Herr Kollege, Sie wissen, die Wählerinnen und Wähler entscheiden am 30. August, dann werden wir sehen, wie die Wahl ausgegangen ist. Ich weiß, dass Sie nervös sind, das zeigt Ihr ganzes Verhalten hier.
Was ich Ihnen ins Stammbuch schreiben will: Wir brauchen endlich eine Debatte über eine moderne Wirtschaftspolitik hier in Thüringen. Ihr Unternehmensförderungsgesetz ist eine hilflose Geste, vielmehr ist es nicht. Wir brauchen hier eine Wirtschaftspolitik, die wirklich vorausschaut, die die Probleme anpackt, die in Zukunft auf uns zukommen, die unseren Unternehmen hilft, sich besser auf Zukunftsmärkten zu etablieren. Sie haben von Januar bis Juni gebraucht, um unseren Vorschlag nachzuvollziehen, den Bürgschaftsrahmen zu erweitern. Jetzt endlich können wir das im Parlament beschließen. Sie sind Lichtjahre hinterher, Herr Wirtschaftsminister, hinter dem, was eigentlich an Wirtschaftspolitik notwendig ist.
Ein Megatrend der kommenden Jahre, bei dem wir unsere Unternehmen unterstützen müssen, ist eine ökologische Industriepolitik. Wenn Sie sich mal mit den Zahlen beschäftigt hätten, dann wüssten Sie, der weltweite Markt für Umwelttechnologien liegt heute bei 1,4 Billionen € und die Prognosen gehen davon aus, dass dieser Markt innerhalb von zehn Jahren auf 3,2 Billonen € weltweit wächst. Hier liegt ein gewaltiges Wachstumspotenzial, was wir auch für die Entwicklung der Thüringer Industrie nutzen können. Sie schlafen auf diesem Feld komplett. Alle Untersuchungen, die es dazu gibt - GEO hat eine Studie gemacht, der Bundesverband Erneuerbarer Energien hat eine Studie gemacht -, zeigen, bei den politischen Anstrengungen um erneuerbare Energien ist Thüringen das Schlusslicht. Wenn dann einige auch von Ihnen darüber herfallen, was Frank Walter Steinmeier als Perspektive gezeichnet hat für neue Jobs in Deutschland, ohne sich den Plan mal ein bisschen genauer anzuschauen, dann sage ich Ihnen: Wer ohne Visionen und ohne Weitblick durch die Politik stolpert, der wird nichts erreichen. Zur Politik gehört auch, dass man vorausschauend nicht nur auf die nächste Legislaturperiode schaut, sondern die nächste Generation im Blick hat. Darum geht es bei verantwortlicher Politik.
Nein, Herr Kollege, mit solchen Visionen, wie Jobs geschaffen werden können, muss man nicht zum Arzt, sondern Politik braucht einen weiten Blick, wenn es darum geht, in der Zukunft Jobs zu schaffen.
Ressourcen sparen, Energie sparen, erneuerbare Energien einsetzen, das sind die Wachstumspotenziale von morgen und übermorgen. Das kann sich jeder leicht vor Augen führen. Als ich geboren wurde, gab es etwa 3 Mrd. Menschen auf der Erde, heute sind es 7 Mrd. Es werden in 40 Jahren etwa 9 Mrd. Menschen sein. Wenn diese wachsende Menschheit ernährt werden soll, vernünftig leben will, dann brauchen wir einen anderen Umgang mit Ressourcen, eine andere Energieversorgung als heute, und jeder kann sich ausrechnen, dass die Unternehmen, die in diesen Bereichen fit sind, auch die Märkte von morgen besetzen wollen. Ich habe etwas mehr Ehrgeiz als Sie, ich will, dass wir eine Vision für Thüringen entwickeln, ich will, dass wir Thüringen zum grünen Motor Deutschlands machen und hier zeigen, wie Energieversorgung der Zukunft aussehen kann.
Unternehmensförderung heißt das heutige Thema, und ich frage noch mal: Wo bleibt eigentlich in Ihrer Unternehmensförderungsstrategie die sinnvolle Verknüpfung von Wirtschafts- und Bildungspolitik? Jeder weiß und die Unternehmen sagen es Ihnen, dass wir in eine Fachkräftelücke laufen, wenn wir nicht mit voller Kraft gegensteuern. Das Einzige, was Ihnen bisher dazu eingefallen ist, ist der Fachkräfteservice, den Sie eingerichtet haben. Da sind nach Auskunft der Landesregierung 1,8 Mio. € ausgegeben worden. Es sind nicht einmal 200 Fachkräfte, die damit zurückgeholt worden sind. Ich finde, das ist der falsche Ansatz, wir müssen an anderen Stellen jetzt ansetzen, wenn wir Fachkräfte für Thüringen sichern wollen. Wir müssen in der Bildungspolitik ansetzen.
Heute ist es wieder in der Zeitung nachzulesen - und ich habe das auch erlebt bei vielen Gesprächen in Unternehmen in den letzten Wochen -, schon heute gibt es eine ganze Reihe von Unternehmen, die keine Lehrlinge mehr finden. Um ein Viertel ist die Zahl der Bewerber zurückgegangen, sagt uns die IHK Erfurt - heute in der Zeitung nachzulesen. Das heißt doch, bei weiter zurückgehenden Schülerzahlen müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie kann das Bildungssystem eigentlich dafür sorgen, dass es nicht so viele Verlierer gibt wie heute, dass es nicht mehr 7 Prozent aller Schüler sind, die ohne Abschluss aus der Schule gehen, dass wir nicht 7 Prozent der Schüler abschieben in Förderschulen, dass nicht so viele Schüler aus der Schule kommen, die keinen Abschluss haben.
Herr Schröter, das gehört genau zum Thema Wirtschaftsförderung dazu, wie wir für vernünftigen Fachkräftenachwuchs sorgen. Das beginnt eben in der Bildungspolitik.
Herr Kollege Schröter, ich kann doch nichts dafür, wenn diese Landesregierung einen so kurzen Horizont hat, dass sie beim Unternehmensförderungsgesetz nur an die Erweiterung des Bürgschaftsrahmens denkt. Das ist wirklich zu kurz gesprungen, Herr Kollege.
Wenn wir hier über Wirtschaftspolitik diskutieren, dann muss man den Blick schon ein bisschen weiter ziehen, sonst wird das nichts, das sage ich Ihnen. Deshalb gehört auch die Frage dazu, wie wir den Fachkräftenachwuchs in Thüringen sichern können.
Die Wirtschaftsverbände und die Kammern beschäftigen sich längst mit diesem Thema. Wir haben gerade wieder eine öffentliche Auseinandersetzung über die Frage gehabt: Wie können wir das Bildungssystem besser machen, um Fachkräftenachwuchs zu sichern? Die IHK Erfurt hat Positionen zur Verbesserung der Bildungsstrategie schon vor zwei Jahren beschlossen. Darin heißt es - ich darf die Studie zitieren -: „Längeres gemeinsames Lernen in einem sozial integrativ organisierten Schulsystem birgt ein wesentliches Potenzial zur Entwicklung sozialer Kompetenzen, zum Abbau sozialer Disparitäten und zur Förderung der Leistungsfähigkeit aller Schüler.“ Deshalb steht die IHK Erfurt für längeres gemeinsames Lernen, weil die Wirtschaft längst begriffen hat, dass wir im heutigen Bildungssystem zu viele Verlierer produzieren und nicht für ausreichende Leistungsfähigkeit sorgen können.
Der Verband der Thüringer Wirtschaft hat in einer Umfrage vom letzten Jahr auch feststellen müssen, 60 Prozent der befragten Unternehmer sagen, das dreigliedrige Schulsystem hat sich nicht bewährt. Da frage ich Sie: Wenn wir über Unternehmensförderung, wenn wir über Wirtschaftsförderung heute diskutieren, wo sind eigentlich Ihre Schlussfolgerungen aus diesen Forderungen, die wir von den Unternehmen bekommen? Wo bleibt eine sinnvolle Ver
knüpfungsstrategie von Wirtschafts- und Bildungspolitik? Fehlanzeige! Jetzt kommt endlich auch der Kultusminister - Sie haben auch offensichtlich begriffen, dass Wirtschaftspolitik und Bildungspolitik irgendetwas miteinander zu tun haben könnten.
Aber ich sage Ihnen auch, Herr Müller, Sie haben bisher nicht dafür gesorgt, dass Kinder in Thüringen bessere Chancen haben. Das, was wir hier in Wirtschaftspolitik und Bildungspolitik erleben, ist von der Personalbesetzung her gesehen, die doppelte Nulllösung. Mehr ist das nicht, und das ist zu wenig für Thüringen.
Ich will, dass wir dafür sorgen, dass in Bildungspolitik wieder stärker investiert wird, weil wir das brauchen, um Fachkräfte für gutes Wirtschaftswachstum sichern zu können. Das geht in den Kindergärten los, da fehlen uns heute 2.000 Erzieherinnen. Hier muss endlich der Hebel wieder umgelegt werden, das geht im Schulsystem weiter, sonst werden wir es nie schaffen, bei sinkenden Schülerzahlen für ausreichende Fachkräfte zu sorgen.
Eins ist klar - und jeder Unternehmer sagt Ihnen das heute, die sind nämlich dieser Landesregierung meilenweit voraus -, die Fachkräftefrage, das ist der Flaschenhals der Wirtschaftsentwicklung in den nächsten Jahren. Hier haben Sie nichts zur Lösung beigetragen bisher.
Herr Kollege Matschie, Sie reden jetzt die ganze Zeit davon, dass eine Verbesserung der Bildung natürlich ein notwendiges Mittel ist, um das Fachkräftepotenzial des Landes weiterzuentwickeln. Es gibt, glaube ich, niemanden hier im Saal, der dem widerspricht. Sie meinen, man schafft das durch Strukturveränderungen, wir meinen, man schafft das durch
Qualitätsverbesserung. Das ist Streit um Methode, aber nicht um den Inhalt. Sie haben aber vorhin die Rückführung von Fachkräften als kurzfristige Lösung kritisiert, wie wir das betreiben und wie wir das auch erfolgreich gemacht haben. Nun frage ich Sie, wenn man als kurzfristige Lösung die Rückführung von Fachkräften ausschließt, was soll man dann machen?
Herr Kollege, ich habe die kurzfristige Rückführung von Fachkräften nicht ausgeschlossen, ich habe nur gesagt, das kann doch nicht das Instrument sein, mit dem wir jetzt versuchen, das Problem zu lösen. Sehen Sie sich doch die Zahlen an: Mit 1,8 Mio. haben wir gerade mal knapp 200 Menschen bewegen können zurückzukommen. Wie viel Geld wollen Sie denn an dieser Stelle investieren? Ich sage, lasst uns lieber das Geld in die Hand nehmen, in die Kindergärten stecken, in die Schulen stecken, in gute Bildung stecken. Dann haben wir wesentlich mehr für den Fachkräftenachwuchs hier in Thüringen gekonnt.
Eines will ich Ihnen noch dazu sagen, Herr Kollege Goebel: Einen Zusammenhang gibt es noch an dieser Stelle, wenn es darum geht, weshalb Fachkräfte weggehen oder nur so wenige zurückkommen; es gibt nämlich eine Verknüpfung mit dem Thema Lohn. Wenn Sie Menschen fragen, die sich entschieden haben, aus Thüringen wegzugehen, dann werden Sie als wesentliches Argument hören, ich habe mich entschieden woanders hinzugehen, weil ich dort deutlich besser verdiene. Das ist der häufigste Grund für Abwanderung. Wenn man etwas tun will, um Fachkräfte im Land zu halten und Fachkräfte ins Land zu bekommen, dann muss man auch an der Lohnfrage ansetzen. Dann braucht es eine Landesregierung, die sich kümmert um diese Frage, und nicht eine Landesregierung, die bei jeder Tarifverhandlung schreit, die Tarife dürfen nicht steigen, weil sonst die Wirtschaft den Bach runtergeht und Arbeitsplätze verloren gehen. Nein, wenn die Tarife nicht steigen, dann stimmen die Leute mit den Füßen ab, dann gehen sie woanders hin. Das müssen Sie endlich mal begreifen, gute Löhne sind ein Teil von vernünftiger Wirtschaftspolitik.
Auch da kann man sich natürlich ansehen, was in der Wirtschaft diskutiert wird; die ist auch da längst weiter als diese Landesregierung. Es gibt ein Positions- und Maßnahmepapier 2009 des Verbandes der Wirtschaft Thüringens. Dort heißt es unter Punkt 2, ich darf Ihnen das mal zitieren, ich habe das gerade hier:
„Eine stärkere Tarifbindung sorgt für wettbewerbsfähige Arbeitsentgelte, gibt den Beschäftigten eine Perspektive und wirkt der Abwanderung entgegen.“ Das ist genau der Punkt, den diese Landesregierung nicht begreifen will: Nur gute Löhne sichern Fachkräfte im Land. Deshalb sage ich Ihnen eins, ich werde nach dem 30. August eine Initiative gemeinsam mit den Tarifpartnern starten, mit Gewerkschaften, mit Wirtschaftsverbänden, um die Tarifbindung hier in Thüringen zu verbessern. Das ist ein wesentlicher Schritt für steigende Löhne und dafür, dass Menschen sich entscheiden, in Thüringen zu bleiben.
Noch mal zurück zum Unternehmensförderungsgesetz: Werner Pidde hat vorhin gesagt, weshalb wir einen solchen Antrag gestellt haben.
Herr Matschie, auf Ihrer Tour durch Thüringen waren Sie auch in meiner Heimatstadt Mühlhausen, Sie haben Unternehmen besucht. Haben Sie denn die Unternehmer mal gefragt, warum sie eventuell nicht tarifgerecht zahlen und was sie unternehmen wollen, um die Tarife einzuhalten?
Natürlich diskutiere ich das auch mit den Unternehmern. Ich weiß, dass es Unternehmen gibt, die wirtschaftlich an der Kante sind und deshalb keine Tariflöhne zahlen. Aber ich sage Ihnen auch, Frau Kollegin - und auch das habe ich gesehen auf meiner Tour -, es gibt viele Unternehmen, die können Tariflöhne zahlen und tun es trotzdem noch nicht und die will ich gewinnen für eine stärkere Tarifbindung. Da bin ich mir auch mit dem Verband der Thüringer Wirtschaft einig, dass wir eine stärkere Tarifbindung in Thüringen brauchen, denn das stärkt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen und hält Fachkräfte hier.