Protocol of the Session on October 7, 2010

Als Erstes: Wo sind die Ergebnisse der Haushaltsstrukturkommission? Ich hätte mir wenigstens ein Zwischenergebnis gewünscht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stattdessen hören wir, es gibt im Herbst, der im Übrigen bereits begonnen hat, Ergebnisse. Es wäre schön gewesen, heute zum Auftakt von Ihnen zu hören, was Ihr Arbeitsstand ist.

Als Zweites: Wo ist das Finanzausgleichsgesetz? Auf dessen Basis hätten wir heute hier vernünftig reden können über den Haushalt 2011.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Und als Drittes: Wo ist die aktualisierte Mittelfristige Finanzplanung? Auf Basis derer hätten wir heute auch über die Steuerschätzung mindestens aus dem Mai reden können.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie wissen, dass wir mit einer veralteten Mittelfristigen Finanzplanung hier operieren, die die MaiSteuerschätzung noch nicht einmal beinhaltet. Stattdessen erleben wir jetzt diese Intransparenz. Wir haben den Willen mitzuhelfen, diesen Haushalt zukunftsfest zu machen, aber Sie geben uns das Handwerkszeug nicht und da darf ich mir erlauben,

(Ministerin Walsmann)

an dieser Stelle zu sagen, wir Abgeordneten sind doch keine Jäger und Sammler, die uns die Zahlen irgendwo holen können. Ich bitte Sie, die einfach zügig zu liefern, dann können wir auch da konsolidiert und vernünftig rangehen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine Damen und Herren, ich gebe zu, ich bin neidisch auf Sachsen. Sachsen stellt gerade unter einer CDU-geführten Staatsregierung erneut einen Etat mit einer Nettoneuverschuldung von null auf. Dort ist auch nicht alles Gold was glänzt, das ist richtig. Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen klugem Sparen und kopflosem Kürzen, in der Tat, aber, liebe CDU-Fraktion, Sie könnten das besser als die Sachsen, nur, ich sehe Ihre Bemühungen nicht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei hatten Sie den Kompass. Den haben Sie scheinbar verlegt oder verloren, ich weiß es nicht, Ihre Fraktion war es meines Wissens nach, die 2008 die Schuldenbremse einführen wollte. Warum holen Sie den Gesetzentwurf nicht wieder raus, bringen Sie ihn ein, haben Sie den Mut und tun Sie das. Stattdessen, lieber Herr Mohring, ich freue mich auf Ihre Rede.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Dazu braucht man eine Zweidrittelmehrheit.)

Ja, probieren Sie es, Herr Mohring. Bringen Sie ihn hier ein und schauen Sie mal, was Sie zustande bekommen. Unsere grünen Stimmen haben Sie.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sagen Sie, dass Sie dann zustimmen.)

Herr Mohring, ich freue mich auf Ihre Rede nachher, und ja, wir würden zustimmen. Stattdessen muten Sie Thüringen nicht nur einen kopf- und konzeptionslosen Überschuldungshaushalt zu, Sie lösen auch den Reformstau nicht auf und Sie belasten die kommenden Generationen weiterhin. Das ist auch keine nachhaltige Finanzpolitik mit einer höheren Zinslast; Politik mit leeren Kassen ist das, was wir vor uns haben. Dabei hat auch die Frau Ministerpräsidentin in ihrer Jenaer Rede Nachhaltigkeit sehr gut buchstabiert und da tauchte auch nachhaltige Finanzpolitik auf. Anspruch und Wirklichkeit liegen weit auseinander.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns an die Eckpunkte gehen. Die gute Nachricht vorweg: Es gibt bei diesem 9,48-Mrd.-Haushalt auch Lichtblicke. Es gibt berühmte Spardosen, Frau Walsmann hat ein paar gefunden, wir konnten das auch lesen - gut zu hören. Herr Mohring hat das wieder relativiert. Da habe ich mich dann auch gefragt, wären Sie heute lieber Opposition oder Regierung - Sie sind Regierung,

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Wir sind Regierung.)

das ist nicht zu ändern -, dass Sie sich dann vielleicht damit zurückhalten müssten. Folgende Punkte sind aber weniger gelungen. Wir sprechen über 620 Mio. € Neuverschuldung. Da machen wir Bündnisgrüne nicht mit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie packen ganz nonchalant auf die 17 Mrd. € Gesamtschulden in Thüringen eine reichliche halbe Milliarde drauf - und das bei diesem historisch niedrigen Zinsstand. Dass Sie da noch ruhig schlafen können, finde ich bewundernswert.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann kommen noch die Luftbuchungen - ich bezeichne die Globale Minderausgabe, die Sie vorhaben, als Luftbuchung - und Sie delegieren die politische Handlungsfähigkeit an die Regierung am Parlament vorbei. Ich finde, wir müssen diskutieren, ob wir das wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sehe, dass Große Koalitionen vor allem eines sind - teuer.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dasselbe Vorgehen wie in Sachsen-Anhalt - zwei Jahre den strukturellen Kürzungsbedarf von 10 Prozent des Gesamthaushalts durch eine Nettokreditaufnahme kompensieren und alles abgreifen, was an Programmen kursiert, bevor die Schuldenbremse kommt. Jetzt erklären Sie mir bitte einmal, was das mit Generationengerechtigkeit zu tun hat?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor allem, liebe SPD, Ihr Genosse Peer Steinbrück - jetzt sind wir wieder bei der Schuldenbremse - ist ein großer Verfechter derer. Das Konzept gibt es auch bei Ihnen in der Partei, da haben wir die Mehrheit locker zusammen: GRÜNE, SPD, CDU ich weiß nicht, ob das zwei Drittel sind, das können wir nachher ausrechnen, die FDP macht vielleicht auch mit.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: LINKE sind auch dabei.)

Tatsächlich, super. Herr Adams ist auch mit dabei, das freut mich, und die FDP auch. Große Koalitionen sind in Krisenzeiten handlungsunfähig, stelle ich als Zweites fest, weil sie teuer sind. Sie können keine Prioritäten setzen und agieren ihre politischen Wünsche einfach. Das kann doch nicht sein. Dabei gibt es Lichtblicke - Frau Walsmann hat das vorhin angesprochen -, die Steuerschätzung im November. Natürlich wissen wir noch nicht, wie viel wir sparen. Wir wissen doch, dass die Wirtschaft angesprungen ist. Wir wissen doch auch, dass wir mit ca. 80 bis 100 Mio. rechnen können. Das ist natür

lich etwas, womit Sie hier nicht operieren können, aber das kann man doch positiv herausstellen.

Wir Bündnisgrüne sind der Meinung, dass ein vernünftiger Haushalt für das Jahr 2011 vorgelegt werden kann, der - und jetzt kommt es - mit maximal 300 Mio. € Neuverschuldung auskommt. Da muss man solide vorgehen. Ich schlage Ihnen jetzt vor, wie das geht. Wir müssen kreativ sein, aber ich denke, das wollen wir auch hier in dem Haus.

Erstens: Wir kommen um 300 Mio. € Nettokreditaufnahme nicht herum, das steht fest.

Zweitens: Wir alle haben den Willen zum Sparen und Konsolidieren bekundet - die meisten, ich nehme an, die große Mehrheit in diesem Haus. Deswegen werden wir uns bemühen. Wir müssen - die Bücher haben wir erst seit fünf Tagen auf dem Tisch - mit einem Volumen von 200 Mio. € Einsparungen hier in diesem Haushaltsberatungsverfahren finden. Das muss eine kollektive Anstrengung aller sein. Das Parlament muss das liefern.

Drittens: Die Einnahmeverbesserungen durch die November-Steuerschätzung sind im zweistelligen Millionenbereich absehbar, die kann man mit einrechnen, man kann vorsichtig kalkulieren.

Jetzt sage ich Ihnen auch, wie Sie das Ganze seriös und solide auf gute Füße stellen. Wenn Sie das genau wissen, dass wir damit rechnen können, dass was kommt, dann können wir uns immer noch über das Instrument der Globalen Minderausgabe unterhalten. Wir stellen da ganz klar Bedingungen. Ich habe das Instrument nicht gern, das sage ich ganz offen, weil es das Parlament entmachtet. Deshalb schlage ich Folgendes vor: Wir kommen an einer Minderausgabe wahrscheinlich nicht vorbei, aber lassen Sie uns es doch so machen, dass wir erst im Juni 2011 - nach der Steuerschätzung vom Mai 2011 - hier in diesem Haus darüber beschließen, ob wir die überhaupt brauchen. Das wissen wir dann; das wissen wir heute noch gar nicht. So kann man doch vernünftig darüber reden, wie man das ausgestaltet. Es muss Bedingungen geben, wie diese Globale Minderausgabe aussieht. Ich schlage vor, dass man die 6er-Titel in den Haushalten, das sind die laufenden Zuweisungen und Zuschüsse, und die 8er-Titel, also die Investitionen, ausspart. Da gibt es keine Globale Minderausgabe. Denn sonst hätten wir den unangenehmen Nebeneffekt, dass Investitionen abbrechen oder Vereine und Verbände von heute auf morgen im Regen stünden. Das wollen wir nicht. Was wir Ihnen aufzeigen wollen, ist, dass mit ein bisschen Kreativität 300 Mio. € Nettokreditaufnahme genügen müssten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist Ihre politische und moralische Pflicht, sich schon jetzt auf die Schuldenbremse einzustellen und nicht erst Knall auf Fall und mit unsicherem Ausgang 2013. Da ist die Mittelfristige Finanzplanung unausgewo

gen, ja leicht utopisch verfasst. Sie glauben doch selbst nicht, dass Sie fast 10 Prozent Neuverschuldung brauchen, die Sie dann von einem Tag auf den anderen durch die Globale Minderausgabe ab dem 1. Januar 2013 einfach so einsparen. Das ist auch mit vorzeitigen Neuwahlen oder einer anderen Koalition kaum zu schaffen. Deswegen müssen wir jetzt anfangen. Wenn Sie also ernsthaft der Meinung sind, dass eine 10-prozentige Globale Minderausgabe kein Problem darstellt, dann dürfte es Ihnen ja leichtfallen, meinem Vorschlag zuzustimmen oder Sie warten darauf, dass schwarz-gelb in Berlin nach der Wahl in Stuttgart im Frühjahr 2011 zusammenbricht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann gibt es wieder eine Große Koalition im Bund, dann haben wir sofort eine Mehrwertsteuererhöhung und alles wird gut. Sie sehen, ich meine es an dieser Stelle nicht ernst. Vielleicht ist ja beides nötig. Gedachte Steuererhöhungen oder Streichung von Steuerprivilegien und ein konsequenter Umbau der Ausgabenstruktur.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, viel zu viele Unwegbarkeiten stehen uns in den nächsten Jahren ins Haus. Die meisten Länder in der EU und auch in der Eurozone haben viel härter mit den Krisenerscheinungen zu kämpfen als Deutschland. Brüssel zieht gerade die Daumenschrauben für die Defizitsünder an. Haushaltsmogeleien werden härter und schneller geahndet werden. Um diese Regelungen nachzuholen, die bei der Einführung des Euro zu lasch aufgestellt wurden, wird Deutschland viel bezahlen müssen. Wir werden mit den anderen unseren Wachstumserfolg finanziell teilen, damit der Euro stabil bleiben kann. Griechenlands FastBankrott vom letzten Jahr wurde kollektiv in das Jahr 2012 verschleppt. Dann wird Griechenlands Schuldenstand noch höher sein als letztes Jahr. Aber zahlen können die Griechen immer noch nicht. Sie kommen um eine geordnete Insolvenz 2011 oder 2012 wahrscheinlich nicht herum. Der Sündenfall ist passiert und auch wir werden da bezahlen müssen. Innerhalb der EU sind Ungarn, Tschechien, Polen und Großbritannien massiv von einem Staatsbankrott gefährdet. Rumänien ist seit letztem Jahr zahlungsunfähig und hat Notkredite von der EU, dem EWF und der Weltbank in Anspruch genommen. Wenn Sie das alles wissen, dann ist es Ihre erste politische Pflicht, dafür zu sorgen, unter diesen Rahmenbedingungen die Thüringer Hütte sturmfest zu machen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch sind die Zinsen niedrig. In drei Jahren kann das schon ganz anders aussehen. Steuern Sie politisch um. Steuern Sie jetzt politisch um. Beweisen Sie Weitsicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen die finanzielle Handlungsfähigkeit Thüringens in den nächsten Jahren wieder herstellen. Die Landesregierung muss handeln und ihr Hauptaugenmerk auf gute Bildung, bessere Chancen für Kinder und Jugendliche und eine nachhaltige Entwicklung unserer Wirtschaft legen. Unsere Formel lautet: Klima, Bildung, Chancengerechtigkeit und Konsolidierung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und, da schaue ich vor allem in Richtung der FDP, ich weiß schon, was da nachher kommt, Streichlisten kurzfristig allein genügen nicht. Die FDP-Rasenmähermethode bringt uns nicht weiter. Wir brauchen eine kluge Ausgabenpolitik und wir brauchen einen Mix aus langfristigen und kurzfristigen Ausgaben. Wir haben jetzt seit wenigen Tagen den Haushalt in den Händen. Gestatten Sie mir trotzdem einfach ein paar Punkte, die uns aufgefallen sind, schon zu skizzieren. Ich unterscheide zwischen Projekten in ihrer Langfrist- und ihrer Kurzfristwirkung. Ich fange mit Dingen an, die wir jetzt anpacken müssten, um dann erst langfristig eine Wirkung zu erzielen. Was kommt als Erstes? Wenig überraschend: Wir brauchen eine Kreis- und Gebietsreform.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Auf der Zeitachse - bis 2014 angedacht - werde ich ganz schön unruhig, dass Sie an diesem Punkt nicht ansetzen wollen. Vielleicht kommt ja nachher noch etwas. Bis heute habe ich jedenfalls keinen Vorschlag gehört, wie Sie diese anpacken wollen. Zentnerschwere Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass unsere kleinteilige Kreisaufteilung hinterwäldlerisch ist und teuer auch noch.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)