Protocol of the Session on July 1, 2005

Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich eröffne die 20. Plenarsitzung des Thüringer Landtags. Ich begrüße Sie alle recht herzlich - die Zuschauertribünen sind noch leer, also begrüße ich Sie besonders herzlich, meine sehr verehrten Abgeordneten, dass Sie alle hier vollzählig vertreten sind. Als Schriftführer hat neben mir Platz genommen die Abgeordnete Holbe und die Rednerliste wird von Frau EhrlichStrathausen geführt. Mir liegen keine Entschuldigungen vor.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf

Entwurf einer „Richtlinie für die Gewährung von Zuweisungen des Freistaats Thüringen zur Förde- rung freiwilliger Gemeindezusam- menschlüsse“ hier: Zustimmung des Landtags Antrag der Landesregierung - Drucksache 4/864 - dazu: Beschlussempfehlung des Innenausschusses - Drucksache 4/1027 -

Ich erteile der Abgeordneten Groß das Wort, um aus dem Innenausschuss zu berichten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, basierend auf einer Entschließung zum Thüringer Haushaltsstrukturgesetz wurde die Landesregierung gebeten, eine Regelung zur Förderung freiwilliger Gemeindezusammenschlüsse vorzulegen. Die Landesregierung legte in Drucksache 4/864 am 29.04.2005 eine Richtlinie vor. Der Zeitraum, diese zu erarbeiten, war relativ kurz. Deshalb bat sie den Landtag, eine Anhörung durchzuführen. In seiner 16. Sitzung am 14.06.05 wurde der Beschluss zu einer Anhörung gefasst. In Vorlage 4/106 der SPD-Fraktion und Vorlage 4/109 der CDU-Fraktion wurde vorgeschlagen, die kommunalen Spitzenverbände anzuhören. Die PDS hatte weiterhin in Vorlage 4/105 vorgeschlagen, verschiedene Bürgermeister noch anzuhören. Mehrheitlich wurde beschlossen, die kommunalen Spitzenverbände anzuhören. Die CDU-Fraktion hatte in Vorlage 4/108 einen Änderungsantrag zur Richtlinie eingebracht. Hier ging es um eine Ausnahmeregelung für Verwaltungsgemeinschaften, die unter die 5.000Einwohner-Grenze gefallen sind. Hier wurde der Wissenschaftliche Dienst bemüht. Dieser informierte die

Ausschussmitglieder, dass zu dieser Richtlinie der Landesregierung nur eine Zustimmung oder Ablehnung erfolgen kann. Darauf wurde die Vorlage 4/108 der CDU-Fraktion zurückgezogen.

Die öffentliche Anhörung der Spitzenverbände erfolgte am 29.06.2005. Der Gemeinde- und Städtebund äußerte sich allgemein zur Finanzierung, dem Inhalt und den Fördertatbeständen und betrachtete aus seiner Sicht die Vorteile und auch die Schwachpunkte. Der Landkreistag betrachtete hauptsächlich die Ziele der Richtlinie und stellte diese als fachgerecht fest. Explizit sagte auch der Landkreistag, dass die Richtlinie nicht störend für eine spätere Gebietsreform anzusehen ist. Es wurde vom Landkreistag empfohlen, keine Erweiterungen und Ausnahmen zuzulassen. Ähnlich wie der Gemeinde- und Städtebund sah der Landkreistag auch die Finanzierung als problematisch an. In der Sitzung am 29.06.2005 wurde der Richtlinie in Punkt b mehrheitlich zugestimmt. Danke.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Frau Abgeordneten Groß für ihre Berichterstattung und eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Enders von der PDSFraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die vorgelegte Richtlinie zur finanziellen Förderung von freiwilligen Gemeindezusammenschlüssen belegt eindrucksvoll die Konzeptionslosigkeit der CDU-Landesregierung in Sachen Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform.

(Beifall bei der PDS)

Sie ist Ausdruck des Eingeständnisses, offensichtlich die Probleme im Land zu erkennen, sie aber nicht grundsätzlich zu lösen. Diesem Vorwurf können Sie als Landesregierung kaum widersprechen, außer, Sie vertreten den Standpunkt, dass Thüringen gegenwärtig keine Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform braucht. Für diesen Fall müssen Sie sich den Vorwurf des mangelnden Problembewusstseins gefallen lassen, was nicht weniger bedenklich wäre. Der Richtlinienentwurf zeugt aber auch von einem hohen Maß an Handlungsunfähigkeit seitens der Landesregierung. Sie sind nicht bereit, zukunftsweisende Entscheidungen für dieses Land zu treffen.

(Beifall bei der SPD)

Vielmehr setzen Sie voll auf den Grundsatz des Aktionismus. Sie wollen damit die Öffentlichkeit täuschen, Sie wollen zeigen, dass Sie angeblich handeln. Das Gegenteil ist aber gegeben. Nicht Sie handeln, obwohl dies geboten wäre, sondern Sie fordern die Gemeinden auf zu handeln, ohne allerdings zu sagen, wohin die Reise gehen soll.

(Beifall bei der PDS)

Das ist verantwortungslos, planlos und konzeptionslos. So darf nicht einmal die Opposition agieren, schon gar nicht die Regierung.

Meine Damen und Herren, selbst das Verfahren zur Bestimmung der Rahmenbedingungen für die Förderung freiwilliger Gemeindezusammenschlüsse ist mehr als fraglich. Der Erlass einer Richtlinie fällt ausschließlich in die Kompetenz der Landesregierung. Bei der vorliegenden Richtlinie will die Landesregierung die Zustimmung des Landtags. Der Landtag hat aber andererseits nicht das Recht zur inhaltlichen Änderung des Richtlinienentwurfs. Sie wollen damit offenbar den Eindruck von Demokratie und Transparenz dokumentieren; doch dieses Vorhaben muss scheitern, und dies zu Recht. Der Landtag kann zwar über die Richtlinie debattieren, doch wirkliche Änderungen kann er nicht vornehmen. Jede Änderung der Richtlinie durch den Landtag wäre ein verfassungswidriger Eingriff in das Agieren der Regierung. Dieses musste auch die CDU-Fraktion, das haben wir vorhin auch gerade gehört, lernen, als sie ihren Antrag in der Sitzung des Innenausschusses zurückziehen musste. Damit hat die CDU-Fraktion nicht nur gezeigt, dass sie die Thüringer Landesverfassung nicht kennt, sondern auch,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ihr Schau- spieler, euch haben wir es doch auch erst erklärt.)

dass die von der CDU-Landesregierung vorgelegte Richtlinie selbst in der eigenen Mehrheitsfraktion als änderungswürdig angesehen wird. Herr Fiedler, sonst hätten Sie ja dort nicht versucht, einen Änderungsantrag einzubringen.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, wenn die Förderung freiwilliger Gemeindezusammenschlüsse so wichtig ist, dass sich der Landtag damit beschäftigen muss, wäre ein Gesetzgebungsverfahren der ehrliche Weg gewesen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Meine Damen und Herren, die Regierung hat stets betont, auf keinen Fall Hand an das Thema der Ge

meindegebietsreform zu legen, zumindest wollen Sie von der Regierungsbank keine offene Debatte darüber führen. Gleichzeitig hat Herr Althaus eine Reform des Finanzausgleichsgesetzes zulasten kleinerer Gemeinden angekündigt. Das, was Sie betreiben wollen, ist eine Gebietsreform durch die Hintertür. Wie Sie mit den Thüringer Kommunen umgehen, ist im höchsten Maße bedenklich, sogar aus verfassungsrechtlicher Sicht. Die Landesregierung hat sich erst vor wenigen Tagen den Verfassungsbruch vom Verfassungsgerichtshof bescheinigen lassen müssen

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Das ist doch Quatsch, ihr müsst es mal genau lesen.)

und wie es scheint - natürlich, ich kann ja noch lesen - ist ein Ende dieser Untreue gegenüber den Kommunen und der Landesverfassung bei

(Unruhe bei der CDU)

dieser Landesregierung nicht zu erwarten.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, der KFA ist dazu da, selbständigen Kommunen die gesetzliche Mindestausstattung zu garantieren. Wenn Sie kleine Kommunen zulassen, ja sogar bei einem Zusammenschluss von nur 1.000 Einwohnern fördern, haben Sie auch die notwendige Finanzausstattung zu gewährleisten. Sie können nicht einerseits Gemeindezusammenschlüsse über 1.000 Einwohner mit 30 € fördern und andererseits durch Kürzungen im KFA die Handlungsfähigkeit entziehen. Das ist inkonsequent und im höchsten Maße unehrlich.

Meine Damen und Herren, die vorgelegte Richtlinie enthält aus Sicht der PDS-Fraktion eine Vielzahl von kritisch zu bewertenden Auswirkungen, wobei ich nur auf einzelne Kritikpunkte heute hier eingehen möchte.

Erstens besteht die Gefahr, dass sich durch die Kopfprämie Gemeinden in solchen Strukturen zusammenfinden, die über kurz oder lang keinen Bestand haben werden. Wenn nur kurzfristig auf die Kopfprämie abgezielt wird, werden die beabsichtigten Strukturveränderungen kaum Bestand haben.

Zweitens: Die Landesregierung handelt mit dieser Richtlinie ohne eigene konzeptionelle Vorstellungen. Es ist überhaupt nicht klar, wohin mit dieser Regierung die Reise gehen soll. Auch der Gemeinde- und Städtebund hat am Mittwoch in der Anhörung erklärt, dass die Richtlinie nur dann Wirksamkeit

entfaltet, wenn ein bindendes Konzept - und so hat er es auch formuliert - mit Orientierungskriterien zu neuen Gemeindestrukturen durch die Landesregierung vorgelegt wird und dieses mit Hilfe der Richtlinie zur konsequenten Umsetzung kommt. Eine Bestandsänderung nur auf Grundlage der Einwohnerzahl fördert ja geradezu die Mitnahmeeffekte, ohne auch nur einen Schritt in den notwendigen Gebietsstrukturreformen vorwärts zu kommen. Gleichzeitig besteht die reelle Gefahr, dass die Landesregierung in wenigen Jahren mit einem Konzept ankommt, wonach die in diesem Jahr durchgeführten Strukturveränderungen wieder hinfällig sein werden. Was wollen Sie den Menschen für eine Botschaft vermitteln, das frage ich mich an dieser Stelle. Zudem müssen Sie beachten, dass gerade das Thema der Gebietsreform ein äußerst sensibles ist. Es gilt hier im besonderen Maße, die Bevölkerung mitzunehmen. Wenn mit Zustimmung der Menschen in diesem Jahr Gebietsreformen durchgeführt werden, ist dieses auf die hohe Akzeptanz in den betroffenen Gemeinden zurückzuführen. Ein Beispiel dafür, und das haben wir auch im Innenausschuss noch einmal angesprochen, sind die Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Rennsteig, die bereit sind, sich zu einer Einheitsgemeinde zusammenzuschließen. Doch hier würde eine Förderung über die vorgelegte Richtlinie nicht greifen, weil in der VG zwischenzeitlich die Einwohnerzahl knapp unter 5.000 gesunken ist. Gleichzeitig bietet die Richtlinie aber auch keine Möglichkeit der Förderung von Gemeindezusammenschlüssen über VG-Grenzen hinweg. Das ist einfach kurzsichtig, kontraproduktiv und für niemanden nachvollziehbar.

(Beifall bei der PDS)

Wenn Sie das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik derart missbrauchen, werden Sie auf Dauer noch mehr Menschen in die politische Resignation treiben. Diese Verantwortungslosigkeit ist in höchstem Maße aus politischer und demokratischer Sicht abzulehnen. Die CDU-Fraktion müsste, wenn sie heute konsequent handelt, den vorliegenden Richtlinienentwurf ablehnen. Die von der eigenen Fraktion vorgeschlagene Änderung im Richtlinienentwurf wurde durch die Landesregierung nicht aufgegriffen. Doch die CDU wird wie immer handeln, in blinder Gefolgschaft wird sie zustimmen, dieses Handeln ist nur mit machtpolitischem Kalkül zu begründen, und dies zulasten der Kommunen.

(Beifall bei der PDS)

Drittens: Als äußerst bedenklich sehe ich die Beschränkung der Richtlinie bis Ende dieses Jahres. Diese wenigen Monate machen es faktisch unmöglich, den notwendigen Informations-, Aufklärungs- und Diskussionsprozess in den Kommunen zu füh

ren. Und die Ankündigung der Landesregierung, Gemeindezusammenschlüsse zukünftig über den KFA zu fördern, halte ich einfach für unseriös. Das bedeutet, so auch die Aussage des Gemeinde- und Städtebundes, ich zitiere: „dass sich die thüringischen Gemeinden und Städte ihre Zusammenschlüsse von ihrem eigenen Geld selber fördern sollen.“

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Ja, wovon denn sonst?)

Viertens: Die Finanzierung des in der Richtlinie vorgesehenen Förderungszwecks ist nicht gesichert. Im vergangenen Plenum musste die Landesregierung auf Forderung der PDS Farbe bekennen. Auch im Innenausschuss gab es dazu keine neuen Erkenntnisse. Bis Ende des Jahres wird kein einziger Cent verfügbar sein, um die Fördersummen auszahlen zu können. Mehr als 6,5 Mio. € muss das Land als Erlöse durch Immobilienverkäufe erlösen, damit überhaupt Gelder zur Verfügung stehen. Alle Beträge bis 6,5 Mio. € werden zur allgemeinen Deckung des Landeshaushalts eingesetzt. Erst wenn mehr als diese 6,5 Mio. € erzielt werden, kann die Richtlinie greifen. Bisher ist der entsprechende Haushaltstitel zur Förderung gemeindlicher Neugliederungsmaßnahmen mit null angesetzt. Meine Damen und Herren, sarkastisch gesprochen ist diese Null das einzig Ehrliche und Realistische an diesem Prozess,

(Beifall bei der PDS)

denn nach Auskunft der Landesregierung im vergangenen Plenum sind bisher für dieses Jahr höchstens 3,9 Mio. € aus der Veräußerung von Landesimmobilien sicher. Damit zeigt sich, dass neben einem weiteren Millionenloch im Landeshaushalt die großspurige Ankündigung der Richtlinie auf Förderung von Gemeindefusionen wie eine Seifenblase zerplatzt ist.

Meine Damen und Herren, die PDS spricht nicht generell gegen die finanzielle Förderung von Gemeindefusionen, doch die vorgelegte Richtlinie kann aus den genannten Gründen nicht die Zustimmung der PDS finden. Insgesamt drängt sich ohnehin der Eindruck auf, die CDU-Landesregierung hat niemals die Absicht gehabt, Gemeindefusionen zu fördern. Alles, was uns vorgelegt wurde, ist in Wirklichkeit nur ein Ablenkungsmanöver von der Konzeptions- und Handlungsunfähigkeit dieser Regierung.

(Zwischenruf Dr. Gasser, Innenminister: Wie denn, können Sie das sagen?)

Alles, was diese Regierung diesbezüglich unternommen hat, ist eine Täuschung der Verantwortlichen in den Gemeinden und Städten.

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Sie haben nur zu meckern!)

Wenn Sie tatsächlich die Absicht hätten, eine Gemeindegebietsreform anzugehen, hätte die Landesregierung zuerst ein Konzept vorgelegt und dann alle weiteren Schritte unternommen. Bisher spielt die Regierung nur auf Zeit, das Verharren im Denken und Handeln wird den Menschen, den Kommunen und letztendlich auch dem Land schwer zu schaffen machen. Und ich kann nur unterstreichen, was ich in der letzten Landtagssitzung gesagt habe: Thüringen braucht eine umfassende Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform mit klaren Zielstellungen und Rahmenbedingungen.

(Beifall bei der PDS)

Kommunen brauchen finanzielle Planungssicherheit hinsichtlich der Steuereinnahmen und der Landeszuweisungen so, wie ihre raumordnerischen Funktionen klar sein müssen. Und Gemeinden, die zukünftig Ortsteile sein sollen, brauchen Sicherheit zur Wahrung ihrer Identität. Dann würde eine Richtlinie zur Förderung freiwilliger Gemeindezusammenschlüsse Wirksamkeit entfalten.

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, ich fordere Sie wiederum auf, nehmen Sie in diesem Sinne ihre Verantwortung wahr und machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben.