Protocol of the Session on June 5, 2003

(Beifall bei der PDS)

Herr Dr. Vogel, mir persönlich haben Sie einmal ins Stammbuch geschrieben, ich solle doch nicht so laut und so frech und so viel im Internet über die Skandale des Landes öffentlich reden, das sei doch schlecht für das Land. Sie haben mir dann gesagt, ganz, ganz mit Vehemenz: Fragen Sie doch, Herr Abgeordneter, fragen Sie doch. Ich habe anschließend hier im Landtag gefragt, ich habe den Rat erfüllt, den Sie mir gegeben haben. Ich darf Ihnen heute an Ihrem letzten Amtstag in diesem Amt sagen: Ant

worten habe ich nie bekommen. Als ich mich bei Ihnen beschwert habe, dass ich keine Antworten bekomme, habe ich auf diese Antwort nicht einmal eine Antwort bekommen. Da sage ich, Herr Ministerpräsident - und das wurde auch beim Verfassungsstreit vom Kollegen Schemmel deutlich -: Fragen dürfen wir, die Antworten werden uns nur erteilt, wenn sie genehm sind und in das goldene Bild passen.

Wenn ich beim Persönlichen bin: In Gera haben Sie über mich folgenden Satz geschrieben bzw. dem CDUParteitag zur Kenntnis gegeben - Frau Präsidentin, ich zitiere: "Der andere ist in Thüringen nicht heimisch geworden - ein Mann von gestern, der seiner Jugendzeit als Klassenkämpfer im Westen nachtrauert und dem die friedliche Revolution einen Strich durch seine sozialistische Rechnung gemacht hat."

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Stauch, CDU: Besser kann man's nicht sagen.)

(Heiterkeit bei der CDU)

Die mittlere Sitzreihe ist erfreut. Dazu nur zwei Erwiderungen: Ich habe in Thüringen geheiratet und habe in Thüringen eine Familie gegründet. Ich habe meinen ersten Wohnsitz nach Thüringen verlegt. Ich habe zwar nach der Lex Schuster hier kandidiert, aber anschließend für eine nächste Kandidatur mich entschieden, meine Wurzeln in Thüringen endgültig einzuschlagen.

(Beifall bei der PDS)

Ich habe meine Verwurzelung vollzogen, sagen jedenfalls meine Frau und mein Kind. Es mag Ihnen ja nicht passen, dass ich hier stehe, es mag ja sein, dass Sie gern wieder mit Ausweisung arbeiten möchten, aber ich...

(Heiterkeit bei der CDU)

(Zwischenruf aus der CDU-Fraktion: Wieder, wieso wieder.)

Ausgrenzung ist auch eine Form von Ausweisung. Herr Dr. Vogel, Ausgrenzung, für sich reklamieren Hiesiger zu sein und anderen absprechen Hiesiger zu sein, das ist der Widerspruch. Herr Schwäblein sei erinnert, als Fraktionsvorsitzender im Erfurter Stadtrat plädiert er gerade dafür, dass die Aufbauhelfer, die, die hier alle gut bezahlt sind, ihren ersten Wohnsitz endlich in Erfurt anmelden sollen, weil ansonsten die Zweitwohnsitzsteuer eingeführt werden muss. Bitte appellieren Sie doch mal an Ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen und Freunde, die alle hier gute Posten gefunden haben, gut dotierte Jobs in Thüringen eingenommen haben. Appellieren Sie doch mal daran, dass die ihren ersten Wohnsitz hier anmelden, dann können wir darüber reden, wer heimisch geworden

ist und wer nicht.

(Beifall bei der PDS)

Eine zweite Bemerkung will ich in dem Zusammenhang machen. Die friedliche Revolution hat mir keinen Strich durch meine sozialistischen Hoffnungen gemacht, ganz im Gegenteil. Mit dieser friedlichen Revolution habe ich erst angefangen, eine sozialistische Vision zu entwickeln,

(Heiterkeit bei der CDU)

weil mit dem Ende...

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Das war die Aussage des Tages.)

Ich habe an die rote Nelke am Anfang meiner Rede erinnert. Es gab schon mal eine Zeit, in der man von Sozialismus nicht reden durfte. Das Ende des Staatssozialismus ist erst der Aufbruch, bei dem wir noch nicht wissen, ob Kapitalismus am Ende das Ende der Geschichte ist. Die jetzige Form des Kapitalismus und der gelebte Neoliberalismus ist eine Form, die uns in diesem Land nicht weiterbringt, weil sie Opfer produziert und immer mehr Menschen am Wegesrand liegen lässt.

(Unruhe bei der CDU)

Insoweit bleibe ich dabei: Sie leben Ihre Werte, wir kritisieren Sie nicht für Ihre Werte, ob katholisch, ob christlich-demokratisch, ob konservativ, aber als Christ, als Protestant, als Mensch mit immer noch sozialistischer Vision erlaube ich mir, dass wir einen anderen Wertekanon auch repräsentieren. Und beide gehören in diese Gesellschaft, Ihre, aber auch unsere, weil erst alles zusammengenommen ein Ganzes gibt, dass es Alternativen auch zu bestimmter Politik gibt.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein paar Bemerkungen über das konservative Wertesystem machen; das möchte ich mir erlauben über das Geschichtsbild. Herr Dr. Vogel, wir achten Ihre Lebensleistung und Ihre Weltanschauung, aber oft genug haben Sie wissentlich oder unbeabsichtigt Ansichten und Biographien negiert oder gar angetastet. Dazu will ich zwei Beispiele sagen. Was wir sehr gut finden, ist, dass Sie im Kabinett die Vorbereitung zum 60. Jahrestag Buchenwald schon vorbereitet und selbst angeschoben haben. Wir hoffen, dass Ihr Nachfolger dieses konsequent weiter umsetzt. Aber ich erlaube mir daran zu erinnern, dass Sie am 50. Jahrestag auf dem Appellplatz Buchenwald den Teil der Selbstbefreiung einfach weggelassen haben.

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Es gab keine Selbstbefreiung.)

Das war eine neben der Selbstbefreiung...

(Unruhe bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich rede von den angetretenen Überlebenden, nicht von unserer Sicht auf die Dinge. Die Angetretenen dort auf dem Appellplatz noch lebenden Buchenwaldhäftlinge haben eine andere Erinnerung als die, die Ihnen hier verordnet werden soll.

(Beifall bei der PDS)

Und wer sich als Überlebender an Selbstbefreiung erinnert und sagt, wir haben unseren Teil dazu geleistet, dem sollte man die Achtung und die Ehre nicht verweigern, auch wenn der Teil der Befreiung durch die amerikanische Armee der zentrale ist. Aber ohne das Engagement ganz vieler Buchenwaldhäftlinge wäre auch der demokratische Aufbruch nach 1945 in diesem Teil nicht gelungen. Dazu haben Buchenwaldler sehr viele Opfer auch danach bringen müssen.

Eine zweite Bemerkung: Während Sie zu Recht die Rehabilitation...

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Spezial- lager 2.)

Herr Althaus, es gab einige Monate unter der amerikanischen Zeit, in der hier sehr demokratisch antifaschistisch in Kommunen Aufbauarbeit gemacht worden ist.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Unter der amerikanischen Fahne.)

Es gibt eine zweite Bemerkung: Während Sie sich engagieren für die Rehabilitation der Opferbiographien der DDR, wo wir ausdrücklich Ja dazu sagen, gibt es etwas anderes, wo Sie sehr persönlich dagegen gekämpft und gestanden haben, das ist das Denkmal des unbekannten Wehrmachtsdeserteurs auf dem Petersberg. Auch da sage ich, bis zum heutigen Tag sind die Deserteure der faschistischen Naziarmee nicht rehabilitiert worden. Auch dort sollte man die Achtung und die Ehre akzeptieren und auch diesen Menschen die notwendige Würde zuteil werden lassen.

(Beifall bei der PDS)

Eine letzte Betrachtung, die erwähnt sei. Das Frauenbild möchte ich nur anreißen. Sie haben einmal den Satz geprägt: Wenn die Frauen in Thüringen nicht eine solche Erwerbsneigung hätten - und in Ihrer Rede heute steht es andeutungsweise wieder drin -, wäre die Arbeitslosigkeit so hoch wie in Rheinland-Pfalz. Warum, Herr Dr. Vogel, ist das die Erwerbsneigung der Frauen? Wieso ist das geschlechtsspezifisch? Wieso machen Sie das geschlechtsspezifisch fest? Welches Bild verbirgt sich eigentlich dagegen? Haben Frauen ein geringeres Recht, Erwerbsarbeit

nachzugehen?

Und eine zweite Bemerkung:

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Herr Ramelow, das ist wieder tendenziös.)

Bei der Frage der Bundespräsidentenkandidatur geht ja der Satz um, dass die Konservativen nur dann eine Frau präsentieren, wenn es keine Chance gibt. Also das böse Wort der Zählkandidatin. Sie haben Gelegenheit, in wenigen Wochen dafür zu sorgen, dass die Bundesrepublik Deutschland auch eine Bundespräsidentin als ganz normal gelebten Tatbestand haben kann.

(Beifall bei der PDS)

In einem Punkt unterscheiden wir uns ganz deutlich, das ist das Bild von der Bildung. Sie sind als Kultusminister schon in Rheinland-Pfalz, daher kenne ich Sie seit meinem 12. Lebensjahr, für eine Frühselektion. Sie sagen immer fördern und unterstützen, aber gleichzeitig setzen Sie auf die frühe Selektion, also das gegliederte Schulsystem des 19. oder des frühen 20. Jahrhunderts war Ihr Credo und bleibt Ihr Credo. Wir sagen, wir setzen dagegen ganz klar einen Bildungsbegriff, bei dem längeres gemeinsames Lernen im Zentrum steht und bei dem zusammen lernen und zusammen leben im Sozialverband der notwendige Kitt ist, der junge Menschen auf dem Lebensweg in diese Gesellschaft begleitet. Wir haben da keine Hoffnung mehr bei Ihnen, dass sich im Gedankenbau etwas verändert. Wir hoffen aber, dass Herr Althaus einige neue Akzente setzt, wenn es darum geht, dass Bildung auch anders gelebt werden kann.

(Beifall bei der PDS)

Den Hinweis auf den Austausch von Eliten habe ich gemacht. Wenn man in Thüringen eine soziologische Umfrage starten würde, eine Untersuchung unter den Spitzenentscheidern, würde man wahrscheinlich feststellen, dass in den Posten, die das Land vergeben hat, in der Verwaltung, bei der Justiz oder bei den öffentlich-rechtlichen Stellen nicht nur ein Eldorado für vertraute Personen entstanden ist oder nahe stehende Personen, nein, ich wage die These, dass man folgende Kriterien am meisten wieder finden wird: männlich, westdeutsch, konservativ. So ist eben auch in Ihrer Amtszeit das Land neu und weiterentwickelt worden.

Trotzdem, auch wenn wir eine andere Sicht auf Ihre Amtszeit haben, habe ich zwei persönliche Wünsche am Schluss Ihrer Amtszeit, quasi als Wünsche mit auf den Weg.

Erstens, Herr Dr. Vogel, ich wünsche Ihnen wirklich von ganzem Herzen einen wohlverdienten Ruhestand.

(Heiterkeit bei der CDU)

Luther war von Thüringen aus in Worms, Sie hätten es dann nicht mehr weit bis nach Speyer,

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU)

aber Speyer liegt daneben.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Das soll- ten Sie sich mal merken.)