Protocol of the Session on September 15, 2005

Gegenüber 1995 hat sich die Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes bei uns in Thüringen fast verdoppelt, nämlich plus 98,3 Prozent - danach folgen abgeschlagen Sachsen-Anhalt mit 83 Prozent und Sachsen mit 82,9. Das verarbeitende Gewerbe trägt heute mehr als 22 Prozent zur gesamten Thüringer Bruttowertschöpfung bei, rund 10 Prozentpunkte mehr als noch vor zehn Jahren und fast 5 Prozentpunkte mehr als im Durchschnitt aller neuen Länder, dort liegt sie nämlich nur bei 17,4. Die Zahl der Industriearbeitsplätze je 1.000 Einwohner ist seit Mitte der 90er-Jahre etwa um die Hälfte auf heute 62 gestiegen. Herr Matschie, der Durchschnitt liegt bei den neuen Bundesländern bei 44 und in den SPD-regierten Ländern Mecklenburg-Vorpommern wesentlich niedriger.

Auf regionaler Ebene haben sich zahlreiche industrielle Branchenschwerpunkte herausgebildet, Beispiele sind die Kraftfahrzeugtechnik und der Maschinenbau, z.B. im Südwesten Thüringens, die Mess-, Prüf- und Steuertechnik in der Mitte und die Optik-, Kunststoff- und Werkzeugtechnik in Ostthüringen. Diese Entwicklung ist das Ergebnis einer breit angelegten Förderpolitik, die auf eine staatliche Beeinflussung unternehmerischer Standortentscheidungen ganz bewusst verzichtet. Die Kombination aus flächendeckender Zulage mit Rechtsanspruch - wir haben das heute mehrfach gehört - zum Ausgleich von Standortnachteilen und die gezielten Zuschüsse für arbeitsplatzschaffende Investitionsvorhaben aus der Gemeinschaftsaufgabe hat sich in der Vergangenheit bewährt. Beide Instrumente sind stetig weiterentwickelt und auf das Wesentliche konzentriert worden, die Gemeinschaftsaufgabe zuletzt durch die Novellierung der Richtlinie im vergangenen Jahr, die Zulage durch das Investitionszulagengesetz 2005. Zulagen und Zuschüsse werden heute nur noch für Erstinvestitionen des verarbeitenden Gewerbes und einiger produktionsnaher Dienstleistungsbereiche gewährt. Die Förderung, meine Damen und Herren, setzt damit dort an, wo es angesichts der bestehenden Strukturprobleme auch noch notwendig ist. Die Gemeinschaftsaufgabe ist seit der Wiedervereinigung das zentrale Investitionsförderprogramm mit dem Ziel der Schaffung und Sicherung wettbewerbsfähiger Dauerarbeitsplätze in den neuen Ländern.

Als zweiter Eckpfeiler der Investitionsförderung ist die Zulage eine ganz wichtige Ergänzung. Der Rechtsanspruch sorgt für Planungssicherheit, bei den Investoren und die Steuerfreiheit natürlich für eine hohe Anreizwirkung. Darüber hinaus ist das Instrument durch die nicht notwendige Budgetierung flexibel zu handhaben. Die Landesregierung hat sich daher in den vergangenen Jahren entschieden dafür eingesetzt, die Investitionszulage über das Jahr 2004 hinaus zu erhalten. Das Investitionszulagengesetz 2005 ist nicht zuletzt aufgrund des beharrlichen Einsatzes des Thüringer Ministerpräsidenten und seiner ostdeutschen Kollegen gegen ganz erhebliche Vorbehalte der rotgrünen Regierung auf Bundesebene dann doch noch verabschiedet worden. Nach aktuellem Recht läuft die Förderung Ende des Jahres 2006 aus. Um eine belastbare Planungsgrundlage für Investoren zu schaffen, müssen wir uns deshalb frühzeitig Gedanken darüber machen, wie es mit der Zulagenförderung nach diesem Zeitpunkt weitergehen soll. Die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder haben sich bereits Ende Januar dieses Jahres für eine Fortführung der Zulagenförderung ausgesprochen. Der Ministerpräsident Dieter Althaus hat vor einigen Tagen dies noch einmal bekräftigt und damit den Vorschlag verbunden, die Zulage in dem Verlängerungszeitraum zunächst zurückzuführen und dann am Ende auslaufen zu lassen. Was ich im Übrigen selbst in den verschiedensten Veranstaltungen im vergangenen Jahr gepredigt habe, denn nichts ist so grausam wie ein schlagartig endendes Zulagen- oder Zuschussprogramm oder Förderprogramm, wie es jetzt ursprünglich von der bisherigen Bundesregierung geplant ist. Klar ist aber, meine Damen und Herren, dass eine Verlängerung ohne Auslaufregelung nicht durchzusetzen sein wird. Dagegen sprechen der hohe Anteil, den Bund und westdeutsche Länder zur Finanzierung der Zulagenförderung beitragen und auch die Kritik, die u.a. vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und vom Institut für Wirtschaftsförderung Halle, dem IWH, an dem Instrument vorgebracht wird.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Sie geben auf, bevor Sie gekämpft haben.)

Folgt man dem IWH, so lässt - Zitat - „die Tatsache, dass auf die Förderung ein Rechtsanspruch besteht, auf hohe Mitnahmeeffekte schließen.“ Der Vorschlag des Ministerpräsidenten trägt den mit der Investitionszulage verbundenen Problemen Rechnung und ist auch mit Blick auf die von uns angestrebte grundlegende Steuerreform ein ganz klares Signal. Es darf beim Abbau von steuerlichen Sonderregelungen keine Tabus geben. Darüber hinaus weist die vorgeschlagene Überführung der Zulage in die Gemeinschaftsaufgabe auch förderpolitisch in die richtige Richtung. Die Investitionszulage zielt als För

derinstrument mit Rechtsanspruch vor allem auf den Ausgleich von Standortnachteilen. Wir sind seit der Wiedervereinigung beim Abbau der Nachteile aber erheblich vorangekommen und werden in den kommenden Jahren weitere Fortschritte auch machen. Die Verbesserung der Standortbedingungen rechtfertigt es deshalb, Zulagenförderung mittelfristig zu beenden. In den kommenden Jahren müssen wir die Investitionsförderung noch wesentlich gezielter einsetzen. Hierfür ist die Gemeinschaftsaufgabe das deutlich geeignetere Instrument. Über die Förderung jedes Investitionsprojekts wird, wie Sie wissen, einzeln entschieden und wir können über die Gestaltung der Richtlinie auf Förderschwerpunkte und natürlich auch auf Konditionen Einfluss nehmen. Insgesamt wird in der Wirtschaftsförderung das Ziel, regionale Schwerpunkte, aber auch Branchen und Cluster durch den abgestimmten Einsatz aller zur Verfügung stehenden Instrumente zu stärken, noch mehr in den Vordergrund treten.

So wie der Ministerpräsident, sieht es auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der sich für eine einzelfallbezogene und regionalpolitischen Zielen entsprechende Investitionsförderung ausgesprochen hat. Auch die Enquetekommission, wir haben es bereits gehört, hatte den Investitionszuschüssen den Vorrang vor der Investitionszulage eingeräumt und in diesem Zusammenhang den mit der Einzelfallentscheidung verbundenen gezielten Fördermitteleinsatz bei der Gemeinschaftsaufgabe betont.

Mit der Überführung der Investitionszulage werden unsere Spielräume bei der Gemeinschaftsaufgabe gestärkt. Der Bund steht durch den Solidarpakt II in der Pflicht, sowohl die mit der Zulage verbundenen Steuermindereinnahmen als auch die Mittel für die GA-Förderung werden auf den so genannten Korb II angerechnet, aus dem bis zum Jahr 2019 insgesamt 51 Mrd. € unter anderem für die Wirtschaftsförderung zur Verfügung gestellt werden sollen. Entfällt das eine Instrument, muss dafür ein Ausgleich geschaffen werden, zwar ist der Korb II gesetzlich nicht geregelt, aber der Bund darf sich seiner Verantwortung für die Umsetzung des Korbes II nicht entziehen.

Aufgrund der schwierigen Haushaltslage in den neuen Ländern sollten wir aber Änderungen an dem bisherigen Finanzierungsmodus der GA prüfen. Die Überführung der Investitionszulage in die GA wird den zielgerichteten Einsatz der Gemeinschaftsaufgabe in den ostdeutschen Ländern stärken und der Thüringer Wirtschaft neue Impulse geben. Mit der vorgeschlagenen Weiterentwicklung der Förderung würde eine wichtige Grundlage dafür geschaffen, dass sich das dynamische Wachstum der Thüringer Industrie fortsetzen kann.

Im Übrigen, Herr Matschie, wundert es mich schon ein wenig, dass sich Ihr Parteikollege und Ministerpräsident von Brandenburg, Herr Platzeck, heute in „Freie Presse“ (Chemnitz) ähnlich äußert, wie der Ministerpräsident des Freistaats Thüringen. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Was sagt er denn?)

Lesen Sie es nach, „Freie Presse“.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Zitieren Sie mir mal, wo er die Auf- gabe der Zulage fordert.)

Haben Sie mich zum Schluss nicht gehört, was ich zum Korb II noch gesagt habe? Die Frage lautete sinngemäß: Der Aufbau Ost spielt im Wahlkampf eine Rolle, der im Kompetenzzentrum von Kanzlerkandidatin Angela Merkel für den Osten zuständige Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus will den Solidarpakt neu justieren. Matthias Platzeck: „Ich glaube, wir sind in dem Punkt sehr nah.“

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Aber es geht um die I-Zulage. )

Das gehört wohl nicht dazu?

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Das ist etwas anderes, was Sie da vorlesen.)

Das Wort hat der Abgeordnete Pidde, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass sich ein ostdeutscher Ministerpräsident derart gegen die Interessen des eigenen Landes stellt.

(Beifall bei der SPD)

Es ist schade, dass Ministerpräsident Althaus heute nicht da ist, dass er Wahlkampfveranstaltungen vorzieht, anstatt hier dem Parlament Rede und Antwort zu stehen. Das, was Herr Kretschmer vorgetragen hat, war doch sehr verworren. Er hat sich im Klein, Klein der Argumente verheddert. Auch die Ausführungen vom Wirtschaftsminister, der zuerst über den Äpfel-und-Birnen-Vergleich gestartet ist und dann über den allgemeinen Wirtschaftsexkurs redete, haben gezeigt, dass er bei dem wichtigen Förderins

trument der Investitionszulage die Flinte schon ins Korn geworfen hat. Das beste Beispiel war ja das Zitat von Ministerpräsident Platzeck, welches völlig aus dem Zusammenhang gerissen ist und wo wieder Äpfel mit Birnen verglichen werden.

Meine Damen und Herren, der Schaden, den die vom Ministerpräsidenten angestoßene Debatte langfristig nach sich ziehen wird, ist heute noch gar nicht absehbar. Er gibt mit seinen Äußerungen denen Munition in die Hand, denen der ganze West-Ost-Transfer seit jeher zu weit geht. Das Vorgehen des Ministerpräsidenten ist entweder Ausdruck einer totalen Überforderung und Hilflosigkeit oder aber eines vorauseilenden Gehorsams gegenüber Herrn Stoiber.

(Beifall bei der SPD)

Mit anderen West-Ministerpräsidenten hat er ja die Entsolidarisierung mit den neuen Bundesländern ganz offen angestrebt und auch vor Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht nicht zurückgeschreckt.

Meine Damen und Herren, der Solidarpakt II regelt die Mittel für den Aufbau Ost. Der Solidarpakt II ist großzügig mit Finanzmitteln ausgestattet und langfristig bis zum Jahr 2019 geregelt. Es ist doch naiv zu glauben, man könne den Solidarpakt II aufmachen und neu verhandeln. Ein besseres Ergebnis für den Osten als das, was unter Eichel und Schröder damals zustande gekommen ist, ein besseres Verhandlungsergebnis zum Solidarpakt II wird es nicht geben.

(Beifall bei der SPD)

Gegen Ihren Vorschlag, die Investitionszulage abzuschaffen und vielleicht stattdessen in die Gemeinschaftsaufgabe zu überführen, sprechen nicht nur wirtschaftspolitische Argumente. Ich will mal das Institut für Wirtschaftsforschung Halle zitieren, Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten: „Dass vor allem die ostdeutschen Länder trotz der offenkundigen Nachteile für eine erneute Verlängerung der Investitionszulage plädieren, hat wohl primär damit zu tun, dass sie als Steuerermäßigung den Verteilungsmechanismen des Steuer- und Finanzausgleichssystems unterliegt. Von einem ostdeutschen Bundesland ausgezahlte Investitionszulagen in Höhe von 100 € vermindern die insgesamt verfügbaren Einnahmen dieses Landes deswegen lediglich um 3 €.“

Meine Damen und Herren, wir wären doch mit dem Klammersack gepudert, wenn wir diese Investitionszulage, die fast ausschließlich von den alten Bundesländern finanziert wird, selbst zur Disposition stellen würden.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Abschaffung wäre ein Programm zur Sanierung der Haushalte in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg, da insbesondere die Geberländer die Investitionszulage zu großen Teilen über den Ausgleichsmechanismus des Länderfinanzausgleichs finanzieren.

Meine Damen und Herren, wer in Kenntnis der Zahlen so tut, als könne man bei dem Deal „Investitionszulage abschaffen, Gemeinschaftsaufgabe erweitern“, irgendwas gut machen, der beherrscht die Grundrechenarten nicht. Unser Ministerpräsident, unsere Landesregierung verschenkt schon heute Jahr für Jahr zig Millionen GA-Fördermittel im Bereich Wirtschaftsförderung, mehr als 100 Mio. € in den letzten Jahren. Unsere Regierung enthält unserer Wirtschaft, unseren Firmen dringend benötigte Gelder, geschenkte Gelder des Bundes, vor. Das passt doch alles nicht zusammen. Wenn unser Ministerpräsident der Thüringer Wirtschaft, der Thüringer Bevölkerung einen Gefallen tun will, dann rudert er zurück und sagt, die Sache mit der Investitionszulage war nicht bis zu Ende gedacht. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Minister Reinholz.

Sehr geehrter Herr Matschie, sehr geehrter Herr Dr. Pidde, wir wollen doch mal bitte eines klarstellen: Wenn es nach Ihrer rotgrünen Regierung gegangen wäre, wäre die Investitionszulage bereits am 31.12.2004 ausgelaufen.

(Beifall bei der CDU)

Nur auf massiven Protest von Ministerpräsident Althaus

(Heiterkeit bei der SPD)

zusammen mit seinen ostdeutschen Ministerpräsidenten hat sich der Bundeskanzler überhaupt bereit erklärt, bis zum 31.12.2006 zu verlängern.

(Beifall bei der CDU)

Zum 31.12.2006 läuft nach einem von Ihnen verabschiedeten Gesetz die I-Zulage aus.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Märchenstunde.)

Stellen Sie sich doch jetzt nicht hierhin und weisen sich als Retter der Wirtschaft in Thüringen aus und erzählen uns, Sie wollen die I-Zulage verlängern.

(Beifall bei der CDU)

Das, was in Ihrem Wahlprogramm geschrieben worden ist, das möchte ich hinterher - ich hoffe, dass es nie dazu kommt - erst einmal umgesetzt sehen.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Wir werden das umsetzen.)

Sie wollten die I-Zulage abschaffen, Sie hätten Sie schon Ende 2004 abgeschafft.

(Beifall bei der CDU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit beende ich den zweiten Teil der Aktuellen Stunde und ich schließe die heutige Plenarsitzung.

Wir hatten 16.00 Uhr vereinbart, es sind noch 6 Minuten bis 16.00 Uhr. Wir werden keinen neuen Tagesordnungspunkt aufrufen. Ich lade Sie noch mal alle recht herzlich heute Abend zum parlamentarischen Abend ein. Es wird ein interessanter parlamentarischer Abend, da wir alternative Energieformen nahe gebracht bekommen. Danke.