Protocol of the Session on March 15, 2002

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Ja, ja.)

Packen Sie es mit Ihrer Regierungsmannschaft an und nutzen Sie die EFRE-Bugwelle in Ihrer eigenen Verantwortung. Sie sind am Zuge. Was oder wer hindert Sie eigentlich, dieses umzusetzen, hier zu handeln und aktiv zu werden?

Eine dritte Betrachtung, Herr Ministerpräsident: Sie haben in Ihrer Regierungserklärung von 1999 über kommunale Selbstverwaltung, Kommunalen Finanzausgleich gesprochen. Angekündigt war eine umfassende Novellierung der Thüringer Kommunalordnung, die eigentlich bereits seit 1997 ansteht. Sie haben Anfang 2000 zunächst nur das kommunale Wirtschaftsrecht novelliert. Diese Novelle war halbherzig

(Beifall Abg. Gentzel, SPD)

und hat nicht zu gleichen Wettbewerbschancen für kommunale Unternehmen geführt.

(Beifall Abg. Gentzel, SPD)

Die notwendige Modifizierung der Kopplung des kommunalen Wirtschaftsrechts am so genannten öffentlichen Zweck wurde nicht realisiert, ebenso wurde am starren Territorialprinzip festgehalten. Im Februar 2002 hat die Landesregierung nunmehr ihren Gesetzentwurf zur Novellierung der Thüringer Kommunalordnung vorgelegt. Damit ist eine verbale Zielstellung Ihrer Regierungserklärung von 1999 erfüllt. Unbestritten beinhaltet dieser Gesetzentwurf eine Reihe notwendiger und begrüßenswerter Änderungen im Kommunalrecht. Insgesamt aber ist der Gesetzentwurf enttäuschend. Unsere Haltung und Ihre Entscheidungsräume haben wir Ihnen mit unseren entsprechenden Änderungsanträgen bereits deutlich gemacht. Sie haben sie nicht genutzt.

Noch einige Worte zu Kommunalfinanzen und Kommunalem Finanzausgleich: Mit dem Doppelhaushalt 2001/ 2002 mussten die Thüringer Kommunen einen überproportionalen Beitrag zur Konsolidierung des Landeshaushalts leisten. Während sich der Umfang des Landeshaushalts nur um 1 Prozent reduzierte, wurde die Zuweisung des Landes an die Kommunen um 3,5 Prozent gekürzt, und dies unter den Rahmenbedingungen, dass die Kommunen zeitgleich weitaus höhere Steuermindereinnahmen verkraften mussten als das Land. Hinzu kommt, dass das Land den Finanzausgleich mit weiteren Aufgaben befrachtet, was zu einer weiteren Belastung der Kommunen führt.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Welche?)

Ich muss feststellen, Sie haben eine Neuausrichtung des Kommunalen Finanzausgleichs unter der Beachtung des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes versäumt. Und Sie haben weiter versäumt, die innere Struktur des Finanzausgleichs den neuen Bedingungen anzupassen. Zum Haushalt des Landes und dem Nachtragshaushalt will ich keine Ausführungen machen. Wir hatten unsere Haltung, unsere Vorschläge und die Versäumnisse der Landesregierung bereits gestern dargestellt.

In Ihrer Regierungserklärung aus 1999 haben Sie - ich komme zu einer vierten Betrachtung, Herr Ministerpräsident - die Weiterentwicklung der Thüringer Hochschulen als Zukunftswerkstätten des Landes als einen Schwerpunkt benannt. Ich will es aber auch auf die Bereiche außerhochschulische Forschung, wirtschaftsnahe Forschung und Technologieförderung ausdehnen. "Sparen und Gestalten" hieß Ihre Regierungsdevise, aber was Sie wirklich betreiben, ist "Sparen und Spalten".

(Beifall bei der PDS)

Die Demonstration der Rektoren und der Studenten und ver.di heute Morgen hat ja einiges aufgezeigt.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Das waren fünf Leute.)

Ich zitiere aus dem ver.di-Flugblatt: "Die konkreten Zahlen des Nachtragshaushaltsentwurfs machen klar, dass in den ersten Darlegungen der Landesregierung der Ernst der Lage verschleiert wurde. 2,7 Mio.   & nalausgaben bedeutet, dass nur noch 94 Prozent der vorhandenen Stellen finanziell gedeckt sind. Die Sachmittelkürzung von insgesamt 2,6 Mio.  ' ()   für Datenverarbeitung bedeuten schmerzliche Einschnitte in die Ausstattung von Forschung und Lehre, von Bibliotheken und Labors. Darunter wird die Arbeitsfähigkeit der Hochschulen unweigerlich leiden. Es ist zu befürchten, dass dies nur der Auftakt für weitere Kürzungen in anstehenden Doppelhaushalten für das Jahr 2003/2004 ist." So weit das Zitat von ver.di, heute Morgen verteilt an alle Abgeordneten des Thüringer Landtags. Ich kann Ihnen mein Exemplar gern geben. Der Studentenrat hat sein Flugblatt überschrieben mit "Teilzeit in der Denkfabrik".

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, dem Studentenratshinweis ist nichts hinzuzufügen. Ich habe gehört, dass heute Morgen Gespräche zugesagt worden sind, die nach Ostern mit den Rektoren und den Beteiligten stattfinden sollen. Ich hoffe, dass alle Beteiligten an den Gesprächen zum Thema "Hochschule" wirklich auch beteiligt werden. Ich hoffe aber noch viel mehr, dass die Gespräche nach Ostern zu einem Zeitpunkt so geführt werden, dass nicht die Entscheidungen vorher im Haushalts- und Finanzausschuss anders gefallen sind, dass tatsächlich nicht nur eine Anhörung stattfindet, in der man hinhört und dann keine Konsequenzen zieht, auch dass man keinen Meinungsaustausch in einer Art macht, dass man sagt, ver.di kann mit ihrer Meinung kommen und soll dann mit der Meinung des Herrn Trautvetter gehen. Das wäre ein falscher Meinungsaustausch.

(Beifall bei der PDS; Trautvetter, Finanzmi- nister)

Ich hoffe, dass nach Ostern miteinander geredet wird und Entscheidungen noch veränderbar sind.

Wie der Nachtragshaushalt erneut belegt, werden die Mittel peu à peu gekürzt. Im Gegensatz zu dieser Tendenz stehen die starke Zunahme bei der Zahl der Studierenden, was sehr gut ist, und die wachsende Bedeutung von Forschung und Entwicklung für das Land Thüringen. Den größer werdenden Aufgaben stehen eine Stagnation bei Stellen und eine Verringerung der Mittel gegenüber. Zumindest sagen das die betroffenen Studenten, Rektoren und die zuständige Fachgewerkschaft. Das lässt keinen Hoffnungsschimmer aufkommen, sondern lässt gute Wissenschaftler und junge Talente abwandern - nicht "Top Thüringen", sondern das Lied heißt: "Wenn der Top' aber nun ein Loch hat,"

(Beifall bei der PDS)

Dieser Top' hat ein Loch, mindestens an dem Beispiel, das ich gerade aufgezählt habe. Er hat eines, Herr Ministerpräsident. Dieses Loch im Top' wird größer. Sie und Ihre Landesregierung sind dafür verantwortlich; Ihre Denkfabrik ist nicht nur eine schlechte Werbekampagne, sie ist nicht nur ein Flop, sondern Ihre Sparhandlungen sprechen eine andere Sprache. Ihre Haushaltspolitik ist für die Wissenschaftslandschaft Thüringen eine reale Gefahr ohne jegliche Fantasie; einfach nur Denkpause oder Denkfabrik Thüringen - denkste.

Meine Damen und Herren, Soziales als fünfter Punkt meiner Betrachtung zu Ergebnissen dieser Landesregierung seit September 1999: Zweieinhalb Jahre CDU-Alleinregierung in Thüringen hat dazu geführt, dass die Gestaltungselemente und Spielräume für existenzsichernde, menschenwürdige und zukunftsorientierte Sozialpolitik peu à peu in Thüringen zurückgefahren wurden. Nicht Top Thüringen, sondern Flop Thüringen ist vor allem zu verzeichnen bei dem Anstieg der Zahlen der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger. Die aktuelle Sozialhilfestatistik per 30.09.2001 sagt aus, dass im Vergleich zum 31.12.2000 die Zahl der Hilfsbedürftigen von 47.724 auf 51.934 Menschen, reale Menschen, gestiegen ist. Besonders gravierend ist nach Auffassung der PDS-Fraktion, dass 29.041 Frauen und immerhin 21.398 Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr auf Sozialhilfe angewiesen sind. Das zuständige Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit zeichnet sich mittlerweile dadurch aus, dass dort nur noch die Aufgaben verwaltet oder an die Kommunen abgedrückt werden. Sozialpolitik in Thüringen verkommt mehr und mehr zur Hilfepolitik bzw. zur Restpolitik. Gleichzeitig ist der Trend zu verzeichnen, dass das Sozialressort in den zurückliegenden Jahren zum beliebtesten Einsparpotenzial des Ministers Trautvetter verkommt.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Ist doch gar nicht wahr.)

Zu erinnern sei an dieser Stelle an die gravierenden gesetzlichen Veränderungen und finanziellen Einschnitte, die mit dem ersten Doppelhaushalt im Sozialbereich auf Thüringer Bürgerinnen und Bürger sowie auf Vereine und Verbände zukam. Dazu als inhaltliche Stichworte - als Erinnerung, meine Damen und Herren hier vorne, weil Sie ja immer sagen, es wäre nicht wahr -: Einsparung und Reduzierung im Thüringer Kita-Bereich; Einsparung an Leistungen nach dem Thüringer Blindengesetz; Einsparungen an Leistungen nach dem Thüringer Landeserziehungsgeldgesetz; Reduzierung der Landesmittel für Beratungsstellen für Behinderte, Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen, Aidshilfen; Reduzierung der Zuschüsse für betreutes Wohnen. Die Aufzählung ließe sich noch beliebig fortsetzen. Eine Kernaufgabe der Sozialpolitik, nach Auffassung der PDS-Fraktion das Ressort der Arbeitsmarktförderung und deren Instrumente, wurde mit Beginn dieser Legislatur an den Wirtschaftsminister abgegeben.

(Beifall bei der CDU)

Mit der neuen Prioritätensetzung in Bezug auf SAM durch das Wirtschaftsministerium wurden die sozialen Vereine und Verbände und deren Arbeit fast an den Rand der Existenz getrieben.

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: So ein dummes Zeug.)

Nur mit viel Erfindergeist konnte im Interesse der Thüringer Bevölkerung ein massenhaftes Wegbrechen der Angebotsstrukturen verhindert werden. Als Alternative und Chance für dauerhafte Feststellen im Sozialbereich fordert die PDS-Fraktion die Einführung der Sozialpauschale.

(Beifall bei der PDS)

Ein erster Schritt hierzu könnte mit dem vorgelegten Nachtragshaushalt für das Jahr 2002 gegangen werden. Sehr geehrter Herr Vogel, die PDS-Fraktion ist der Auffassung, dass die Landesregierung mit falschen Haltungen im Bundesmaßstab die soziale Situation in Thüringen noch verschärft. Zu erinnern ist an die mit Vehemenz geforderte Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Mit Ihren Vorstellungen und Vorschlägen wollen Sie massiv in erworbene Ansprüche eingreifen, Bürgerrechte wollen Sie damit weiter beschneiden.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Das will doch die Bundesregierung auch.)

Ja, aber Sie tragen hier die Verantwortung und Sie haben ausdrücklich das hessische Modell begrüßt. Darauf antworte ich und sage: Das ist eine falsche Akzentsetzung.

(Beifall bei der PDS)

Gleichzeitig wird mit dieser Diskussion der allgemeine Mainstream bedient, der da lautet: Bezieher von Stütze sind faul, zu bequem und haben keine Lust auf Arbeit. Diese Politik heißt "verunglimpfen, denunzieren" und lässt sich in Thüringen übersetzen mit "Sparen und Spalten".

(Beifall bei der PDS)

Herr Ministerpräsident, der eingeforderte Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik ist bei der Landesregierung noch nicht angekommen. Ihr Hauptfeld der Betätigung lag in den zurückliegenden Monaten u.a. bei der Erweiterung der Schaffung von Werkstätten, Werkstattplätzen für Behinderte. Die PDS-Fraktion fordert Integration statt Separation. Wir wollen keine goldenen Käfige für Menschen mit Behinderung, sondern Chancengleichheit.

(Beifall bei der PDS)

Erste neue Möglichkeiten dazu bietet das SGB IX mit seinem Integrationsgedanken sowie das Bundesgleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderungen. Von der Thüringer Landesregierung erwarten wir, die jetzt auf den Weg gebrachten gesetzlichen Möglichkeiten verstärkt zu nutzen, um somit auch den über 5.787 arbeitslosen schwerbehinderten Menschen in Thüringen eine Chance für selbstbestimmtes Leben zu geben.

(Beifall bei der PDS)

Auch ein Wort zum Ehrenamt ist notwendig. Zwar wurden im Jahr des Ehrenamts die verschiedensten Aktivitäten der Landesregierung zur Würdigung und Unterstützung ehrenamtlicher Träger durchgeführt; seit Monaten verspricht die Landesregierung nun, ihren Gesetzentwurf zur Freistellung für ehrenamtliche Jugendarbeit in den Landtag einzubringen. Auch wenn durchaus Aktivitäten der Landesregierung in Bezug auf ehrenamtliche Tätigkeit lobenswert sind, nach unserer Auffassung gibt es aber noch rechtlichen und gesetzlichen Handlungsbedarf, z.B. bei Freistellung durch Betriebe für notwendige Qualifizierung von Ehrenamtlichen oder Kombination von Arbeitslosigkeit und Ehrenamt. Diesen Umgang mit dem Ehrenamt nennen wir folgen- und tatenlose Ankündigungspolitik mit ausschließlichem Symbolcharakter.

(Beifall bei der PDS)

Auch zur Gesundheitspolitik in Thüringen war die Regierungserklärung etwas kurz ausgefallen. Charakteristisch für die Entwicklung im Zeitraum seit 1999 ist aber: rückläufige personelle Ausstattung der Gesundheitsämter, Vernachlässigung der Nachwuchssicherung, zunehmende mit der Fördermittelbeliebigkeit gesteuerte Fusionierungs- und Privatisierungskampagnen in der Krankenhauslandschaft, in der immer mehr die Trägerpluralität auf der Strecke bleibt. Die Landesregierung ist ihrer Letztverantwortlichkeit nicht ausreichend nachgekommen und hat auch dem Investitionsbedarf der in kommunaler Trägerschaft befindlichen Krankenhäuser nicht ausreichend entsprochen.

(Beifall bei der PDS)

Sie haben hier der Veräußerung kommunalen Vermögens damit Vorschub geleistet. Herr Ministerpräsident, Sie haben mit Antritt in der Wahlperiode davon gesprochen, dass Sie das "Ja zum Kind" Müttern und Vätern erleichtern und deshalb die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern wollen. Bis zum heutigen Tag haben Sie dazu aber nichts geleistet. Im Gegenteil - Sie haben Thüringen familienfeindlicher gemacht. Es ist Ihnen nicht gelungen, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Arbeitsplätze entstehen und eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf überhaupt ermöglicht wird. So sieht in Thüringen Ihre Familienförderung aus. In der Regierungserklärung, Herr Ministerpräsident, kamen Frauen in ihrer besonderen Betroffenheit von Politik in dieser Form gar nicht erst vor.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Das ist schlichtweg falsch.)

Das ist schlichtweg richtig. Sie haben das SchwarzerZitat gebracht - darauf gehe ich gleich noch einmal ein -, aber in der Betroffenheit von der Landespolitik sind Sie über die Frauenfrage komplett hinweggegangen und haben wieder nur eine Symbolankündigung gemacht.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ähnlich mit der Symbolcharakteristik verhält es sich auch mit der von Ihnen praktizierten Politik. Diese Landesregierung macht bis jetzt Politik, die ausschließlich zur Verschlechterung der Situation von Frauen beitrug. Mangelnde Unterstützung der Berufstätigkeit von Müttern oder Frauen mit Familienpflichten und Tatenlosigkeit bei Gewaltschutz, bei Gewalt gegen Frauen und Kinder sind zu verzeichnen. Resümee, Herr Ministerpräsident: Die Thüringer Landespolitik hat ein überwiegend männliches Gesicht. Das war ja Ihr Zitat zu Alice Schwarzer, da gab es dann ja Unruhe auf der Bank, das männliche Gesicht hat sich gerührt. Geändert hat auch die Umfärbung des Herrn Minister Trautvetter nichts. Herr Ministerpräsident, Sie machen mit 90 Prozent Männern in Ihrer Landesregierung zu 90 Prozent Politik für Männer.

(Beifall bei der PDS)

Der Kampf um Autobahnen und ICE ist Ihnen wichtiger als Fragen von Familien und Kinderfreundlichkeit und von Gleichberechtigung bzw. Chancengleichheit.