Protocol of the Session on October 8, 2004

Ich begrüße Sie heute Morgen recht herzlich zur 5. Plenarsitzung des Thüringer Landtags. Ich begrüße die Damen und Herren Abgeordneten, ich begrüße recht herzlich die Regierungsvertreter, ebenso die Vertreter der Medien und unsere Gäste. Als Schriftführer haben neben mir Platz genommen die Abgeordnete Berninger und die Abgeordnete Walsmann. Marion Walsmann wird die Rednerliste führen.

Es haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Ministerpräsident Althaus, Minister Wucherpfennig, der Abgeordnete Döring, der Abgeordnete Lemke und der Abgeordnete Ramelow.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, wie wir gestern festgelegt haben, beginnen wir die heutige Sitzung mit dem Aufruf des Tagesordnungspunkts 3 in den Teilen

a) Viertes Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU, PDS und SPD - Drucksache 4/211 DRITTE BERATUNG

b) Achtes Gesetz zur Änderung des Thüringer Abgeordnetengesetzes Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU, PDS und SPD - Drucksache 4/212 ZWEITE BERATUNG

Wir haben eine gemeinsame Aussprache für Punkt 3 a und b. Mir liegen keine Wortmeldungen vor. Gibt es von Seiten der Abgeordneten zusätzliche Meldungen? Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann können wir über diesen Gesetzentwurf abstimmen. Wir haben damit die dritte Beratung hier durchgeführt und ich komme zur Schlussabstimmung für diese Verfassungsänderung. Das ist der Gesetzentwurf 4/211, über den wir jetzt abstimmen. Es ist die erste Abstimmung. Also die erste Abstimmung erst mit Handzeichen bitte abstimmen. Wer ist dafür? Das ist die übergroße Mehrheit. Wer enthält sich der Stimme? Es gibt keine Stimmenenthaltungen. Gegenstimmen? Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen und wir kommen zur Schlussabstimmung. Ich bitte Sie bei der Schlussabstimmung sich dann von den Plätzen zu erheben. Wer ist für diesen Gesetzentwurf? Wer enthält sich der Stimme? Wer ist gegen diesen Gesetzentwurf? Damit ist dieser Ge

setzentwurf einstimmig angenommen. Die Zweidrittelmehrheit ist erreicht worden.

Wir kommen zur Abstimmung zu dem Gesetzentwurf in Drucksache 4/212, der in zweiter Beratung hier beendet worden ist. Wer ist für diesen Gesetzentwurf? Wer enthält sich der Stimme? Wer ist gegen diesen Gesetzentwurf? Es sind keine Stimmenthaltungen, keine Gegenstimmen, damit ist dieser Gesetzentwurf angenommen. Wir kommen auch hier zur Schlussabstimmung und ich bitte Sie, sich von den Plätzen zu erheben. Wer ist für diesen Gesetzentwurf? Wer enthält sich der Stimme? Keine Stimmenenthaltungen. Wer ist gegen diesen Gesetzentwurf? Keine Gegenstimme. Damit ist auch dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4

Zweites Gesetz zur Änderung des Thüringer Personalvertretungsgesetzes Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 4/185 ZWEITE BERATUNG

Mir liegen keine Wortmeldungen vor. Gibt es noch weitere Wortmeldungen von den Abgeordneten? Das ist offensichtlich nicht der Fall. Damit wäre die zweite Beratung durchgeführt für diesen Gesetzentwurf und wir kommen zur Abstimmung. Wer ist für diesen Gesetzentwurf, den bitte ich um das Handzeichen. Wer enthält sich der Stimme? Wer ist gegen diesen Gesetzentwurf? Es gibt keine Stimmenenthaltungen, keine Gegenstimmen. Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen und wir kommen zur Schlussabstimmung über diesen Gesetzentwurf. Ich bitte Sie wieder, sich von den Plätzen zu erheben. Wer ist für diesen Gesetzentwurf? Wer enthält sich der Stimme? Wer ist gegen diesen Gesetzentwurf? Keine Enthaltungen, keine Gegenstimmen, damit ist auch dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt. Wir haben gestern festgestellt, dass wir die Tagesordnungspunkte 6 und 16 gemeinsam beraten wollen

Thüringer Gesetz zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 4/201 ERSTE BERATUNG

Kassensturz in Thüringen Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 4/140

Wird für den TOP 16 Begründung durch die Einreicher gewünscht?

(Zuruf Abg. Buse, PDS: Nein.)

Das ist nicht der Fall. Damit können wir in die Aussprache eintreten. Ich bitte Frau Ministerin Diezel in das Gesetz einzuführen.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, gemeinsam haben wir uns am Wochenende des historischen Tages der Wiedervereinigung, des 3. Oktober 1990, erinnert. 14 Jahre ist es nun her, dass die beiden deutschen Staaten sich wiedervereinigt haben, 15 Jahre, seit Mauer und Stacheldraht gefallen sind. Ich sage, wir erinnern uns eines Glückstages. Damals hat sich alles verändert von einem Tag auf den anderen. Und heute? Heute, so scheint es, ist das Glück, das damals so viele berauschte, bei manchem der Nüchternheit gewichen.

Meine Damen und Herren, ich möchte darum heute einleitend an die Rede von Bundespräsident Köhler am letzten Sonntag hier in der Erfurter Messe erinnern, denn ich meine, er hat in bemerkenswerter Klarheit die Wünsche wie auch die Ängste der Menschen in Deutschland aufgenommen und in einem positiven Blick nach vorn gebündelt. Ich stelle diese Erinnerung ganz bewusst an meine Ausführungen zum Zweiten Nachtragshaushalt, denn auch die Geschichte Thüringens, unsere finanzpolitische Situation, aber auch unser Gestaltungswille für die Zukunft lassen sich hierunter zusammenfassen. Ich zitiere, Frau Präsidentin: "Wir stehen vor einem Berg von Aufgaben. Manchem scheint er unüberwindlich. Ich bin davon überzeugt" - so der Bundespräsident "wir können und werden diesen Berg überwinden." Ja, es gibt nicht nur Erfreuliches zu berichten. Ja, ganz offensichtlich steckt Deutschland in Schwierigkeiten

(Beifall bei der PDS)

und diese Schwierigkeiten, meine Damen und Herren, machen auch vor den öffentlichen Finanzen Thüringens nicht Halt. Vielleicht müssen wir einsehen, dass wir alle vom Aufbau Ost manches viel zu kurz und viel zu schnell erwartet haben. Es ist Tatsache, wir bedürfen auch weiterhin der Solidarität. Das ist auch für Thüringen von besonderer Bedeutung, denn schon allein der Blick auf die Steuerdeckungsquote von 46,5 Prozent zeigt, dass wir noch ein Stück des Weges vor uns haben.

Meine Damen und Herren, wir werden diese notwendige Solidarität bekommen, aber es sind Hilfen

zur Selbsthilfe. Der Solidarpakt ist zwar bis 2019 festgeschrieben, aber er ist degressiv gestaltet. Auch die EU-Gelder im Rahmen des Strukturfonds werden ab 2007 im Zuge der Osterweiterung abgeschmolzen. Die Notwendigkeit der Hilfen beruht nicht auf 15 Jahren sozialer Marktwirtschaft, sie beruht auf 40 Jahren Planwirtschaft.

Meine Damen und Herren, wo stehen wir heute, knapp eine Woche nach dem Tag der Deutschen Einheit und kurz vor dem 15. Jahrestag der friedlichen Revolution? Wir haben Zukunft gestaltet, auch hier in Thüringen. Wir haben Schulen saniert. Wir haben Hochschulen saniert, mit modernen Bibliotheken ausgestattet, Hörsälen und Laborgebäuden. Wir haben Wohnraum geschaffen. Wir haben Straßen- und Schienenwege ausgebaut und das ganze Land ist mit einem modernen Kommunikationsnetz ausgestattet. Krankenhäuser und Einrichtungen der Altenpflege haben ein Niveau erreicht, das teilweise über dem der alten Länder liegt. Investitionen in Höhe von 32,5 Mrd.       Jahren gestaltet worden, Investitionen über den Thüringer Landeshaushalt. Ich möchte nur erinnern: 158 Maßnahmen an Krankenhäusern, 30 Polizeidienststellen, 60 Prozent aller Landesstraßen wurden in diesen 14 Jahren saniert.

(Beifall bei der CDU)

Und noch einmal die Zahl, weil wir immer noch in D-Mark fühlen: 64 Mrd. DM. Darunter fallen auch die Anstrengungen, die wir unternommen haben, die Umweltbedingungen zu verbessern. Luft, Wasser, Boden sind in einem Zustand, den wir ohne Bedenken unseren Nachkommen hinterlassen können. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist auch aufgrund der Lebensqualität gesteigert worden. Erst kürzlich hat die Universität Rostock hierzu eine umfassende Studie veröffentlicht. All diese großartigen Leistungen haben die Menschen unseres Freistaats hier in Thüringen geschaffen. Sie haben ihr privates und ihr berufliches Leben vielfach neu ausrichten müssen. Alle haben die Bereitschaft zur Veränderung bewiesen. Deshalb sind diese Erfolge unbestreitbar Erfolge der Thüringer Menschen.

Meine Damen und Herren, der Staat kann nur die Weichen stellen, Rahmenbedingungen schaffen. Den Weg in die Zukunft gehen die Menschen in Thüringen durch ihre Arbeit. Aber es ist auch eine Realität, dass sich einige auf den Weg in die Zukunft nicht mitgenommen fühlen, sie für sich selbst in eine ungewisse Zukunft blicken und sich zurückgelassen fühlen. Diesen Menschen müssen wir uns zuwenden. Aber trotzdem sollten wir die Erfolge des Aufbaus der 14 Jahre nicht kleinreden. Das Glas ist halb voll, meine Damen und Herren. Die mitunter aufflackernden Ost-West-Debatten zeigen aber leider

auch, dass das Erreichte mitunter zu wenig anerkannt wird und - ich habe auch den Eindruck - manchmal die Erwartungen zu hoch sind. Es gibt aber auch einen anderen Aspekt, meine Damen und Herren. Den Freunden, Bekannten und Verwandten aus den alten Ländern werden bei ihren Besuchen die baulichen Fortschritte vor Augen geführt. Neue Straßen, Autobahnen, sanierte Häuser, moderne Krankenhäuser, Pflegeheime hinterlassen natürlich Eindruck und wir sind stolz darauf. Doch es führt auch zu Missverständnissen. Denn diese Neubauten in Regionen, die andererseits noch gefördert werden müssen, führen dann schnell zu Vorurteilen. Was die sich da leisten, hört man manchmal. Außerdem muss man immer wieder sagen, man kann nicht gebraucht bauen, Neubauten sind Neubauten und die vielen neu sanierten Gebäude sind auch ein Ausdruck der Überwindung des Mangels aus der DDR-Zeit. Sie zeigen, wir haben diesen Mangel vielfach überwunden. Für den Betrachter aus den alten Bundesländern vermittelt sich mitunter vordergründig der Eindruck deshalb, der Aufbau Ost sei schon vollzogen. Wir sind gefordert, hier Aufklärung zu betreiben. Ja, die Hüllen stehen zum großen Teil, aber wir müssen diese Hüllen mit noch mehr Leben erfüllen, mit noch mehr Wachstum, mit noch mehr Arbeitsplätzen. Denn auch nach 14 Jahren Wiedervereinigung, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es immer noch teilungsbedingte Lasten. Wir bedürfen deshalb auch in Zukunft der Hilfe zur Selbsthilfe. Es ist eine Binsenweisheit und sie muss uns jeden Tag beschäftigen: Wir brauchen Hilfe zur Selbsthilfe.

Aber wir dürfen auch nicht immer zusammenzucken, wenn die Fragen nach dem Aufbau Ost kommen. Wir leben in einer offenen Gesellschaft, in der die Fragen und Antworten zu den täglichen Übungen gehören. Ich denke, gerade wir in Thüringen können uns mit großem Selbstbewusstsein dieser Diskussion stellen.

(Beifall bei der CDU)

Denn die Realitäten entsprechen zum Teil schon den Forderungen. So sieht der neue Solidarpakt bereits rückläufige Zahlungen vor. Zugleich sind auch die Ziele neu definiert worden. Beispielsweise sollen die Gelder zukünftig stärker für den Aufbau der Infrastruktur genutzt werden. Niemand fordert also mehr Geld. Deshalb sind die jüngsten Äußerungen des nordrhein-westfälischen sowie des bayerischen Ministerpräsidenten im Zusammenhang mit dem Aufbau Ost nicht nachzuvollziehen. Was die Kontrolle angeht, sind doch entsprechende Vereinbarungen getroffen. So werden die Zahlungen begleitet ab 2005 von Fortschrittsberichten. In diesen Berichten kann nachvollzogen werden, wie sich der Aufbau Ost in den einzelnen Ländern entwickelt. Somit bedarf es keiner neuen Forderung nach Kontrolle. Dies sind Äußerungen, die kurzfristig auf medialen Erfolg ab

stellen, ohne zu berücksichtigen, was sie bei Teilen der Bevölkerung anrichten. Politik sollte nicht den Fehler machen, Vorurteile zu produzieren oder zu bestätigen. Diese Form des Politikmarketings ist weder zielführend noch zusammenführend. Ich sage dies auch in einer Beratung des Landtags zum Zweiten Nachtragshaushalt für 2004, weil es zu den banalen Tatsachen gehört, dass der Aufbau Ost eben auch in Thüringen Geld kostet. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: War es nicht zwingend notwendig, schnell und entschlossen zu investieren und die Hypotheken der Vergangenheit Schritt für Schritt abzutragen? Waren es nicht Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der PDS, die in den zurückliegenden Haushaltsberatungen immer neue, höhere Schulden forderten? Schauen Sie Ihre Gegenfinanzierungsvorschläge zum laufenden Doppelhaushalt an. Immer lief es auf eins hinaus und ich zitiere: "eine geringere Absenkung der Nettoneuverschuldung". Nicht etwa, weil die Steuereinnahmen nach unten gerechnet wurden, sondern weil man mehr Ausgaben tätigen wollte. Und, meine sehr verehrten Kollegen von der SPD, ich kann mich noch sehr gut, Herr Dr. Pidde, an die große Koalition erinnern, wo auch die Forderung nach neuen Ausgaben und nach neuen Schulden von Ihrer Seite immer wieder aufgestellt wurde.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Wenn nichts mehr hilft, muss die große Koali- tion herhalten.)

Jetzt, meine Damen und Herren, kommt bestimmt die Frage: Aber in Sachsen? Hatte unser östlicher Nachbar eine andere Realität? Nein. Er ist einen anderen Weg gegangen. Wir haben von Beginn an versucht, bestehende Betriebe, die Not leidend geworden sind, zu unterstützen. Die Thüringer Landesregierung hat gemeinsam mit der GEW das FloatingModell, das heute mitunter kritisiert wird, auf den Weg gebracht. "Schulland Thüringen" hieß es deshalb in der "Wirtschaftswoche" in der vergangenen Woche.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch beim Wegfall von Aufgaben in der Landesverwaltung haben wir die Mitarbeiter nicht bedarfsgemäß gekündigt, sondern wir haben sie in andere Verwaltungen übernommen oder in die Kommunen überführt. Und dies oft mit großzügiger Mitgift, was das Geld betrifft. Überhaupt unsere Kommunen: Es war das Land, das die Steuerausfälle der Kommunen in den letzten Jahren in Höhe von 110 Mio.    Es war wiederum die Landesregierung, die ein Schulbausonderprogramm auf den Weg brachte. Die Liste ließe sich beliebig lang führen. Thüringen hat viele Maßnahmen, die andere Länder nicht als Landesaufgabe gesehen haben, für die Kommunen und in Gemeinsamkeit mit den Kommunen realisiert. Denn im Zentrum dieser Aufgaben stand immer der Kampf

um den Standort, der Kampf um den Arbeitsplatz, um die Beschäftigung. Dies galt im Umfeld des riesigen Transformationsprozesses von der Staatswirtschaft in die soziale Marktwirtschaft. Auch die private Vorfinanzierung, öffentliche Hochbauten hatte dies zum Ziel. So wurden, ich hatte schon auf das Schulsonderprogramm abgestellt, 92 Mio.  Schulen in den letzten beiden Jahren investiert. Damit wurden Lehrund Lernbedingungen an vielen Schulen verbessert, die eben nicht so schnell investiert worden wären, wenn es allein die Aufgabe der Kommunen gewesen wäre. Mit der privaten Vorfinanzierung haben wir in Thüringen viele Projekte erst möglich gemacht. Das Universitätsklinikum, die Bauten an den Hochschulen Schmalkalden, Ilmenau, Erfurt und Jena, die Sportgymnasien, viele Polizeiinspektionen und Justizbauten. Wir haben ein Bauvolumen mit dieser privaten Vorfinanzierung von 585 Mio.    ben damit Arbeitsplätze in den Regionen, vor allem in der Bauwirtschaft, gesichert und geschaffen. All das tat Sachsen nicht. In Thüringen haben wir auch unter schwersten Bedingungen Politik für die Gebiete fernab der Ballungszentren gemacht. Wir haben uns immer als Flächenland verstanden. Wir haben uns in Thüringen überall engagiert. Wir haben mit diesen Strukturen regionale Identität geschaffen und gestärkt. Und vielerorts ist in vielen Kreisen Wachstum entstanden und die Grundvoraussetzungen für Arbeitsplätze sind geschaffen worden.

Meine Damen und Herren, für all dies mussten wir natürlich Kredite aufnehmen. "Wir haben Schulden gemacht, hohe Schulden, und ich bekenne mich zu unseren Schulden", sagte Anfang 2003 der scheidende Regierungschef Bernhard Vogel hier im Thüringer Landtag. Was damals galt, das gilt auch heute. Ja, wir haben Schulden gemacht. Wir bekennen uns zu diesen Schulden. Wir bekennen uns dazu, denn sie waren und sind ein Wechsel auf die Zukunft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage es auch, wir sind stolz auf das, was mit diesen Schulden investiert wurde - Polizeiinspektionen, Hochschulen, Krankenhäuser, Universitäten. Und wir sind stolz darauf, was die Menschen in Thüringen mit diesem Wechsel gemacht haben in ihrer Arbeit und in ihrem privaten Leben. Trotzdem, dem Kabinett und ganz besonders mir fällt es schwer, neue Schulden zu machen. Ich muss in aller Deutlichkeit sagen, wir hätten - wäre die Wirtschaftssituation eine andere - einen akzeptablen Weg aus der Nettoneuverschuldung gehabt. Denn noch in der Mittelfristigen Finanzplanung des Jahres 2002 war eine Reduzierung der Nettoneuverschuldung von 393 Mio.  Jahr 2002 und 202 Mio.  ses Jahr vorgesehen. Die Nettoneuverschuldung sollte im Jahr 2006 auf null sinken. Dieses Ziel können wir leider nicht mehr erreichen.

Dennoch war das ein kalkuliertes Risiko, alles finanziell Machbare zu tun, um Beschäftigung zu sichern. Wir haben mit Abstand die niedrigste Arbeitslosenquote. Die Beschäftigungsquote in Thüringen ist höher als die in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Und wir hatten damals den Verschuldungsabbau fest im Blick. Dabei will ich nicht den Eindruck vermitteln, als ob das Erreichte auch das Ziel gewesen wäre. Denn Tatsache bleibt, wir haben eine viel zu hohe Arbeitslosenquote und wir haben insgesamt noch ein zu geringes Wirtschaftswachstum und eine zu geringe Steuerdeckungsquote. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir sagen, das Glas ist halb leer. Ich sage, das Glas ist halb voll. Denn es ist auch eine Tatsache, dass wir schon einen großen Teil der Wegstrecke zurückgelegt haben. Schauen wir auf die Entwicklung des Wirtschaftswachstums der verarbeitenden Industrie, schauen wir auf unsere Absolventen, dann können wir nicht sagen, das Glas ist halb leer.

Die Thüringer Finanzpolitik wurde erst in den letzten drei Jahren problematisch. Siebenmal mussten wir die Steuerschätzung massiv nach unten korrigieren. Einnahmeverluste im Vergleich zu den Planungen in Höhe von 2,2 Mrd.     führten deutlich zur Verschuldung. Ja, Sie werden jetzt sagen es sind die Planungen. Die Steuereinnahmen steigen doch wieder. Das ist richtig. Doch zunächst sind unsere eigenen Steuereinnahmen 2002 und man höre und staune - unter das Steueraufkommen von 1995 gesunken - 4,1 Mrd.  3,9 Mrd.  Inzwischen gab es zwar wieder eine leichte Erholung, wir liegen aber immer noch 60 Mio.   den Einnahmen von 1995.

Thüringen ist beileibe nicht das einzige Land mit Haushaltsproblemen. So sagte auf seiner Sitzung des Finanzplanungsrates im Sommer 2003 der damalige Vorsitzende der Finanzministerkonferenz, der Finanzminister Baden-Württembergs Gerhard Stratthaus, ich zitiere: "Die Konsolidierungsbemühungen der Länder wie der öffentlichen Haushalte insgesamt würden konterkariert, wenn die von der Bundesregierung projizierten gesamtwirtschaftlichen Wachstumsziele erneut verfehlt würden. Insofern steht auch der von den Ländern angestrebte kräftige Abbau der Verschuldung in den Folgejahren unter diesem Vorbehalt." Auch deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, habe ich die Ergebnisse der Mai-Steuerschätzung als bedrückend empfunden. Denn die prognostizierten Zahlen weisen auch in Zukunft stetig steigende Steuerausfälle in Größenordnungen von 250 Mio.     ! " dass wir die Strukturen unseres Landeshaushalts überdenken müssen, ja neu denken müssen. Es war klar, dass wir einen Nachtragshaushalt brauchen. Es war auch klar, dass dieser die Grenzen unserer Möglichkeiten deutlich macht. Ich habe dies bereits im

Mai vor der Wahl gesagt.

Das Jahr 2004, wie schon gesagt, war hinsichtlich der Einnahmeentwicklung ein äußerst schwieriges Jahr. Zunächst waren die Auswirkungen der anteiligen vorgezogenen Steuerreformstufe zu verkraften. Dieses Vorziehen hat die Landesregierung unterstützt, da Steuersenkungen Beschäftigung fördern und ihr Wachstum unterstützen. Leider ist die wachstumsfördernde Wirkung verpufft, da die Steuersenkung begleitet wurde von einer Diskussion um die Reform der Sozialsysteme. Verunsicherung, Zurückhaltung unter den Bürgern war die Folge, ein erheblicher Rückgang der Konsumgüternachfrage und ein Steigen der Sparquote. Selbst die positive Wirkung der Exporterholung konnte diesen negativen Trend nicht stoppen. Inzwischen können immer mehr Länder keinen verfassungskonformen Haushalt mehr aufstellen. Nach Informationen von Berlin-Online müssen inzwischen 6 von 16 Ländern eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geltend machen, so z.B. Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Erstmals meldete sich auch das wohlhabende Land Baden-Württemberg mit 2 Mrd.  # $ % hart an der Obergrenze. Das Jahr 2004 ist weiterhin konjunkturell stark belastet. Die Wirtschaftskrise war nachhaltiger und tiefer als in den Vorjahren eingeschätzt. Die mittelfristige Planung für das Jahr 2004 ging noch von Einnahmen aus Steuern und Länderfinanzausgleich in Höhe von 5,8 Mrd.  Inzwischen sind die Eckwerte im Zweiten Nachtragshaushalt, die auf der Steuerschätzung im Mai beruhen, von einem Volumen von 4,6 Mrd.   bleiben die Einnahmen um 1,2 Mrd.   & wartungen. Das sind 25 Prozent der Steuereinnahmen und 13 Prozent des Gesamtvolumens des Landeshaushalts.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Ich habe die Situation nie schöngeredet, denn schon zu Beginn des Jahres habe ich eine Liquiditätsreserve sowie eine Wiederbesetzungssperre ausgesprochen. Das wurde auch oft in den eigenen Reihen kritisiert. Nach der Mai-Steuerschätzung habe ich die Reserve endgültig gesperrt, die Wiederbesetzungssperre verlängert und auf die Notwendigkeit struktureller Veränderungen hingewiesen und zugleich den Nachtragshaushalt angekündigt.

Und nun, meine sehr verehrten Damen und Herren von der PDS, gestatten Sie mir ein Wort zu diesem Kassensturzantrag. Ich möchte dem ein Zitat voranstellen: "Deutschland hat in der Finanzpolitik keine grundlegenden Erkenntnisprobleme. Es gibt eine Fülle von Analysen und zielführenden Vorschlägen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Sie reichen von Jahresgutachten des Sachverständigenrates und der Forschungsinstitute bis zu den regel

mäßigen Expertisen der Deutschen Bundesbank und der Europäischen Zentralbank. Auch die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder geben den Parlamenten und Regierungen auf der Grundlage ihrer Prüfungsergebnisse regelmäßig Hinweise dafür, wie die begrenzten Haushaltsmittel wirtschaftlich sparsam eingesetzt werden. Die grundsätzliche Entscheidung zur Umsetzung vorhandener Konsolidierungsvorschläge und Konzepte ist Sache der Politik." Dieses Zitat, meine sehr verehrten Damen und Herren, stammt aus einem Beschluss der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder vom Frühjahr zur Verschuldungssituation des Bundes und der Länder. Sie können das im aktuellen Jahresbericht 2004 des Thüringer Rechnungshofs - Drucksache 4/78 - nachlesen. Die eingehende Analyse des Rechnungshofs zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung des Landes anhand der Haushaltsergebnisse und den finanzwirtschaftlichen Kennzahlen können Sie im Jahresbericht ebenfalls nachlesen.

Nunmehr soll der Rechnungshof auf Antrag der PDS ersucht werden, ein weiteres Gutachten zur aktuellen Haushaltslage zu erstellen. Ich frage Sie: Welches Erkenntnisproblem könnte hierdurch aufgeklärt werden? Mit diesem Antrag stellen Sie juristisch eigenständige Organisationen auf eine Stufe mit der Landesverwaltung. Sie erwarten, dass der Rechnungshof über das Investitionsverhalten von Landesgesellschaften/-Unternehmen, an denen der Freistaat beteiligt ist, ein Gutachten verfasst. Das Finanzministerium macht darauf aufmerksam, dass dies wohl nicht mit § 88 Abs. 3 der Thüringer Landeshaushaltsordnung abgedeckt ist. In diesem Bereich werden überwiegend keine Haushaltsmittel des Landes bewirtschaftet. Es fehlt also an einer Ermächtigungsgrundlage. Die schutzwürdigen Interessen Dritter würden auch verletzt, wenn Investitionsverhalten von privaten Unternehmen offen gelegt würden. Es ist eine originäre Aufgabe der Landesregierung, unter der Federführung des Finanzministeriums die Finanz- und Wirtschaftslage des Landes zu analysieren und die finanzpolitischen Entscheidungen vorzubereiten.

Die Landesregierung nimmt diese finanzpolitische Verantwortung wahr und legt Ihnen heute entsprechend Artikel 99 Abs. 3 der Thüringer Verfassung einen Nachtragshaushalt vor und wird dann für das nächste Jahr einen neuen Haushalt vorlegen und in die parlamentarische Beratung gehen. Und noch eines: Die Landesregierung wird die verfassungsmäßige Obergrenze des Kredits einhalten. Da dies so ist und dies auch bestätigt wird vom Bund der Steuerzahler, sehen wir keine Grundlage für ein erneutes Gutachten des Rechnungshofs. Der Forderung der Rechnungshöfe sowie des Steuerzahlerbundes, den Investitionsbegriff enger zu fassen, stehe ich

prinzipiell offen gegenüber. Ich halte es jedoch bei der derzeitigen finanzpolitischen Situation für schwierig. Aber man muss dann auch diskutieren, ob denn nur Beton und Stahl eine Investition ist und ob nicht Investition in Bildung auch Investition ist.

(Beifall bei der CDU, PDS)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Ihnen vorliegende Nachtragshaushalt hat folgende Eckdaten: Die Nettokreditaufnahme liegt knapp unter 1 Mrd. '   ( ) Mio. "  *   $ 293 Mio.    &+  ,- $ insgesamt 144 Mio.    derausgaben in allen Einzelplänen ausgebracht. Notwendig wurde der zweite Nachtrag in erster Linie aufgrund abermals eingebrochener Steuereinnahmen. Allein 212 Mio.  mussten im Ergebnis der Mai-Steuerschätzung noch einmal verkraftet werden. Die Veräußerung im Bereich der Einnahmen in Höhe von 34 Mio.  !-. nen nicht realisiert werden. Die Einnahmeentwicklung des Landeshaushalts ist aber nur die eine Seite des Nachtragshaushalts. Genau so schwierig ist von uns leider unbeeinflussbar die Entwicklung der Ausgaben aus Bundesgesetzen. Sie engt unseren Spielraum weiter ein.