Protocol of the Session on September 16, 2005

(Heiterkeit und Beifall bei der Links- partei.PDS, SPD)

Für Thüringen einen Politikwechsel in Deutschland, wir brauchen einen Politikwechsel zu mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt, einen Politikwechsel zu mehr Klarheit in der Steuerpolitik und einen Politikwechsel für mehr Arbeitsplätze. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich frage: Wer wünscht die Aussprache zum Sofortbericht? Die Fraktion der CDU. Mir liegen die Wortmeldungen vor und ich rufe als Ersten auf Herrn Abgeordneten Pidde, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, was wir eben von der Finanzministerin gehört haben, das war eine ausführliche Erläuterung des Wahlprogramms der CDU und sie hat auch gleich noch einmal Kante gezeigt gegenüber der SPD-Politik. Sie sind sehr allgemein geblieben. Frau Ministerin, Sie haben auch nur an der einen oder anderen Stelle einmal ein Beispiel herausgepickt, wo Sie gesagt haben, Beispiele, einige wenige Beispiele,

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: „Korrekte Beispiele“ habe ich gesagt.)

die korrekten Beispiele werden Sie ja sicher von der CDU-Internetseite haben, die einzige Seite im Internet, die die Wahrheit für sich gepachtet hat. Das, was Sie zum Teil gesagt haben, war spekulativ, das Wachstum kommt und alles wird besser und das hat sich alles auch sehr gut angehört,

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sehr gut.)

aber wenn man sich ein bisschen mit Finanz- und Steuerpolitik befasst, weiß man, so geht es nicht. So wichtig die Reduzierung der Lohnnebenkosten ist, so undurchdacht und kontraproduktiv und auch unehrlich ist der Unionsvorschlag einer Mehrwertsteuererhöhung, um die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Nach neuesten Berechnungen bringt eine Mehrwertsteuererhöhung um 2 Prozentpunkte kaum mehr als 12 Mrd. € zusätzliche Einnahmen anstelle der von der Union unterstellten 16 Mrd. €. In der Öffentlichkeit wird von Ihnen der Eindruck erweckt, als würde das Geld 1 : 1 zur Senkung der Beiträge der Arbeitslosenversicherung verwendet. Das Gegenteil ist aber der Fall.

(Beifall bei der SPD)

Auch wenn Sie hier sagen, Frau Merkel hat die Länderfürsten nun dazu gebracht, dass noch mehr Geld zur Absenkung der Arbeitslosenversicherung verwendet wird, Sie wissen genau, Sie brauchen 15 Mrd. €, um diese 2 Prozentpunkte abzusenken und die Ministerpräsidenten der Länder schauen ja schon jetzt auf das Geld, um ihre Haushalte zu sanieren.

Fragt man, wie denn die Finanzlücke geschlossen werden soll, dann bekommt man nur Allgemeinplätze zu hören. Allenfalls zwischen den Zeilen ist von Leistungseinschränkungen im Bereich der Berufsqualifizierung und des 2. Arbeitsmarkts die Rede. Tatsache ist, dass nach dem Unionskonzept dramatische Leistungseinschränkungen in diesem Bereich vorgesehen sind, ein Bereich, der gerade für die neuen Bundesländer so wichtig ist.

Meine Damen und Herren, meines Erachtens mindestens genauso schlimm, wenn nicht noch schlimmer als die vorgenannten Aspekte sind die negativen Auswirkungen einer Mehrwertsteuererhöhung auf die Bürger und den Mittelstand, insbesondere das Handwerk. Um es mit den Worten von Herrn Kirchhof zu sagen, den ich gern zitieren möchte, Frau Präsidentin, wenn Sie das gestatten: „Das Leben wird vor allem für kinderreiche Familien, die ihren Konsum kaum einschränken können, teurer.“ Aber nicht nur die Familien sind benachteiligt, alle Personengruppen, die von einer Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge nichts haben, zahlen drauf: Rentner, Arbeitslose, Studenten, Selbständige.

(Zwischenruf Abg. Buse, Die Linkspar- tei.PDS: Nein, Frau Diezel hat gesagt, die gewinnen alle.)

Da hat sie das Vorzeichen vielleicht falsch gesehen.

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: Wenn mehr Arbeit bekommen, gewinnen alle.)

Der größte Verlierer der geplanten Mehrwertsteuererhöhung ist aber das ohnehin darbende Handwerk. Schon heute haben viele Handwerker keine Aufträge mehr, weil breite Bevölkerungsschichten nicht das Geld haben, um sich die relativ teuren Handwerkerpreise leisten zu können. Und Sie, meine Damen und Herren von der CDU, setzen da mit der Mehrwertsteuererhöhung noch eins drauf. Gleichzeitig reden Sie, wie unser Ministerpräsident Herr Althaus am 10.07. dieses Jahres im Deutschlandfunk, von einem Beitrag gegen die Schwarzarbeit. Pech für Sie, dass dies der Mittelstand und das Handwerk so nicht sehen. So hat der Präsident des Mittelstandsverbands ZGV Joachim Siebert in einem eindringlichen Schreiben an die Vorsitzenden der großen deutschen Parteien vor einer höheren Mehrwertsteuer gewarnt. Herr Siebert wörtlich, ich zitiere: „Eine Mehrwertsteuererhöhung trifft existenziell das mittelständische Handwerk und den mittelständischen Handel.“ Weiter heißt es: „Eine erhöhte Mehrwertsteuer verteuere den privaten und in einzelnen Branchenzweigen den betrieblichen Verbrauch.“ Dies führe zu einer weiteren Kostenbelastung für kleine und mittlere Unternehmen. Weiter

hin mahnt Herr Siebert, dass es höchst zweifelhaft ist, ob eine Mehrwertsteuererhöhung mittel- und langfristig zu einem nennenswert erhöhten Steueraufkommen führt. Die schädigende Wirkung auf die konsumnahe Wirtschaft hingegen ist offensichtlich.

Meine Damen und Herren, tatsächlich entpuppt sich die CDU-Mehrwertsteuererhöhung nicht nur als Konsumsteuer, die Mehrwertsteuererhöhung ist auch eine Investitionssteuer für die öffentliche Hand, da sämtliche Baupreise anziehen werden. Die höhere Mehrwertsteuer ist auch eine zusätzliche Energiesteuer,

(Unruhe bei der CDU)

die in der jetzigen Situation, in der das Öl bereits unerträglich teuer ist und das Gas nun auch noch um 15 Prozent teurer werden soll, das Ganze noch weiter verteuert.

(Beifall bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das sagt der Richtige.)

(Unruhe bei der CDU)

Der Liter Benzin wird mit der Mehrwertsteuererhöhung noch weiter verteuert um 2,2 Cent. Die SPD hat als Ausgleich für die Belastung vieler Arbeitnehmer durch die Ökosteuer wenigstens die Entfernungspauschale eingeführt, die Fortentwicklung der Kilometerpauschale. Die CDU erhöht die Benzinkosten und will gleichzeitig die Entfernungspauschale abschaffen und das bei mehr als 120.000 Thüringern, die über die Landesgrenzen hinweg pendeln müssen. Da frage ich mich, wo das durchdachte Steuerkonzept von Ihnen ist - doch wirklich Fehlanzeige.

(Beifall bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sie le- sen es noch nicht einmal richtig, Herr Pidde.)

Aber zum durchgerechneten Gesamtsteuerkonzept möchte ich Ihnen doch noch etwas sagen. Auf meine Kleine Anfrage Nummer 448 zu den Auswirkungen der drohenden Mehrwertsteuererhöhung auf den Freistaat Thüringen antwortete die Finanzministerin im Namen der Landesregierung. Auf die Frage nach den allgemeinen Auswirkungen hieß es: „noch keine näherungsweise belastbare Zahl.“ Auf die Frage zu den Kommunen: „Wegen der Komplexität des Aufgabenspektrums sind quantitative Aussagen zu eventuellen Mehrbelastungen nicht möglich.“ Auf die Frage nach der Belastung für Rentner, Familien und Arbeitslose: „Aussagen zu konkreten finanziellen Aus

wirkungen können nicht getroffen werden.“ Und auf die Frage, wie viele Menschen denn von der Senkung der Arbeitslosenbeiträge profitieren: „Eine genaue Ermittlung dieser Personenkreise ist nicht möglich.“ Im Prinzip konnten Sie auf überhaupt keine Frage irgendwie antworten. So ist also das Steuerkonzept mit Zahlen untersetzt, so haben Sie es durchgerechnet.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident hat noch am Dienstag vor einer Woche bei der Vorstellung des Thüringer Fortschrittsberichts Aufbau Ost die schwache Binnennachfrage als eine der Ursachen genannt, weshalb Thüringen zum wiederholten Mal Solidarpaktmittel nicht zweckentsprechend verwendet hat. Noch im Juni hat er gegenüber MDRaktuell ausgeführt - und hier das wörtliche Zitat von unserem Ministerpräsidenten: „Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer wäre in der gegenwärtigen konjunkturellen Situation Gift für Deutschland.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Leukefeld, Die Linkspartei.PDS.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Ministerin,

(Unruhe bei der CDU)

Sie können sich eigentlich jetzt gegenseitig beglückwünschen, da Sie mit Ihren beiden Anträgen ja hier nun doch den Wahlkampf noch mal live ins Parlament getragen haben, und Wiederholung ist ja Mutti von Weisheit, sagt man immer so. Ob es davon aber besser wird, weiß ich nicht.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Das ist ja richtig rührend.)

Das finde ich auch und deswegen tragen wir ja jetzt auch noch einmal ein Stück weit dazu bei, dass wir uns hier gegenseitig agitieren. Manchmal frage ich mich schon, auch gerade bei dem Beitrag von Frau Diezel, ob sie das alles auch wirklich glaubt, was sie da sagt

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: Ja. Ja.)

mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer und den Lohnnebenkosten.

(Zwischenruf Abg. Buse, Die Linkspar- tei.PDS: Dann wäre sie scheinheilig.)

Ich will zu Ihrem Antrag sprechen - ja, das bin ich nicht, das meine ich auch so, wie ich es sage.

Wie bekannt, werden die Lohnnebenkosten im engeren Sinne als die Lohn- und Gehaltsanteile bezeichnet, die direkt in die Sozialversicherung fließen, und zurzeit, abgesehen von der Pflegeversicherung, von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam getragen werden, paritätisch ja schon nicht mehr. Im weiteren Sinne sind Leistungen gemeint, die die Unternehmen neben den eigentlichen Löhnen und Gehältern für die Einrichtung und den Unterhalt eines Arbeitsplatzes aufzubringen haben. Viel wichtiger als die Lohnnebenkosten, und das wird unter Experten oft betont, ist ja die Bedeutung der Lohnstückkosten, denn Lohnstückkosten sind die angefallenen Lohnkosten je Produkt oder je erbrachter Leistung. Bei dieser Betrachtung wird die Arbeitsproduktivität mit eingerechnet. Und da für Deutschland eine sehr hohe Arbeitsproduktivität charakteristisch ist, liegt der Vorteil dieses Ansatzes meines Erachtens auch auf der Hand. Der springende Punkt ist nämlich nicht, ob in Deutschland die Löhne oder die Lohnnebenkosten hoch sind, sondern die Frage, und das betonen Sie ja auch immer wieder, ob sie wettbewerbsfähig sind. Dabei fällt die Entwicklung der Lohnstückkosten in Deutschland im Vergleich mit unseren Wettbewerbern nicht schlecht aus. Die Steigerung der Lohnstückkosten war hier zwischen 1995 und 2002 deutlich geringer als in der gesamten EU, in Großbritannien oder in den USA.

Aber ich will zu den Lohnnebenkosten zurückkommen, an denen sich ja die CDU festbeißt: Aus diesen Lohnnebenkosten erwächst, und das wird von der CDU-Fraktion in dem Antrag ja völlig ausgeblendet, natürlich auch ein Nutzen, denn die Beschäftigten müssen ihre sozialen Risiken auch weiterhin absichern gegen Krankheit und Arbeitslosigkeit. Sie müssen auch weiterhin für ihr Auskommen im Alter sorgen, also für die Rente. Diese Notwendigkeit bleibt bestehen, auch wenn die CDU an den Prozenten herumändert. Im Klartext heißt das: Die Beschäftigten tragen diese Kosten in jedem Fall oder sie müssen auf die Versicherung der Risiken verzichten. Wie das nicht funktioniert, zeigt sich übrigens in den USA, wo viele Menschen keine Krankenversicherung haben. Und ich will nur mal die Zahl sagen, in Deutschland sind das auch schon 300.000 Menschen. Das ist nämlich im Kern der Auswirkung eine Senkung der Lohnnebenkosten. Wenn die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung durch die Erhöhung der Mehrwert

steuer abgesenkt werden sollen, muss die CDU schon erklären, Frau Diezel, wer die Differenz trägt. Oder will die CDU die Standards weiter drücken? Wollen Sie dann letztendlich das Arbeitslosengeld senken oder wie soll das gehen? Dann müssen Sie es den Menschen auch vorher sagen.

Schauen wir uns die Wirtschaftsstruktur in Thüringen an. Etwa 88 Prozent der Unternehmen, das sind die meisten, haben weniger als 20 Beschäftigte. Ich frage mich: Was haben solche Kleinunternehmen vom Plan der CDU? Nehmen wir ruhig das monatliche Durchschnittseinkommen im produzierenden Gewerbe, im Handel sowie im Kredit- und Versicherungsgewerbe, das das Statistische Landesamt mit 2.100 € brutto angibt. Bei jedem der so entlohnten Beschäftigten spart das Unternehmen beim CDU-Konzept sage und schreibe 250 € im Jahr.

(Zwischenruf Reinholz, Minister für Wirt- schaft, Technologie und Arbeit: Das stimmt ja nicht.)

Ein Unternehmen mit fünf Beschäftigten hat auf diese Art also 1.250 € im Jahr übrig. Davon kann eine Zwanzigstel-Stelle zusätzlich eingerichtet werden. Prima, kann ich da nur sagen. Dazu würden aber dann natürlich noch die Belastungen durch die erhöhte Mehrwertsteuer kommen - dazu wird mein Kollege Huster dann noch was sagen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sie können ruhig zusammen auftreten.)

Abschließend dann noch etwas zu unseren Vorstellungen, wie wir die Lohnnebenkosten senken würden. Es ist Ihnen bekannt, aber ich sage es hier trotzdem. Die Linkspartei.PDS will erreichen, als Teil einer Reform der sozialen Sicherungssysteme die heutigen Lohnnebenkosten der Unternehmen komplett vom Faktor Arbeit abzukoppeln und durch eine Wertschöpfungsabgabe zu ersetzen. Unternehmen zahlen heute nach der Zahl ihrer Beschäftigten und der Höhe ihrer Bruttolöhne in die sozialen Sicherungssysteme ein. Aufgrund der ökonomischen Entwicklung ist die Zahl der Beschäftigten eines Unternehmens aber eben nicht mehr das entscheidende Moment der wirtschaftlichen Stärke. Und, meine Damen und Herren, Wachstum löst das Problem nicht, selbst wenn eine Riesenwelle über uns kommen würde, Wachstum löst das Problem nicht. Das jetzige System belastet arbeitsintensive Unternehmen und entlastet kapitalintensive. Und das, meinen wir, gilt es zu ändern.