Protocol of the Session on January 27, 2006

Die Richtlinie soll in erster Linie kleinen und mittleren Unternehmen den Marktzutritt in anderen Mitgliedstaaten erleichtern und daraus ergibt sich auch die besondere Bedeutung für uns hier in Thüringen. Das Grundprinzip der Richtlinie sieht vor, dass zum Beispiel für einen Thüringer Dienstleister, der grenzüberschreitend seine Tätigkeit anbietet, nur deutsches Recht zur Anwendung kommt. Das würde den derzeitigen Bürokratie- und Verkehrsaufwand bei der Erbringung von Dienstleistungen im europäischen Ausland erheblich reduzieren. Darüber hinaus stünde ein Ansprechpartner als Mittler zur Verfügung. Für exportorientierte Thüringer Unternehmen wird deshalb Wachstum durch neue Absatzmärkte erwartet. In dem Maße, wie deutschen Dienstleistern die Auslandstätigkeit erleichtert wird, werden es ausländische Unternehmen auf dem deutschen Markt einfacher haben. Der Verbraucher kann aus einem vielfältigeren Angebot wählen; Dienstleistungsunternehmen müssen sich im verstärkten Wettbewerb behaupten.

Ein Abschotten des deutschen Marktes ist für uns weder möglich noch wünschenswert. Die Thüringer

Landesregierung unternimmt daher im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles, um aktiv Einfluss auf die Gestaltung der Richtlinie zu nehmen. Wir werden auch weiterhin nachdrücklich auf das Spannungsverhältnis zwischen den zu erwartenden wirtschaftlichen Vorteilen und den Risiken für die Sozial- und Qualitätsstandards im Dienstleistungsbereich hinweisen. In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung ein Gutachten über die Auswirkungen auf Dienstleistungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarkt in Auftrag gegeben. Auch für Thüringen werden verwertbare Ergebnisse und Erkenntnisse erwartet.

Noch nicht abschätzbar sind der Aufwand und die Ausgestaltung der in der Richtlinie eingeforderten einheitlichen regionalen Ansprechpartner für Dienstleister, die so genannten One-stop-Shops, und die Kosten für die Vernetzung der Behörden. Sie entschuldigen immer wieder diese Anglizismen, ich habe mich bei der Vorbereitung auf den heutigen Tag vergeblich bemüht, diese Anglizismen aus meinem Manuskript herauszubekommen, aber das ist einfach Brüssler Bürokraten-Euro-Deutsch oder wie auch immer. Man könnte sarkastisch sagen, so langsam werden die unsere deutsche Sprache noch kaputt bekommen.

Diese Vernetzung wird notwendig, um die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit zu vereinfachen, aber auch zur Überwachung und Kontrolle des Dienstleistungserbringers. Thüringen prüft derzeit das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer solchen Verwaltungsvernetzung. Wir erwarten, dass das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gutachten Handlungsoptionen bei der Schaffung einheitlicher Ansprechpartner im föderalen Staatsgefüge aufzeigt. Die thüringische Landesregierung favorisiert hierbei ein Andocken an bestehende Strukturen.

Die Schaffung einheitlicher Ansprechpartner ist ein Novum. Der Richtlinienentwurf lässt sowohl eine Ansiedlung bei den Verwaltungsbehörden als auch bei den Industrie- und Handels- oder den Handwerkskammern oder bei den Berufsorganisationen zu. Demnach könnten den Kommunen bzw. deren Aufsichtsbehörden möglicherweise Aufgaben übertragen werden. Darüber hinaus wird die Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Behörden debattiert. Nach dem vorliegenden Richtlinienentwurf der EU-Kommission soll der Mitgliedstaat, in dem der Dienstleister seinen Sitz hat, die Überwachung und Kontrolle des Dienstleistungserbringers ausüben, wenn die Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat erbracht wird. Die Aufgabe könnte möglicherweise den Aufsichtsbehörden übertragen werden. Die Bundesratsbeschlüsse kritisieren dieses Prinzip. Zudem sollen bei einer elektronischen Abwicklung der Verfahren die Übersetzungslasten - Klartext: Übersetzungskosten - vom Erbringer einer Dienstleistung auf die Behörde

des Empfängerlandes verschoben werden. Die vorhandenen personellen und finanziellen Kapazitäten kommunaler Behörden lassen dies ohne finanzielle Unterstützung nicht zu. Im ursprünglichen Kommissionsentwurf waren Bereiche wie Postdienst, Strom-, Gas- und Wasserversorgung von der Anwendung der Richtlinie ausgenommen. Die bisherigen Bundesratsbeschlüsse fordern zusätzliche Ausnahmen vom Anwendungsbereich für Gesundheitsdienstleistungen, audiovisuelle Dienstleistungen, Glücksspiel sowie Dienstleistungen von allgemeinem nichtwirtschaftlichem Interesse. Es handelt sich hier um besonders sensible Dienstleistungsbereiche, die nicht in die Zuständigkeit der EU fallen oder in denen ein besonderer Verbraucherschutz gesichert werden muss. Auf der anderen Seite ist sich die Landesregierung bewusst, dass eine Vielzahl von Ausnahmen dem Anspruch nach Rechtssicherheit für Unternehmen zuwider laufen. Nach dem Herkunftslandprinzip unterliegt der Dienstleistungserbringer allein den Rechtsvorschriften des Landes, in dem er niedergelassen ist. Das bedeutet:

1. Ein ausländischer Dienstleister erbringt in Deutschland eine Dienstleistung, ohne sich niederzulassen, es gilt ausländisches Recht.

2. Eine ausländischer Dienstleister lässt sich in Deutschland nieder und erbringt in Deutschland eine Dienstleistung. Es gilt deutsches Recht.

Nur für den ersten Fall kommt das Herkunftslandprinzip der Dienstleistungsrichtlinie zur Anwendung. Die Landesregierung erwartet wirtschaftliche Impulse und Vorteile für exportorientierte Thüringer Dienstleister. Diese Unternehmen müssen mit Einführung des Herkunftslandprinzips nur noch deutsches Recht beachten, um Zugang zum gesamten europäischen Binnenmarkt zu erlangen. Ein europaweiter Markt mit rund 450 Millionen Kunden steht thüringischen Dienstleistungsunternehmen damit offen.

Da aber die Bestimmungen des Herkunftslandes von denen des Aufnahmestaates teilweise erheblich abweichen, bestehen ordnungspolitische Bedenken gegen eine undifferenzierte Anwendung des Herkunftslandprinzips. Wenn Dienstleister aus allen Mitgliedstaaten Dienstleistungen in Thüringen anbieten würden, ohne sich niederzulassen, würden 25 unterschiedliche Rechtsordnungen gelten. Zudem muss der Verbraucherschutz angemessen berücksichtigt werden. Damit weiterhin hohe Standards für die Sicherheit und Qualität von Dienstleistungen gesichert werden können, sind Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip notwendig. Allerdings dürfen die Ausnahmen nicht dazu führen, dass die Richtlinie inhaltsleer wird. Der derzeit vorliegende Kompromiss zielt auf die grundsätzliche Beibehaltung des Herkunftslandprinzips bei Wahrung nationaler Standards.

Der Antrag Hessens vom September 2005 wurde in den Ausschüssen des Bundesrats, auch im Wirtschaftsausschuss, mehrheitlich vertagt und ruht derzeit. Ich gehe davon aus, dass der Antrag allgemein bekannt ist. Zum hessischen Vorschlag sage ich daher so viel: In Thüringen ist die Prüfung des Vorhabens noch nicht abgeschlossen; erwartet werden neben den bereits erwähnten Gutachten der Bundesregierung auch die Positionen der Thüringer Wirtschaftsverbände und -kammern.

Wie bereits gesagt, die deutschen Länder haben frühzeitig Position bezogen und Einfluss auf die Verhandlungen auf EU-Ebene genommen. Thüringen hat in drei Bundesratsbeschlüssen gemeinsam mit den anderen deutschen Ländern bedeutende Vorbehalte gegenüber dem Kommissionsvorschlag geltend gemacht und auf das Spannungsverhältnis zwischen den erwarteten wirtschaftlichen Vorteilen des Richtlinienvorschlags der Kommission und berechtigter Schutzinteressen der Mitgliedstaaten hingewiesen. Die Länder der Bundesrepublik Deutschland, so auch Thüringen, prüfen, ob eine neue Bundesratsstellungnahme notwendig ist, die von der Bundesregierung im Rat der Europäischen Union berücksichtigt werden müsste.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Mit Ver- laub, da wird es aber Zeit.)

Die Landesregierung hält es für erforderlich, dass die Stellungnahme der Länder den bereits geäußerten Bedenken Rechnung trägt. Dabei dürfen Kernelemente des Richtlinienvorschlags wie das Herkunftslandprinzip oder der horizontale Anwendungsbereich der Richtlinie aber nicht infrage gestellt werden. Letztendlich hängt die weitere Entscheidung über eine neue Bundesratsstellungnahme wesentlich von der Entscheidung des Europaparlaments ab. Aber ich bin sicher, dass wir auf dem Weg zu diesem ehrgeizigen Ziel 2010 kontinuierlich weiterkommen und dass wir auch in Thüringen hiervon die erwarteten Vorteile gerade bei unseren mittleren und kleineren Unternehmen haben werden. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Der Sofortbericht ist gegeben. Wird die Aussprache zum Bericht gewünscht? Jawohl, wird von beiden Fraktionen gewünscht. Damit eröffne ich die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort Abgeordneter Kubitzki, Linkspartei.PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich sagen, auch wir als Links

partei.PDS sind für einen europäischen Binnenmarkt. Wir sind für Europa, für ein gemeinsames Europa, ja wir sind für ein friedliches und soziales Europa. Wir sind für ein Europa, wo alle Menschen gleichberechtigt leben können und ein europäischer Binnenmarkt kommt diesen Bestrebungen entgegen. Aber dieser europäische Binnenmarkt, meine Damen und Herren, sollte auf den Prinzipien des fairen Wettbewerbs beruhen. Dieser Entwurf einer Dienstleistungsrichtlinie lässt diesen fairen Wettbewerb nicht zu, denn ein fairer Wettbewerb erfordert einen breiten Kernbestand an einheitlichen europäischen Regelungen. Nur dann haben alle betroffenen Dienstleister ein gleichmäßiges Spielfeld und unterliegen gleichen Regeln. Diese Dienstleistungsrichtlinie oder der Entwurf dazu widerspricht ihm. Deshalb sind die Bedenken der Landesregierung, was das Herkunftslandprinzip betrifft, richtig, aber noch nicht tief greifend genug. Nach der Richtlinie unterliegen Dienstleistungserbringer in Zukunft, wie das ja auch dargestellt wurde, lediglich den Bestimmungen des Herkunftslandes, dort, wo sie ihre Niederlassung haben. Das mag gut sein für ein deutsches Dienstleistungsunternehmen, dass es dann nach deutschen Richtlinien, nach deutschen Bestimmungen im Ausland tätig sein kann. Aber umgedreht ist es dann auch den ausländischen Dienstleistern möglich, nach ihren Standards, nach ihren gesetzlichen Regelungen, auch nach ihren Tarifbestimmungen oder auch keinen Tarifbestimmungen hier in Deutschland tätig zu sein. Es gelten bei uns dann für diese ausländischen Unternehmen eben nicht unsere Sozialstandards und es gelten auch nicht unsere Tarifbestimmungen. Das führt zu einem radikalen Wettbewerb, meine Damen und Herren, um die niedrigsten Löhne, die niedrigsten Preise und die niedrigsten Sozialstandards.

Es gibt aber auch einen Wettbewerb der Rechtssysteme innerhalb der EU. Sie haben das gesagt, 25 Rechtssysteme, 25 Gesetzlichkeiten sind dann anzuwenden. An dieser Stelle möchte ich noch betonen, dass wir nichts gegen Arbeitnehmer aus anderen europäischen Ländern haben, die hier bei uns arbeiten. Wir sind aber grundsätzlich dagegen, wenn diese Dienstleistungsrichtlinie so beschlossen werden sollte, die europäische Arbeitnehmer gegeneinander ausspielt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dienstleistungen müssen entsprechend ihrer Leistungen entlohnt werden. Dabei sollte der polnische oder portugiesische Arbeitnehmer genauso viel verdienen können wie der deutsche, der die gleiche Dienstleistung erbringt. Und es sollte umgedreht genau möglich sein, dass der deutsche Arbeitnehmer, wo dann nämlich die Möglichkeit besteht, dass er in einem ausländischen Unternehmen, was im europäischen Ausland niedergelassen ist, hier bei uns eine Dienstleistung

verrichtet, den gleichen Lohn bekommt, als wenn er in einem einheimischen Dienstleistungsbetrieb arbeiten würde. Gerade dieses Herkunftslandprinzip, so wie es jetzt in dieser Dienstleistungsrichtlinie dargestellt ist, lässt dieses Lohndumping, lässt diese Unterschiede eindeutig zu. Es sind vielleicht nur ganz wenige deutsche Unternehmen Nutznießer, ja wohl, wenn sie im Exportgeschäft tätig sind. Aber die Verlierer auf der Strecke sind die Dienstleister, die hier tätig sind. Die Verlierer auf der Strecke sind die Dienstleister, die hier im einheimischen Raum arbeiten werden und ihre Leistungen anbieten werden. Es besteht die Gefahr eines niedrigen Lohnniveaus, dass das weiter absinkt hier in Thüringen, wir haben schon das niedrigste Lohnniveau. Es besteht die Gefahr, dass dieses Lohnniveau weiter sinkt, weil dann die Dienstleistungsanbieter, die diesem Wettbewerb ausgesetzt sind hier bei uns in Thüringen, um wettbewerbsfähig zu sein, dann noch besonders an den Personalkosten sparen müssen. Sie haben das richtig gesagt, Herr Staatssekretär, es geht auch um Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Diese Richtlinie verschleiert und verwischt die Grenzen und die Unterschiede zwischen öffentlichen und gemeinwohlorientierten Dienstleistungen, die im öffentlichen Interesse erbracht werden und dem privatwirtschaftlichen Dienstleistungssektor.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es wird viel zu wenig bekannt gemacht, dass unter diese Dienstleistungsrichtlinie auch Kindertagesstätten fallen werden und fallen können, dass Bereiche der Bildung darunter fallen können und dass auch solche sensiblen Bereiche darunter fallen können wie die Müllentsorgung, was direkt unsere Kommunen betrifft. Ich behaupte doch nicht, dass das der Staatssekretär nicht gesagt hat. Ich habe gesagt, es ist viel zu wenig bekannt in unserem Land, was da auf unsere Dienstleistungsbetriebe zukommt.

Und da bin ich bei dem Punkt: Diese Dienstleistungsrichtlinie, meine Damen und Herren, berührt zutiefst die Interessen des Freistaats Thüringen und seiner Kommunen. Die Aktivitäten der Landesregierung, die hier heute dargestellt wurden, zeigen die Probleme dieser Dienstleistungsrichtlinie auf, um Bestrebungen zur Verbesserung durchzuführen, aber es hat keiner die Gewähr, dass im Europäischen Parlament noch Verbesserungen stattfinden werden. Es wird vielleicht die eine oder andere Schönheitsreparatur geben, aber dann, da bin ich gewiss, wird diese Dienstleistungsrichtlinie durchgeführt. So, wie die Dienstleistungsrichtlinie jetzt als Entwurf vorliegt, müsste es Auffassung der Landesregierung sein: Diese Dienstleistungsrichtlinie ist abzulehnen.

In seiner Regierungserklärung hat Ministerpräsident Althaus am 09.09.2004 erklärt, ich darf zitieren: „Die

Zahl der mittelständischen Unternehmen beeinflusst selbstverständlich die Stärke auch der öffentlichen Finanzen, die Höhe des Wirtschaftswachstums, das Einkommen und auch die Anziehungskraft der Region. Die Gemeinschaft, die sich also auf einen starken Mittelstand gründet, hat eine gute Zukunft, denn es sind gerade die kleinen und mittleren Betriebe, die das Rückgrat unserer sozialen Marktwirtschaft bilden. Sie sind die tragende Säule des wirtschaftlichen Geschehens in Thüringen und in der Bundesrepublik Deutschland. Ich bin dankbar, dass wir einen starken, innovativen und zukunftsfähigen Mittelstand in Thüringen haben.“

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Das ist alles richtig.)

Wer dann aber dieser Dienstleistungsrichtlinie in dieser Form nicht eine Absage erteilt, der schadet nämlich genau diesen Betrieben, von denen hier die Rede ist. Der schadet dem Mittelstand, der schadet unseren Handwerksbetrieben, der überlässt diese Einrichtungen dem freien Markt, was zum Abbau von Standards, was zum Abbau von Lohnniveau führt, was letzten Endes dazu führt, dass die Kleinen auf der Strecke bleiben und dass in Zukunft nur noch Dienstleistungskonzerne hier in diesem Land das Geschehen bestimmen werden. Und letzten Endes, wer diese Dienstleistungsrichtlinie in Form dieses Entwurfs nicht ablehnt und sich dazu positioniert, der widerspricht auch dieser Wirtschaftspolitik. Nicht umsonst hat in der vergangenen Woche die Thüringer Handwerkskammer gemeinsam mit dem DGB eine Erklärung verabschiedet, wo auch die Thüringer Landesregierung aufgefordert wird, diesen Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie abzulehnen.

Wenn Herr Ostermann als Präsident der Handwerkskammer diesen Schritt schon geht, ich glaube, dann hat man in unserem Handwerk die Gefahr, die diese Dienstleistungsrichtlinie mitbringt, erkannt. Die Handwerker sind selbst von ihrem Präsidenten aufgerufen worden, am 11. Februar in Berlin an den Demonstrationen gegen die Dienstleistungsrichtlinie teilzunehmen.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch sagen: Andere Bundesländer reagieren dort noch energischer auf diese Dienstleistungsrichtlinie. Sie erwähnten die Bundesratsinitiative des Bundeslandes Hessen, die eindeutig das Herkunftslandprinzip in der jetzigen Form, wie es im Entwurf steht, grundsätzlich ablehnt und die Bundesregierung auch dazu auffordert, diese Dienstleistungsrichtlinie und vor allem das Herkunftslandprinzip abzulehnen.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Sparkasse...)

Herr Kretschmer, die CDU-Fraktion aus Mecklenburg-Vorpommern hat in einer Pressemitteilung am 20.01.2006 ebenfalls diese Dienstleistungsrichtlinie abgelehnt. Ich kann hier den Abgeordneten Dr. Ulrich Born von der CDU-Fraktion Mecklenburg-Vorpommerns zitieren, der sagt: „Ziel der CDU ist es, die Chancen eines funktionierenden EU-Dienstleistungsbinnenmarkts mit sozialen Belangen in Einklang zu bringen. Lohn- und Sozialdumping müssen bei der Überarbeitung der Richtlinie ausgeschlossen werden.“ Das hat er nicht bei mir abgeschrieben. Das hat ein CDU-Mann gesagt, Herr Kretschmer.

Deshalb möchten wir die Landesregierung auffordern, im Bundesrat weiter Aktivitäten gegen die Prinzipien des Herkunftslandprinzips zu entwickeln. Ich möchte Sie auffordern, wenn der Entwurf in der jetzigen Form dem Europäischen Parlament vorgelegt und verabschiedet wird, dann Initiativen zu ergreifen, diesen Entwurf eindeutig abzulehnen. Es geht um unseren Mittelstand, es geht darum, dass wir einen Dienstleistungsmarkt in Europa wollen, aber auf hohen sozialen Standards, auf hohen Qualitätsstandards. Meine Damen und Herren, Voraussetzung dafür ist, dass wir in Europa eine Harmonisierung der Gesetzlichkeiten erreichen. Das ist eigentlich die Grundvoraussetzung, um auch einen europäischen Binnenmarkt in Europa zu verwirklichen. Ich danke.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das Wort hat Abgeordneter Höhn, SPD-Fraktion.

Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zu diesem Thema der EU-Richtlinie über die Dienstleistung am Binnenmarkt kann ich im Namen meiner Fraktion prinzipiell an der grundsätzlichen Kritik, die ich in der Debatte im letzten Jahr schon geäußert habe, anknüpfen. Kernpunkt der Kritik damals - sicherlich nicht verwunderlich - die Frage des so genannten Herkunftslandprinzips. Wenn nun die Abgeordneten des Europäischen Parlaments am 14. Februar über diesen Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie abstimmen, ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns in der Einschätzung einig, dass das wohl eine der bedeutendsten Entscheidungen und von großer Wirkung auf viele Arbeitnehmer in der Europäischen Union ist.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Das habt ihr aber erst sehr spät gemerkt.)

Ich komme noch darauf, Kollege Kretschmer. Ich will Ihnen zunächst einmal ganz deutlich die politischen Positionen meiner Partei und auch der Abgeordneten der SPE im Europäischen Parlament darlegen, bevor ich dann zu ganz konkreten parlamentarischen Initiativen, die jetzt noch geplant sind, komme, um dann daraus die Handlungen für Thüringen abzuleiten.

Die politische Dimension des Ganzen und die politische Position der Sozialdemokratie ist ganz eindeutig und in einigen Punkten, auch wenn es Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CDU-Fraktion, nicht gefällt, kann ich schon an einiges anknüpfen, was Kollege Kubitzki eben hier dargelegt hat. Die Öffnung der Dienstleistungsmärkte darf nicht zu Lohndumping und zu einem Wettrennen um die niedrigsten Sozialstandards und somit zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen. Es darf nicht zu Abschwächung von Umweltstandards führen und es darf nicht zur Aushöhlung nationalen Arbeitsrechts führen. Es darf auch nicht, wie das geplant ist, zu einer regelrechten Entrechtung von beispielsweise Leiharbeitern kommen, und es darf nicht - und das ist auch ganz persönlich und viele von Ihnen sind auch Kommunalpolitiker - zu einer Liberalisierung der Daseinsvorsorge führen. Ich sage es ganz klar, bei der Erbringung von Dienstleistungen müssen die Arbeits-, Gesundheits- und Lohnbedingungen des Landes gelten, in dem sie erbracht werden. Ihre Einhaltung muss durch die Stellen des Staates kontrolliert werden, in dem sie erbracht werden. Nur so lassen sich diese Dumpingeffekte vermeiden.

(Beifall bei der SPD)

Hohe Standards beim Umweltschutz dürfen nicht durch eine Öffnung der Dienstleistungsmärkte ausgehöhlt werden. Das führt - das ist schon dargelegt worden - zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen in Europa und gefährdet überdies hinaus Arbeitsplätze bei uns in Deutschland. Um den Punkt von vorhin noch etwas zu konkretisieren: Dienstleistungen von öffentlichem Interesse, wie die sozialen Dienste, wie Wasserversorgung oder auch der in Deutschland zu Recht sehr hoch gehaltene öffentlich-rechtliche Rundfunk dürfen eben nicht dem Diktat des Wettbewerbs unterworfen werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der derzeit vorliegende Richtlinienvorschlag der Kommission wird diesen Forderungen nicht gerecht. Ich untermauere noch einmal die Position, dass es einer grundlegenden Überarbeitung bedarf. Dafür habe ich auch persönlich mit den Kollegen des Europäischen Parlaments, der SPE-Fraktion, gesprochen. Ich weiß natürlich, dass die Linien in den einzelnen Fraktionen - quer

beet kann man sagen - im Moment in Bezug auf diese Dienstleistungsrichtlinien ziemlich unübersichtlich sind, weil die Interessenlagen der einzelnen nationalen Staaten eben so unterschiedlich sind, wie sie nun einmal sind. Aber dennoch muss es gelingen, die Entscheidungen, die der Binnenmarktausschuss vor Kurzem gefällt hat - wo wesentliche Forderungen, die ich eben auch hier dargelegt habe, schon einmal abgelehnt worden sind -, im Parlament selbst noch einmal zu korrigieren. Nach einem Gespräch mit dem Vorsitzenden der SPE-Fraktion, mit dem Herrn Martin Schulz, möchte ich hier noch einmal Punkte aufführen, die jetzt ganz konkret - und da bitte ich auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, Ihren Einfluss und Ihre Gespräche in die Richtung zu lenken -, dass eben diese Veränderungen auch bei den Kollegen der EVP-Fraktion noch möglich werden. Das wäre zum Ersten: Der freie Zugang von Unternehmen zum Binnenmarkt wird grundsätzlich gesichert; darüber sind wir uns alle einig. Die Zulassung eines Unternehmens in einem Land garantiert den ungehinderten Zugang in alle Länder. Das Herkunftslandprinzip muss aber ersetzt werden durch das Prinzip des freien Zugangs. In Artikel 1 der Richtlinie soll nach dem Willen der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament geregelt werden, dass die zu erbringende Dienstleistung unter dem allgemeinen und vor allem sozialen Recht des Ziellandes stattfindet. Das ist der entscheidende Punkt. Die Kontrolle darüber obliegt den Behörden des Ziellandes. Das schützt vor allem auch das ebenfalls zu Recht in Deutschland sehr hoch gehaltene Tarifrecht, aber auch andere Bereiche des nationalen Rechts. In Artikel 3 gibt es Veränderungsbedarf über den Vorrang der so genannten sektorellen Richtlinien vor der Dienstleistungsrichtlinie. Das heißt, erst greifen die Entsenderrichtlinie, Arbeitsrichtlinie, die Bioethikrichtlinie, die haben Vorrang vor der Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie.

Ein weiterer Punkt ganz konkretisiert noch einmal: Die Dienstleistungen von öffentlichem Interesse - das heißt vor allem bei uns in Deutschland die unmittelbare Daseinsvorsorge - sollen aus der Richtlinie ausgenommen werden, was vor allem - ich erwähnte es - für die kommunale Ebene eminent wichtig ist.

Zum Letzten, und das ist wohl der größte Streitpunkt auch momentan sowohl im Parlament als auch in der Kommission: Der Anwendungsbereich der Richtlinie muss beschränkt werden. Nach dem Willen der SPE- Fraktion sollen folgende Bereiche ausgegliedert werden und würden damit zu einer Entschärfung der vorhin beschriebenen Wirkungen führen. Das wären zum einen die Gesundheitsdienstleistungen, die sozialen Dienstleistungen, wie sozialer Wohnungsbau, Dienstleistung für Behinderte, Alten- und Pflegedienste, Zeitarbeitsfirmen sollen ausgenommen werden, der Bereich Abfallwirtschaft, Wasserversorgung,

Dienstleistungen im audiovisuellen Bereich, Dienstleistungen von Rechtsanwälten und Berufe und Tätigkeiten, die an der Ausübung der Staatsgewalt mitwirken, wie zum Beispiel Notare und Gerichtsvollzieher.

Meine Damen und Herren, wenn es wirklich gelingt, die Richtlinie jetzt noch im parlamentarischen Verfahren in den von mir geschilderten Punkten zu verändern, bin ich mir sicher, dass damit die Akzeptanz in den einzelnen Mitgliedstaaten steigen wird, jedenfalls in denen, die von dem bisherigen Entwurf negativ betroffen sind.