Protocol of the Session on May 8, 2009

Ein weiterer Beweis dafür, dass man die Reden von unmittelbarer Bürgerbeteiligung ernst meint, wäre gewesen, das Volk an der Entscheidung zum Reformvertrag teilhaben zu lassen. Wie viel Vertrauen hat die Landesregierung eigentlich zu ihren Thüringer Bürgern? Sind diese nur dann mündig, wenn es um deren Stimmen zur Wahl geht? Sie haben es versäumt, die Menschen auf den Weg nach Europa mitzunehmen, sie in europäische Entscheidungsprozesse einzubeziehen und ihnen den europäischen Gedanken näherzubringen. Auch wenn Sie in Ihrer Regierungserklärung ein anderes Bild zeichnen wollen, die Menschen können Sie damit nicht vom Europa der Zukunft begeistern, schon gar nicht an die Wahlurne rufen.

Die Menschen, meine Damen und Herren, haben Angst vor dem, was in und mit Europa passiert. Sie

haben Angst um ihren Arbeitsplatz, sie haben Angst, dass ihre Errungenschaften und Rechte eingeschränkt werden. Die Ursachen liegen eindeutig in der gescheiterten Lissabon-Strategie. Solange Europa nur als Wirtschaftsfaktor angesehen wird und durch die neoliberale Wirtschaftsführung das Ziel verfolgt wird, Europa konkurrenzfähig gegenüber den anderen Wirtschaftsregionen zu machen, bleiben soziale Aspekte auf der Strecke. Die Auswirkungen dieser neoliberalen Politik spüren die Menschen in diesem Land sehr wohl. Die schlechte Stimmung gegenüber Europa ist die Quittung für diese neoliberale Politik der letzten Jahre. Ihre europapolitische Strategie - die Strategie der Landesregierung - erhält im Themenkomplex „Erweiterung der Europäischen Union“ lediglich die beiden Aspekte:

1. Erschließung neuer Märkte und

2. die Beschreibung eines Horrorszenarios durch die Zuwanderung von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten.

Natürlich verunsichert das die EU-Bürgerinnen und EU-Bürger und besonders die Menschen auch in unserem Land.

Mit den Vereinbarungen der Übergangsbestimmungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit hat Deutschland von der Zugangsbeschränkung zum Arbeitsmarkt Gebrauch gemacht. Thüringen unterstützt eine weitere Verlängerung dieser Einschränkung.

Herr Minister, in der letzten Woche haben gerade die Thüringer Wirtschaftsverbände angesichts der Fachkräftesituation und der zu erwartenden Auswirkungen des demographischen Wandels diese Haltung der Landesregierung kritisiert. Auch wir als LINKE lehnen die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ab, weil sie mit dem europäischen Integrationsgedanken nicht vereinbar ist. Sie, Herr Minister, loben den europäischen Binnenmarkt, weil wir unsere Produkte überall verkaufen können, andererseits sperren Sie besonders osteuropäische Arbeitnehmer von der Freizügigkeit aus. Die Angst, dass diese osteuropäischen Arbeitnehmer den Menschen hier in unserem Land die Arbeitsplätze wegnehmen können, weil sie für weniger Lohn arbeiten, mag berechtigt sein. Dieser Angst kann aber entgegengewirkt werden, wenn sich die Landesregierung endlich für Mindestlöhne einsetzt und wenn sich die Landesregierung dafür einsetzt, dass in allen Branchen Entsenderichtlinien erarbeitet werden. Aber das tun Sie nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Wir LINKEN treten dafür ein, dass die Europapolitik geprägt wird vom Ausbau der sozialen Standards und

nicht vom Abbau, denn davor haben die Menschen Angst - und nicht nur die Thüringer. In den Schlussfolgerungen zum Europabarometer ist nachzulesen, ich zitiere: „In einem schwierigen wirtschaftlichen Kontext möchten die Europäer, dass die Themen Arbeitslosigkeit bei 47 Prozent, Wirtschaftswachstum bei 45 Prozent und Inflation bei 41 Prozent der Befragten einen zentralen Platz einnehmen.“ Die Menschen sehnen sich nach sozialer Sicherheit, das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von der Europäischen Union. Wir wollen, dass soziale Ungerechtigkeiten innerhalb Europas abgebaut werden. Ich betone noch mal: Wir wollen europäische Mindestlöhne, weitere Entsenderichtlinien und ein einheitliches Steuerniveau und Steuersystem in Europa. Damit, meine Damen und Herren der Landesregierung, könnten Sie Punkte sammeln bei unseren Menschen hier im Land. Aber Sie hören ihnen nicht zu und nehmen sich der Sorgen der Bevölkerung nicht an. Soziale Spannungen innerhalb der Europäischen Union abbauen, gemeinsame Wege im Umweltschutz beschreiten, wo gegen die Militarisierung und nicht für Aufrüstung eingestanden wird, das sollten Themen sein, über die wir mit den Menschen über Europa diskutieren.

Noch etwas zur Europatauglichkeit des Landtags: Die Landesregierung entscheidet ja in europapolitischen Fragen im Bundesrat, Sie haben einige Beispiele genannt, allerdings, Herr Minister, ohne den Landtag einzubeziehen. Relevante Informationen bekommen wir in der Regel im Nachhinein, wenn die Messen schon gelesen sind. Ich möchte an dieser Stelle auf unseren Alternativantrag zu den europapolitischen Strategien der Landesregierung verweisen. Auf der Grundlage der Erklärung der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente mit dem Titel „Europafähigkeit der Landtage und Mitwirkung an Vorhaben der Europäischen Union“ wurde die Landesregierung aufgefordert, den Landtag über landesrelevante Vorhaben der EU frühzeitig zu informieren, damit er Gelegenheit hat, rechtzeitig vor der Behandlung von Vorhaben der EU im Bundesrat Stellung zu nehmen. Das wurde durch Sie abgelehnt, weil Sie gar nicht gewillt sind, dieses Haus in diese Entscheidungen einzubeziehen.

Sie sind, Herr Minister, auf die Frage der Strukturfondsförderung eingegangen. Jawohl, wir erkennen an, dass sich mit der Strukturfondsförderung für Thüringen positive Aspekte ergeben haben, was die Wirtschaftsförderung betrifft. Jedoch muss trotzdem kritisch angemerkt werden, dass in Ihrer Regierungserklärung der Eindruck erweckt wird, dass die Fördermittelvergabe nicht auf einem durchdachten Plan mit nachhaltiger Wirkung basiert, im Gegenteil, es geht wahrscheinlich nur um den Ausgleich von Haushaltsdefiziten. Auch was die Strukturfondsförderung

betrifft wird der Landtag nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen. So stellten wir den Antrag, dass der Landtag an den Begleitausschüssen beteiligt wird. Auch das wurde von Ihnen abgelehnt.

Meine Damen und Herren, Bürokratie und Marktliberalismus in Europa haben dazu geführt, dass die Politikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger stetig wächst. Es interessiert kaum noch jemanden, ob die Banane gerade oder krumm sein darf oder wie groß ein Apfel sein muss, damit er europäischen Standards entspricht. Aber das sind Dinge, die die Menschen aus Brüssel hören und das bleibt bei ihnen haften. Die Erwartungen in das EU-Parlament sind höher. Die Menschen erwarten von der Europäischen Union, dass man sich um einen besseren Gesundheits-, um einen besseren Verbraucherschutz kümmert, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik besser koordiniert wird und dass eine Außen- und Sicherheitspolitik vertreten wird, die es der EU erlaubt, internationalen Krisen zu begegnen.

Apropos Wirtschaftskrise, was ich hier nannte: Es ist schon ein starkes Stück, Herr Minister, wenn Sie schreiben: „Die jetzige Krise ist entstanden, weil unsere Regelungen nicht mit der Komplexität der Finanzmärkte Schritt gehalten haben.“ Die Politik auch in Deutschland hat erst einmal die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen, meine Damen und Herren, dass sich die Finanzmärkte so entwickeln konnten. So hat eine rot-grüne Bundesregierung die Hedgefonds zugelassen und Sie haben das im Bundesrat geduldet. Selbst das erste Thüringer Opfer eines Hedgefonds, nämlich Bike Systems in Nordhausen, hat bei Ihnen nicht zu einem Umdenken geführt. Hätten die europäischen Regierungen und auch Sie als Landesregierung nicht stillschweigend das Gebaren dieser Fonds und aller Banken geduldet, hätte diese Entwicklung vermieden werden können. Jetzt setzen Sie plötzlich die Verwunderungsmütze auf und fragen erstaunt: Wie konnte das passieren? Sehr verwunderlich, Herr Minister, ist auch die 100Mio.-€-Spritze der EU für den Bau der 380-kV-Leitung und Ihre Sicht auf die Dinge. Es ist schon eigenartig, wenn am ersten Tag des Planfeststellungsverfahrens die Nachricht durch Thüringen geht, dass die Europäische Union für den Bau der 380-kV-Leitung 100 Mio. € zur Verfügung stellt. Das ist sehr, sehr eigenartig, aber man kann schon den Hintergrund erkennen. Man will hier mit finanziellen Mitteln ein gegenwärtig laufendes Verfahren zugunsten von Konzerninteressen beeinflussen. Das ist der Hintergrund des Ganzen.

(Beifall DIE LINKE)

Damit wird erneut deutlich, dass Konzerninteressen den Vorrang vor Bürgerinteressen haben. Das Geld wäre in Zeiten der Krise, Herr Minister, besser bei

der kleinen und mittelständischen Wirtschaft, wie z.B. bei den Autozulieferern, angelegt gewesen.

Sehr geehrter Herr Minister Zeh, in einem Grußwort für „Thüringen und Europa - wir haben die Wahl“ anlässlich einer Veranstaltung im MDR-Landesfunkhaus in Erfurt haben Sie geäußert, ich zitiere: „Wenn wir wollen, dass mehr Thüringerinnen und Thüringer am 7. Juni 2009 zur Europawahl gehen, dann müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern Europa vertraut machen. Die Menschen müssen Europa vertrauen. Das ist eine Kernaufgabe der europäischen Kommunikation.“ Das können wir nur bestätigen, nur, wir sehen Ihr Handeln nicht. Wir gehen aber einen Schritt weiter. Wir wollen, dass mehr Thüringerinnen und Thüringer am 7. Juni 2009 zur Europawahl gehen; jawohl, das wollen wir. Dann müssen wir aber auch dafür sorgen und wir werden das tun, dass die Menschen Europa vertrauen. Wir müssen sie einbeziehen, mitnehmen und alle Entscheidungen in ihrem Interesse beraten, vor allem mit ihnen beraten und gemeinsam treffen. Natürlich wollen auch wir, dass die Bürgerinnen und Bürger zur Wahl gehen, um für ein soziales, friedliches und ökologisches Europa zu stimmen. Wir rufen die Menschen auf, ihre Verantwortung und ihre Chancen zur Mitbestimmung, wer was und vor allem wie in Europa bewegt, durch die Abgabe ihrer Stimme zu nutzen. In diesem Sinne werden wir als LINKE unseren Europawahlkampf führen.

(Beifall DIE LINKE)

Für die SPD-Fraktion hat Abgeordneter Höhn das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Kubitzki: Sie haben wieder einmal mit Ihrer Rede unter Beweis gestellt, dass die Partei, die Sie vertreten, Europa nicht vertreten kann.

(Beifall CDU)

Sie haben unter Beweis gestellt, dass Sie nicht in der Lage sind, über den Tellerrand hinauszuschauen, und dass

(Unruhe DIE LINKE)

Ihre nach wie vor postulierte Ablehnung des Lissabonner Vertrags letztendlich eine Abschottung Deutschlands auch und gerade in sozialer Hinsicht zur Folge hätte.

(Heiterkeit CDU)

(Unruhe DIE LINKE)

Ich sage Ihnen, eine solche Abschottung hat schon in der DDR nicht funktioniert, und wie das geendet hat, das wissen wir alle.

(Unruhe DIE LINKE)

(Beifall CDU, SPD)

Sie hätten lieber auf die Stimmen in Ihrer eigenen Partei hören sollen, die eine sehr kompetente Position in Bezug auf Europa vertreten, aber die haben ja leider keine Chance mehr bekommen bei der bevorstehenden Europawahl.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, ob Sie es mitbekommen haben, wir haben heute hier eine wahrhaft historische Stunde erlebt in diesem Parlament. Ja, tatsächlich, ich habe etwas recherchiert. Eine Regierungserklärung eines Europaministers hat es weder in der 3. Legislatur noch im Verlaufe dieser Legislatur gegeben. Ich gebe zu, weiter zurück haben meine Recherchen gestern Abend nicht geführt. Es muss also ein besonderer Anlass dafür gegeben sein, denn ich bin der Meinung, die bevorstehende Europawahl am 7. Juni kann allein nicht die Ursache für diese heutige Erklärung sein. Meines Wissens gab es auch 2004 eine Europawahl. Sie veranlasste den damaligen Minister, wer erinnert sich nicht gern, Hans Kaiser, nicht zu einem solchen Auftritt, obwohl doch zum gleichen Zeitpunkt auch noch die Landtagswahl stattgefunden hat. Es muss also einen besonderen Grund für dieses heutige Ereignis geben. Ich sage ganz offen, ich persönlich vermute dahinter den Versuch dieser Landesregierung, das für alle sichtbar entstandene Vakuum, das der Ministerpräsident ganz offensichtlich noch hinterlässt, damit zu füllen. Denn es gibt nicht wenige in diesem Land - und ich bin mir ganz sicher, bestimmt auch in der CDU -, die von ihrem ins Amt zurückgekehrten Regierungschef erwartet hätten, dass er uns heute von diesem Pult aus erklärt, wie er sich die Zukunft Thüringens vorstellt.

Aber wir haben nun geduldig den Ausführungen von Herrn Zeh gelauscht. Ich habe mich allerdings zwischenzeitlich gefragt, was will der Dichter uns damit sagen? Thüringen ist erfolgreich, gut. Dann stellt sich die Frage, wobei? Ja, er hat es erwähnt, Thüringen hat den Vorsitz innerhalb der Europaministerkonferenz inne. Sehr gut, dass Sie das noch einmal erwähnt haben. Das hätte sonst wirklich niemand gemerkt. Doch was hatte Thüringen davon? Das hätte ich ganz gerne von Ihnen gewusst. Das haben Sie uns nicht erklärt.

Versuchen wir es also mit den Themen, meine Damen und Herren. Ich gebe Ihnen durchaus recht, für viele Menschen ist Europa ziemlich weit weg. Bei den Deutschen ist es eher weniger, wenn es um das Reisen geht. Da lassen wir uns von niemandem übertreffen und erkunden auch wirklich alle Winkel dieses schönen Kontinents. Aber wenn es um die Fragen der Politik geht und um ihre Auswirkungen auf unser tägliches Leben, dann erscheint gerade uns Deutschen Europa eher wie ein Moloch mit schier unheimlicher Regulierungswut. Der Krümmungsgrad der Gurken ist dabei nur ein Beispiel, wie Brüssels Bürokratie - übrigens wurde er im letzten Jahr abgeschafft, das sei zur Ehrenrettung noch der Vollständigkeit halber erwähnt.

(Zwischenruf aus dem Hause)

Ja, Frau Kollegin, danke für den Hinweis - gegen große Widerstände - aber er ist abgeschafft worden. Aber dieser Krümmungsgrad der Gurken ist dabei nur ein Beispiel, wie Brüssels Bürokratie langsam aber sicher unser nationales Handeln zu bestimmen scheint. Das jedenfalls ist der Eindruck, den die Bürgerinnen und Bürger haben. Sie haben auch recht, Herr Zeh, das einzige Regularium gegen die Präferenz der Exekutive, das Europäische Parlament, ist der Machtfülle der Kommission scheinbar hilflos ausgeliefert. Auch das ist ein Eindruck, der sich in der Bevölkerung festsetzt und auch das ist eine Ursache für die immer wieder geäußerte Europaskepsis.

Wir im parlamentarischen Raum wissen natürlich, dass das nicht so ist, jedenfalls nicht ganz. Offen gestanden, mit dem Vertrag von Lissabon wollen wir ja erst einmal dahin kommen, dass das Parlament mehr Mitspracherechte erhält. So weit ist es noch nicht, aber darauf komme ich noch zu sprechen. Umso bedauerlicher nämlich, meine Damen und Herren, erscheinen die Bemühungen um eine Reform der Institutionen Europas für mehr Transparenz, die ja nach wie vor in der Schwebe steht. Als eine europäische Verfassung hoffnungsvoll gestartet, dann durch das Nein in Frankreich und in den Niederlanden beinahe gescheitert, wurde das Anliegen letztendlich im Kompromiss von Lissabon in letzter Minute noch halbwegs gerettet.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, am Beispiel der wirklich stolzen Republik Irland, ich meine das wirklich anerkennend, das Problem noch einmal verdeutlichen, welches auch in Deutschland offensichtlich wird. Wir haben in Bezug auf Europa ein Kommunikationsproblem. Das beklagen Sie zwar in Ihrer Erklärung zu Recht, Herr Zeh, aber wo ist denn Ihr Vorschlag zur Behebung? Die Initiativen in den Schulen sind sehr gut und sehr wichtig. Die Erstwähler für Europa zu interessieren, ist ein lohnenswertes Projekt. Auch wir Abgeordneten beteiligen uns

übrigens daran mit der Einschränkung, wenn wir die Gelegenheit dazu bekommen. Aber was kommt denn dann? Sie verweisen auf das Europäische Informationszentrum. Ich will die Leute unter der Leitung von Herrn Görgmaier an dieser Stelle durchaus loben, sie tun, was sie können. Ich meine aber, das reicht nicht, es reicht nicht, Veranstaltungen zu interessanten europäischen Themen im EIZ oder in der Staatskanzlei durchzuführen, vielleicht noch einmal in Weimar. Wir müssen mit der Bildungsarbeit über Europa viel offensiver werden, wir müssen ran an die Leute. Sie kennen ja das Sprichwort: „Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg zum Propheten kommen.“ Offen gestanden, ein Blick ins Nachbarland lässt da manch interessante Initiative offenkundig werden. Im Nachbarbundesland SachsenAnhalt hat es ein Projekt gegeben, dort hat die Staatskanzlei gemeinsam mit der Landesmedienanstalt einen Wettbewerb unter dem Titel: „Was geht mich Europa an“, veranstaltet und hat Radiobeiträge über europäische Themen prämiert, gemeinsam - und das war das Besondere - mit allen offenen Kanälen und nicht kommerziellen Bürgerradios. Dieses Projekt auf Thüringen zu übertragen hätte ich mir gewünscht. Ich kann mir sogar vorstellen, in dieses Boot vielleicht auch noch die Privatsender einzubeziehen. Ich finde an dieser Stelle, kommunikativ waren unsere Nachbarn einfach kreativer, zugegeben, es ist sicher kein Allheilmittel.

Meine Damen und Herren, zurück zu Irland. Ich hoffe gemeinsam mit vielen Millionen Bürgern Europas auf eine kluge Entscheidung eines klugen Volkes und dass diese Klugheit auch auf den tschechischen Präsidenten ausstrahlt, wünsche ich mir auch. Die beiden Kammern des Parlaments in Tschechien haben diese Klugheit schon bewiesen, erst gestern die zweite Kammer und ebenso, lassen Sie mich das auch noch erwähnen, bin ich überzeugt von der Klugheit unseres Bundesverfassungsgerichts bei der bevorstehenden Entscheidung.

(Beifall SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun an dieser Stelle auf ein Thema überleiten, das uns allen, da bin ich mir ganz sicher, sehr am Herzen liegt, von dem wir nicht genug bekommen können und vor allem, wenn es aus Brüssel kommt - Geld. Folgen Sie mir einmal bei einem kleinen kurzen gedanklichen Experiment ganz abstrakt. Wenn wir uns einen kurzen Augenblick vorstellen, dass wir bei der neu entstandenen Infrastruktur in Thüringen, vor allem in den Städten und Dörfern, den Ruf erschallen lassen würden: Europäische Mittel - raustreten! Eine Katastrophe allergrößten Ausmaßes wäre wahrscheinlich gewiss, ob Städtebau oder Dorferneuerung, Straßenbau oder Kläranlage, die Landwirtschaft natürlich nicht zu vergessen, ohne Zuweisungen aus den europäischen

Strukturfonds wäre in den letzten 18 Jahren wohl nur ein Bruchteil dessen entstanden. Ja sicher rufen jetzt die Kritiker, Deutschland ist ja schließlich auch der größte Einzahler. Aber, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir in den neuen Bundesländern, davon bin ich fest überzeugt, haben überhaupt keinen Grund, uns über solcherlei Solidarität zu beklagen. Die besondere Solidarität der Deutschen insgesamt will ich natürlich auch noch an dieser Stelle einmal besonders betonen. Beides zusammen ließ uns in Thüringen so manches unheilvolle Erbe der Vergangenheit überwinden. Aber wie das immer so ist, der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail, über die Verteilung innerhalb des Systems der Strukturfonds muss immer wieder neu diskutiert werden. Ich denke, das ist auch gut so, um so manchen Irrweg, der dabei durchaus entstanden sein kann, auch wieder korrigieren zu können.

Nun schauen wir einmal diesbezüglich in die Zukunft. Wir wissen heute schon, es wird weniger, das Geld meine ich natürlich, sogar deutlich weniger, weil wir in den letzten Jahren ein hohes Niveau dank umfangreicher Förderung erreicht haben, aber auch, das darf auch nicht vergessen werden, weil das Gesamtniveau des Bruttoinlandsprodukts durch den Beitritt neuer, vornehmlich osteuropäischer Staaten gesunken ist. Das ist keine Kritik, sondern eine Feststellung, statistischen Effekt nennen das die Fachleute.

Aber wie bereiten wir uns denn darauf vor? Nun, Herr Zeh, ich habe Ihre Regierungserklärung an dieser Stelle sehr genau gelesen. Sie verweisen auf einen Beschluss der ostdeutschen Ministerpräsidenten vom November 2007 zur Zukunft der Kohäsionspolitik. Das ist ja wirklich schön, das ist wirklich vor allem gut, aber was passiert denn da konkret? Das kann doch nicht alles sein. Ich frage mich vor allem, welche Maßnahmen wurden denn von Thüringen aus für ein abgestimmtes Vorgehen auf der europäischen Ebene überhaupt gestartet? Welche Schwerpunkte und Zuarbeiten hat Thüringen für die gemeinsame Stellungnahme von Bund und Ländern zum 4. Kohäsionsbericht geleistet? Oder vielleicht die Frage: Inwieweit gelingt es Thüringen, das Orientierungspapier der Kommission zur Zukunft der Kohäsionspolitik zu beeinflussen? Das ist ja angekündigt für den Zeitraum Juni bis Oktober 2009. Letztlich auch: Wie bereitet Thüringen seine Verwaltung und nichtstaatliche Projektträger z.B. auf die Einwerbung von Drittmitteln vor als Ersatz für zunehmend wegbrechende Fördermittel? Vor allem Letzteres hat Ihren Kollegen aus Sachsen-Anhalt, den Kollegen Robra, in seiner Regierungserklärung vom Februar dieses Jahres zu ganz besonderer Aufmerksamkeit veranlasst. Zu diesen Fragen, die wir für enorm wichtig halten für die nächste Förderperiode, denn man sollte durchaus über das Jahr 2013 hinaus denken, habe ich

heute in Ihrer Erklärung überhaupt nichts gehört. Die vage Ankündigung, dass Sie mit Ihren Amtskollegen, ich zitiere an dieser Stelle, „rechtzeitig vor Erscheinen des 5. Kohäsionsberichts 2010“ Ihre Vorstellungen gegenüber der Kommission deutlich machen wollen, mein Gott, das lässt Brüssel nun wirklich schon heute leise erschaudern. Nein, Herr Zeh, auch das reicht nicht.

Es reicht auch nicht, wenn Sie uns erklären, dass die Einkommensverluste der Thüringer Landwirte nunmehr nur 30 Mio. € betragen mit dem Verweis, es hätten ja auch 45 sein können, obwohl, das muss man offen zugestehen, Sie dafür nicht allein die Verantwortung tragen. In Bezug auf die Verwendung der Modulationsmittel fällt Ihnen nichts weiter ein. Da muss ich wieder zitieren: „Jetzt kommt es darauf an, die zusätzlich zur Verfügung stehenden Mittel für die Entwicklung der ländlichen Räume effektiv zu nutzen.“ Na toll, kann ich da nur sagen. Da ist aber Ihr Kollege Landwirtschaftsminister schon ein Stückchen weiter, obwohl er an dieser Stelle durchaus zum Jagen getragen werden musste.

(Unruhe SPD)

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Genau!)