Protocol of the Session on July 4, 2006

Wir halten uns an die Definition des Bundesverfassungsgerichts, das aus dem Recht auf Berufswahlfreiheit, das ein Grundrecht ist, die Notwendigkeit eines auswahlfähigen Angebots ableitet, also nicht, jeder erhält irgendein Angebot. Was diese Anforderung für die Leistungen der Thüringer Landesregierung auf dem Feld der Ausbildungspolitik bedeutet, wird Ihnen klar sein. Sie können mit den Ergebnissen Ihrer Politik in keiner Weise bestehen und nicht zufrieden sein, vor den Anforderungen des Grundgesetzes nicht und vor den berechtigten Ansprüchen und Hoffnungen der jungen Generation schon gar nicht. Es ist wahr, dass ein solches Angebot in den letzten Jahren auch in vielen alten Bundesländern nicht mehr gewährleistet ist. Aber erstens ist das Missverhältnis zwischen der Zahl der Bewerber und der Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze im dualen System dort bei weitem noch nicht so katastrophal wie bei uns und zum Zweiten ist es nur ein Argument mehr, dass wir grundsätzliche Schritte zur Orientierung des Unternehmensinteresses in diesem Zusammenhang brauchen.

Ihr lautes Getöse um einen solchen Pakt kaschiert erstens das Versagen der Unternehmen und zweitens das Versagen der Landesregierung selbst.

Zum einen: Die Regierung lehnt es nach wie vor ab, über wirksame Schritte zur Erhöhung der Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze nachzudenken, die über gemeinsame Sektempfänge und unverbindliche Aufrufe an die Adressen der Unternehmer hinausgehen, selbst wenn es offensichtlich immer weniger Ausbildungsplätze gibt. Zum Zweiten - darüber haben wir schon oft genug gesprochen -, die Regierung hat auch im eigenen Haus ihre Aufgaben nicht gemacht.

Was viele junge Leute in dieser Situation tun, ist klar: Sie verlassen uns. Meine Kollegin Leukefeld hat das schon ausführlich erläutert. Aber ich denke, davor dürfen wir nicht kapitulieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, damit sind wir bei der Crux auch des diesjährigen Ausbildungspakts. 2010 erwarten wir 110.000 Einstellungen aufgrund des Fachkräftebedarfs. Eine quantitative Aussage, die natürlich qualitativ untersetzt werden muss. Es bedeutet nicht, dass wir 2010 110.000 mehr Arbeitsplätze haben werden. Es bedeutet, dass wir Menschen brauchen, die sie qualitativ ausfüllen können.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Entwicklung des Fachkräftebedarfs in Thüringen hat spätestens mit der Fortschreibung der auch so benannten Studie 2004 Gestalt und Konturen bekommen. Regional ist dargestellt, wie sich Berufsgruppen entwickeln, und Gegenstrategien werden zumindest vorgeschlagen. Der Demographiebericht der Landesregierung ergänzt die Befürchtungen und wird um Etliches deutlicher. Natürlich ist nicht nur die berufliche Erstausbildung für die Sicherung des Fachkräftenachwuchses in Betracht zu ziehen, dessen politisches Hauptinstrument der Ausbildungspakt ist. Betriebliche Lösungsstrategien, betriebliche Weiterbildungen, Integration älterer Arbeitnehmer, Reaktivierung von Arbeitslosen sind nur heute nicht unser primäres Thema. In der Soestraer Untersuchung wird klar, dass schon sehr bald bei einer Fortschreibung derzeitiger Ausbildungsleistungen zum Beispiel in den Berufsgruppen Papierhersteller, Glasmacher, Keramiker, Chemiearbeiter, Lager- und Transportarbeiterberufe, Techniker, Mitarbeiter in Gesundheitsberufen, ich könnte noch einiges mehr aufzählen, eine Lücke zwischen benötigten Fachkräften und verfügbaren Auszubildenden zu erwarten ist. An dieser Stelle kommt der Ausbildungspakt ins Spiel. An welcher Stelle findet sich im Ausbildungspakt ein Hinweis auf die Überwindung des Fachkräftemangels in den eben genannten Berufsgruppen? Da heißt es auf Seite 48 der Fachkräftebedarfsstudie: Es gibt ein Defizit an zum Beispiel 3.500 Stellen in Gesundheitsberufen. Im Ausbildungspakt findet sich keine Spur der Erwähnung. Nicht nur, dass es seit Jahren immer weniger betriebliche Ausbildungsplätze gibt, gibt es keine konkreten Aussagen - und ich rede von konkret

und nicht pauschal - und Verpflichtungen zwischen den Paktpartnern zur konkreten Begegnung des Fachkräftemangels in welchen Berufsgruppen, in welchen Regionen wie viele Ausbildungsplätze wann zur Deckung und Sicherung des Fachkräftebedarfs konkret anzubieten sind, keine Bedarfsbeschreibung, aus der sich Leistungsgarantien ableiten, keine Verhältniswahrung zwischen Wunschberufen und Fachkräftebedarf und nur eine undifferenzierte Berufsorientierung.

Nicht nur, dass man die Fortführung des Ausbildungspakts schon aus quantitativer Sicht kritisieren muss, auch qualitativ ist er scheinbar wild zusammengewürfelt und eine Anreihung willkürlicher Maßnahmen zur Bearbeitung des Ausbildungsangebots. Etwas Berufsorientierung hier, ein paar Ausbildungsplätze dort und Modellvorhaben ganz woanders.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Ausbildungspakt wird dieser Problematik schon seit Jahren nicht gerecht. Die Summe der Fördermittel, die in diesem Bereich eingesetzt werden, ohne dass eine Verbesserung der Situation erreicht wird, ist ständig höher. Die Zahl Jugendlicher, die als benachteiligt eingestuft werden, steigt in Höhen, die nicht fassbar sind. Die Selbstverpflichtungen der Wirtschaft sind nur Trostpflaster unabhängig vom anerkennenswerten Engagement einzelner Unternehmen, Ausbildungsberatern, -kammern usw., denen allerdings seit vielen Jahren ein wirksames Instrument fehlt, denn die Politik schaut der Frustrierung der Jugend nur zu und meint, wir brauchen kein Konzept und alles ist wunderbar und toll.

(Zwischenruf Abg. Grob, CDU: Was wäre das für ein Instrument?)

Ihre Politik, werte CDU, ist nicht langfristig orientiert.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Das, was hier passiert, ist bloßes Herumlavieren. Deshalb muss es endlich Konsequenzen geben. Es kann nicht sein, dass wir ohne Widerstand immer weitere junge Menschen aus Thüringen gehen lassen.

(Unruhe im Hause)

Dass Sie um möglichen Fachkräftemangel wissen, Gutachten in Auftrag geben, Empfehlungen zur Kenntnis nehmen, aber dennoch nur sporadisch Maßnahmen ergreifen, ist nicht weiterzuvermitteln. In einem Tagesordnungspunkt loben Sie die Berufsakademien und ihre Arbeit für den Thüringer Fachkräftenachwuchs, gleichzeitig akzeptieren Sie, dass ihr Studienangebot möglicherweise geringer wird. Sie verweisen auf die so genannten weichen Stand

ortfaktoren, die für Thüringen sprechen, gleichzeitig starten Sie die für Familien unsägliche Familienoffensive. Wir fordern in diesem Punkt 2 unseres Antrags die Landesregierung auf, mit dem Abschluss und der Analyse des Ausbildungsjahres 2006 dem Landtag ein Konzept zur Sicherung des Fachkräftebedarfs für März 2007 vorzulegen, was diesen Namen auch verdient. Ich finde es traurig und schade, dass die Landesregierung, also auch die CDU, diesen Antrag ablehnen, denn in der schwierigen Gemengelage von Bedarf und Möglichkeiten der Unternehmen muss die Landesregierung motivierend und steuernd eingreifen. Es braucht ein Konzept, weil die Einwirkung auf Fachkräftebedarfe schwierig ist, weil es zum Beispiel zum einen in Berufsgruppen mit um- und angelernten Tätigkeiten viel leichter ist, Einstellungen zu realisieren, als in Berufsgruppen, die eine Berufsausbildung im dualen und Hochschulsystem erfordern, weil zum Zweiten es nicht per se in allen Berufsgruppen, Branchen und Regionen einen Mangel an Fachkräften geben wird, und drittens, die demografische Entwicklung und die Zusammensetzung der Schulabgängerzahlen nur insofern grundsätzlich relevant sind, wenn man die berufliche Erstausbildung als entscheidenden Faktor für die Sicherung des Fachkräftenachwuchses akzeptiert. Das kann man nicht alles dem Selbstlauf überlassen. Zu einem Konzept, wie wir es uns vorstellen, gehören vor allem anderen: Schritte zur umfassenden Erhöhung des Angebots an betrieblichen Ausbildungsstellen im Bereich der gewerblichen Wirtschaft, Hilfe für die Bemühungen des Handwerks, eine deutliche Erhöhung der Anstrengungen im öffentlichen Dienst, deutlich bessere Unterstützung der Arbeit der Ausbildungsverbünde - und da sind wir, glaube ich, gleich auf -, Maßnahmen, um die schlechte Ausbildung in Großbetrieben und Großbanken in die Pflicht zu nehmen, aber auch vorausschauende Erfassung des konkreten zukünftigen Bedarfs an Fachkräften, regional und branchenspezifisch, und ihre Einbindung in die Ausbildungspolitik der Landesregierung, ebenso Festlegungen zur Sicherung der Ausbildungsqualität im europäischen Rahmen, Festlegungen zur Förderpraxis und ein zielgerichtetes Zusammenführen mehrerer Förderinstrumente, Festlegungen zur Unterstützung der berufsbildenden Schulen und vieles mehr.

Ich kann kurz zusammenfassen. Erstens: Sie verfügen derzeit noch nicht über ein detailliertes, nach Regionen und Branchen gegliedertes abgestimmtes Konzept.

Zweitens: Sie halten ein solches Konzept für entbehrlich und nicht zweckmäßig. Danke.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Frau Abgeordnete, für den Begriff „schizophren“ in Ihrer Rede erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen von Abgeordneten liegen mir nicht vor. Das Wort hat Minister Reinholz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Hennig, Sie haben die Arbeit der Landesregierung als „schizophren“ bezeichnet, dafür soeben auch einen Ordnungsruf im Nachgang erhalten. Ich will einmal versuchen, warum die Einstellung, die sowohl SPD als auch PDS darlegen, als auch mit Ihrem Antrag an sich, ein wenig gespalten ist.

(Zwischenruf Abg. Thierbach, Die Links- partei.PDS: Ja, das müsste man von der Landesregierung auch sagen.)

Die SPD, meine Damen und Herren, müsste sich erst einmal entscheiden, was sie eigentlich will. Im Land fordert sie die Ausbildungsplatzabgabe und im Bund lehnt sie sie ab, weil sie keinerlei Handlungsbedarf sieht. In Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin, meine Damen und Herren von der PDS und von der SPD, sind Sie beide in Verantwortung. Dort erklärt die Landesregierung, dass man die Ausbildungssituation im Griff hat, und das bei deutlich schlechteren Zahlen als in Thüringen.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

Und wenn Sie von der SPD und von der PDS die Thüringer Situation kritisieren, dann sollten Sie sich auch einmal darauf konzentrieren, wo Sie tatsächlich in Verantwortung sind,

(Beifall bei der CDU)

nämlich in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern. Oder ist das eine andere SPD oder eine andere PDS? Das ist doch genau die gleiche Partei.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: … SPD ist es auf jeden Fall.)

An der Stelle tritt nämlich ein gespaltenes Verhältnis auf zu dem, was Sie eigentlich sagen. Das, was Sie in eigener Verantwortung zuwege bringen, zustande bringen, und das, was Sie hier fordern, liegt meilenweit auseinander.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

Ich will überhaupt nichts beschönigen, das habe ich ja in meiner Rede auch nicht getan, die Ausbildungssituation ist angespannt und der Fachkräftebedarf ist auch angespannt, aber auf die Art und Weise, wie Sie versuchen das Problem zu lösen, sollten Sie es einmal dort versuchen zu lösen, wo Sie auch tatsächlich in der Verantwortung sind. Da kriegen Sie es nämlich nicht hin.

Wenn Sie sich mal die Mühe machen würden und wenn Sie immer davon reden, es wird auf Empfänge gegangen und sonst was, ich bin oft genug in Thüringer Unternehmen unterwegs. Die Thüringer Unternehmen haben inzwischen erkannt, dass wir 2007 den Geburtenknick haben werden. Die haben auch inzwischen erkannt, dass wir 2010 nur noch zwei Drittel der Schulabgänger des Jahres 2003 haben werden. Die sind auf einem guten Weg. Was Sie, meine Damen und Herren, immer wieder vergessen, Thüringen ist bezüglich der In-eine-Lehrstelle- oder In-eine-Ausbildung-Bringen von Jugendlichen deutscher Meister in den Jahren 2004 und 2005 gewesen. Ich würde wetten, dass wir das auch im Jahr 2006 wieder werden. Ich freue mich schon darauf, wenn Sie mir im Jahr 2009 die Frage stellen: Wo kriegen wir denn endlich all die Lehrlinge her, die wir brauchen? Darauf freue ich mich schon ganz besonders. Dann kommt die Fragestellung nämlich umgekehrt. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage bzw. Nachfrage der Abgeordneten Hennig?

Aber selbstverständlich, Frau Hennig.

Ich muss dem deutschen Meister noch mal eine Frage stellen. Können Sie mir sagen, wie viel rein betriebliche Ausbildungsplätze es in Thüringen gibt?

Deutlich zu wenig, ich habe die Zahlen nicht griffbereit. Wir wären froh, wenn es deutlich mehr wären, deshalb sind wir ja bemüht, über andere Instrumentarien dort zu helfen. Ich denke daran, die 400 Stellen Ausbildungspakt Ost, die wir zusätzlich zur Verfügung stellen, kosten den Freistaat 16,2 Mio. €.

Das ist ein Haufen Geld, den Ihre Landesregierungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern nicht in die Hand nehmen.

Eine weitere Nachfrage, wenn gestattet, Herr Minister?

Sie stimmen mir aber schon zu, dass man Ausbildungsplätze nicht ohne Ihre Qualität miteinander diskutieren kann?

(Zwischenruf Abg. Grob, CDU: Das ist doch keine Frage)

Das war jetzt mal eine Suggestivfrage, doch, Herr Grob, Suggestivfragen fallen manchmal auch darunter. Auf Suggestivfragen antworte ich äußerst ungern, aber ich will Ihnen trotzdem etwas dazu sagen. Sicher stehen Qualität und Ausbildung miteinander in Verbindung. Aber wissen Sie, was auch wichtig ist, was wir hier an der Stelle immer vergessen, dass Eltern auch in Verantwortung sind und nicht nur die Schule in Verantwortung ist und nicht nur der Freistaat in Verantwortung ist und die Landesregierung in der Verantwortung ist, es sind auch die Eltern in Verantwortung.

(Beifall bei der CDU)

Ich erspare es mir jetzt, hier vor dem Hohen Haus ein paar Beispiele zu zitieren, weil ein guter Freund von mir Berufsschullehrer ist, der unterrichtet Germanistik und Sport. Ich kann Ihnen ein paar Dinge erzählen, da stellen sich Ihnen die Nackenhaare hinten hoch. Und das liegt nicht an der Schulbildung.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Ich kann Ihnen auch eine Story erzählen, da stel- len sich Ihnen die Nackenhaare hoch.)