Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, sehr verehrte Mitglieder der Landesregierung, verehrte Gäste auf der Besuchertribüne, ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserer 98. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am heutigen 22. Dezember 2003, die ich hiermit eröffne. Die Sitzung wurde gemäß Artikel 57 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen in Verbindung mit § 19 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags einberufen. Eine entsprechende Unterrichtung liegt Ihnen in Drucksache 3/3870 vor. Als Schriftführer haben neben mir Platz genommen Frau Abgeordnete Zitzmann und Herr Abgeordneter Huster. Frau Abgeordnete Zitzmann wird die Rednerliste führen. Es haben sich für die heutige Sitzung zwei Abgeordnete, nämlich der Abgeordnete Lippmann und der Abgeordnete Schemmel, entschuldigt.
Dann möchte ich zuvor noch etwas sehr Angenehmes sagen, nämlich dass der Abgeordnete Mike Mohring heute Geburtstag hat. Er hat sich das sicher auch anders vorgestellt, als heute hier zu sitzen, aber trotzdem: alles Gute, Gesundheit, Glück und Freude!
Ich möchte doch einen Kollegen, der eine mehrmonatige Erkrankung glücklich hinter sich gebracht hat, herzlich willkommen heißen, das erste Mal hier im neuen Plenarsaal, unseren Abgeordneten und Kollegen Herrn Konrad Illing.
Es ist mir mitgeteilt worden, da die Landesregierung einen Sofortbericht erstatten wird, jedenfalls von der Möglichkeit Gebrauch machen möchte, dass auf die Begründung des Antrags verzichtet wird. Stimmt das? Gut, dann darf ich unvermittelt die Landesregierung bitten, Bericht zu erstatten. Das wird für die Landesregierung Herr Innenminister Trautvetter tun.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht zuletzt im Zusammenhang um die Diskussion über die Grenzöffnung nach Osten hat bereits im Frühjahr 2001 das Referat Polizeitechnik die technischen Möglichkeiten einer automatischen Kennzeichenerfassung von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Verkehrsraum geprüft. Zielvorstellungen waren das Aufspüren von in Fahndung stehenden Kfz oder Kfz-Kennzeichen, die Signalisierung der Treffer in einer zentralen Stelle sowie polizeiliche Maßnahmen zur Überprüfung. Als Ergebnis der Prüfung wurde polizeiintern das Pilotprojekt "Vorbeugende Verkehrsüberwachung 'Kammquerung Thüringer Wald'" mit den technischen Verfahren der Geschwindigkeitsüberwachung, Abstandsmessung und erstmals einer automatischen Kennzeichenerfassung im Februar 2002 auf Abteilungsebene vorgeschlagen. Die Intention des Gesamtprojekts wurde von einem präventiven Ansatz getragen, welcher sich auch aus den Erkenntnissen der Katastrophen in den alten Tunneln - Mont-Blanc-Tunnel, Katschberg- und Gotthard-Tunnel - ableitete; den Verkehrsteilnehmern sollte eine größtmögliche Sicherheit geboten werden. Im Rahmen der die Tunnelkette betreffenden Sicherheitsmaßnahmen wurden auch die Möglichkeiten gesehen, die Effizienz polizeilicher Maßnahmen zu steigern und gleichzeitig das Gefahrenpotenzial bei Kontrollmaßnahmen im schnellfahrenden Verkehr zu reduzieren. Die automatische Kennzeichenerfassung sollte im Rahmen des Gesamtprojekts der vorbeugenden Verkehrsüberwachung eingebaut und als zukunftsorientiertes Fahndungsmittel aus technischer und einsatzorganisatorischer Sicht gerade auf möglichen Transitwegen geprüft werden.
Meine Damen und Herren, der Einsatz dieses technischen Fahndungsmittels wurde im Rahmen der Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes intern besprochen. Eine Aufnahme in den Regierungsentwurf fand es nicht, denn mangels Erfahrung zur tatsächlichen Machbarkeit und zur praktischen polizeilichen Tauglichkeit wäre eine schlüssige Begründung im Gesetzgebungsverfahren schwierig gewesen. Es wurde daher vorgeschlagen, zunächst ein Pilotprojekt zu betreiben. Bei dem System, was pilotiert werden sollte, sollten zunächst nur die Kennzeichen des Kraftfahrzeugs von der Kamera gesehen werden. Diese würden dann von dem Rechner von einem reinen Foto zu einem Datensatz übersetzt, dabei würde nicht hinterfragt, wem dieses Kennzeichen gehört. Es würde nur das Kennzeichen als solches gewonnen. Dieses Kennzeichen sollte dann unmittelbar mit dem Fahndungsdatenbestand abgeglichen werden. Fände sich keine Übereinstimmung, würde das Kennzeichen sofort gelöscht. Die Aktion dauerte nur Millisekunden. Das Verfahren würde ohne menschliche Beteiligung und Eingriffsmöglichkeiten laufen und niemand könnte über ein Bild erkannt werden, niemand könnte dadurch feststellen, wann, wer, wo und mit wem unterwegs war. Und nur, wenn eine Übereinstimmung des Kennzeichens gefunden würde, z.B. das Auto steht in
Fahndung, weil es gestohlen oder nach ihm im Rahmen einer schweren Straftat gefahndet wurde, würde eine Information über das Antreffen des gesuchten Kennzeichens an die Polizei weitergegeben. Der Fall ist praktisch damit vergleichbar, dass ein Beamter die Autobahn beobachten würde, um die Kennzeichen mit dem Fahndungscomputer abzugleichen, und niemand käme auf die Idee, hierfür eine spezielle Befugnisnorm zu fordern.
Der Polizeiabteilungsleiter stimmte der Durchführung eines Pilotprojekts "Amtliche Kennzeichenerfassung" im Rahmen des umfänglich technisch untersetzten Projekts "Vorbeugende Verkehrsüberwachung 'Kammquerung A 71'" im März 2002 zu. Rechtlich stellte sich der Probebetrieb damals wie folgt dar:
Durch das Lesen des Kennzeichens wird nur eine sehr unwesentliche Information gewonnen. Es ist ausgeschlossen, dass darüber hinaus eine Information über eine Person erlangt werden kann. Deshalb war davon auszugehen, dass kein Eingriff in Grundrechte - hier gegebenenfalls das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - vorlag. Wenn kein Eingriff vorliegt, bedarf es keiner Eingriffsbefugnis. Dennoch halte ich an der Auffassung fest, dass aus Gründen der Rechtssicherheit für einen Dauerbetrieb eine ausdrückliche Rechtsgrundlage im Polizeiaufgabengesetz geschaffen werden sollte.
Anhand der gesammelten Erfahrungen war vorgesehen, zu einem späteren Zeitpunkt bei Bewährung des Verfahrens ein Gesetzgebungsverfahren zu initiieren, um Handlungssicherheit zu erreichen. Eine ähnliche Diskussion haben wir im Bundesrecht bei der Einführung der Rasterfahndung für die Strafverfolgung erlebt.
Im Juli 2002 erfolgte eine Anfrage des Bundeskriminalamts an das Landeskriminalamt Thüringen zur Vorbereitung eines Berichts der AG Kripo einer Bund-LänderArbeitsgruppe der Präsidenten der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamts, mit der eine grundlegende Befassung zum Thema "Automatische Kennzeichen" beabsichtigt war. Im Folgenden beschäftigte sich die AG Kripo mehrfach mit der Materie, zunehmend auch mit der streitigen Frage der Erforderlichkeit einer speziellen Rechtsgrundlage. Unabhängig vom vorgesehenen Projekt in Thüringen, aber im zeitlichen Zusammenhang hat mit Schreiben vom 19.09.2002 die Datenschutzbeauftragte dargelegt, dass die bayerische Polizei Systeme zur automatischen Gesichts- und Kennzeichenerkennung in groben Versuchen testen will. Sie bat um Mitteilung, ob derartige Überlegungen auch in Thüringen bestünden. Mit Schreiben des Thüringer Innenministeriums vom 28.01.2003 wurde die Datenschutzbeauftragte unterrichtet, dass die Erprobung oder Einführung von automatischen Gesichtserkennungssystemen von der Thüringer Polizei nicht geplant ist. Mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt sei, ein Pilotprojekt "Automatisches Kennzeichenerkennungssystem" auf einem Teil
stück der Bundesautobahn A 71 zu testen. Mit Schreiben des Thüringer Innenministeriums vom 29.08.2003 wurden der Datenschutzbeauftragten weitere umfassende Informationen zum vorgesehenen Pilotprojekt einschließlich eines Zeitplans zugeleitet. Die Datenschutzbeauftragte wurde auch darüber informiert, dass die rechtlichen Fragen durch eine bundesweite Arbeitsgruppe diskutiert und bewertet werden, ein abschließendes Ergebnis bis jetzt jedoch nicht vorliegt. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass nach Abschluss des Pilotprojekts zu prüfen sei, ob gegebenenfalls eine gesonderte Rechtsgrundlage für eine dann möglicherweise dauerhafte Durchführung zu schaffen wäre. Im Schreiben der Datenschutzbeauftragten vom 29.09.2003 wird die Rechtsauffassung des Thüringer Innenministeriums zur Datenerhebung im Rahmen des Einsatzes von automatischen Kennzeichensystemen bestätigt. So hat sie ausgeführt, ich darf hier zitieren: "Sofern daran gedacht wird, nach der Pilotphase das neu einzuführende Verfahren dauerhaft in Betrieb zu nehmen, bedarf es aus datenschutzrechtlicher Sicht einer entsprechenden Rechtsgrundlage." Sie bat darum, sie über den Fortgang des Pilotprojekts auf dem Laufenden zu halten. Mit Schreiben des Thüringer Innenministeriums vom 16.10.2003 wurde der Datenschutzbeauftragten der Entwurf der Konzeption für das Pilotprojekt übersandt. Diese Konzeption ist nicht in Kraft getreten, so dass das Pilotprojekt nicht zum Tragen kam. Letztlich wurde aufgrund der anhaltenden öffentlichen Diskussion zum Pilotversuch "Videoüberwachung in Weimar" am 28.10.2003 vom Pilotprojekt Abstand genommen und dies wurde der Datenschutzbeauftragten am 05.11.2003 durch das Thüringer Innenministerium mitgeteilt.
Meine Damen und Herren, auf der Basis des fortschreitenden Ausbaus der A 71 und der Projektentscheidung wurde das Polizeiverwaltungsamt im November 2002 beauftragt, das Gesamtprojekt der präventiven "Verkehrsüberwachung Kammquerung A 71" einschließlich der notwendigen technischen Ausstattung für automatische Kennzeichenerfassung umzusetzen. Am 2. Juni 2003 wurde die Firma Vidit mit der Lieferung der Hard- und Software beauftragt. Im Juli 2003 bin ich durch eine Vorlage der Polizeiabteilung erstmals über den geplanten Pilotversuch der automatischen Kennzeichenerfassung in Kenntnis gesetzt worden. Im September/Oktober wurden die Leistungen durch die beauftragte Firma erbracht. Dazu gehörten der Aufbau von zwei Kameras an der Schilderbrücke an der A 71, die Installation von Computern inklusive dem Aufspielen der notwendigen Software. Von der beauftragten Firma wurden ausschließlich amtliche Kennzeichen polizeieigener Dienstfahrzeuge als simulierter Fahndungsbestand aufgespielt, und hiermit wurden durch die Firma Vidit Funktions- und Systemtests durchgeführt, bei denen im Zeitraum vom 9. September bis 23. Oktober 2003 innerhalb kurzer Testzeitphasen elf Fälle auf den Servern als Treffer erfasst wurden. Davon wurden vier auf dem Bildschirm der Einsatzzentrale und somit für die Polizei erkennbar angezeigt. Es handelt sich, so wie die Tests angelegt waren, ausschließlich um Polizeifahrzeuge. Im Rahmen dieser - ich betone nochmals - durch die beauftragte
Firma durchgeführten Tests wurde der laufende Verkehr von dem simulierten Fahndungsbestand der Polizeifahrzeuge aussortiert. Der technische Testbetrieb durch die Auftragsfirma war rein privatrechtlicher Natur und findet seine Rechtsgrundlage im Bundesdatenschutzgesetz.
Für mich bleibt festzustellen: Durch die Polizei wurde ein technischer Funktionstest nicht durchgeführt. In der Zeit vom 24.10. bis 28.10.2003, in der sich das System in der Verfügungsgewalt der Polizei befand, hat keine Inbetriebnahme stattgefunden. Unabhängig davon ist allerdings festzustellen, dass am 9. September 2003 durch eine später behobene Fehlfunktion durch die Firma Vidit 658 amtliche Kennzeichen erfasst wurden. Die Daten wurden durch die Firma Vidit nicht gelöscht. Diese Daten waren bei der Übergabe der Anlage an die Polizei am 24. Oktober 2003 noch auf der Festplatte gespeichert; dies war der Polizei damals nicht bekannt. Die Datenschutzbeauftragte wurde durch das Innenministerium in einem persönlichen Gespräch am 19. Dezember informiert, unmittelbar nachdem die Polizeidirektion Suhl dies am 18. Dezember 2003 festgestellt hatte. Die Installation der Technik wurde durch die beauftragte Firma am 24. Oktober 2003 abgeschlossen und die Übergabe an das Polizeiverwaltungsamt schriftlich niedergelegt. Die Zahlungen in Höhe von ca. 140.000 Zeit vom 17. Juni bis 26. November 2003. In diesem Zusammenhang ist die Frage aufgekommen, ob dem Land durch die Nichtinbetriebnahme der Anlage ein finanzieller Schaden entstanden ist. Eine Verwendung der Technik, z.B. als Abstandsmessanlage, wurde bei der Projektplanung bereits berücksichtigt; lediglich die gelieferte Software ist im polizeilichen Bereich unter den gegebenen Bedingungen in Thüringen nicht einsetzbar. Deshalb wurde mit der Lieferfirma vereinbart, dass die Software im Rahmen eines Kompensationsgeschäfts gewandelt werden kann. Die beiden Kameras wurden am 18. Dezember 2003 abgebaut und werden seitdem bei der Firma Vidit zur Übergabe an das Polizeiverwaltungsamt gelagert. Die Server befinden sich in Absprache mit der Datenschutzbeauftragten unter Verschluss im Betriebsraum der Verkehrspolizeiinspektion Suhl. Ein Zugriff auf die Server ist nicht möglich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute ist mir klar, dass ich diesen ausführlichen Bericht am 10. Dezember dem Innenausschuss hätte geben sollen. Dafür, dass dies nicht geschehen ist, entschuldige ich mich ausdrücklich. Es ging mir am 10. Dezember 2003 darum, sehr schnell die Kollegen aus dem Innenausschuss über Presseveröffentlichungen zu informieren, die natürlich vor dem Hintergrund der Ereignisse um Weimar von großem Interesse waren. Deshalb hatte ich die Polizeiabteilung kurzfristig um eine Zuarbeit für den Innenausschuss gebeten und diese kurzfristig vor der Sitzung bekommen. Die Kerninformationen, die ich den Kollegen im Innenausschuss gegeben habe, waren nicht falsch. Entscheidend war für mich die Mitteilung, dass es keine automatische polizeiliche Kennzeichenüberwachung auf der Autobahn 71 gab, gibt und nicht geben wird. Das habe ich deutlich gesagt und da
denn bereits am 28. Oktober wurde durch das Innenministerium verfügt, das Projekt abzubrechen. Von einer Täuschung oder gar bewussten Irreführung kann keine Rede sein. Ausgangspunkt für meine Darlegungen waren die Presseberichterstattungen am 9. Dezember, die übereinstimmend der Öffentlichkeit den Eindruck vermittelten, dass es aktuell entsprechende Planungen zur Überwachung gibt. In aller Deutlichkeit: Diese Planungen gab es zum Zeitpunkt der Sitzung des Innenausschusses nicht mehr und die Presseberichterstattungen waren nicht mehr aktuell und zeitlich überholt.
Ich muss mir heute den Vorwurf machen, dass ich dem Innenausschuss über das, was in der Vergangenheit gelaufen ist, nicht detailliert berichtet habe. Für mich selbst war die Angelegenheit mit dem Abbruch des Projekts, der Ende Oktober durch die Polizeiabteilung meines Hauses verfügt worden war, erledigt. Ich selbst bin über den Abbruch durch den stellvertretenden Abteilungsleiter allgemein in Kenntnis gesetzt worden und habe den Abbruch des Projekts wegen der Schwierigkeiten, die wir in Weimar hatten, bestätigt. Einzelheiten über das, was bereits an Vorrichtungen in diesem Zusammenhang geschaffen worden war, sind mir nicht mitgeteilt worden. Der Zeitpunkt, welcher der Vorlage aus dem Juli beigefügt war, war mir zu diesem Zeitpunkt - fünf Monate später - nicht mehr gegenwärtig. Mit Einzelheiten, die aber für die Mitglieder des Innenausschusses verständlicherweise von Interesse gewesen wären, habe ich mich vor der Sitzung des Innenausschusses nicht mehr befasst; die Sache war für mich eben erledigt. Die mehrere Seiten langen Zuarbeiten nebst Anlagen der Abteilung habe ich nur flüchtig gelesen. Nach Durchsicht des Protokolls der Sitzung des Innenausschusses vom 10. Dezember räume ich ein, dass meine Aussage, dass eine solche Überwachung geplant werde, jeglicher Grundlage entbehre, zumindest missverstanden werden konnte. Ich werde den Innenausschuss informieren, wenn mir gegenüber der heutigen Sitzung neue Erkenntnisse vorliegen.
Das war der Bericht. Ich gehe davon aus, dass Aussprache gewünscht wird. Von allen drei Fraktionen ist diese beantragt, also kommen wir zur Aussprache. Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Hahnemann, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Minister, vorab eines: In Ihrem Bericht fußen Sie auf Rechtsauffassungen, die nach unserer Meinung abenteuerlich sind,
aber es ist im Laufe der letzten Tage und der letzten Stunden auch bekannt geworden, dass diese Rechtsauffassungen durchaus von einigen geteilt werden - bedauerlicherweise auch von der Datenschutzbeauftragten. Aber ich halte es einfach nicht für solide Politik, wenn man ein Pilotprojekt, für das es keine Rechtsgrundlage gibt, durchführt, um dann, wenn es sich rentiert oder wenn es technisch funktioniert, anschließend erst die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Das ist keine Art, mit der man Politik machen kann, und das ist die eine Seite dessen, worüber wir heute in dieser Sondersitzung zu reden haben.
Der Grund für die heutige Sondersitzung ist nicht etwa, dass die Opposition sich im Advent nichts Schöneres denken könnte,
der Grund ist ein außerordentlich bedauerlicher, meine Damen und Herren. Die Thüringer Landesregierung hat die Politik zum Glaubwürdigkeitsbrennpunkt gemacht. Der Grund, weshalb wir hier sind, ist nämlich, dass genügend lassen Sie mich die Worte des Polizeiaufgabengesetzes verwenden - "tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen", dass der Innenminister dem Landtag "entweder Tatsachen verschweigt, Sachverhalte entstellt wiedergibt oder einfach die Unwahrheit sagt"
und das nicht das erste Mal. Ein schwerer Vorwurf - sicher -, aber man muss sich nur erinnern. Was den Innenminister auszeichnet, ist zuallererst seine Innenpolitik nach - wie Prof. Manfred Kutscha es nannte - Gutsherrenart. Schauen Sie sich das TA-Interview an: "Ich habe alles dazu gesagt." Basta. Alles gesagt? Keineswegs, meine Damen und Herren.
Nein, "basta" steht da nicht drin, das ist eine Schröder'sche Parallele bei Ihnen, Herr Trautvetter.
Wir mussten uns daran gewöhnen, Informationen von Ihnen, Herr Trautvetter, immer mit Vorsicht zu genießen. Ich erinnere nur an Ihre halsstarrige Leugnung der Mitverantwortung Thüringens am Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens. Thüringen hat nachgewiesen - und begründet durch das Bundesverfassungsgericht - mit der TinoBrandt-Affäre einen maßgeblichen Anteil am Fehlschlag des Verfahrens und am Aufwind von NPD und Schlimmerem. Sie haben es immer geleugnet. Mag ja sein, dass Sie nach ausreichend häufiger Wiederholung selbst da
ran glauben; das Bundesverfassungsgericht kommt aber zu einem anderen Urteil. Und so halten Sie auch weiterhin am unseligen Prinzip des V-Mann-Unwesens fest und sorgen dafür, dass man auch weiterhin nur schwer zwischen nicht gesteuerten und gesteuerten Neonazis unterscheiden kann. Dieser Ihr Starrsinn, Herr Minister, ist Methode. Nehmen Sie das Hamburger Gerichtsverfahren, da haben Sie geschaltet und gewaltet jenseits aller Prinzipien der Gewaltenteilung und des Rechtsstaats. Sie haben dabei den Eindruck erweckt, als müsse man sich in Thüringen um das Urteil eines unabhängigen Gerichts nicht sonderlich scheren. Ihre Handlungen und Ihre Kommentare in dieser Angelegenheit waren peinlich und nach meiner Auffassung für die betroffenen Polizeibeamten in keiner Weise hilfreich, auch wenn Sie dies so betrachten als Dienstherr, immer wieder mit der Neigung zum Gutsherren. Neben Ihrer Einschätzung der Wirklichkeit lassen Sie schwerlich etwas anderes gelten.
Ein anderes Beispiel: Es gibt nach unserer Kenntnis bis heute keine differenzierte Gefahrenprognosen für das Land, seine Kreise und kreisfreien Städte, aber rotlackierte Spürpanzer vom Typ "Fuchs" zur ABC-Abwehr belasten in nicht unmaßgeblicher Weise unseren Haushalt. Sie selbst aber kommen in der Zeitung zu dem Ergebnis, dass Thüringen keiner sonderlichen terroristischen Gefahr ausgesetzt ist. Nur weil es eben nach dem 11. September Mode wurde, die Polizeigesetze zu verschärfen, wird eingeführt und angewendet, was sich nur irgendwie realisieren lässt. Sie haben dem die Mehrheit gegeben, meine Damen und Herren, Sie, mit der Entscheidung über das Sicherheitsprogramm.
Gleichzeitig, Herr Minister, nehmen Sie die tatsächlichen Gefahren nicht genügend ernst, zum Beispiel die des Rechtsextremismus. Sie reden die diesbezüglichen Probleme herunter und klein. Sie reden von einem personellen und organisatorischen Rückgang in der neofaschistischen Szene. Dieser Rückgang findet sich aber nur in den Lageeinschätzungen des Ministeriums und des Verfassungsschutzes - Ihre verniedlichende Bewertung des "Ohrdrufer Fundes". Sie vernachlässigt die Tatsache, dass der Jugendliche ein der Polizei als rechtsextrem orientierter Bekannter war und dass in dem Haus nicht nur ein Sprengstofflabor, sondern auch ein kameradschaftlicher Versammlungsraum entdeckt wurde. Sie haben es geleugnet. Dieser und viele andere Fälle sind für Sie aber keine Anhaltspunkte für die personelle und strukturelle Neuformierung am rechten Rand. Stattdessen verunglimpfen Sie jene, die diese Gefahren sehr ernst nehmen, und auch dafür ist Ihnen das Mittel der Unwahrheit nicht anrüchig.
Sie können sich sicherlich daran erinnern, wie ich Ihnen im Innenausschuss anhand eines Ihrer Berichte bewiesen habe, dass Sie eine öffentliche Veranstaltung von antifaschistischen Initiativen dadurch verunglimpft haben, dass sämtliche Ihrer Informationen sachlich nicht richtig wa
ren. Nach dem Prinzip des Senders Jerewan haben Sie den Eindruck vermittelt, einige Leute hätten einen großen schwarzen Panther in einer Stadt auf eine Frau gehetzt und diese sei totgebissen worden. Im Prinzip ja, aber niemand hat das Tier gehetzt, es war einfach nur entlaufen. Das Ganze geschah auch nicht in der Stadt, sondern auf freiem Feld. Es war auch kein Panther, sondern eine Katze. Sie war nicht schwarz, sondern grau gestreift. Attackiert wurde nicht eine Frau, sondern ein Hund und der Hund wurde nicht gebissen, sondern gekratzt. Sicher - das ist auch nicht schön, nur die ursprüngliche Meldung hat mit der Wahrheit nichts zu tun. Aber um Leute von MOBIT und ABAD oder andere und deren Engagement madig zu machen, scheint Ihnen jedes Mittel recht, auch das einer gewissen Wahrheitsferne. Diese Affinität zur Unwahrheit passt aber zu der Innenpolitik, für die Sie stehen. Schließlich haben Ihre Amtsvorgänger und die Landtagsmehrheit Ihnen ein Polizeiaufgabengesetz mitgegeben, das Ihrer Art sicherheitspolitischen Denkens auf verhängnisvolle Weise entgegenkommt - ein Generalverdacht von Politik gegen Bürgerinnen und Bürger, kristallisiert in polizeilichen Möglichkeiten, denen Sie nicht wiederstehen können - sozusagen die süßeste Versuchung, seit es das Angebot gibt, das nach dem Zusammensturz der Türme des World Trade Centers an geheimen sicherheitspolitischen Träumen aus den Schubladen der sicherheitspolitischen Administrationen gezogen worden sind.
Von präventiver Telekommunikationsüberwachung, sogar bis zu den Begleit- und Kontaktpersonen hin, über Rasterfahndung und Aufenthaltsverbote, bis hin zur Videoüberwachung reichen die Verlockungen für einen Law-andOrder-Mann. Und so kam, was kommen musste: Videoüberwachung sollte unbedingt sein. Der Standort Krämerbrücke scheiterte am öffentlichen Protest und der Einsicht, dass ein Kriminalitätsbrennpunkt nicht gegeben ist. Die Überwachung des Angers wäre für Sie wohl gar zu schön gewesen, aber sie ist Ihnen zu teuer. Also mussten Goethe- und Theaterplatz in Weimar herhalten. Das Pilotprojekt war nicht nur ohne die Kommunen, sondern auch schlecht vorbereitet. Am Ende waren nach Einschätzung vieler die Pressefreiheit, die Parteifreiheit und die Anwaltsfreiheit verletzt. Mahnende Stimmen haben Sie, Herr Innenminister, immer in den Wind geschlagen. Erst als der Ministerpräsident Sie zurückpfiff, legten Sie das Projekt auf Eis. Sie ließen die Kameras abschrauben, beharrten aber bockbeinig wie ein kleiner Junge weiter darauf, eigentlich Recht gehabt zu haben.
Aber nicht nur das: Gleichzeitig war im Sommer offensichtlich in Ihrer Verantwortung das automatische Scannen von Kfz-Kennzeichen praktisch in Angriff genommen worden. Die Anlage ist geordert worden und Sie wollen davon nichts gewusst haben, Herr Trautvetter? 150.000 gehen einfach so an Ihnen vorbei? Die Anlage ist installiert, justiert und mit Polizeifahrzeugen getestet worden. Auch das wollen Sie nicht gewusst haben? Da Sie nach der skandalösen Videoüberwachung in Weimar ohnehin schon kalte Füße hatten, haben Sie angeblich im Okto
ber irgendwann das Tunnelprojekt gestoppt. Was meinen Sie denn, Herr Innenminister, was Sie da gestoppt haben Flausen des BKA, ein theoretisches Konzept? Im Innenausschuss erweckten Sie den Eindruck, Sie stoppen eine Idee des Bundeskrimninalamts, die nur in Vermerkform existiert, weil Sie und die Datenschutzbeauftragte der Meinung waren, dass in Thüringen die Rechtsgrundlagen für eine solche Maßnahme nicht gegeben sind. Auf Nachfragen, egal welcher Spezifik oder welcher Abstraktheit auch immer, Sie antworteten - das haben Sie vorhin auch noch einmal bestätigt: Gab es nicht, gibt es nicht, wird es nicht geben. Aber Sie können sich doch nicht auf die Position zurückziehen, dass nur die Auftragsfirma hier gehandelt hat. Schon im Terminus "Auftragsfirma" wird doch deutlich, dass die Firma im Auftrag gehandelt hat. Sie hat im Auftrag Ihres Hauses gehandelt. Sie können auch nicht davon ausgehen, dass nur Polizei-Pkw-Kennzeichen erfasst worden sind. Sie müssen, zudem das fraglich ist, ob man so verfahren kann, davon ausgehen, dass 658 Datensätze haben Sie gesagt - gespeichert worden sind. Und diese Maßnahme, Herr Inneminister, fand im öffentlichen Raum statt. Es war eine Maßnahme im Auftrag des Innenministeriums, einer öffentlichen Einrichtung, und es war das Innenministerium beteiligt, indem dort Polizeifahrzeuge praktisch Muster gefahren sind. Nun wollen Sie der Öffentlichkeit und uns glauben machen, man hätte Sie nicht informiert, Sie hätten es nicht wissen können, Sie hätten keine Möglichkeit gehabt, zur Kenntnis zu nehmen, wofür Sie verantwortlich sind. Sie reden sich auf Informationspannen und personelle oder strukturelle Defizite in Ihrem Ministerium heraus. Doch nach allem, Herr Trautvetter, was wir von Ihnen und mit Ihnen erlebt haben, bleibt mir nichts anderes, als den alten Goethe zu zitieren und die bekannte Feststellung des Faust: "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube."