Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen außerplanmäßigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße ebenso die Gäste auf der Zuschauertribüne und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, die heutige Sitzung wurde gemäß Artikel 57 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen in Verbindung mit § 19 Abs. 1 und 3 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags auf Antrag der Fraktion der CDU und einvernehmlichem Beschluss des Ältestenrats einberufen. Die entsprechende Unterrichtung liegt Ihnen in Drucksache 4/5435 vor.
Als Schriftführer hat neben mit Platz genommen der Abgeordnete Eckardt, die Rednerliste führt die Abgeordnete Meißner.
Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Frau Vizepräsidentin Dr. Klaubert, Frau Abgeordnete Sojka, Frau Abgeordnete Weißbrodt, Herr Abgeordneter Döring und Frau Abgeordnete Jung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, da dies heute die letzte Sitzung der 4. Wahlperiode ist, sei mir gestattet, ebenso wie es meine Vorgänger getan haben, ein kurzes Resümee der Landtagsarbeit zu ziehen.
Der Thüringer Landtag war auch in der 4. Wahlperiode ein entscheidungsfreudiges, aber, ich glaube, vor allem ein entscheidungsfähiges Parlament. Dies haben wir in den zurückliegenden 111 Plenarsitzungen bewiesen. Mit bisher behandelten 194 Gesetzentwürfen und 126 verabschiedeten Gesetzen hat der Landtag seine wichtigste Funktion, nämlich die des Gesetzgebers, erfüllt. Daneben haben wir Abgeordneten mit insgesamt 3.887 Anfragen, 936 Mündlichen, 2.929 Kleinen und 22 Großen Anfragen die Arbeit der Regierung kontrolliert, hinterfragt und natürlich auch angetrieben. In über 700 Ausschuss-Sitzungen haben wir unser Fachwissen eingebracht, fair und im Dienst der Sache zusammengearbeitet. Ich möchte dieses kollegiale Miteinander in vielen Ausschüssen außerordentlich hervorheben und hoffe, dass sich dies in der nächsten Wahlperiode fortsetzt.
Auch in der 4. Wahlperiode hat die parlamentarische Opposition von ihrem Recht Gebrauch gemacht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Das parlamentarische Untersuchungsrecht, das ich für eines der
wichtigsten Kontrollinstrumente des Landtags halte, wurde in vier Fällen in Anspruch genommen, um auf diese Weise die Arbeit der Regierung sehr genau zu kontrollieren. Die wichtige Enquetekommission „Zukunftsfähige Verwaltungs-, Gemeindegebiets- und Kreisgebietsstrukturen in Thüringen und Neuordnung der Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen“ hat Grundsätzliches geleistet und über eine sinnvolle regionale Gliederung unseres Landes beraten. Es wird eine vorrangige Aufgabe des neuen Landtags und der Landesregierung sein, weitere Konsequenzen aus den vielfältigen Empfehlungen der Enquete zu ziehen.
Allein, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, an diesen wenigen Zahlen wird deutlich, die nun beinahe abgelaufene 4. Wahlperiode hat unsere ganze Kraft gefordert. Wir haben unsere unterschiedlichen Stärken und Überzeugungen eingesetzt, um dem Land zu dienen, so wie es Artikel 53 Abs. 3 unserer Landesverfassung von uns verlangt. Wir haben den Rahmen für eine gedeihliche Entwicklung unseres Landes gesetzt, unabhängig davon, ob wir als Abgeordnete der Regierungspartei oder der Opposition angehörten. Die Abgeordneten aller Fraktionen haben Verantwortung für das Land Thüringen übernommen. Wir haben hier im Plenum über die Geschicke des Landes gestritten, in Ausschüssen debattiert, in Kommissionen um konstruktive Lösungen für unser Land gerungen. Wir alle waren uns bewusst, dass unsere Demokratie nur dann gedeihen kann, wenn wir letztendlich Konsens finden.
Dass die Konsenssuche nicht nur sachlich, ernst und im getragenen Ton ablaufen muss, durften wir Abgeordneten immer wieder erfahren. Humor und Leidenschaft erwiesen sich dabei auch als gute Wegbegleiter. 95 Ordnungsrufe allein in dieser Wahlperiode zeugen dabei nicht nur vom ungestümen Temperament der Abgeordneten, sondern auch von verbalen Grenzüberschreitungen.
Hervorheben möchte ich die Momente der Plenardebatten, wenn die fertigen Sprechzettel beiseitegelegt wurden und dem Vorredner in freier Rede geantwortet wurde. Dann konnten wir eine gute Lebendigkeit der politischen Diskussion erleben. Dies wäre unserem Parlament in der nächsten Wahlperiode öfter zu wünschen.
Da die Landtagsdebatten seit einiger Zeit auch im Internet übertragen werden, sollte uns dies ein Anreiz sein, so authentisch und frei wie möglich miteinander zu reden. Bei der Übertragung der Plenarsitzung im Internet geht es nämlich nicht allein darum, die größtmögliche Publizität für unser Parlament zu erreichen - das allein ist noch kein Kennzeichen für gute Politik -, sondern es geht darum, die Menschen für den Par
lamentarismus zu gewinnen, seine Mechanismen zu verdeutlichen und unsere Arbeit bei den Menschen zu verankern. Das wird uns nur gelingen, wenn wir Politik nicht als lautstarkes Gezänk betreiben, sondern als ein Ringen um die besten Lösungen.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, der italienische Schriftsteller Alberto Moravia hat gesagt: „Diktaturen sind Einbahnstraßen, in Demokratien herrscht Gegenverkehr.“ Dieser Satz umschreibt die Herausforderungen des Parlamentarismus und beschreibt auch die Funktionsweise. Gegenverkehr bedeutet nicht zwangsläufig Kollision, weder auf der Straße noch im Plenarsaal. Ich hoffe, dass wir Abgeordneten gut genug gearbeitet haben, um dies den Menschen in unserem Land zu verdeutlichen.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich habe vor fünf Jahren das Amt der Landtagspräsidentin mit der Ankündigung angenommen, ich wollte dafür Sorge tragen, dass die parlamentarische Arbeit für Abgeordnete und Mitarbeiter einfacher, schneller und flexibler werden sollte durch die modernen elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten. Ich denke, dieses Vorhaben ist eingelöst. Alle Abgeordneten verfügen über einen direkten Anschluss ihrer Wahlkreisbüros an das Informationssystem des Landtags. Alle Landtagsdrucksachen, Plenarprotokolle, der Pressespiegel sind im Internet abrufbar, so dass sowohl in den Wahlkreisbüros am Wohnort oder hier im Landtag direkt auf die benötigten Informationen zugegriffen werden kann. Ich weiß um die Probleme bei der Einführung dieser Systeme und danke Ihnen für die Geduld in der Erprobungsphase. Aber ich hoffe, Sie stimmen mit mir überein, dass die Landtagsverwaltung ihren Service entscheidend verbessert hat.
Daneben habe ich beim Amtsantritt angekündigt, dieses Haus insbesondere für die jungen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu öffnen. So haben wir in den vergangenen Jahren mehrere Veranstaltungsschwerpunkte mit Schülerinnen und Schülern durchgeführt, um unsere parlamentarische Arbeit so transparent wie möglich zu machen. Ich erinnere an die Veranstaltung von „Jugend debattiert“ hier im Landtag und an die Schülerparlamente 2006 und 2009. Darüber hinaus hat das Landtagspräsidium mit drei Schülerwettbewerben die jungen Menschen angeregt, sich intensiv mit der regionalen und lokalen Geschichte auseinanderzusetzen - „Thüringen April 1945“, „Thüringer Schulgeschichte“ und „Thüringen im Herbst 1989“. Es sind sehr viele Arbeiten eingereicht worden. Ich bedanke mich bei meinen beiden Vizepräsidentinnen Dr. Klaubert und Frau Pelke für die gute Zusammenarbeit im Zusammenhang mit diesen Wettbewerben, aber auch insgesamt für die gute, konstruktive Zusammenarbeit im Präsidium in der vergangenen Legislaturperiode.
Ebenso möchte ich Ihnen, allen Abgeordneten, für die geleistete Arbeit herzlich danken. In meinen Dank eingeschlossen sind auch die Abgeordneten, die bereits vor dem Ablauf dieser Wahlperiode aus dem Landtag ausgeschieden sind. Zum Ende dieser Wahlperiode werden weitere Kolleginnen und Kollegen ausscheiden, weil sie keine erneute Kandidatur anstreben. Allen ausscheidenden Abgeordneten wünsche ich für den vor Ihnen liegenden neuen Lebensabschnitt alles Gute und viel Glück.
Zum Abschluss möchte ich auch jenen danken, die uns hinter den Kulissen durch ihren Service die parlamentarische Arbeit erleichtert haben, den fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung. In meinen Dank eingeschlossen ist ebenso die Landtagsdirektorin Frau Dr. Eberbach-Born, die auch mir insbesondere mit Umsicht, Rat und Tat bei meiner Arbeit zur Seite stand, die aber auch mit Loyalität, vielen guten Ideen und praktikablen Lösungen allen Fraktionen entgegenzukommen wusste.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, in gut zwei Wochen werden die Thüringer Bürger als höchster Souverän über die Zusammensetzung unseres Landtags neu entscheiden. Sie bewerten zugleich unsere Arbeit, die wir im Laufe der letzten fünf Jahre geleistet haben. Ob sie uns ihr Vertrauen geben, darum werden wir in den nächsten Wochen sicher noch sehr hart ringen. Ich wünsche uns einen fairen und sachbetonten Wahlkampf, damit alle wiedergewählten Abgeordneten ihre Arbeit für unser Land dann in der nächsten Legislaturperiode als respektierte Kollegen fortsetzen können. Vielen Dank.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, damit kommen wir zum weiteren Fortgang unserer Sitzung. Ich möchte Ihnen folgende Hinweise zur Tagesordnung geben:
Die angekündigte Beschlussempfehlung des Ausschusses für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten zu Tagesordnungspunkt 1 hat die Drucksachennummer 4/5445.
Der angekündigte Bericht des Untersuchungsausschusses 4/4 zu Tagesordnungspunkt 2 hat die Drucksachennummer 4/5454.
Wird die Aufnahme weiterer Beratungsgegenstände beantragt? Das ist offensichtlich nicht der Fall, dann stelle ich die Tagesordnung fest, so wie sie Ihnen vorliegt. Wir steigen ein in die Abarbeitung dieser Tagesordnung.
Zweites Gesetz zur Änderung des Thüringer Gesetzes zur Überprü- fung von Abgeordneten Gesetzentwurf der Fraktion der CDU - Drucksache 4/5403 - dazu: Unterrichtung durch die Präsi- dentin des Landtags - Drucksache 4/5414 - dazu: Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten - Drucksache 4/5445 - ZWEITE BERATUNG
Das Wort hat Herr Abgeordneter Carius aus dem Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten zur Berichterstattung.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, heute, in der letzten Sitzung dieses Plenums dieser Legislaturperiode darf ich auch als Berichterstatter aus dem Justizausschuss gerade bei einem solchen Thema und einem Tag, wie dem 13. August, ganz herzlich auch auf der Besuchertribüne die Mitglieder des Freiheit e.V. begrüßen, die sich hier zu einer Mahnwache zusammengefunden haben für ein Gesetz, zu dem ich jetzt Bericht erstatten möchte.
Meine Damen und Herren, der Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten hat sich in drei Sitzungstagen dem Thema Stasi-Überprüfung von Abgeordneten gewidmet. Im Rahmen der eingehenden Beratung hat der Ausschuss in öffentlicher Sitzung eine intensive mündliche Anhörung in unterschiedlichster Art und Weise mit dem Bespitzelungssystem der ehemaligen DDR vertrauten Personen durchgeführt. Angehört wurden auf Vorschlag der CDU-Fraktion die Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Frau Neubert, auf Vorschlag der Fraktion DIE LINKE Herr Rechtsanwalt Bartl sowie auf Vorschlag der SPD-Fraktion anstelle der verhinderten Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes deren Abteilungsleiter Herr Ziehm. Auf Bitte des Ausschusses gab zudem der Wissenschaftliche Dienst des Landtags eine ausführliche mündliche Stellungnahme in nicht öffentlicher Sitzung ab. Auch die Landesregierung äußerte sich zur Rechtmäßigkeit des Gesetzgebungsvorhabens. In den Beratungen erklärten alle Fraktionen, dass eine umfassende Information der Bürgerinnen und Bürger über den beruflichen und politischen Werdegang ihrer Vertreter im Landtag als oberstem Organ der demokra
tischen Willensbildung wünschenswert sei. Auf welche Art und Weise dieses Ziel realisiert werden soll, blieb in der Ausschussberatung hingegen streitig.
1. eine Fortführung der Abgeordnetenüberprüfung auf der Grundlage des noch in dieser Wahlperiode bis zum Ablauf der 5. Wahlperiode prolongierten und hinsichtlich der K 1-Tätigkeit klargestellten Thüringer Gesetzes zur Überprüfung von Abgeordneten;
2. ein Neubeginn der Abgeordnetenüberprüfung auf der Grundlage einer zu Beginn der 5. Wahlperiode zu verabschiedenden Regelung entsprechend den Bestimmungen des Bundes;
3. ein Neubeginn der Abgeordnetenüberprüfung ohne jegliche gesetzliche Regelung, lediglich auf der Grundlage einer zu Beginn der 5. Wahlperiode herbeizuführenden interfraktionellen Verständigung über eine Abgeordnetenprüfung auf ausschließlich freiwilliger Basis.
Dabei war das erstgenannte Modell, weil Gegenstand des dem Ausschuss zur Beratung überwiesenen Gesetzentwurfs, der Diskussionsschwerpunkt.
Die Diskussion zu dem Gesetzentwurf wurde maßgeblich geprägt von den aktuellen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs zur Stasi-Überprüfung von Abgeordneten.
Zunächst zur Frage der Zulässigkeit der Prolongation des bestehenden Thüringer Gesetzes: Der Verfassungsgerichtshof hat mit dem Urteil vom 01.07.2009 in dem Normenkontrollverfahren entschieden, dass die §§ 4, 6 und 7 des Thüringer Gesetzes zur Überprüfung von Abgeordneten mit der Thüringer Verfassung vereinbar sind. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Urteilsbegründung unter anderem ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Überprüfung von Abgeordneten nicht durch Zeitablauf entfallen seien. Dem Gesetzgeber komme eine Einschätzungsprärogative zu, bis zu welchem Zeitpunkt die besonderen Gründe fortbestehen, das vor der Wahl liegende Verhalten eines Mandatsträgers zu untersuchen. In erster Linie habe er die Frage zu beantworten, wie lange die Integrität und die Vertrauenswürdigkeit des Parlaments gefährdet seien, wenn ihm Abgeordnete angehörten, die in das Bespitzelungssystem des MfS/AfNS eingebunden gewesen seien. Ebenso habe der Gesetzgeber einzuschätzen, bis zu welchem Zeitpunkt ein öffentliches Interesse vorliege, derartige Verstrickungen aufzuklären.
Neubert, aber auch der Vertreter der Bundesbeauftragten Herr Ziehm, bejahten nachdrücklich, dass nach wie vor ein hohes öffentliches Interesse an einer Aufklärung etwaiger Verstrickungen bestünde. Die Sachverständige Frau Neubert verwies unter anderem darauf, dass der Bundesgesetzgeber bei der jüngsten Aktualisierung der Regelungen des StasiUnterlagen-Gesetzes dem besonderen öffentlichen Interesse an der Überprüfung von Personen mit hohem öffentlichen Gewicht und besonderer Verantwortung, unter anderem auch Abgeordnete, ausdrücklich Rechnung getragen habe. Dieses öffentliche Interesse bestehe unverändert fort, was sie aus der Praxis der täglichen Arbeit bestätigen könne. So habe zum Beispiel die Union der Opferverbände der kommunistischen Gewaltherrschaft erst jüngst in einer öffentlichen Erklärung alle Parlamente und Regierungen zur erneuten Überprüfung aufgefordert. Die Opfer würden moralische Integrität und Glaubwürdigkeit vom Rechtsstaat erwarten. Diese Sichtweise der Opfer werde von weiten Bevölkerungskreisen geteilt. Dies belege die gerade in den letzten Monaten deutlich verstärkte lebhafte Debatte in den regionalen und überregionalen Medien über die Beschäftigung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter im öffentlichen Dienst sowie die öffentliche Debatte über die Frage der historischen Aufarbeitung des Einflusses des Staatssicherheitsdienstes auf Abgeordnete früherer Bundestage.
Aufschlussreich sei auch die hohe Zahl der Anträge auf Akteneinsicht bei der Bundesbeauftragten. Allein im Jahr 2008 seien über 87.000 Bürgeranträge auf Akteneinsicht eingegangen. Allein im ersten Vierteljahr des Jahres 2009 seien es über 38.000 Bürgeranträge. Bemerkenswert sei auch die seit zwei Jahren steigende Zahl der Medien- und Forschungsanträge. Zu berücksichtigen sei vor allem aber auch, dass die Stasi-Unterlagen noch immer nicht in allen Teilen und hinsichtlich aller inhaltlichen Aspekte erschlossen seien. In Thüringen seien ca. 83 Prozent, bundesweit etwa 80 Prozent der übernommenen Stasi-Unterlagen archivisch erschlossen. Zu den noch unerschlossenen Beständen gehörten vor allem die vorvernichteten Unterlagen, die erst nach und nach rekonstruiert werden müssen. Hierbei handele es sich in der Regel um Aktenstücke aus den späteren 80er-Jahren, die für zukünftige Überprüfungen besonders interessant sein könnten. Der Vertreter der Bundesbeauftragten Herr Ziehm ergänzte die Angaben der Landesbeauftragten dahin gehend, dass die Zahl der Bürgeranträge im 1. Halbjahr 2009 zwischenzeitlich auf über 53.000 angestiegen sei. Außerdem verwies er auf die Tatsache, dass in zunehmendem Maße nicht nur Landtage der neuen Länder, sondern auch Landtage der alten Länder Stasi-Überprüfungen von Abgeordneten durchführen.
Die Ausführungen der beiden Sachverständigen zu dem nach wie vor hohen öffentlichen Interesse an einer Aufklärung etwaiger Stasi-Verstrickungen sowie der Hinweis der Sachverständigen Neubert zu der Wechselbeziehung zwischen dem Aufklärungsinteresse und der Gefährdung der Integrität des Parlaments bei unterbleibender Aufklärung blieben in der Ausschussberatung unwidersprochen.
Bedenken anderer Art gegen eine Prolongation des Thüringer Gesetzes zur Überprüfung von Abgeordneten wurden von der Auskunftsperson Herrn Bartl vorgebracht. Mit Blick auf die derzeitige Fristenregelung im Stasi-Unterlagen-Gesetz, wonach eine Auskunftserteilung der Bundesbeauftragten und eine Verwendung der erteilten Auskünfte zum Zweck der Abgeordnetenüberprüfung lediglich bis zum 31.12.2011 möglich sind, bezweifelte er die Rechtmäßigkeit einer darüber hinausgehenden Prolongation des Thüringer Gesetzes zur Überprüfung von Abgeordneten unter Hinweis auf das Prinzip der Bundestreue und den Vorrang des Bundesrechts. Diesen Zweifeln wurde in der anschließenden Beratung ausdrücklich widersprochen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen darauf verwiesen, dass der Verfassungsraum des Bundes von dem des Landes aufgrund der Verfassungsautonomie des Landes zu trennen sei, dass die Regelungsmaterien des Stasi-Unterlagen-Gesetzes auf der einen und des Thüringer Gesetzes zur Überprüfung von Abgeordneten auf der anderen Seite unterschiedlich seien, dass sowohl dem Bundes- als auch dem Landesgesetzgeber jederzeit eine Änderung der vermeintlich im Widerspruch stehenden Fristenregelungen möglich sei, dass eine Verlängerung der Auskunfts- und Verwendungsfrist im Stasi-Unterlagen-Gesetz aufgrund des hohen öffentlichen Interesses an einer weiteren Aufklärung des Stasi-Unrechts nicht unwahrscheinlich sei und im Übrigen auch durch eine entsprechende Bundesratsinitiative Thüringens bewirkt werden könne und dass fünftens schließlich selbst im Falle der Beibehaltung der unterschiedlichen Fristenregelungen im Stasi-Unterlagen-Gesetz und im Thüringer Gesetz zur Überprüfung von Abgeordneten die Konsequenz lediglich ein praktisches Leerlaufen des Vollzugs unseres Thüringer Gesetzes nach dem 31.12.2011 zur Folge hätte, nicht aber dessen Verfassungswidrigkeit. Herr Bartl kritisierte zudem, dass der Gesetzentwurf nicht bereits vor der Aufstellung der Kandidaten für den 5. Thüringer Landtag eingebracht worden sei und dass daher eine etwaige Verabschiedung des Gesetzes erst zu einem Zeitpunkt erfolgen könne, zu dem bereits die Möglichkeit der Briefwahl zum 5. Thüringer Landtag eröffnet und daher die Wahlhandlung bereits im Gange sei. Noch problematischer, aus seiner Sicht sogar gänzlich unzulässig, sei allerdings eine gesetzliche Regelung erst nach der Konstituierung des 5. Thüringer Landtags.
Die Kritik am Zeitpunkt der Einbringung und der voraussichtlichen Verabschiedung des Gesetzes wurde unter den Abgeordneten streitig diskutiert. Der Kritik wurde zum einen entgegengehalten, dass eine Gesetzesinitiative vor der Verkündung der beiden aktuellen Urteile des Verfassungsgerichtshofs zur Überprüfung von Abgeordneten auf eine Stasi-Belastung weder mit dem Respekt vor dem Hohen Gericht, noch mit dem Erfordernis einer Berücksichtigung der gerichtlichen Vorgaben bei der künftigen gesetzgeberischen Tätigkeit zu vereinbaren sei. Außerdem wurde betont, dass die gesetzliche Regelung nicht das Mandat in seinem Kernbereich infrage stelle, sondern lediglich die Rahmenbedingungen für die Mandatsannahme und -ausübung in einem kleinen, speziellen Teilbereich regele. Dass es zu derartigen Rahmenbedingungen in der 5. Wahlperiode kommen würde, müsse zudem jedermann aufgrund der seit längerem geführten öffentlichen Diskussionen, insbesondere aber auch angesichts der unverzüglich nach Verkündung der Urteile des Verfassungsgerichtshofs angekündigten und sodann vollzogenen Einbringung des nun zur Beratung anstehenden Gesetzentwurfs der CDU-Fraktion klar gewesen sein. Angesichts dessen könne sich kein Kandidat, aber auch kein Wähler auf Unkenntnis über besagte Rahmenbedingungen berufen.
Zur Frage der klarstellenden Einbeziehung der inoffiziellen K 1-Tätigkeit in den sachlichen Geltungsbereich unseres Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes: Der Verfassungsgerichtshof hat in dem Organstreitverfahren mit dem Urteil vom 01.07.2009 entschieden, dass der Beschluss des Gremiums nach § 4 des Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes, mit dem die Parlamentsunwürdigkeit der Abgeordneten Leukefeld festgestellt worden war, gegen Artikel 53 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen verstößt. Die das Urteil tragende Mehrheit der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs begründete dieses Urteil im Wesentlichen mit dem Argument, dass die der Abgeordneten zur Last gelegte inoffizielle Zusammenarbeit mit dem Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei der DDR tatbestandlich nicht ausdrücklich im Gesetz zur Überprüfung von Abgeordneten erwähnt sei. Gleichzeitig machte die das Urteil tragende Mehrheit der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs deutlich, dass der Gesetzgeber auch eine Regelung hätte treffen können, die eine Überprüfung auf eine Zusammenarbeit mit K 1 ermöglicht hätte. Die Gründe, die eine Untersuchung auf eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit rechtfertigten, seien weitgehend auch hier einschlägig. Die K 1 sei als Instrument eines totalitären Machtapparates in das Bespitzelungssystem eingebunden gewesen, das mit jeden rechtsstaatlichen Grundsätzen gebrochen habe. Die Tätigkeit der inoffiziellen Mitarbeiter sei darauf ausgerichtet gewesen, ihre Mitmenschen zu belügen,
zu hintergehen und staatlicher Willkür und Schikane auszusetzen. Auch hier gelte daher: Wer das eigene Volk bespitzelt und unterdrückt habe, wer es hintergangen, verraten und betrogen habe oder wer all dies zu verantworten gehabt habe, gehört nicht ins Parlament, auch wenn ihm das Mandat nicht entzogen werden könne.
Diese Einschätzung des Verfassungsgerichtshofs wurde in der Anhörung von den beiden Sachverständigen Frau Neubert und Herrn Ziehm geteilt. Der Vertreter der Bundesbeauftragten Herr Ziehm begrüßte ausdrücklich die Einbeziehung von inoffiziellen Mitarbeitern der K 1 in den sachlichen Geltungsbereich unseres Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes. Er verwies auf die vom Bundesgesetzgeber vorgenommene Gleichstellung von inoffiziellen Mitarbeitern des MfS/AfNS und der K 1 und betonte, dass von Anfang an eine Gleichstellung vorgesehen und entsprechende Anträge auf Überprüfung von Personen schon immer auf diesen Aktenbestand und diesbezügliche personenbezogene Informationen ausgedehnt worden seien. Die Landesbeauftragte Frau Neubert wies ergänzend darauf hin, dass der Personenkreis der hauptamtlichen K 1-Mitarbeiter grundsätzlich vom Stasi-Unterlagen-Gesetz nicht erfasst werde, dass dies jedoch kein Argument dafür sei, die inoffiziellen K 1-Mitarbeiter nicht den MfS-Mitarbeitern gleichzustellen, da sie der Funktion nach mit inoffiziellen Mitarbeitern des MfS verglichen werden müssten.
Dem widersprach Herr Bartl und verwies auf vereinzelte Meinungen in der Fachliteratur, wonach die Gleichstellung der K 1 mit dem MfS nur in Bezug auf Anwendung von Mitteln und Methoden der inoffiziellen Arbeit möglich sei. Zudem machte er u.a. geltend, dass die beabsichtigte klarstellende Einbeziehung der inoffiziellen K 1-Tätigkeit in den sachlichen Geltungsbereich des Thüringer Gesetzes fast 20 Jahre nach der denkbar letztmaligen Verwicklung eines Abgeordneten in die Tätigkeit der K 1 problematisch sei.
Meine Damen und Herren, dem wurde in der Aussprache von Abgeordneten mit dem Hinweis begegnet, dass ausweislich des Falles der Abgeordneten Leukefeld bereits in der laufenden Wahlperiode von den Abgeordneten sowie dem von ihnen berufenen Gremium davon ausgegangen worden sei, dass auch eine Bespitzelungstätigkeit im Rahmen der K 1 von der derzeitigen Gesetzesfassung gedeckt worden sei und man nun lediglich aufgrund des Mehrheitsvotums des Verfassungsgerichtshofs in dem benannten Organstreitverfahren eine klarstellende Regelung vornehme. Außerdem wurde darauf aufmerksam gemacht, dass - wie von mir in meinem
Redebeitrag anlässlich der Beratung des Gesetzentwurfs in der letzten Woche bereits betont - die nachhaltige Berücksichtigung des Zeitfaktors, aber auch des Gesichtspunkts der demokratischen Bewährung im Rahmen des Vollzugs des Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes erfolgen müsse. Es handele sich daher nicht um eine Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit einer derartigen Regelung, sondern um eine allerdings sehr ernst zu nehmende Frage des verantwortungsvollen Vollzugs des Gesetzes.