf Festangestellte bezogen ist. Das war ja die Krux, die uns aufgefallen ist bei der Förderrichtlinie. Da hat man eben Dauerarbeitsplätze geschaffen und daraus Leiharbeitsplätze gemacht. Wir hatten bis dato nicht die Möglichkeit, hier zwischen Dauerarbeitsplätzen und Leiharbeits

plätzen zu unterscheiden. Das machen wir jetzt, und das ist auch gut so.

(Beifall SPD)

Selbstverständlich können wir das machen. Wir können das machen aufgrund unserer Richtlinie. Ich sage mal, wer soll denn da auf welcher Grundlage klagen? Das kann man doch gar nicht. Wir haben die Richtlinie, wir verteilen das Geld - Steuergeld übrigens - für die Leute …

(Unruhe FDP)

Nein, selbstverständlich. Dafür ist dieses Parlament auch mit verantwortlich und es sind die Wählerinnen und Wähler verantwortlich, wie die Regierung zusammengestellt ist. Selbstverständlich machen wir das so, dass wir es verantworten können.

Dann noch einmal zur Situation der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter: Wir - oder einige von Ihnen tun gerade so, als wenn es in Thüringen kein Problem ist. In der Regel liegt das Einkommen der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter 40 bis 60 Prozent unter dem Niveau eines normalen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers. Jeder achte Leiharbeiter braucht staatliche Ergänzungsleistungen. Für die allermeisten Leiharbeiterstellen gilt, einmal Leiharbeit, immer Leiharbeit. Herr Kemmerich, hören Sie doch bitte zu, denn Sie konnten eben die Frage nicht beantworten, die Herr Lemb gestellt hat, ich mache es gern. Die viel gepriesene und oft behauptete Brückenfunktion der Leiharbeit ist viel zu häufig nur ein Wunschdenken. Nur 7 Prozent der Beschäftigten gelangen nämlich in ein unbefristetes Vertragsverhältnis. An dieser Stelle will ich eines klarstellen, wir und ich persönlich auch sind nicht gegen Leiharbeit, ich bin nur gegen den Missbrauch von Leiharbeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Leiharbeit ist nämlich dazu gedacht, Produktionsspitzen abzufedern. Auf diese eigentliche Funktion muss die Leiharbeit zurückgeführt werden und wir helfen da ein bisschen mit den Regelungen, mit denen wir dazu beitragen können, sehr gern nach.

Herr Staatssekretär, es gibt den Wunsch auf eine Zwischenfrage durch den Abgeordneten Barth.

Sehr gern.

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, vielen Dank, Herr Präsident. Herr Staatssekretär, weil Sie die Frage vom Kollegen Lemb eben ansprachen, möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen eine Frage zu stellen, die mich bewegt, seit Ihre Richtlinie in Kraft ge

treten ist: Können Sie uns denn belastbare Zahlen nennen, wie viel Prozent der Thüringer Unternehmen mehr als 10 Prozent und mehr als 30 Prozent Leiharbeiter beschäftigen, über die zehn Beispiele, die Kollege Lemb genannt hat, hinaus, also belastbare Zahlen? Für wie viel Prozent der Thüringer Unternehmen wirkt sich Ihre Richtlinie aus?

Das kann ich Ihnen sehr gern sagen, aber nicht auf die Prozentzahlen und auf die Firmen bezogen, aber ich kann Ihnen ungefähr sagen, wie viele Menschen davon betroffen sind und dadurch wie viele Familien. 30.000 Leiharbeiternehmer haben wir hier in Thüringen. Das heißt, 30.000 Mal Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer, die sich oftmals als Arbeiternehmerin und Arbeitnehmer zweiter Klasse fühlen, weil sie 40 bis 60 Prozent weniger verdienen. Das ist, glaube ich, der Skandal, gegen den wir hier arbeiten müssen. Wenn Sie jetzt eine Auflistung von Unternehmen haben wollen, dann können wir gern auch noch einmal die Liste ergänzen und erweitern und Ihnen noch weitere Beispiele geben. Aber, Herr Barth, es geht nicht darum, dass wir sagen, prozentual nur soundso viel. Wir können doch nicht über 30.000 Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer sprechen und es einfach hinnehmen, dass sie nur 60 bis 80 Prozent von dem Lohn haben, den die Normalangestellten haben und dass hier eine Spaltung des Arbeitsmarkts stattfindet. Das ist doch genau das Ziel.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Staatssekretär, es gibt den Wunsch auf eine weitere Nachfrage.

Eine darf er noch, ja.

Eine noch, hat er gesagt.

Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank für diese Großzügigkeit, Herr Staatssekretär. Ich will trotzdem noch einmal nachfragen. Ihre Förderrichtlinie hat aber doch nicht zum Inhalt, dass man weniger als eine bestimmte Anzahl von Leiharbeitern beschäftigten darf, sondern diese bezieht sich doch auf eine Prozentgröße. Also müssten Ihnen doch Erkenntnisse vorliegen, die sich dann entsprechend auf diesen Regelungsinhalt beziehen. Sie können diese 30.000 Leiharbeiter im allerschlimmsten Fall in einem Unternehmen beschäftigen, wenn es denn

hinreichend groß wäre, theoretisch, oder meinetwegen in zehn Unternehmen. Dann haben Sie aber immer noch 99.990 Unternehmen, die von Ihrer Richtlinie gar nicht betroffen wären, aber Sie binden die Richtlinie an Prozentzahlen. An der Stelle macht es für mich keinen Sinn. Könnten Sie mir das bitte kurz erklären?

Das kann ich Ihnen weiter erklären, Herr Barth, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Dass wir nicht nur ein oder zwei oder drei Betriebe haben, die Leiharbeit in Übermaßen hier in Thüringen heranziehen und ihr Geschäftsmodell darauf begründen, das ist inzwischen Allgemeinwissen. Wenn Sie sich diesem Wissen verweigern, kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen. Warum diese Regelungen? 10 Prozent, das ist allgemein klar. Übrigens ist fast allen Parteien, ich glaube, bis auf der Ihrigen klar, dass wir Spitzen von Produktion gut abfedern können mit einem Satz von bis zu 10 Prozent. Alles, was darüber hinaus läuft, ist in der Regel einfach nicht notwendig. Da können Sie jetzt hier irgendwelche Modelle konstruieren; da kann ich Ihnen aber mal ein Beispiel sagen: Sie haben einen guten Friseurmeister, der gewinnt irgendwie einen staatlichen Preis, dann ist es doch selbstverständlich - da haben wir so ein paar Beispiele -, dass es einen Run in dieses Friseurstudio gibt, und er wird auch dauerhaft, wenn er gut ist, mehr Kunden haben. Dann stellt er einfach Leute ein. Wenn er sich nicht zutraut, dass er dauerhaft seine gute Technik oder sein gutes Wissen da anbringen kann, dann wird er vorsichtiger sein, dann wird er mit seinem Geschäftsmodell vorsichtiger vorgehen, wird weniger einstellen. Aber es kann doch nicht sein, dass er dann einfach Billigstlohnarbeiter auf Leiharbeitsbasis einstellt und dann kurzfristig versucht, entsprechend Gewinn zu machen. Das kann doch nicht das Modell sein. Das ist übrigens auch nicht das, was wir als Freistaat Thüringen haben wollen.

(Unruhe FDP)

Wir wollen einen soliden Aufbau von Arbeit, das gelingt uns auch zum großen Teil, aber es darf nicht sein, dass wir über Leiharbeitsfirmen oder über Missbrauch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über eine Spaltung des Arbeitsmarkts hier diese Ungleichheit manifestieren. Verhindert werden soll, dass genau dadurch ein Druck ausgeübt wird auf die Löhne der Stammbelegschaft. Das passiert ja auch. Diese Spaltung führt nicht nur dazu, dass ein Teil diskriminiert wird, sondern dass auch Druck ausgeübt wird auf die Stammbelegschaft.

Da muss ich noch eines ganz kurz sagen: Das ist auch so ein Märchen übrigens, das immer erzählt wird, das sind nur unqualifizierte Menschen, die dann da reinrutschen. Das ist ein Märchen. Es ist

(Abg. Barth)

einfach so, dass gute Leute oft gering qualifizierte und schlecht bezahlte Arbeit verrichten müssen. Wir haben Beispiele hier. Ausgebildete Glasmonteure müssen Plasteflaschen stapeln oder Ähnliches und dafür dann auch noch 70 km fahren. Das kann es nicht sein. Da sind wir verantwortlich als Politik, übrigens auch als Regierung, dass wir hier entsprechend dagegenhalten und aufzeigen, dass es Lösungsmöglichkeiten gibt. Übrigens, die große Mehrheit der Bevölkerung steht auch hinter uns.

(Beifall SPD)

Über 90 Prozent der Thüringer sagen, selbstverständlich müssen wir etwas gegen diese Lohndumpinggeschichten machen. Wenn Sie fragen, was ist denn das Hauptproblem am Arbeitsmarkt, dann sagen 37 oder 39 Prozent in Thüringen, das ist die Leiharbeit. Ich denke, da ist die Realität bei den Menschen in den Köpfen angekommen.

(Unruhe CDU)

Jetzt auch noch mal ein Satz - Herr Lemb hat es auch angesprochen -, von Alleingang im Freistaat Thüringen, Herr Kemmerich, kann nicht die Rede sein. Die Modifizierung der Richtlinie ist erstens in dieser Regierung mit dem Finanzministerium abgestimmt und auch die Beratungen im Kabinett haben deutlich gezeigt, dass die Neuerungen nicht nur notwendig, sondern auch politisch mehrheitlich gewollt sind - übrigens nicht nur hierzulande. Inzwischen haben auch andere Bundesländer wie Brandenburg, Berlin oder Bremen diese Idee aufgenommen und überlegen gerade auch - so wie wir das machen -, diese Richtlinie entsprechend aufzugreifen und entsprechend anzupassen. Also ist Ihre Antragsbegründung, dass es ein Alleingang sei, durchaus nicht begründet; es ist falsch.

(Beifall SPD)

Ich möchte noch einmal etwas klarstellen: Die neue Regelung, weil das auch immer ein Missverständnis ist, was offensichtlich auch manchmal absichtlich missverstanden wird, betrifft eben nicht Neuansiedelungen. Der Vorwurf, man verschlechtere damit ein Investitionsklima, ist vollkommener Unsinn. Damit es auch alle verstehen, lese ich jetzt noch einmal gern diese Regel im Wortlaut vor, und zwar, Herr Adams, sage ich Ihnen auch noch mal ganz klar: Wir verbieten niemandem, mehr Leiharbeiter einzustellen, die bekommen dann bloß nicht mehr Geld von uns. Das ist ganz einfach, die bekommen dann einen Basissatz der Förderung oder eben keine Förderung mehr. Aber wir verbieten es niemandem. Jetzt sage ich mal ganz kurz, ich zitiere diese Regelung: „Unternehmen mit mehr als 30 Prozent Leiharbeitern erhalten keine Förderung. Unternehmen mit mehr als 10 Prozent Leiharbeitern können mit einem Basisfördersatz gefördert werden. Dieser beträgt bei kleinen und mittleren Unternehmen bis zu 20 Prozent und bei großen Unternehmen bis zu

15 Prozent der nach dieser Richtlinie förderfähigen Kosten. Diese Regelung gilt nicht für Errichtungsinvestitionen im Sinne der Ziffer 22 a.“

Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich auf die weitere Diskussion. Ich bin wirklich ernsthaft freudig, darüber zu diskutieren, weil ich sehr überzeugt davon bin, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich bin sehr überzeugt davon, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Thüringen hinter uns steht und dies gutheißt. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Staatssekretär. Weitere Redemeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache und wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP in der Drucksache 5/2567 in der zweiten Neufassung. Beantragt ist die Ausschussüberweisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Arbeit und danach werde ich jetzt auch fragen. Wer den eben genannten Antrag der Fraktion der FDP an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Arbeit überweisen möchte, den bitte ich jetzt um sein Handzeichen. Das ist Zustimmung von den Fraktionen DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU und der FDP. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag überwiesen und ich schließe den Tagesordnungspunkt 12.