Ich eröffne nun die Aussprache zu diesem Gesetzentwurf und rufe als Ersten für die CDU-Fraktion den Abgeordneten Grob auf.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, um es gleich vorweg zu sagen, meine Fraktion lehnt den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE ab.
Ich werde diese ablehnende Haltung auch begründen. Es ist wichtig, eine gleichberechtigte und möglichst selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen.
Freilich sieht das meine Fraktion genauso. Die Gesetzgebung auf der Landesebene in der Vergangenheit hat das auch belegt, das war 2005 - daran kann sich vielleicht der eine oder andere noch erinnern - das Thüringer Gesetz zur Gleichstellung und Verbesserung der Integration von Menschen mit Behinderung. Im April vorigen Jahres beschloss die Landesregierung den Thüringer Maßnahmeplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Ministerin sagte auch bereits, dass in diesem Maßnahmeplan 285 Einzelmaßnahmen enthalten sind, die praktisch alle Ressorts der Landesregierung betreffen und verpflichtende Gültigkeit besitzen. Wenn es nun doch einen Konsens in diesem Hause gibt, was die Beseitigung von Nachteilen für Menschen mit Behinderung angeht, warum lehnen dann die Fraktion und ich den vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE ab, warum ist das so? Es ist ganz undiplomatisch zu sagen, der Gesetzentwurf ist unseriös, er weckt Hoffnungen und Begehrlichkeiten, die wir im Grunde nicht erfüllen können.
Hoffnungen, die wir nicht erfüllen können, wenn wir das Gemeinwohl berücksichtigen sollen, Hoffnungen, die wir nicht erfüllen können, wenn wir eine solide Haushaltsführung im Blick halten sollen, Forderungen aufstellen, soziale Wohltaten in Gesetzesform zu gießen, ohne genau zu wissen, was es kostet - das ist schlichtweg unseriös.
Und das genau passiert bei Ihrem Gesetzentwurf. Sie geben es ja selbst zu. Gleich auf Seite 3 unter Kosten - heißt es lapidar in Ihrem ersten Satz: „Durch Ausweitung der Bestimmungen zur Barrierefreiheit, verstärkte Maßnahmen zur Förderung der Gebärdensprache und durch die vorgesehenen
Nachteilsausgleiche sowie spätere Änderungen anderer geltender Gesetze entstehen Kosten, die zum jetzigen Zeitpunkt in ihrer Höhe nicht genau beziffert werden können.“ Im zweiten Absatz erklären Sie, dass eigentlich kaum zusätzliche Kosten entstünden. Und im dritten Absatz nennen Sie dann doch ein paar konkrete Mehrkosten. Diese belaufen sich summarisch nach Ihren Angaben auf knapp 1,6 Mio. €. Dass dies nicht die endgültigen Mehrkosten sind, geben Sie selbst zu, weil - ich wiederhole mich gern - die genauen Mehrkosten nicht beziffert werden können. Doch dann kommt es noch besser: In der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf wird auf Seite 25 auf die umfassende Schaffung von Barrierefreiheit eingegangen. Der Barrierefreiheit sind naturgemäß technische und wirtschaftliche Grenzen gesetzt, was Sie auch erwähnen. Das liegt auf der Hand, nicht jeder Wanderweg im Thüringer Wald oder in der Rhön lässt sich barrierefrei gestalten, von den Kosten ganz zu schweigen. Doch Sie sehen das eigentlich etwas anders und schreiben, wobei jedoch der wirtschaftlichen Machbarkeit keine vorrangige Bedeutung zukommt. Ich verstehe das so, dass es ein bisschen egal ist, was es kostet, genau diese Einstellung hat die DDR einst in den finanziellen Ruin getrieben, einen Ruin, den man auch positiv erkennen kann.
Bund, Länder und Kommunen haben in Deutschland einen enormen Schuldenberg angehäuft, um das zu reparieren, was Sie eigentlich damals verursacht haben. Dieser muss auch mal wieder abgetragen werden, was wir eigentlich nicht den künftigen Generationen aufbürden dürfen.
Erst vor wenigen Monaten haben wir im Landtag einen Doppelhaushalt verabschiedet, der nicht nur eine schwarze Null vorsieht, sondern eine echte Schuldentilgung. Das wollen wir nicht bei der erstbesten Gelegenheit wieder aufgeben. Selbstverständlich muss der wirtschaftlichen Machbarkeit eine vorrangige Bedeutung zukommen, wenn man sich für einen schuldenfreien Haushalt entschlossen hat.
Überall im Lande gibt es Wünsche und Forderungen, das haben wir immer wieder auf der Tagesordnung, doch nicht alles Wünschenswerte ist auch finanzierbar. Als Ausschussvorsitzender für Schule und Kultur im Wartburgkreis wünsche ich mir auch ab und zu mehr Geld für die Schulen zur Ausrüstung, obwohl wir schon einen Standard erreicht haben im Wartburgkreis, den es vorzuzeigen woanders gilt.
Ich bin bemüht, auch im Wartburgkreis Verbraucherschutz hochzuhalten. Wir haben die Zentrale in Bad Salzungen geschlossen. Es soll wieder versucht werden, eine einzurichten, auch da fehlt das Geld überall. Doch man muss eben Möglichkeiten
In Leimbach, das kennen hier auch einige sehr gut, fordert man seit Jahren eine Ortsumgehungsstraße und macht seiner Wut auf großen Tafeln Luft, die auch mich persönlich angreifen. Minister Carius würde sich vielmehr über eine Ortsumgehung freuen und bauen lassen, wenn er die Mittel dazu hätte.
(Zwischenruf Abg. Siegesmund, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Über welchen TOP reden Sie denn? Wir reden hier über Gleichstellung und Behinderte.)
Ich bin Vorsitzender des Rhön-Forums und würde mich freuen, wenn das eine oder andere gerade in Richtung Tourismus und barrierefrei dort passieren könnte, aber ich muss auch mit dem Geld so rechnen, dass das eine oder andere etwas weiter nach hinten gestellt werden muss. Ich könnte das jetzt unendlich fortführen, aber ich denke, mein Punkt ist klar geworden. Es gibt eine Vielzahl berechtigter Wünsche in Thüringen. Natürlich wissen wir uns der Wünsche benachteiligter Menschen im Besonderen anzunehmen, aber das kann nur im Rahmen unserer Möglichkeiten erfolgen.
Nicht in jeder Hinsicht stehe ich dem Gesetzentwurf ablehnend gegenüber. Zum Beispiel halte ich es für richtig, über die Höhe des Landesblindengeldes bei der nächsten Haushaltsdebatte nachzudenken. Was mich hier allerdings sehr stört, ist der Zeitpunkt, zu dem DIE LINKE den Gesetzentwurf in den Landtag einbringt. In nicht einmal zwei Wochen, am 6. Mai findet das nächste außerparlamentarische Treffen für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Thüringen statt.
Die CDU wird diesmal der Gastgeber sein. Bei diesem Treffen kann sich dann DIE LINKE einmal mehr als Retter und Rächer der Alten, Schwachen und Behinderten profilieren.
Das werden Sie tun, das weiß ich. Seht her, wir haben ein Gesetz eingebracht, das eure Forderungen und Wünsche aufgreift und die Fraktionen der Koalition haben es wieder einmal abgelehnt.
Nun gut, es ist das gute Recht der Opposition, Gesetze nach dem Prinzip „Wünsch Dir was“ zu entwickeln, ohne dabei die Finanzierbarkeit und das Allgemeinwohl ausrichtend im Blick zu haben.
bevorstehenden außerparlamentarischen Treffens auch für sehr durchschaubar. Sie betreiben hier mit landespolitischen Themen Bundestagswahlkampf. Das kann man vielleicht auch verstehen, schließlich läuft es ja bei den LINKEN auf der Bundesebene nicht gerade positiv.
Allerdings verurteile ich, dass Sie die Wünsche und Forderungen von Menschen mit Behinderung benutzen, um sich zu profilieren,
dass Sie Hoffnungen und Begehrlichkeiten wecken, die nicht alle und schon gar nicht auf einmal finanzierbar sind. Viel zielführender finde ich, dass dagegen die Ankündigung dieser Gesetze zur Verbesserung der Intgegration von Menschen mit Behinderungen auf einen Novellierungsbedarf hin zu überprüfen. Noch in diesem Jahr soll ein entsprechender Gesetzentwurf erarbeitet und im Kabinett behandelt werden. Ich denke, wenn das so geschehen soll, dann werden wir das überprüfen und werden das begleiten. Wie schon zu Beginn gesagt, lehnen wir den von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf für das Thüringer Behindertengleichstellungsgesetz ab. Der Gesetzentwurf steht einer verantwortlichen Finanzpolitik entgegen und widerstrebt damit dem Allgemeinwohl. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Grob, das waren ja echt starke Worte. Zum ersten Punkt: Wenn Sie unbedingt auf Betonkoalition machen und jedweden Antrag und Gesetzentwurf aus Oppositionsfraktionen nicht mal mehr an die Ausschüsse überweisen wollen und dass Ihre Begründung dafür ist, ausgerechnet über diesen Gesetzentwurf hier nicht mehr zu sprechen, dann muss ich sagen, sind Sie aber sehr kurz gesprungen, um deutlich zu machen, wie wichtig Ihnen die Rechte behinderter Menschen sind.
Ich bin auch sehr verärgert darüber. Ich komme gerade aus einer Besuchergruppe aus dem Förderzentrum in Greiz; die Schülerinnen und Schüler hätten sich das jetzt wirklich mal anhören müssen, um zu wissen, wie Zukunft nicht geht. Um Sie mal bei Ihren Worten zu nehmen, Herr Grob, „man weckt mit dem Gesetz Hoffnungen“ - ja, die stirbt mit der CDU nicht zuletzt, sondern zuerst, das haben Sie gerade auch deutlich gemacht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will mich jetzt gar nicht länger über die politische Kultur in diesem Haus auslassen, sondern zum Thema sprechen, auch das haben Sie ja eben nicht vermocht. Das Thema, über das wir heute sprechen, ist das Thüringer Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen. Es geht nicht nur darum, dass am 6. Mai eine nächste Zusammenkunft ist. Wenn Sie immer nur Ihren Terminkalender konsultieren, um sich politische Themen des Tages am Ende hier erklären zu können, ist auch das zu kurz gesprungen, sondern es geht übrigens auch darum um mal auf was anderes hinzuweisen -, dass sich der Europäische Protesttag für die Gleichstellung behinderter Menschen am 5. Mai zum 21. Mal jährt und da werden viele Themen angesprochen werden müssen, die Schwarz-Rot nach wie vor nicht gebacken bekommt in diesem Land. Nicht nur in diesem Land wird das Thema sein, sondern an ganz vielen Orten in Europa ist das immer noch Anlass für Aktionen, Demonstrationen und Fachveranstaltungen. Darum geht es in diesem Gesetz, gegen Diskriminierung und Benachteiligung von Menschen mit Behinderung und für echte Gleichstellung. Wir reden darüber, echte Gleichstellung erreichen zu können eben auch für Menschen mit Behinderung. Deswegen müssen wir uns auch in Thüringen fragen und tun dies an dieser Stelle anlässlich des Gesetzentwurfs zu Recht, wie es denn um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Thüringen steht und wie es um die Umsetzung selbstbestimmter Teilhabe von Menschen mit Behinderung in dieser Gesellschaft steht, weil das auch unser Verantwortungsbereich ist, Herr Grob. Nicht nur die Hoffnung, sondern auch die Taten sind unser Verantwortungsbereich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit dem 26. März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung geltendes Recht in Deutschland. Aber nur weil es geltendes Recht ist, heißt das noch lange nicht, dass es auch zur Umsetzung kommt. Wir haben also an dieser Stelle kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Sie sichert den Menschen mit Behinderung die universellen Menschenrechte auf der einen Seite zu, die ihnen ohne Zweifel zustehen, aber verlangt eben auch von den beigetretenen Staaten die Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft. Dass wir da noch einen weiten Weg zu gehen haben, ich glaube, da sind wir uns alle einig. Eine inklusive Gesellschaft, in der gerade die Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit der Menschen nicht nur geschützt und respektiert, sondern - und darum geht es auch - geschätzt und gefördert wird, das ist die Theorie, aber die Praxis sieht eben anders aus. Trotz verschiedener Gleichstellungsge
setze auf Bundes- und Länderebene werden Menschen mit Behinderung nach wie vor diskriminiert und benachteiligt. Da geht es um das Arbeits- und Berufsleben, aber auch um viele andere Dinge. Es gibt genug Beispiele, die sind auch hinlänglich bekannt. Das beginnt am Bahnhof, wenn Fahrstühle fehlen, das geht weiter, wenn man auf dem Amt ist und der Gebärdensprachdolmetscher eben nicht bezahlt wird. Das geht bis hin zum Urlaub, wenn die Ferienwohnungen im Zweifel aufgrund der Behinderung nicht zugestanden wird, sondern im Zweifel sogar gesagt wird, nein, wir nehmen lieber andere Menschen, die in dieser Ferienwohnung wohnen.
Da gibt es viele Beispiele und da darf man eben die Augen nicht zumachen, sondern wenn wir sagen, wir wollen selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe, müssen wir auch unseren Teil dazu beitragen und deswegen in allen Lebensbereichen der Gesellschaft auch schrittweise und zügig barrierefrei werden.
Nein, Herr Grob, da geht es nicht um den Wanderweg im Thüringer Wald als Erstes, sondern da geht es tatsächlich um die Fragen des täglichen Lebens.
Barrierefreiheit heißt eben nicht nur Stufenlosigkeit, sondern Nutzbarkeit für alle Menschen. Man muss eigentlich nur, um sich hineinversetzen zu können, wie es vielen Menschen im täglichen Leben geht, wenn sie eine körperliche Beeinträchtigung haben, sich mal in den Rollstuhl setzen oder Sie fahren mit einem städtischen oder kommunalen Behindertenbeauftragten mal durch die Stadt, dann sehen Sie das. Dann müssten Sie eigentlich, wenn Sie das schon erlebt haben, auch deutlich über das hinausgekommen sein, was Sie heute hier erzählt haben. Dann müssten Sie es eigentlich auch tatsächlich nur noch umsetzen, weil die täglichen Barrieren werden jedem sofort deutlich.
Nachdem die Landesregierung 2010 das Gleichstellungsgesetz ohne jede Änderung kommentarlos einfach entfristet hat und wir 2012 einen relativ dünnen Maßnahmeplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vor uns liegen haben,
stehen jetzt eigentlich zwei Fragen im Raum: Wird es in dieser Legislatur noch behindertenpolitische Impulse geben? Das ist die erste Frage. Und die zweite Frage ist, wo bleibt denn Ihre Einschätzung zu einer echten Gesetzesänderung und damit zu einem nächsten Schritt hin zu einer inklusiven Gesellschaft? Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich verstehe den Gesetzentwurf der LINKEN als Beitrag zu dieser Debatte und nicht allein unter der Überschrift des falschen Zeitpunkts, jedenfalls weil Sie das so eingeschätzt haben.