Protocol of the Session on June 9, 2009

Ich frage mich immer wieder: Warum drücken Sie sich eigentlich davor, hier vor dem Parlament Rede und Antwort zu stehen über die Situation im Land, über das, was Sie noch bis zur Landtagswahl vorhaben? Sie sind Ministerpräsident dieses Landes und Sie haben eine Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber diesem Landtag, Rechenschaft über Ihre Politik vor dem Landtag abzulegen, so steht es in der Verfassung. Aber Sie drücken sich davor, Sie reisen durch das Land, Sie schneiden Bändchen durch - das reicht nicht. Dafür braucht man in Thüringen keinen Ministerpräsidenten, das geht auch ohne Sie.

Es ist jetzt ziemlich genau sechs Jahre her, Herr Althaus, dass Sie das Amt des Thüringer Regierungschefs übernommen haben. Mit den Worten „Ich gehe jetzt, weil ich der Überzeugung bin, jetzt können meine Freunde es selbst“ reichte Ihr Vorgänger Bernhard Vogel den Staffelstab an Sie weiter. Ich glaube, Herr Vogel hat sich in Ihnen getäuscht.

(Beifall SPD)

Heute, nach sechs Jahren, spricht die Praxis eine andere Sprache. Vielleicht haben Sie auch deswegen Ihr Amtsjubiläum vergangene Woche stillschweigend übergangen, weil es kein Ruhmesblatt ist. Bernhard Vogel, das sage ich auch als jemand, der einer anderen Partei angehört, hatte einen Kompass und hatte eine Vorstellung davon, in welche Richtung dieses Land gehen soll,

(Unruhe im Hause)

(Glocke der Präsidentin)

und in der Zeit der Großen Koalition haben wir damals gemeinsam Thüringen auch ein gutes Stück vorangebracht.

(Beifall SPD)

Ich sage das in aller Anerkennung für die Arbeit eines Ministerpräsidenten, der aus einer anderen Partei kommt. Sie dagegen, Herr Althaus, stolpern ohne Plan und ohne Kompass durch das Gelände. Wenn man sich Ihre Bilanz ansieht, dann kann man nur zu einem Schluss kommen: Sie haben das Erbe von Bernhard Vogel verspielt.

(Beifall SPD)

Sie haben eine gute Entwicklung Thüringens in einen Rückstand umgewandelt. Ich nehme mal die Untersuchung der „Wirtschaftswoche“ und der „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ - beides keine sozialdemokratischen Organe -, die die Wirtschaftsdynamik der letzten Jahre untersucht haben und Thüringen bei der Wirtschaftsdynamik auf dem letzten Platz der neuen Länder sehen. Das war das Bundesländerranking des letzten Jahres. Einen Vorsprung in einen Rückstand umwandeln, das ist in der Politik viel Schlimmeres als auf dem Fußballfeld. Beim Fußball ist nach dem Spiel immer vor dem Spiel, auch wenn man einmal verloren hat, aber wenn es um die Zukunft eines ganzen Landes geht, sind vergebene Chancen eben nicht so einfach wieder aufzuholen. Dafür bedarf es auch einer Politik, die nicht so kraft- und saftlos ist wie die Ihrige im Moment.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Also, Sie sind unverschämt.)

Möglichkeiten verpasst, Chancen vergeigt, Zeit vergeudet, das ist es, was sich durch die Regierungspolitik der vergangenen sechs Jahre zieht wie ein roter Faden. Wenn man noch einmal zurückschaut auf Ihre erste Regierungserklärung - vielleicht erinnern Sie sich an den 3. Juli 2003, Herr Althaus -, damals haben Sie als zentrale Leitlinie Ihrer Politik das Motto formuliert: „Sparen und gestalten“. In Zeiten leerer öffentlicher Kassen wollten Sie den Sanierer und Reformer geben, das war der Plan. Fragen wir doch einmal, was daraus geworden ist. Die bittere Wahrheit ist, Sie haben noch mehr Schulden aufgehäuft statt zu sparen. Die bittere Wahrheit ist, Sie haben Geld verschleudert und machen munter weiter damit. Die bittere Wahrheit ist, Sie haben wichtige Zukunftsfelder brach liegenlassen. Die bittere Wahrheit ist, Sie sind ständig mit Gesetzesvorhaben und Entscheidungen vor die Wand gelaufen, keine andere Regierung vorher hat sich so viel Pleiten, Pech und Pannen erlaubt wie Sie. Ihre Bilanz ist ein politisches Trauerspiel, Herr Althaus, verpasst, vergeigt, vergeudet. Die Fakten sprechen für sich.

Sie haben versprochen zu sparen. Das Ergebnis: In den letzten fünf Jahren ist die Verschuldung um weitere 1,6 Mrd. € angewachsen. Aber nicht nur das, Sie sind auch, wenn man die Entwicklung anschaut, der Schuldenkönig in Ostdeutschland, denn keine andere Landesregierung hat zwischen 2003 und heute unter dem Strich mehr neue Schulden aufgenommen als die Regierung Althaus. Mittlerweile haben wir die zweithöchste Pro-Kopf-Verschuldung aller Bundesländer. Das ist das Resultat Ihres Mottos „Sparen und gestalten“; 1,6 Mrd. € neue Schulden, Platz 2 bei der Pro-Kopf-Verschuldung, was die Höhe angeht - Rekordverschuldung.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das sagt jetzt der Richtige, das ist ja der Hohn.)

Jetzt die Frage: Wie kam es dann zur Wende, zu einem ausgeglichenen Haushalt in den letzten Jahren, den Sie ja durchaus hatten?

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: Sie wollten die Rücklagen wieder ver- schulden, Sie wollten sie wieder ausge- ben.)

Warum sind Sie denn so aufgeregt, wenn ich über den ausgeglichenen Haushalt rede? Sie wissen selbst, dass es nicht Ihr Verdienst war, deshalb wahrscheinlich.

(Beifall SPD)

Dieser ausgeglichene Haushalt ist deshalb zustande gekommen, weil die Steuereinnahmen kräftig gestiegen sind und damit die Haushalte gedeckt werden konnten und auch noch ein Einnahmenüberschuss entstanden ist. Dass das kein Ergebnis eigener erledigter Hausaufgaben im Haushalt war, das zeigt sich auch daran, dass andere Landesregierungen deutlich schneller waren als Sie. Als Thüringen noch über 600 Mio. € neue Schulden aufnehmen musste, hat Mecklenburg z.B. - auch ein Land mit erheblichen Strukturproblemen - schon die Nettoneuverschuldung Null geschafft. Das ist die ganze Wahrheit Ihrer Haushaltspolitik; sparen und gestalten, das ist wirklich gescheitert.

(Beifall SPD)

Aber es wurde auch immer wieder Geld sinnlos verschleudert. Über den Daumen gepeilt wurden mit der Behördenreform mindestens 5 Mio. € in den Sand gesetzt, weil die Neuordnung in vielen Bereichen teuerer geworden ist als das Modell, was wir vorher hatten. Mindestens 1 Mio. € sind im Casino verzockt worden, darauf hat Kollege Hausold auch schon hingewiesen. Sie haben Geld sinnlos in eine Stiftung FamilienSinn gesteckt, bei dem selbst die von Ihnen befragten Experten sagen, die Stiftung dürfte nicht „FamilienSinn“ heißen, weil sie eigentlich sinnlos ist. Das sind Aufgaben, die aus dem Haushalt finanziert werden müssten. Sie haben Geld für sinnlose Werbekampagnen übrig, die an den gängigen Regeln und Gesetzen vorbei zum Teil auf den Weg gebracht worden sind, und bei Ihnen fließt Geld sogar in Himbeergeistpartys - auch daran darf man vielleicht gelegentlich noch mal erinnern.

(Beifall SPD)

Herr Althaus, wenn eine Regierung schon so viele neue Schulden macht - 1,6 Mrd. € - in der Zeit, in der Sie die Verantwortung tragen, muss man fragen: Hat die Landesregierung dann vielleicht stärker in die Zukunft investiert, hat sie für sozialen Ausgleich gesorgt? Aber auch hier Fehlanzeige. Überall in Deutschland redet man über mehr Investitionen für die frühkindliche Bildung, mehr Engagement für die Kindergärten. Dieter Althaus hat dafür gesorgt, dass die Landeszuweisungen an die Kindergärten massiv gekürzt worden sind. Also statt in Zukunft zu investieren, wurde genau dort, wo mehr Geld notwendig gewesen wäre, gespart. So sieht Ihre Politik aus.

(Beifall SPD)

Sie haben völlig planlos bei Theatern und Orchestern versucht zu kürzen, haben damit einen Aufruhr in der Kulturlandschaft verursacht, ohne am Ende wirklich Effekte zu erzielen, mit dem einzigen Resultat, am Ende dem Ruf des Kulturlandes Thüringen nachhaltig zu schaden. Sie haben beispielsweise, während andere darüber diskutieren, wie man für gesundes Essen bei Kindern sorgen kann, dafür gesorgt, dass die Essengeldzuschüsse gestrichen werden und damit ist die Aufgabe, bei Kindern für gesunde Ernährung zu sorgen und Kinderarmut auch entgegenzusteuern, noch schwerer geworden. Sie haben die Verbraucherzentralen an den Rand des Ruins getrieben; nur in letzter Minute durch heftigen öffentlichen Widerstand und auch durch unser Engagement ist es gelungen, das wieder abzuwenden. Sie haben das Blindengeld zusammengestrichen. Am liebsten hätten Sie es ganz abgeschafft, mussten dann aber eine Kehrtwende vollziehen, weil der öffentliche Druck zu hoch geworden ist. Das heißt, wenn man auch diesen Bereich anschaut: Hat diese Regierung eigentlich in die Zukunft investiert, hat sie für sozialen Ausgleich gesorgt? - Fehlanzeige!

Wenn man sich anschaut, was ist eigentlich handwerklich hier passiert, bin ich immer wieder versucht, die ehemalige stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende zu zitieren, denn besser kann man es eigentlich gar nicht sagen - Frau Zitzmann hat Ihnen grottenschlechtes Handwerk attestiert. Wenn man sich anschaut, welche Gesetzesvorhaben alle gegen die Wand gelaufen sind, dann kann man auch zu keinem anderen Ergebnis kommen.

Sie haben - auch daran will ich an dieser Stelle noch einmal erinnern - 2004 kurz vor der Wahl den Menschen ein Beitragsversprechen gegeben, weil die Wogen hochschlugen im Bereich Wasser und Abwasser. Im Abwasserbereich sollten die Extrembelastungen wegfallen. Das war ein Ziel, was alle geteilt haben, aber es gab schon damals vor fünf Jahren mahnende Stimmen, dass das auf die Art und Weise, wie Sie das durchsetzen wollten, nicht geht.

Sie haben damals alle guten Ratschläge beiseite geschoben. Sie haben einzig und allein in dieser Situation auf Wählerstimmen geschielt. Ob das Ganze am Ende funktioniert, war Ihnen egal. Jetzt ist klar, dass das Ganze nicht funktionieren konnte. Das Verfassungsgericht hat Ihre Abwasserregelung gekippt und es hat diese Regelung sogar mit der schärfsten Sanktion belegt, es hat sie sofort für nichtig erklärt. Seitdem wissen Tausende von Hausbesitzern nicht, wie es weitergeht; sie haben keine Rechtssicherheit mehr. Deshalb sage ich Ihnen: Spielen Sie nicht weiter mit dem Thema, legen Sie endlich einen verlässlichen Vorschlag auf den Tisch dieses Hauses, legen Sie einen Gesetzentwurf vor, der klarmacht, wie Sie das Problem lösen wollen, wie das Ganze finanziert werden soll. Noch vor der Sommerpause muss ein solches Gesetz verabschiedet werden. Wir sind bereit, auch dafür auf eine Sommerpause zu verzichten. Wir sind bereit, dafür Sondersitzungen auch einzulegen, aber wir wollen dafür sorgen, dass Sie die Bürgerinnen und Bürger nicht noch einmal an der Nase herumführen mit Versprechen, die hinterher von den Gerichten gekippt werden.

(Beifall SPD)

Klären Sie also Ihr Beitragsversprechen, sorgen Sie für Rechtssicherheit. An dieser Frage hängt für mich Ihre politische Glaubwürdigkeit. Möglichkeiten verpasst, Chancen vergeigt, Zeit vergeudet - das ist die Bilanz auch im Umgang mit den Kommunen im Land. Ich will gar nicht erinnern an all die Auseinandersetzungen, die es um den Finanzausgleich und um andere Themen gegeben hat. Sie haben aber auch an anderen Stellen die Zeit, die Sie als Regierungschef hatten, vergeudet, Stichwort Polizeireform. 85.000 Stunden hat die Projektgruppe OPTOPOL insgesamt in dieses Projekt gesteckt. Was ist dabei rausgekommen aus der Arbeit so vieler Menschen? Nichts. Sie haben nichts als Chaos am Ende erzeugt, Chaos bei der Polizei, Chaos im Kabinett, weil der Innenminister die Schnauze voll hatte und Ihnen die Brocken hingeworfen hat.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Nach- tragshaushaltsdebatte, Herr Matschie.)

Dann gab es die Kabinettsreform. Zuerst mussten Sie einen peinlichen Kandidaten wieder zurückziehen. Dann haben Sie uns als Lückenfüller einen Kultusminister präsentiert, den ich heute frage: Herr Müller, was haben Sie eigentlich in einem Jahr vorangebracht bei Bildung, Wissenschaft und Kultur? Mir fällt dazu nichts ein, Herr Müller.

(Zwischenruf Müller, Kultusminister: Schauen Sie mal nach Jena.)

Vielleicht können Sie das ja hier erklären. Ihre neue Justizministerin, Sie ist jetzt gerade nicht da, fällt in Erfurt mit einer Aktion auf, die es endgültig zur Gewissheit werden lässt, hier sitzt die falsche Frau auf dem falschen Stuhl.

(Beifall SPD)

Frau Walsmann ist als Ministerin Dienstaufsichtsbehörde für eine Staatsanwaltschaft, die gegen die beiden Chefs der Erfurter Stadtwerke ermittelt.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordnete Matschie, kommen Sie zum Thema.

(Beifall CDU)

Das tue ich, Frau Präsidentin, denn bei all diesen Fragen geht es um das Verhalten dieser Landesregierung mitten in einer Krise, um die Antworten, die diese Regierung gibt. Dazu gehört auch, ob Kabinettsmitglieder ihrer Verantwortung gerecht werden oder eben nicht. Deshalb noch mal zu Frau Walsmann, die als Dienstaufsichtsbehörde für eine Staatsanwaltschaft, die ermittelt gegen die beiden Chefs der Stadtwerke, auf der anderen Seite sich als CDU-Kreisvorsitzende politisch in die Frage hineinhängt, ob den Geschäftsführern gekündigt werden soll oder nicht, wie vom Erfurter Oberbürgermeister vorgeschlagen. Die CDU hat diese Kündigung verhindert und die Quittung bei der Kommunalwahl dafür bekommen.

Herr Matschie, Sie wollten zum Nachtragshaushalt sprechen.

Frau Walsmann muss sich dem Verdacht stellen - das tue ich - staatsanwaltschaftliche Ermittlungen unter Umständen

(Unruhe CDU)

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Wollen Sie nächste Woche zum Nach- tragshaushalt reden?)

politisch instrumentalisiert und damit ihr Amt missbraucht zu haben. Dazu muss Frau Walsmann Stellung nehmen.

(Beifall SPD)

Ich komme zurück zu der Frage: Was tut diese Landesregierung in der Krise, wie versucht sie gegenzusteuern? Ich erlebe einen Ministerpräsidenten, der nicht in der Lage ist, bei wichtigen Terminen anwesend zu sein, siehe Opel. Ich erlebe einen Ministerpräsidenten, der sich weigert,

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Popanz.)

hier vor dem Parlament Rede und Antwort über seine Politik zu stehen. Ich erlebe einen Ministerpräsidenten, der hier keine Antworten auf die Krisensituation gibt. Immer mehr Menschen verlassen dieses Land, weil Thüringen die niedrigsten Stundenlöhne im bundesdeutschen Vergleich hat. Ich sage Ihnen, Herr Ministerpräsident, wenn Sie so weiterwursteln wie im Moment, dann werden noch mehr Menschen dieses Land verlassen, weil sie in Thüringen ihren Arbeitsplatz verlieren. Deshalb noch einmal meine Aufforderung: Kommen Sie endlich hier an dieses Pult, erklären Sie dem Landtag, was Sie bis zur Wahl am 30. August noch tun wollen mit Ihrer Landesregierung, um diese Krise einzudämmen, um Arbeitsplätze zu sichern. Wer Regierungschef sein will, der darf sich in der Krise nicht verstecken.

(Beifall SPD)