Protocol of the Session on July 4, 2003

(Beifall bei der PDS, SPD)

Längst nicht alle Regierenden waren aufgeklärt oder fühlten sich sozial verpflichtet.

Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr werden wir in Sondershausen mit der zweiten Landesausstellung unter dem Motto "Neu entdeckt - Thüringen, Land der Residen

zen" die prägende Rolle dieser Kultur würdigen.

Heute haben wir die Aufgabe, den kulturellen Schatz des ehemaligen Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach für unsere nachfolgenden Generationen zu erhalten - für Besucher und Betrachter ebenso wie für die Wissenschaft. Gerade der Weimarer Hof entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem von der Aufklärung beeinflussten Herzog Carl August von Sachsen-WeimarEisenach zu einem weit über Thüringen hinaus ausstrahlenden geistig-kulturellen Zentrum.

Wir sprechen heute über das reiche geistig-kulturelle Erbe dieses Hauses. Auch dieses Erbe als Quelle kultureller, künstlerischer und geistiger Innovation zu bewahren, muss eine wesentliche Aufgabe Thüringer Kulturpolitik sein.

Ausdruck dieser Politik ist zunächst die gemeinsam mit dem Bund und unter Beteiligung der Stadt Weimar finanzierte und erhaltene Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen. Mit dieser Stiftung verfügt Weimar über einen der größten und bedeutendsten kunst- und kulturhistorischen Sammlungskomplexe der Bundesrepublik Deutschland überhaupt. Die Pflege und Präsentation dieser Sammlungen begründet im Wesentlichen den Ruf Weimars als Kulturstadt.

Freilich gilt es auch die wirtschaftliche Seite zu sehen. Weimar lebt heute ganz entscheidend von der Kultur und vom Kulturtourismus. Ich will hier offen lassen, ob sich die Entscheidungsträger dieser Stadt dieser Tatsache immer ausreichend bewusst sind.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Es ist im Übrigen auch nichts Schändliches von der Kultur zu leben. Schon seit Kaiser Vespasian's Zeiten wissen wir aus einem weit weniger anspruchsvollen Zusammenhang: "Pecunia non olet".

Meine Damen und Herren, es ist zunächst die Frage zu beantworten, worum es eigentlich geht, wenn wir im Zusammenhang mit der Restitutionsangelegenheit SachsenWeimar-Eisenach von Weimar sprechen.

Da sind zunächst die Kunstsammlungen. Unmittelbar nach 1700 begründete der Herzog Wilhelm Ernst von SachsenWeimar die Weimarer Sammlungen. Er gründete eine Kunst- und Raritätenkammer, ein Münzkabinett, eine Bibliothek und eine Gemäldegalerie. Die nachfolgenden Weimarer Herzöge und Großherzöge bewahrten und mehrten die Kulturgüter in diesem Sinne bis zum Ende der Monarchie 1918.

Nachdem Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach im Zuge der Revolution von 1918 abdanken musste, wurden Teile des Stadtschlosses und das Schloss Belvedere seit 1921 als Museum vorgesehen, ausgestattet mit herzoglichen Kunstschätzen.

Nach der von uns in den Verhandlungen vertretenen Rechtsauffassung stammen nicht die gesamten Bestände der Kunstsammlungen im Stadtschloss aus großherzoglichem Eigentum. Gleichwohl sind auch hier äußerst prominente Stücke der Sammlungen betroffen.

Die Kunstsammlungen bieten heute einen umfassenden Einblick in das Bestreben des Hauses Sachsen-WeimarEisenach, Kunstgegenstände zu bewahren. Die Kunstsammlungen bestehen aus hervorragenden Werken mittelalterlicher Malerei und Plastik des 13. bis 16. Jahrhunderts. Besonders zu erwähnen ist die spätgotische Bildkunst aus Thüringen, Sachsen und Franken.

Reich sind die Bestände des deutschen Klassizismus und der Romantik. Sie wurden von Herzog Carl August zwischen 1789 und 1803 zur Zeit des Wiederaufbaus des Weimarer Stadtschlosses angekauft. Bei zahlreichen Neuerwerbungen der Zeit stand Johann Wolfgang von Goethe dem Herzog beratend zur Seite.

Ein Großteil des äußerst kostbaren Mobiliars der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts gelangte mit der Aussteuer der russischen Großfürstin und späteren Großherzogin Maria Pawlowna von St. Petersburg nach Weimar. Maria Pawlowna sorgte auch für die Ausgestaltung des so genannten Dichterzimmers im Stadtschloss. Wenn ich kostbares Mobiliar erwähne, so sprechen wir hier von Stücken, von denen bereits ein einzelnes einen Wert von 1 Mio. € haben kann.

Ein Beispiel für noch kostbarere Möbel ist ein Antwerpener Kunstkabinett aus der Werkstatt Hendrik von Soests. Im Falle einer Rückübertragung und anschließenden Versteigerung hätte es einen Preis von etwa 1,75 Mio. € erbracht. Mit unserer Vereinbarung bleiben auch solche herausragenden Möbelstücke jetzt in den Sammlungen.

Die von den Herzögen begründete grafische Sammlung im Stadtschloss Weimar umfasst heute annähernd 100.000 Blätter, die einen vollständigen Überblick über das europäische grafische Schaffen des 15. bis 20. Jahrhunderts erlauben, übrigens unter Einschluss von Blättern von Dürer. Das Münzkabinett schließlich hat einen Bestand von 14.400 Münzen und Medaillen sowie 900 Münz- und Medaillenstempel. Die Begründung eines Münzkabinetts gehörte zu den frühesten Sammlungsbestrebungen der Weimarer Herzöge.

Schloss Tiefurt mit seinem gesamten historischen Interieur wurde 1907 aus Anlass des 100. Todestages der Herzogin Anna Amalia vom regierenden Großherzog Wilhelm Ernst zum Museum bestimmt. Zum Ensemble der Weimarer Klassikerstätten gehört auch das Wittumspalais. Betroffen vom Anspruch ist das gesamte Inventar.

Einen weiteren bedeutenden Sammlungskomplex stellen die Stätten dar, die an die große Zeit der klassischen deutschen Literatur und deren hervorragendste Repräsen

tanten erinnern. Natürlich stehen hier an erster Stelle das Goethe-Schiller-Archiv und die Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Sie sind eine unvergleichliche Quelle von Zeugnissen des deutschen und internationalen Geisteslebens.

Der gesamte Nachlass Goethes ging nach dem Tod des letzten Goethe-Enkels Walter Wolfgang im Jahr 1885 an die Großherzogin Sophie über. Sie widmete ihn der Öffentlichkeit, so dass er ungeschmälert der Nachwelt erhalten bleiben konnte.

Im Zusammenhang mit der Restitutionsangelegenheit Sachsen-Weimar-Eisenach sind nicht nur die beschriebenen Weimarer Bestände betroffen, sondern auch die Bestände der Wartburg. Sie ist wie kaum ein anderer Ort Schauplatz deutscher Geschichte.

Auf der Wartburg lebte die Heilige Elisabeth, hier fand Anfang des 13. Jahrhunderts der legendäre Sängerwettstreit statt, von dem sich Richard Wagner zu seiner Oper "Tannhäuser" inspirieren ließ, hier hielt sich der Reformator Martin Luther 1521/22 verborgen und übersetzte das Neue Testament vom Griechischen ins Deutsche. Und im Jahre 1817 forderten die Burschenschaften und ihre Sympathisanten auf der Wartburg ein einheitliches, freiheitliches Deutschland.

Meine Damen und Herren, die Verhandlungen, die schließlich zu unserer gütlichen Einigung führten, hatten Fragen aufzunehmen, die zum Teil mehr als 80 Jahre zurückliegen.

Nachdem der letzte regierende Großherzog Wilhelm Ernst abdanken musste, wurde im November 1921 der eingangs genannte Auseinandersetzungsvertrag zwischen dem Hause Sachsen-Weimar-Eisenach und dem damaligen Gebiet Weimar geschlossen.

Mit dem Fürstenenteignungsgesetz vom Dezember 1948 gingen sämtliche beweglichen und unbeweglichen Bestände aller Adelshäuser entschädigungslos in so genanntes Volkseigentum über.

Der enteignete Erbgroßherzog Carl August verstarb 1988. Er hatte seine damals zweijährige Enkelin Prinzessin Leonie von Sachsen-Weimar-Eisenach zur Alleinerbin eingesetzt.

Die Eltern der minderjährigen Prinzessin, Prinz Michael und Prinzessin Dagmar von Sachsen-Weimar-Eisenach, meldeten nach der Wiedervereinigung Deutschlands Anfang der 90er-Jahre fristgerecht Ansprüche auf Rückübertragung des Eigentums ihrer Tochter an.

In diesem Zusammenhang muss deutlich gesagt werden, dass diese gütliche Einigung noch unter dem Vorbehalt der vormundschaftsgerichtlichen Zustimmung steht, weil Prinzessin Leonie das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Das, was wir heute hier erörtern, wird sicherlich auch

in die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts Eingang finden.

Vermögen, die zwischen 1945 und 1949 unter der sowjetischen Besatzung enteignet wurden, waren zunächst grundsätzlich von der Restitution ausgenommen. Nur unter dieser Bedingung, so die Angaben Beteiligter, habe die Sowjetunion im Jahr 1990 der Wiedervereinigung zugestimmt. Dieser Restitutionsausschluss wurde in der Folge äußerst kontrovers diskutiert und hatte schließlich mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Folge. Nach dessen Maßgaben verabschiedete der Deutsche Bundestag im Jahr 1994 das Entschädigungsund Ausgleichsleistungsgesetz. Absicht dieses Gesetzes ist es, für die zwischen 1945 und 1949 Enteigneten zumindest einen gewissen Ausgleich für die Enteignungen zu schaffen. So bestimmt dieses Gesetz in § 5, dass bewegliche Sachen zurückgegeben werden müssen, auch wenn sie zwischen 1945 und 1949 enteignet wurden. Für ausgestellte Gegenstände - ich betone für ausgestellte Gegenstände - räumt das Gesetz den verfügungsberechtigten Museen ein 20-jähriges unentgeltliches Nießbrauchsrecht ein. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung im November 2000 festgestellt, dass nach Ablauf dieser Zeit im Jahre 2014 Anspruchsberechtigte verlangen können, dass ihnen auch diese bedeutenden Kunstgegenstände rückübertragen werden.

In der letzten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages 1998 - 2002 wurde erwogen, solche Rückübertragungsansprüche abzuschaffen. Mit einer Bundesratsinitiative sollte das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz entsprechend geändert werden. Allerdings fand sich dafür keine ausreichende Unterstützung und die Initiative ist im Besonderen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht weiter verfolgt worden.

Sie, Herr Dr. Schuchardt, haben damals als Thüringer Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur diese Diskussion miterlebt und mitverfolgt. Sie haben dem seinerzeitigen Überlegen folgend die dann ausgebliebene Gesetzesinitiative abgewartet. Anders hätten Sie wohl verantwortlich auch nicht handeln können. Dies gilt es der Sachlichkeit und Fairness wegen festzuhalten.

Die genannten Initiativen wurden, wie dargestellt, im Hinblick auf Karlsruhe eingestellt. Damit ergab sich für den Freistaat Thüringen 1999/2000 unmittelbarer Handlungsbedarf. Die Regelungen des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes stellten uns vor große Herausforderungen, die zunächst - das will ich offen bekennen unlösbar schienen.

Zu den Gegenständen, die demnach spätestens 2014 rückübertragen werden müssten, gehören im Falle der Restitution des Hauses Sachsen-Weimar-Eisenach bedeutende Teile der ehemaligen Kunstsammlungen zu Weimar und der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Des Weiteren geht es um unentbehrliche Bestände des thüringischen

Haupt- und Staatsarchivs, um die erwähnte Grafiksammlung im Schloss und um die Fürstengruft mit den Särgen von Goethe und Schiller. Schließlich wären die Einrichtungen des Wittumspalais, von Schloss Tiefurt, des LisztHauses und der Wartburg betroffen.

Meine Damen und Herren, zwar hat das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen die Ansprüche des Hauses Sachsen-Weimar-Eisenach auf die Rückgabe von Immobilien 1997 zurückgewiesen, im Gegensatz dazu müssen bewegliche Gegenstände aber zurückgegeben werden. Entsprechend gab es 1998 einen Berechtigungsfeststellungsbescheid für das Goethe-Schiller-Archiv. Dieser wurde 1999 zurückgenommen mit dem Hinweis, dass schon 1946 die Mutter des Erbgroßherzogs Carl August auf dieses Erbe verzichtet habe. Das wird vom Hause Sachsen-Weimar-Eisenach nachhaltig bestritten. Deshalb ist ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Gera anhängig.

Für die übrigen Kulturschätze fand sich kein Anhaltspunkt für einen derartigen Verzicht der Familie. Bevor wir in Verhandlungen eingetreten sind, wurden die möglichen Restitutionsansprüche des Hauses Sachsen-Weimar-Eisenach umfangreich rechtlich geprüft. Dies geschah zum einen im Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und unabhängig davon im Thüringer Finanzministerium sowie im Thüringer Justizministerium. Es ist also mehrfach geprüft worden.

Zum anderen wird die Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen durch den Restitutionsspezialisten einer renommierten internationalen Großkanzlei vertreten. Er ist im Verlauf der Verhandlungen immer wieder einbezogen worden.

Im Ergebnis werden die Erfolgschancen im Gerichtsverfahren um das Goethe-Schiller-Archiv durchaus positiv bewertet. Da in Bezug auf die übrigen erwähnten Komplexe kein Verzicht auf das Eigentum vorliegt, wären die Rückübertragungsansprüche insofern gegeben.

Meine Damen und Herren, in Bezug auf die restitutionsbehafteten Kulturgüter bestand nur noch die Möglichkeit zu versuchen, für den Fall der Rückgabe eine Verpflichtung aufzuerlegen, die Kulturgüter über das Jahr 2014 hinaus in den Sammlungen zu belassen. Wir haben dazu ein Gutachten des ehemaligen Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, Prof. Sendler, eingeholt. Prof. Sendler sieht unter Berufung auf den vermögensrechtlichen Grundsatz des Wertausgleichs die Möglichkeit, dies zu tun oder - im Nichtjuristendeutsch: Durch die Rückübertragung soll den Berechtigten lediglich der vor der Enteignung bestehende Zustand des Eigentums verschafft werden.

Demgegenüber befindet ein vom Hause Sachsen-WeimarEisenach in Auftrag gegebenes, ebenfalls aus renommierter Feder stammendes Gutachten das Gegenteil. Wir standen vor einer typischen Vergleichssituation. Selbst wenn wir

es schafften, die Rückgabe der Kunstgegenstände mit einer derartigen Ausstellungsverpflichtung zu verknüpfen, stünden wir vor nicht kalkulierbaren Risiken:

1. hatte das Haus Sachsen-Weimar-Eisenach für diesen Fall angekündigt, den Rechtsweg bis auf die europäische Ebene auszuschöpfen;

2. müsste die Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen nachweisen, dass ein konkreter Gegenstand zum Zeitpunkt des Auseinandersetzungsvertrags 1921 bereits öffentlich zugänglich war und damit unter die Ausstellungsverpflichtung fällt und

3. würde dies bedeuten, dass bei jeglicher Maßnahme, die einen solchen Kunstgegenstand beträfe, die Erlaubnis des Hauses Sachsen-Weimar-Eisenach hätte eingeholt werden müssen.

Dass unter solchen Umständen eine reibungslose, eine vernünftige Museumstätigkeit nicht möglich wäre, bedarf keiner weiteren Erörterung. Eine solche Perspektive hätte unwiderruflich einen dominierenden Einfluss des Hauses Sachsen-Weimar-Eisenach auf die Arbeit der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen bedeutet.

Meine Damen und Herren, vor dem geschilderten Hintergrund sind wir in Verhandlungen mit dem Hause Sachsen-Weimar-Eisenach eingetreten. Unser Ziel war, die von einer Restitution betroffenen Kulturgüter endgültig und unangreifbar sicher für die Menschen unseres Landes zu erhalten und somit zu gewährleisten, dass dieses für Thüringen, Deutschland und den gesamten deutschsprachigen Kulturraum wichtige Erbe für die Öffentlichkeit zugänglich bleibt. Dieses Ziel, meine Damen und Herren, haben wir mit der vorliegenden Vereinbarung voll erreicht.

(Beifall bei der CDU)