Protocol of the Session on July 4, 2008

(Beifall CDU, SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, weder von Abgeordneten, noch vonseiten der Landesregierung. Damit kann ich zunächst die Aussprache schließen und gehe davon aus, dass das Berichtsersuchen zu Ziffer 1 des Antrags erfüllt ist oder erhebt sich dagegen Widerspruch? Es erhebt sich kein Widerspruch, dann ist das so. Ziffer 2 des Antrags soll jetzt an den Ausschuss überwiesen werden und ich verweise darauf, dass die Fortsetzung der Beratung nur in einem Ausschuss stattfinden kann. Dann lieber den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt?

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das ist vernünftig; nehmen wir den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt.)

Dann lieber den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt. Bitte.

Frau Präsidentin, die Fortsetzung der Beratung in einem Ausschuss, das ist so richtig, allerdings ist die Ziffer 2 nicht die Fortsetzung der Beratung und demzufolge ist die Überweisung auch an mehrere Ausschüsse möglich.

Damit haben wir das jetzt hier zwischen uns auch geklärt. Es ist also nur die Weiterberatung der Ziffer 2 gemeint und demzufolge können wir dann über die Ausschussüberweisung natürlich an beide Ausschüsse abstimmen. Gibt es einen Vorschlag hinsichtlich der Federführung? Bitte, Herr Abgeordneter Schröter.

Dann Naturschutz und Umwelt.

Naturschutz und Umwelt, ja? Dann lasse ich jetzt über die Überweisung der Ziffer 2 des Antrags abstimmen, und zwar zunächst an den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Damit ist das einstimmig so beschlossen.

Dann lasse ich darüber abstimmen, wer für die Überweisung an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist. Wer für die Überweisung ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen?

Jetzt lasse ich noch über die Federführung abstimmen, die beim Ausschuss für Naturschutz und Umwelt liegen soll. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Damit ist dies ebenfalls so beschlossen.

Ich kann diesen Tagesordnungspunkt schließen und rufe auf den Tagesordnungspunkt 24 in den Teilen

a) Konsequenzen aus dem Ar- muts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung für den Freistaat Thüringen Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 4/4119 -

b) Folgerungen aus dem Ar- muts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung als ge- samtgesellschaftliche Heraus- forderung auch für Thüringen begreifen Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 4/4138 -

Wird vonseiten der Fraktion DIE LINKE Begründung gewünscht? Nein, vonseiten der CDU auch nicht, damit eröffne ich die gemeinsame Aussprache. Zu

nächst hat das Wort Abgeordneter Kubitzki, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wenn ich davon ausgehe, dass der 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung die Ursachen für Armut nicht beschreibt, der nur die Botschaft vermitteln will, der Sozialstaat wirkt, und wenn die Rolle des Reichtums in diesem Bericht verschwiegen wird, so müssen wir trotzdem feststellen, dass er erheblichen Wirbel bei seinem Erscheinen ausgelöst hat. Dabei müssen wir natürlich richtig feststellen, es ist ein Entwurf eines 3. Armuts- und Reichtumsberichts, der in der Zwischenzeit schon wieder überarbeitet und - ich muss das so feststellen - beschönigt wurde. Trotzdem kann dieser Entwurf des 3. Armuts- und Reichtumsberichts nicht verschleiern: In der reichen Bundesrepublik breitet sich immer mehr die Armut aus. Die realen Bruttolöhne und -gehälter sind zwischen 2002 und 2005 um 4,8 Prozent gesunken. Damit ist auch das Risiko der Einkommensarmut seit 2002 kontinuierlich angestiegen. Arm ist - so stellt der Bericht fest -, wer 60 Prozent unter dem mittleren Nettoeinkommen liegt, und das wird im Bericht beziffert mit einer Summe von 781 €. Im 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesrepublik lag dieser Betrag noch bei 938 € und entsprach dort der von der EU festgelegten Armutsrisikogrenze. Es ist natürlich zu fragen: Was hat die Bundesregierung bewegt, diesen Betrag runterzusetzen auf 781 €? Meiner Auffassung nach haben sich die Lebenshaltungskosten in dem vergangenen Zeitraum nicht gesenkt, sondern sie sind erhöht worden und haben sich erhöht. Damit ist dieser Betrag u.a. auch ein Ausdruck dafür, dass man von einer Politik des Gürtel-enger-Schnallens ausgeht, auch bei den Ärmsten der Armen. Das hat noch einen Nachteil, diese unterschiedliche Ausgangsbasis, dass nämlich ein statistischer Vergleich zwischen dem 2. und dem 3. Armuts- und Reichtumsbericht natürlich schwerfällt. Es wird festgestellt, 13 Prozent der Bevölkerung leben in Armut und ohne Sozialtransferleistungen läge diese Zahl bei 26 Prozent. Im Gegensatz dazu - und da sagt allerdings der Reichtumsbericht sehr wenig - nimmt der Reichtum in unserem Land immer mehr zu. Zahlen vom DIW aus dem Jahre 2002 belegen das. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung verfügen über 58,7 Prozent des Reichtums, die ärmsten 10 Prozent über einen Reichtumsanteil von -1,6 Prozent. Das heißt auf deutsch, sie haben Schulden. Die oberen 50 Prozent unserer Bevölkerung im Einkommen verfügen über 99,9 Prozent des Reichtums, die unteren 50 Prozent der Bevölkerung über einen Anteil von 0,1 Prozent. Das ist ein Beweis dafür, dass die Schere zwischen Arm und Reich in diesem Land immer größer wird. Bei diesen Unterschieden fällt mir auch

ein Sprichwort ein: „Armut ist keine Schande.“ Aber, meine Damen und Herren, Armut ist eine Schande für ein reiches Land wie Deutschland.

(Beifall DIE LINKE)

Ein Jahr vor den Wahlen wird auch in Ausführungen und in Presseveröffentlichungen deutlich, dass die Landesregierung in Thüringen erkannt hat, auch bei uns im Freistaat gibt es Armut. Und, Frau Ministerin, Sie haben ja in der vorletzten AusschussSitzung auch kundgetan, dass Sie es als eine Ihrer hauptsächlichen Aufgaben betrachten, gegen die Armut in Thüringen vorzugehen und dass Sie sich sinngemäß an die Spitze der Bewegung im Kampf gegen die Armut stellen wollen. Ich gehe mal davon aus und gehe immer vom Positiven aus, Frau Ministerin, dass Sie es ernsthaft persönlich wollen, dass etwas gegen die Armut in unserem Land getan werden muss. Ich gehe auch davon aus, dass Sie erkannt haben, das es eine Schieflage in dieser Gesellschaft gibt, nämlich die Unterschiede zwischen arm und reich. Auf der einen Seite leben Spitzenmanager von Konzernen in einer Maßlosigkeit und geben sich Gehälter, die jeder Beschreibung spotten. Ich muss allerdings auch sagen, meine Damen und Herren, ich erinnere an die gestrige Diskussion zu Diäten. Auch Ihr Verhalten, ja, Frau Groß, ich muss das hier an dieser Stelle sagen, auch das Verhalten, was die Mehrheit des Hauses hier an den Tag gelegt hat, bestärkt diese Tatsache, dass die, die in dem Land etwas zu sagen haben, zuerst an sich denken.

(Beifall DIE LINKE)

Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, gibt es immer mehr Menschen in diesem Land, die von ihrer eigenen Hände Arbeit nicht leben können. Das macht bei den Menschen die Politik unglaubwürdig. Vor allem, um das zu erkennen, bedarf es erst des 3. Armuts- und Reichtumsberichtes oder dieses Entwurfs.

Frau Ministerin, Sie müssen uns allerdings auch zubilligen, dass wir an Ihre Absicht mit einer gewissen Skepsis und einem gewissen Misstrauen erstmal herangehen, weil unsere Fraktion schon über Jahre Armuts- und Reichtumsberichte für Thüringen gefordert hat, dass wir auf das Problem der Armut mehrmals aufmerksam gemacht haben durch unsere Anträge und auch Änderungen vorgeschlagen haben. Ich erinnere an Probleme des Anhebens der Regelsätze. Ich erinnere an Anträge für kostenfreies Mittagessen in Schulen und Kindergärten und dergleichen mehr. Alle diese Anträge von unserer Fraktion sind bisher von der Mitte dieses Hauses abgelehnt worden. Deshalb ein gewisses Misstrauen, Frau Ministerin, von unserer Seite.

Ich erinnere noch: Vor einem halben Jahr stellte ich eine Mündliche Anfrage, wann die Landesregierung beabsichtigt, Sozialberichterstattung zu einem Armuts- und Reichtumsbericht zu erarbeiten. Der damalige Minister Zeh antwortete mir: Das wird die Landesregierung nicht tun. Das Geld dafür wollen sie lieber für soziale Zwecke ausgeben. Das wäre ja nicht schlecht, nur ich sehe nicht, wo dann das Geld ausgegeben wurde. Vor allem, Frau Ministerin, Sie haben ja selbst gesagt im Ausschuss, dass Sie schon über genügend Material verfügen bzw. daran arbeiten, eine Analyse hier für die Armut in Thüringen durchzuführen. Also, es wird schon Material bei Ihnen geben. Es gibt Erhebungen, die unterstreichen, die Armut ist in Thüringen angekommen. Ich möchte mich nur auf ein paar wenige Zahlen berufen, die den Bereich der Kinderarmut betreffen. So weist die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit im Juli 2006 aus, dass 57.332 Kinder unter 15 Jahren Sozialgeld beziehen. Das sind 21 Prozent der Kinder dieser Altersgruppe in Thüringen. In der Landeshauptstadt Erfurt betrifft das nach BAStatistik 7.695 Kinder und in Gera sind das 3.226 Kinder. Professor Ronald Lutz von der Fachhochschule in Erfurt geht davon aus, dass sich mittlerweile die Zahl - also das war die Zahl von 2006 - in dem Jahr darauf um mindestens 10.000 erhöht hat und dass nunmehr 61.000 Kinder von Sozialgeld leben. Dazu kämen nochmals 9.000 Kinder bzw. Jugendliche, die von anderen Sozialleistungen leben. Betrachtet man den prozentualen Zuwachs von Kindern, die 2004 auf Sozialhilfeniveau leben mussten, vom Sozialgeldbezug 2005, dann sieht das Resultat noch düsterer aus. In Thüringen macht dieser Zuwachs 162 Prozent aus, womit Thüringen bundesweit an der Spitze steht.

Armut, meine Damen und Herren, ist aber nicht nur aus finanzieller Sicht zu betrachten. Armut bedeutet Einschränkung bei der Teilhabe am Leben, bedeutet Bildungsarmut, bedeutet kulturelle Armut. Vielleicht haben Sie das als Landesregierung erkannt, wenn Sie jetzt sagen, Sie wollen etwas gegen Armut tun, weil - und das muss festgestellt werden - prekäre Lebenslagen gefährden den sozialen Frieden im Land und sie gefährden auch die Demokratie. Noch eins ist dabei festzustellen, meine Damen und Herren, der Mittelstand in diesem Land bricht allmählich zusammen, weil wir nur noch arm und weil wir reich haben. Die politische Mitte bricht weg. Das hatten wir schon mal in der Geschichte Deutschlands und wir wissen, wo das geendet hat.

Wenn wir auch sagen müssen, dass der 3. Armuts- und Reichtumsbericht einiges nicht konkret darstellt und vor allem die Ursachen der Armut nicht benennt, so muss ich an dieser Stelle sagen, ist er auch eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung, die rotgrüne Bundesregierung, die die Agenda 2010 ins

Leben gerufen und damit die Hartz-IV-Gesetze auf die Tagesordnung gestellt hat.

(Beifall DIE LINKE)

Das kann ich Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, nicht ersparen. Wenn Sie jetzt vielleicht auch sagen, das ist wieder populistisch; wenn wir sagen, Hartz IV ist Armut per Gesetz. Dieser 3. Armuts- und Reichtumsbericht, Herr Höhn, unterstreicht das eindeutig an Zahlen, die niemand widerlegen kann.

(Beifall DIE LINKE)

Hartz IV hat nämlich mit diesem Bericht ein Gesicht bekommen. Die Schlagzeilen, die mit der Agenda 2010 ins Leben gerufen wurden, diese Schlagzeilen sind zerplatzt wie Seifenblasen. Einige Beispiele will ich nennen. Was steht dort: fordern und fördern. Das Wort fördern, meine Damen und Herren, das ist doch schon lange aus dem Sprachgebrauch raus. Es wird doch nur noch von Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfängern gefordert. Diese Forderungen sind mit Repressionen verbunden. Ich erinnere nur an die Schlagzeilen, die wir hatten „Bespitzelung von Hartz-IV-Empfängern“. Das sind nicht nur Schlagzeilen, meine Damen und Herren, wir haben Belege dafür; darauf werden wir heute noch eingehen, dass es dafür ganz konkrete Beweise für diese Tatsachen gibt. Die Regelsätze, die mit dieser Gesetzgebung festgelegt wurden, die ermöglichen ein Leben in Armut, aber die ermöglichen keine Teilhabe.

Wenn ich mir mal die Sätze aufsplittere, so sind die Regelsätze auf einen Tagssatz aufgesplittet von 11,57 € von dem ich leben muss. Wenn ich die 347 € nehme, die ich im Monat zur Verfügung habe als Regelsätze, so splitten sie sich täglich auf z.B. für Ernährung 4,42 €, oder für die Gesundheitspflege mit 44 Cent. Oder was habe ich monatlich für Bekleidung zur Verfügung, das sind 34,08 €, oder für Möbel und Einrichtungen 27,73 €. Ich könnte das noch fortsetzen. Wir gehen zwar jetzt in die Schulferien, aber viele Familien bereiten sich auf die Schuleinführung für ihre Erstklässler vor, die in die Schule kommen. Ich habe mal ausgerechnet, was ungefähr der Durchschnittswert einer Grundausstattung für einen Schulanfänger ist. Der beträgt 150,04 €. Jetzt gehe ich davon aus, ein Hartz-IV-Empfänger bekommt 347 € Regelsatz, gut noch den Regelsatz seines Kindes dazu, aber davon gehen allein dann bei Schulbeginn 150 € ab, damit überhaupt das Kind in die Schule gehen kann, damit es die Ausrüstung hat. Da ist die Hälfte des Geldes weg.

Was hat Hartz IV noch gebracht? Das sind in der Regel zynische Begriffe: Ein-Euro-Job oder im Gesetz „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsent

schädigung“. Das ist nach meiner Meinung Zynismus pur. 1,25 € die Stunde und da wird oft schwere Arbeit dafür geleistet, alles unter dem Slogan „Wer Sozialleistungen bekommt, der soll gefälligst dafür auch etwas tun.“.

Es gibt in Jena einen Verein „Menschen ohne Bezahlung“. Da hat sich eine Gruppe zusammengetan, die hat ein Buch veröffentlicht, in dem sie ihre eigenen Empfindungen als Hartz-IV-Empfänger und ihre eigenen Probleme geschildert haben.

(Zwischenruf Dr. Zeh, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei: Das ist mit Lottomitteln bezahlt.)

Das Buch ist mit Lottomitteln bezahlt - das kann schon möglich sein.

(Beifall CDU)

Da schreibt ein Klaus Dieter Weller unter anderem: „Minijob, für’n Appel und ’n Ei, für’n Euro oder zwei, nimmst du den Job, den man dir reicht, weil man dir sonst die Leistung streicht. Für’n Appel und ’n Ei bist du mit dabei, wenn Nürnberg Arbeitnehmer zählt, selbst den, der kaum noch Geld erhält. Für’n Appel und ’n Ei bist zu endlich frei von allem Arbeitslosengeld, das Nürnberg nunmehr einbehält. Für’n Appel und ’n Ei ist dir’s einerlei. Steh auf und kämpfe zielgenau gegen den Sozialabbau.“ Das ist noch ein Mensch, der die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat.

(Beifall DIE LINKE)

Aber wie viele Menschen, meine Damen und Herren, haben als Hartz-IV-Empfänger ihr Selbstwertgefühl schon verloren. Mit Hartz IV verlieren die betroffenen Menschen ein Stück Eigenkontrolle über ihre Lebensgestaltung. Dieser Kontrollverlust ist Ausdruck ihrer Armutslage. Permanente Unsicherheit begleitet ihr Leben. Fragen wie: Lebe ich in einer Bedarfsgemeinschaft oder nicht? Kann ich noch Freunde besuchen oder nicht, um da schon in den Geruch einer Bedarfsgemeinschaft zu kommen? Habe ich die Anträge richtig ausgefüllt? Habe ich etwas vergessen und bekomme ich eine Sperre? All das begleitet deren Lebensumstände. Diese Armut insgesamt ist verbunden mit Ausgrenzung. So hat das Institut für Sozialarbeitsforschung des Vereins KICK e.V. unter anderem Armutslagen geschildert. Ich zitiere hier aus dem Bericht einer langzeitarbeitslosen Mutter, Hartz-IV-Empfängerin, drei Kinder unter 16 Jahren: „Die Lehrerin hat meine ältesten Tochter gar nicht erst gefragt, ob sie zur Klassenfahrt mitkommt. Allen hat sie einen Zettel ausgeteilt, nur meine Tochter hat keinen bekommen. Als sie fragte, wurde ihr gesagt, das könnt ihr euch

doch sowieso nicht leisten. Meine Kinder behaupten dann, sie wollten ohnehin nicht mitfahren. Aber das stimmt nicht. Meistens kann ich solche Fahrten ja ermöglichen, wenn ich es lange genug vorher weiß. Die Drei-Tages-Fahrt hat 60 € gekostet. Dafür habe ich ein halbes Jahr lang eisern 10 € pro Monat weggelegt. Mein kleiner Sohn ist jetzt in die Schule gekommen. Er hat sich sehr darauf gefreut und als das Klassenfoto gemacht wurde, hat er sich in die erste Reihe gestellt. Die Lehrerin hat ihn nach hinten geschickt. Das fand ich ungerecht, denn er war sauber gekleidet. Allerdings hat er keinen modernen Ranzen.“ Ob das nun, meine Damen und Herren, wie das die Mutter hier schildert, alles nun die Ursachen hat, wie sie das empfindet, das sei vielleicht dahingestellt. Aber, meine Damen und Herren, das drückt aus, wie sich Menschen, die in Armut leben, fühlen. Das ist das Schlimme an der Armut, die wir hier in Deutschland haben.

(Beifall DIE LINKE)

Ich könnte noch weitere Beispiele nennen, was die Agenda 2010 gebracht hat. Ich sage nur Gesundheitsreform, Zuzahlung Praxisgebühr - Endergebnis: eine Zwei-Klassen-Medizin. Der Anteil der Personen an der Bevölkerung mit gesundheitlichen Einschränkungen beträgt in der Einkommensgruppe unter 80 Prozent des mittleren Einkommens 20,8 Prozent, in der Einkommensgruppe mit mehr als 15 Prozent des mittleren Einkommens dagegen nur 3,3 Prozent. Man spricht bei Langzeitarbeitslosen von einer Verkürzung des Lebensalters von sieben bis zehn Jahren.

Meine Damen und Herren, Armut macht krank. Ich könnte noch die Rentenreform nennen, die, wie viele das jetzt schon sagen, zu einer Altersarmut führt - aber dazu kommen wir ja noch in dem SPD-Antrag am Mittwoch. Aber ich sage nur, was gemacht wurde: Rente mit 67, Anrechnung der Riester-Rente auf die Grundsicherung - alles das klärt nicht die Lage, sondern spitzt sie noch zu. Ich muss das an dieser Stelle sagen: Die Ursachen dafür wurden durch RotGrün in Berlin gelegt, dort wurde die Armut geschaffen bzw. die Zuspitzung der Armut und auf der anderen Seite wurden die Konzerne mit Steuern entlastet - alles zulasten der kleinen Leute und des Mittelstandes. Deshalb, meine Damen und Herren der SPD, müssen auch Sie überlegen, wenn Sie über Armut sprechen, wie Sie das hier in Thüringen tun, weil, dann müssen Sie Einfluss auf Ihre Regierungsbeteiligung in Berlin nehmen, dass dort eine andere Politik in diesem Land gemacht wird.

(Beifall DIE LINKE)

Frau Ministerin, wenn Sie es mit der Bekämpfung der Armut ernst nehmen, wenn Sie konkrete Vor

schläge zur Armutsbeseitigung vorlegen und nicht nur Fürsorge leisten wollen, dann werden wir Sie konstruktiv, aber auch kritisch begleiten. Es geht uns bei der Armutsbekämpfung darum, betroffenen Menschen zu helfen. Das hat für uns als LINKE Vorrang. Dabei sagen wir natürlich auch, das darf nicht nur bei der Armutslinderung bleiben und Schwerpunkt Ihrer Arbeit sein, sondern wir sagen, die Wurzeln der Armut müssen beseitig werden. Da nenne ich nur einige unserer Forderungen wie Mindestlohn, gleiche Bildungschancen von Anfang an, gleicher Rentenwert Ost und West, öffentliche Beschäftigung, Einführung einer Sozialpauschale usw. Aber wir fordern Sie auch auf, beginnen Sie, Frau Ministerin, die Ursachen der Armut und die Auswirkungen der Armut in Thüringen zu bekämpfen.

Zu unserem Antrag: Es gibt ja nun fast zwei gleichlautende Anträge von uns und von der CDU-Fraktion. Auch wenn wir schreiben, wir wollen bis zum Oktober einen 3. Armuts- und Reichtumsbericht, so bin ich mir natürlich der Schwere der Aufgabe dort bewusst. Allerdings ist der Antrag eigentlich schon vor vier Wochen erarbeitet und leider nicht im Plenum behandelt worden. Ich gehe auch davon aus, dass Sie in der Lage sind, Frau Ministerin, genug Material dafür zusammenzutragen, weil Sie im Sozialausschuss schon gesagt haben, dass Sie daran arbeiten.

Deshalb bitte ich um die Zustimmung für unseren Antrag und für die gemeinsame Diskussion und vor allem für Schritte, was wir unter anderem für Beiträge leisten können, die Armut in Thüringen zu beseitigen.

Am Schluss, Frau Ministerin, das Buch, aus dem ich zitiert hatte über Jenaer Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, möchte ich Ihnen übergeben.

(Beifall DIE LINKE)