Protocol of the Session on July 3, 2003

3. Ganztägige Angebote: Im Freistaat Thüringen gibt es nur wenige tatsächliche Ganztagsschulen. Schule soll dabei Lern- und Lebensort sein und sich nicht ver- oder abschließen. Ganztagsangebote an Thüringer Schulen anzubieten, das heißt für uns auch, dass nicht jede Schule in Thüringen eine Ganztagsschule sein muss. Aber dort, wo Eltern und Schüler dies wünschen, sollte wenigstens die Wahlmöglichkeit bestehen.

4. Mitbestimmung und Selbständigkeit: Um die weitere Schulentwicklung effektiv zu unterstützen, muss jede Schule deutlich mehr Selbständigkeit erhalten. Die Pädagogen einer Schule sind den Problemstellungen und alltäglichen Anforderungen am nächsten und könnten auch am schnellsten und wirksamsten dort reagieren. Man muss erwägen, ob auf Kreisebene Schulämter und Schulverwaltungsämter wieder zusammengeführt werden, um Bildungsausschüsse vor Ort nicht nur für Schulschließungen zu benutzen, sondern auch inhaltlich endlich mitreden zu lassen.

(Beifall bei der PDS)

Selbständigkeit von Schule schließt das Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht der Schüler, Lehrer und Eltern genauso ein wie die Arbeit von Schülerparlamenten und Schülervertretungen. Es ist die Pflicht einer demokratischen Gesellschaft, Kinder und Jugendliche unabhängig ihrer Herkunft zu demokratischem und emanzipatorischem Denken und Handeln zu befähigen. In einer selbständigen Schule ist für alle Beteiligten wirklich erfahrbar, was Demokratie und Emanzipation ausmachen. Heranwachsende brauchen nicht nur das festgeschriebene Recht zur Mitbestimmung, sondern sie müssen dies gerade in den Schulen auch erleben und leben können.

(Beifall bei der PDS)

J.F. Kennedy hat formuliert: "Es gibt nur eins, was auf Dauer noch teurer ist als Bildung - keine Bildung." Wir sagen, eine Gesellschaft, in der Bildung einen Wert an sich darstellt, wird Zukunftschancen in der Wissensgesellschaft haben, wird Zukunftschancen eröffnen und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Wir sind überzeugt davon, dass Bildung zukünftig noch deutlicher als bisher ein zentraler Standortfaktor auch für die Wirtschaftsförderung und für Firmenansiedlungen sowie bei der Gewinnung von Fachkräften sein wird.

(Beifall bei der PDS)

Einem Hauptproblem bei der Bildungspolitik im Freistaat haben Sie sich, Herr Ministerpräsident, unmittelbar nach Ihrem Amtsantritt zugewandt, der Sicherung einer Berufsausbildung für alle Ausbildung suchenden Schulabgänger in diesem Jahr einschließlich der so genannten Altfälle. Das findet unseren Respekt. Betrachtet man die Angelegenheit nüchtern, dann scheinen Sie doch, Herr Ministerpräsident, von den Ergebnissen der Ausbildungsoffensive 2003 der Kammern noch nicht so voll überzeugt zu sein. Wir gehen davon aus, dass Ausbildung Chefsache werden muss.

(Beifall bei der CDU)

Die Situation in Thüringen unterstreicht diese Notwendigkeit. Tausende von Schulabgängern des Jahres 2003 und zahlreiche junge Leute aus berufsvorbereitenden Maßnahmen haben Anfang Juni noch keinen Ausbildungsplatz. Schuld daran ist nicht das zögerliche Verhalten vieler Jugendlicher bzw. das Suchen nach einem bestimmten Ausbildungsplatz oder sogar Ausbildungsunwilligkeit, Schuld daran ist in erster Linie der dramatische weitere Rückgang in der Bereitstellung betrieblicher Ausbildungsplätze.

(Beifall bei der PDS)

In Anbetracht der für dieses Jahr zu erwartenden Situation hatte die PDS-Fraktion im März im Landtag unter

Würdigung der Ausbildungsoffensive der Kammern die Landesregierung aufgefordert, aktiv zu werden. Wenn Sie jetzt, Herr Ministerpräsident, nicht nur den Eindruck erwecken wollen, dass Ausbildung Chefsache ist, sondern sich persönlich in die Lösung dieser für die jungen Menschen im Freistaat bedeutenden Frage einbringen werden, dann findet dies den notwendigen Respekt der PDS-Fraktion. Natürlich muss sich der Ministerpräsident dann zu Beginn des Ausbildungsjahres 2003/2004 Fragen nach den Ergebnissen gefallen lassen.

Herr Ministerpräsident, zahlreiche Probleme tun sich insbesondere im gesamten Wirtschaftsbereich auf. Da ich die Auffassung teile, dass sich Soziales und Wirtschaftliches gegenseitig bedingen, ist es von besonderem Gewicht, im politischen Gestalten sich insbesondere diesen Fragen zuzuwenden.

Ich komme damit zu unserem dritten Schwerpunkt, Thüringen als Wirtschaftsland: Neben Erfolgen haben Sie, Herr Ministerpräsident Althaus, auch über Defizite gesprochen. Mit einigen Stichworten möchte ich diese von Ihnen aufgelisteten Defizite hier um einige kurz ergänzen. Andauernder Rückgang der Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze, Verlust von 40 Arbeitsplätzen pro Tag. Diese Tendenz ist nach wie vor ungebrochen, eine skandalöse Massenarbeitslosigkeit über Jahre hinweg. Von Jahr zu Jahr wachsende Anzahl von Langzeitarbeitslosen und eine Anzahl von in Armut lebenden Menschen in einer Größenordnung wie mittlerweile die Stadt Gotha Einwohner hat - Tendenz steigend. Aber auch die unzureichenden Ergebnisse beim BIP - Thüringen belegt im Ländervergleich immer wieder hintere Plätze - und das Schlusslicht bei Löhnen. Thüringen ist und bleibt das Billiglohnland in Deutschland. Deshalb fordert die PDS von Ihnen eine Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik, die die Stärkung von zukunftsfähigen Entwicklungsbedingungen verfolgt, Arbeitsplätze erhält und neue schafft und damit einem Beweggrund von Abwanderung entgegenwirkt. Es ist auch aus unserer Sicht sinnvoll, in der von Ihnen so genannten Initiative Mitteldeutschland zusammenzuarbeiten.

Wir messen aber der Schaffung und Verbesserung von Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung eines leistungsfähigen und starken Sektors Forschung und Entwicklung, einer wirkungsvollen berufs- und wissenschaftstechnischen Ausund Weiterbildung, aber auch der Entwicklung von Lebensqualität und guten Arbeitsbedingungen hier in Thüringen große Bedeutung bei.

(Beifall bei der PDS)

An der Spitze unserer wirtschaftspolitischen Überlegung steht eine notwendige Infrastrukturoffensive zur Stärkung der Standortfaktoren Thüringens, die die Innovationsoffensive ergänzt. Wir meinen damit Verkehrsentwicklung, Ver- und Entsorgung, attraktive Industrie- und Gewerbe

flächen, ja, wegen mir auch die Einrichtung von Mietfabriken, Herr Reinholz, und anderes mehr, was man bekanntlich unter harten Standortfaktoren versteht. Dabei wollen und werden wir Sie messen an Ihrer Aussage zu Bildung, Kultur und Daseinsfürsorge für die Entwicklung Thüringens. Wir erwarten von Ihnen als Ministerpräsident, dass diese so genannten weichen Standortfaktoren nicht der Rotstiftpolitik zum Opfer fallen, weil sie angeblich sich nicht rechnen würden.

(Beifall bei der PDS)

Thüringens Reichtum ist seine Kultur, aber auch seine Natur und die Chancen, die den Menschen hier eröffnet werden, ich betone noch einmal, Kern unserer wirtschaftspolitischen Überlegungen ist die stärkere Nutzung der wissenschaftlich-technischen Kompetenz im Freistaat. Thüringen muss sich durch Innovation auszeichnen. Darauf sollte die Förderpolitik insbesondere gegenüber dem Mittelstand und dem Handwerk noch zielgerichteter festgelegt werden.

(Beifall bei der PDS)

Übrigens liegen mit dem Bericht der Enquetekommission "Wirtschaftsförderung in Thüringen" zahlreiche Vorschläge auf dem Tisch, die auch die Zustimmung der Wirtschaft fanden. Wir haben den Eindruck, dass diese durch die Kommissionsmehrheit getragenen Feststellungen eher die Opposition als die Landesregierung interessieren. Ich möchte in diesem Zusammenhang gewissermaßen exemplarisch erneut die Idee wiederholen, die Idee der revolvierenden Fonds.

(Beifall bei der PDS)

Wir sehen auch Möglichkeiten, insbesondere hinsichtlich der weiteren Infrastrukturentwicklung einen Handlungsspielraum zu bewahren, wenn allein die zeitbezogenen zur Verfügung stehenden EFRE-Mittel jetzt endlich produktiv gemacht werden. Trotzdem hören wir insbesondere aus Regierungskreisen, dass die fehlenden Einnahmen keinen Handlungsspielraum mehr zulassen würden. Ganz Deutschland redet inzwischen davon, dass wir uns dieses oder jenes nicht mehr leisten können, dass deshalb überall gespart werden müsste. Erster Dreh- und Angelpunkt der Diskussion ist die öffentliche Verschuldung, aber verschwiegen wird, dass an dieser Verschuldung des Staats private Konsortien, Banken und Geldanleger bisher sehr gut verdient haben. Öffentliche Armut geht einher mit der Steigerung privaten Reichtums.

(Beifall bei der PDS)

Der Begriff der gesellschaftlichen Gerechtigkeit geht bei dieser neoliberalen Finanz-, Steuer- und Haushaltspolitik völlig verloren. Arme Menschen können sich keinen armen Staat leisten, arme Regionen auch nicht. Eine Sanierung der Staatskasse ist notwendig, aber sie wird nicht

durch einseitige Ausgabenkürzungen zu erreichen sein, im Gegenteil, sie wird den Kreislauf nach unten verstärken, wie die Vogel'sche Arbeitsmarktbilanz der letzten Jahre bewiesen hat. Nur durch eine Stärkung der Einnahmen lassen sich künftige Spielräume erringen.

(Beifall bei der PDS)

Das ist eine generelle Aufgabe, bei der der derzeitige parteipolitische Hickhack einem Gezänk auf dem Hühnerhof gleicht. Was ein großer Teil der Menschen erwartet, ist endlich ein Erfüllen des Begriffs der Verteilungsgerechtigkeit.

(Beifall bei der PDS)

Herr Ministerpräsident, eines der zentralen Aufgabenfelder Ihrer Politik muss die Arbeitsmarktpolitik werden. Die Beschreibungen für den Zustand in diesem Bereich schwanken von nicht akzeptabel bis hin zu katastrophal. Allerdings ist die Situation seit Jahren auf diesem Niveau eingepegelt und verfestigt sich stetig. Stichworte seien auch hier genannt:

- über 200.000 registrierte Arbeitslose in Thüringen,

- massenhaft Pendler,

- weiterhin ungebrochene Abwanderung,

- stetig steigende Zahl von Langzeitarbeitslosen und Arbeitslosenhilfeempfängern,

- rasanter Abbau der landeseigenen Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik,

- ein gewaltiger Abbau von notwendigen Arbeitsplätzen im Kultur- und Sozialbereich.

Natürlich ist es richtig, wenn Sie feststellen, dass eine hohe Verantwortung in der Arbeitsmarktpolitik dem Bund zukommt. Natürlich sind von dieser Seite im letzten Jahr insbesondere Impulse gesetzt worden, die als untauglich zur Lösung bzw. zur Verbesserung der Situation betrachtet werden müssen. Aber hier erwarten wir von Ihnen aktiveres Gegensteuern. Dazu sind nachhaltig wirkende Projektvorschläge und Ideen gefragt. Als PDS-Fraktion fordern wir Sie auf:

1. Bei der Neustrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit Mitgestaltungsrechte und Beratungsrechte der Länder einzufordern.

(Beifall bei der PDS)

2. Beschäftigungswirksame Infrastrukturprojekte zu installieren, um zielgerichtet insbesondere junge Leute in zusätzliche Beschäftigung zu bringen.

(Beifall bei der PDS)

3. Die Kompetenz der Regionalbeiräte zu erweitern, damit diese selbst über Mittel verfügen und nach regionalen Schwerpunkten eigenständig einsetzen können.

(Beifall bei der PDS)

4. Die Fördermittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit zu verstärken.

(Beifall bei der PDS)

Herr Ministerpräsident Althaus, greifen Sie zum Beispiel unseren Vorschlag für die Unterstützung und Förderung von Modellprojekten in den vier Thüringer Regionen auf und greifen Sie unsere Vorschläge nach Anerkennung öffentlich notwendiger und gesellschaftlich sinnvoller Tätigkeit als Arbeit auf, eben eine ehrliche Initiative zum Ausbau des Non-Profit-Sektors. Arbeit ist genug da, sie muss nur organisiert werden.

(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie uns endlich über den Non-Profit-Sektor reden ohne ideologische Scheuklappen. Wenn es weiterhin sinnvoll sein soll, über Vollbeschäftigung, über Vollbeschäftigungsmöglichkeiten in dieser Gesellschaft zu diskutieren, Menschen durch eigener Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen und so gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, muss dieser Weg endlich gegangen werden.

(Beifall bei der PDS)