Protocol of the Session on April 4, 2003

Thüringen, meine sehr verehrten Damen und Herren, nimmt im Vergleich mit den jungen Ländern Spitzenpositionen ein; Platz 12 reicht uns allerdings nicht. Wir wollen den Platz unter den deutschen Ländern, den wir ohne SED und Stacheldraht längst eingenommen hätten,

(Beifall bei der CDU)

aber die Schere zwischen Ost und West öffnet sich seit einigen Jahren wieder, statt sich zu schließen. Der Aufbau Ost muss wirklich wieder Priorität bekommen. Der Bund muss seiner Verantwortung gegenüber den jungen Ländern gerecht werden. Selbstverständlich müssen auch wir selbst tätig sein. Deswegen haben die Ministerpräsidenten der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Ende August letzten Jahres die Initiative Mitteldeutschland ins Leben gerufen: Dabei geht es nicht um die Fusion der drei Länder. Im Übrigen, eine Fusion wird von der Mehrheit unserer Bevölkerung abgelehnt.

(Beifall bei der CDU)

Wo es aber sinnvoll und nützlich ist, wollen wir miteinander kooperieren und unsere Interessen gemeinsam vertreten,

(Beifall Abg. Arenhövel, CDU)

beispielsweise im Bundesrat. Das gilt auch für die Landesplanung sowie die kommunale und regionale Zusammenarbeit. Und wir wollen einen kooperativen Föderalismus, der auf das Gemeinwohl zielt - keinen übersteigerten Wettbewerb, bei dem sich nur jeder selbst der Nächste ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun zu der Frage: Was wollen wir in Zukunft erreichen? Was kann die Landesplanung leisten, damit sich unsere Wettbewerbssituation unter den Ländern in Deutschland und den Regionen Europas verbessert?

Die Leitprinzipien der künftigen Thüringer Landesentwicklung und des neuen Landesentwicklungsplans heißen Nachhaltigkeit, gleichwertige Lebensverhältnisse und Subsidiarität. Mit deren Verwirklichung geben wir eine Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Wir wollen eine nachhaltige Entwicklung Thüringens. Nachhaltigkeit zielt auf ein angemessenes Wirtschaftswachstum, soziale Sicherung und ein ökologisches Gleichgewicht. Nachhaltigkeit ist auf den Ausgleich und die Verknüpfung dieser Ziele gerichtet. Und um es mit den Worten der Brundtlandkommission zu sagen, insgesamt geht es um eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger

Generationen zu gefährden. Die Landesplanung ist der Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung verpflichtet, indem sie die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit den Erfordernissen einer dauerhaften Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen verbindet. Wir streben gleichwertige Lebensverhältnisse an. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist eine zentrale Aufgabe für die Thüringer Landesentwicklung. Sie bedeutet für uns Angleichung an die Lebensbedingungen der alten Länder und demographische Stabilisierung in allen Landesteilen Thüringens. Zu dieser Aufgabe gehört insbesondere die Förderung von strukturschwachen ländlichen Gebieten durch eine ausreichende Infrastrukturausstattung und durch die Förderung eines zusätzlichen Arbeitsplatzangebots in zumutbarer Entfernung vom Wohnort. Wir wollen mehr Subsidiarität. Entscheidungen müssen dort gefällt werden, Aufgaben müssen dort wahrgenommen werden, wo das am sachkundigsten und effizientesten geschieht - wenn es möglich ist vor Ort. Wir wollen, dass das Land nur das regelt, was im Gesamtinteresse erforderlich ist. Die Planungsregionen sollen nur das festlegen, was die Gemeinden nicht selbst leisten können. Dabei gilt das Gegenstromprinzip. Einerseits müssen das Land und die Planungsregionen die Belange der Gemeinden berücksichtigen, andererseits müssen die kommunalen Planungen den Erfordernissen der Landes- und Regionalplanung entsprechen. Und es geht dabei um Transparenz, um Öffentlichkeit und um Bürgerbeteiligung.

(Beifall bei der CDU)

Nachhaltigkeit, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und Subsidiarität sind der Handlungsrahmen für alle Festlegungen des Landesentwicklungsplans. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen einen schlanken und effektiven Landesentwicklungsplan, keinen Plan, der eine bloße Zusammenfassung aller Fachplanungen ist, schon gar keinen Plan, der die Fachplanungen ersetzt. Es geht um die Koordination und Abstimmung von Planungen, Projekten und Maßnahmen, die Flächenbezug haben und für räumliche Entwicklungen bedeutsam sind.

Durch den Landesentwicklungsplan und die Regionalpläne soll eine Vorsorge für einzelne Raumfunktionen und Raumnutzungen für die nächsten 10 bis 15 Jahre erfolgen.

Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist der Schlüssel zur Sicherung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Um unseren Standortvorteil innerhalb Europas nutzen zu können, muss Thüringen mit Blick auf die erwartete Zunahme der Verkehrsströme auf den zügigen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur drängen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb muss die Einbindung Thüringens in das europäische Verkehrsnetz weiter verbessert werden. Die Erreichbarkeit aller Landesteile, der Leistungsaustausch zwischen den Zentren, gleiche Mobilitätschancen, insbeson

dere im ländlichen Raum, müssen gewährleistet sein. Wir werden deshalb darauf drängen, dass die Autobahnen zügig weiter aus- und neu gebaut werden und dass neben der A 4, A 9, A 38 und A 71 zwischen Erfurt und Würzburg auch die A 71 zwischen Erfurt und Magdeburg und die A 73 zwischen Suhl und Bamberg in das transeuropäische Verkehrsnetz aufgenommen werden.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen Schwerpunkte für das regionale und überregionale Straßennetz benennen und dafür sorgen, dass sie im Bundesverkehrswegeplan Berücksichtigung finden. Ich nenne als Beispiel die Verbindung Meiningen-Fulda und die Anbindung von Rudolstadt und Saalfeld an die A 71. Die Verbindung Meiningen-Fulda ist als "Vorhaben mit besonderem naturschutzfachlichen Planungsauftrag" in den vordringlichen Bedarf aufgenommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen dafür sorgen, dass dieser Planungsauftrag zur Realisierung führt. Die Verbindung von Rudolstadt-Schwarza zur A 71 ist nur im weiteren Bedarf aufgeführt, hier werden wir kämpfen.

(Beifall bei der CDU)

Unveränderte Priorität haben für uns die ICE-Strecke Nürnberg-Erfurt-Halle-Leipzig und die Mitte-Deutschland-Schienenverbindung. Die ICE-Strecke ist selbstverständlich in den Entwurf des Bundesverkehrswegeplans aufgenommen worden. Sie ist für uns von herausragender Bedeutung.

(Beifall Abg. Kallenbach, Abg. Dr. Sklenar, CDU)

Sie ist für uns als Teil der europäischen Hochgeschwindigkeitsverbindung Mailand-München-Berlin-Malmö unverzichtbar, sie ist lebenswichtig für unsere Landesentwicklung.

(Beifall bei der CDU)

Dies schon deshalb, weil unsere schnelle Erreichbarkeit ein wichtiger Wettbewerbsvorteil im größer gewordenen Europa ist. Ebenso bedeutsam ist für uns, dass die Mitte-Deutschland-Schienenverbindung auf ganzer Strecke elektrifiziert und zweigleisig ausgebaut wird.

(Beifall bei der CDU)

Ich erinnere daran, die Mitte-Deutschland-Verbindung war Bestandteil des Bundesverkehrswegeplans von 1992. In dem neuen Entwurf ist der weitere Ausbau (durchgän- gig, zweigleisig) nicht enthalten. Das ist ein Bereich, um den sich die SPD-Landtagsfraktion auf Bundesebene besonders verdient machen könnte. Eine solche Veränderung können und werden wir schon wegen der europäischen Bedeutung dieser Verbindung, aber auch wegen der

Bundesgartenschau Gera und Ronneburg im Jahre 2007 nicht akzeptieren. Für den internationalen Verkehrsflughafen Erfurt wollen wir eine Ausweitung der innereuropäischen Luftverkehrsangebote. Die vorgesehene Nutzung des Regionalflughafens Altenburg-Nobitz werden wir nach Kräften unterstützen.

(Beifall bei der CDU, PDS)

Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung, Voraussetzung für eine Stärkung des Standorts Thüringen als Wirtschafts- und Lebensraum ist der Aufbau einer räumlich ausgewogenen, modernen und technologieorientierten Wirtschaftsstruktur mit wettbewerbsfähigen und innovativen Unternehmen und zukunftssicheren Arbeitsplätzen. Unabdingbar ist dafür ein angemessenes Angebot an Industrie- und Gewerbeflächen; Gewerbeflächen, die die Standortvoraussetzungen für großflächige Industrieansiedlungen erfüllen. Das ist ein wichtiger Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir werden deshalb im neuen Landesentwicklungsplan in allen Landesteilen Standorträume für Industriegroßflächen ausweisen. Damit erfolgt eine raumordnerische Standortsicherung für Industrieflächen ab 100 Hektar. Darüber hinaus können regional bedeutsame Industrie- und Gewerbeflächen mit einer bestimmten Mindestgröße in den Regionalplänen festgeschrieben werden. Diese Schwerpunktflächen, die in einem breiten regionalen Konsens ausgewiesen werden, sollen bei der Förderung bevorzugt berücksichtigt werden. Aber nicht nur geeignete Flächen sind wichtig, für die Entwicklung des Technologiestandorts Thüringen ist auch der Ausbau und die Erneuerung der technologieorientierten Infrastruktur sowie die Unterstützung des Auf- und Ausbaus von wettbewerbsfähigen Clustern und Netzwerken von zentraler Bedeutung.

Die Thüringer Hochschul- und Forschungslandschaft muss weiter ausgebaut werden.

(Beifall Abg. Arenhövel, CDU)

Die Position der Thüringer Hochschulen im Wettbewerb ist durch eine gezielte Profilierung, ein ausgewogenes und bedarfsgerechtes Angebot an Studiengängen und neue Studienangebote zu stärken. Gemeinsam mit den Hochschulen sollen die außeruniversitären Forschungseinrichtungen dazu beitragen, Thüringen als Standort von Wissenschaft und Forschung weiter voranzubringen.

(Beifall bei der CDU, PDS)

Wir wollen das reiche Kulturerbe unseres Landes, das auch ein Standortfaktor, aber vor allen Dingen Ausdruck der Thüringer Identität ist, erhalten und entwickeln.

(Beifall bei der CDU, PDS)

Das betrifft beispielsweise Weimar und die Wartburg, Symbole deutscher Kulturgeschichte, das betrifft Resi

denzstädte und das betrifft Museen, Theater und Orchester ebenso wie Schlösser, Burgen und Landschaften.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen einen verantwortlichen und sensiblen Umgang mit Natur- und Kulturgütern, wir wollen den Erhalt der biologischen Vielfalt, den Schutz des Bodens als Lebensraum und Ressource. Wir wollen einen guten ökologischen Zustand der Gewässer und zusammenhängende Lebensräume gewährleisten. Wir wollen die Wirtschaft so entwickeln, dass Belastungen der Umwelt vermieden oder so vermindert werden, dass die Leistungs- und Funktionsfähigkeit der natürlichen Wirkungsvielfalt der Umwelt auf Dauer nicht beeinträchtigt werden. Wir wollen, dass die Nutzung einer Ressource auf Dauer nicht größer ist als ihre Regenerationsfähigkeit. Der Landesentwicklungsplan wird deshalb ökologisch besonders bedeutsame Landschaftsräume benennen, mit denen wir zur Entwicklung eines landesweiten und europäischen Biotopverbundsystems beitragen. Insbesondere für diese Räume sollen die Regionalpläne Gebiete für die Freiraumsicherung, für den Schutz besonderer natürlicher Bodenfunktionen, besonderer Waldfunktionen für die Trinkwasserversorgung, für die Klimawirksamkeit und für die besondere Erhaltung und Entwicklung der Tier- und Pflanzenwelt ausweisen. Wir wollen die Waldflächen in ihrem Umfang und in ihrer räumlichen Verteilung erhalten und besonders in waldarmen Gebieten kontinuierlich erweitern.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen für die Landwirtschaft besonders geeignete Böden bewahren und die Fruchtbarkeit der Böden erhalten. In den Regionalplänen sollen deshalb Vorranggebiete für Landwirtschaft ausgewiesen werden.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen Land- und Forstwirtschaft unter Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Erfordernisse als leistungsfähige Wirtschaftszweige wettbewerbsfähig erhalten und entwickeln. Denn Land- und Forstwirtschaft sollen auch künftig nicht nur durch die Produktion und die Weiterentwicklung von Nahrungsmitteln und nachwachsenden Rohstoffen den ländlichen Raum in entscheidendem Maße prägen, sie sind wichtig wegen ihrer Beiträge zur Pflege und Erhaltung der Kulturlandschaft, zur Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen sowie zum Erhalt der sozialen und kulturellen Identität. Die Dorferneuerung und -entwicklung wird hierbei ein wichtiges Element bleiben.

(Beifall bei der CDU)

Thüringen muss seine kulturelle und landschaftliche Anziehungskraft aber noch weiter erhöhen, weil der Tourismus ein bedeutender Wirtschaftszweig ist. Eine engere Vernetzung von Sport, Kultur und Tourismus wird zusätzliche Impulse setzen. Der neue Landesentwicklungs

plan wird dazu seinen Beitrag leisten.

Wir wollen nach den Erfahrungen der letzten Monate den Hochwasserschutz verbessern.

(Beifall bei der CDU)

In den Regionalplänen sollen Überschwemmungsgebiete als Vorrang- bzw. Vorbehaltsgebiete für den Hochwasserschutz vorgesehen werden. Wir wollen auf extreme Hochwasser vorbereitet sein, indem wir zusätzliche Infiltrations-, Abfluss- und Wasserrückhaltebereiche zurückgewinnen; Gebiete, die in den Regionalplänen als Vorbehaltsflächen für den Hochwasserschutz zu benennen sind. Für alle Festlegungen gilt: Wir brauchen nicht mehr Regulierung, wir brauchen mehr Entwicklung und mehr Zukunftsvorsorge und wir brauchen angesichts der großen Herausforderung - demographischer Wandel, steigende Mobilität und anhaltende Stadtumlandwanderung - Schwerpunktsetzung. Dem dient insbesondere das Zentrale-OrteKonzept.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den letzten Wochen ist bereits viel diskutiert worden über Oberzentren, Mittelzentren mit oder ohne Teilfunktionen eines Oberzentrums, über Städteverbünde als Oberzentren, über Grundzentren und über die Reduzierung von sechs auf drei Stufen. Ich begrüße, dass es eine breite Diskussion über die Landesplanung gibt, auch wenn sie verschiedentlich noch von Missverständnissen begleitet ist. Deshalb werde ich zunächst die Begriffe und die Rolle des Zentrale-Orte-Konzepts in der Landesplanung näher erläutern: