Protocol of the Session on February 21, 2002

Herr Schemmel, geht dieser Weg zu weit. Er geht vor allen Dingen weiter als die Verfassung erlaubt. Ich habe Ihnen dies bereits an einem Beispiel dargetan.

Lassen Sie mich auf einige andere Schwachpunkte des Gesetzentwurfs zur Änderung des Verfahrensgesetzes hinweisen. Zu begrüßen ist zwar die Regelung über die Vorverlagerung der verfassungsgerichtlichen Überprüfung und Sie haben, Herr Abgeordneter Hahnemann, dies auch als einen der fünf wichtigen Punkte bezeichnet. Sie hätten allerdings auch ruhig sagen sollen, dass wir dies bereits im Oktober des letzten Jahres angekündigt haben, dass wir dies so gestalten wollen.

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Ja wann?)

In unserem Gesetzentwurf, den Sie in der nächsten Sitzung beraten können. Wir haben es angekündigt, Sie hätten es nur fairerweise sagen und nicht als eigenes Produkt verkaufen sollen.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Über Ankün- digungen können wir hier nicht diskutieren.)

Unsere Ankündigungen realisieren sich auch im Unterschied zu Ihren.

Bei wohlwollender Betrachtung hätte man also diese "Anleihe" als Hoffnungsschimmer für die Übernahme auch anderer Vorschläge der Landesregierung ansehen können. Allerdings soll nach § 12 Abs. 2 des Entwurfs der Thüringer Verfassungsgerichtshof innerhalb von drei Monaten nach Eingang des Antrags entscheiden. In der Begründung zu dieser Bestimmung wird eingeräumt, dass das Setzen einer Entscheidungsfrist von allgemein üblichen Gepflogenheiten abweiche.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, was ist das für ein Umgang mit dem höchsten Thüringer Gericht? Welches Verfassungsverständnis kommt hier zum Ausdruck? Ich finde es schon eine Unverschämtheit, Herr Abgeordneter Hahnemann, wenn Sie im Zusammenhang mit dieser Fristsetzung davon sprechen, dass es nicht hinzunehmen ist, dass solche Volksbegehren an der Lethargie von Institutionen scheitern.

(Beifall bei der CDU)

Den Verfassungsgerichtshof unter diesem Aspekt zu beschreiben, halte ich für eine Zumutung und widerspricht nach meiner Meinung auch dem notwendigen Respekt vor diesem Verfassungsorgan.

(Beifall bei der CDU)

Einem unabhängigen Gericht gibt man keine Entscheidungsfrist vor und einem Verfassungsgericht schon gar nicht.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Gerichte ruft man ja auch nicht an, um Verfahren zu beein- flussen.)

Im Übrigen haben Sie offensichtlich den Gesamtzusammenhang auch nicht richtig überblickt, denn mit der Vorverlagerung des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes entfällt der derzeit bestehende faktische Zeitdruck für das Verfassungsgericht. Die Frist zur Befassung durch den Landtag läuft nicht mehr parallel zur Prüfung durch das Verfassungsgericht und die Sammlung der Unterschriften steht noch aus. Warum also dieser Druck auf das Verfassungsgericht? Unangemessenen Zeitdruck im Verfahren verursachen auch die an anderer Stelle vorgesehenen Verkürzungen bisheriger Fristen für Landtagspräsidenten, Landtag und Landesregierung. Insgesamt vermittelt der Entwurf den Eindruck, dass Volksbegehren zukünftig möglichst schnell durchgezogen werden sollen. Dies wird aber der Bedeutung des Gesetzgebungsverfahrens nicht gerecht. Diese unziemliche Eile verstärkt den Verdacht, es könnte den Verfassern des Gesetzentwurfs um das populistische Ausnutzen kurzfristiger politischer Stimmungen gehen ein weiteres Element der Delegitimierung der Volksgesetzgebung, die diesen Entwurf insgesamt durchzieht.

Hinweisen möchte ich darauf, dass den Erfordernissen des Datenschutzes bei der Unterschriftensammlung nicht hinreichend Rechnung getragen wird. Insbesondere ist es nicht zulässig, entsprechende Regelungen lediglich durch Rechtsverordnungen zu treffen. Dies muss der Gesetzgeber schon selbst entscheiden. Hier zeigt sich einmal mehr, dass es der Qualität von Gesetzentwürfen gut tut, wenn man bereits bei der Erstellung den Sachverstand etwa der Datenschutzbeauftragten nutzbar macht. Dies ist beim Gesetzentwurf von PDS und SPD nicht geschehen. Dagegen hat die Landesregierung - Frau Abgeordnete Thierbach, jetzt werden Sie einen der Gründe sehen, warum es eine Woche länger dauert - bei ihren Gesetzentwürfen zur Änderung der Verfassung und des Verfahrensgesetzes, die wir in der nächsten Landtagssitzung vorstellen werden, diesen Sachverstand in dem Sinne einbezogen, dass sie Anhörungen durchgeführt hat. Hier konnten unter anderem die Datenschutzbeauftragte, der Gemeinde- und Städtebund aber auch Mehr Demokratie e.V. ihre Positionen einbringen. Ich bin gespannt, meine Damen und Herren von der Opposition, was der Gemeinde- und Städtebund zu der von Ihnen vorgesehenen viermonatigen Amtssammlung sagen wird,

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Die vier Monate stehen in der Verfassung.)

zumal sie für die Gemeinden anders als für die Initiatoren von Volksbegehren keine Kostenerstattungsregelung vorsehen. Das wird die Gemeinden, meine Damen und Herren von der Opposition, sicherlich sehr freuen, obwohl ihre finanzielle Lage angespannt ist, ohne dass sie dazu überhaupt gefragt wurden.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte schön.

Herr Abgeordneter Hahnemann.

Herr Minister, ich möchte Sie gern vor dem Hintergrund, dass unsere Datenschutzregelung wortwörtlich diejenige ist, die auch jetzt im geltenden Gesetz steht, fragen, ob Sie das jetzt geltende Verfahrensgesetz für datenschutzrechtlich bedenklich halten?

Ich meine, man müsste die Gelegenheit nutzen, wenn man novelliert, die fortgeschrittenen Vorstellungen des Datenschutzes einzubeziehen.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Dr. Hahnemann, PDS: Das ist etwas anderes, als Sie vorhin gesagt haben.)

Nein, Sie haben das nicht getan, wir haben das getan. Im Gesetz schließen Sie an die Frage des Datenschutzes die weitere Formulierung: Das Weitere regelt eine Rechtsverordnung. So geht es nicht.

Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf von PDS und SPD hat zahlreiche Mängel. Zu erwähnen ist z.B., dass die im Gesetz enthaltenen Rechtsverordnungsermächtigungen mindestens zum Teil nicht hinreichend bestimmt sind und deshalb unwirksam wären. Herr Abgeordneter Schemmel hat das auch schon anklingen lassen.

Zu nennen ist weiter die Kopplung der Abstimmungstermine an Wahltermine, die verfassungsrechtlich bedenklich ist. Genannt werden muss auch die Verkürzung der Sperrfrist für inhaltsgleiche Bürgeranträge und Volksbegehren von zwei Jahren auf ein Jahr. Dies ist weder der Stellung des Landtags angemessen noch in der Sache gerechtfertigt.

Meine Damen und Herren, normalerweise sollte man Fehler nie zweimal machen. Warum also den Fehler wiederholen, den die Initiative für "Mehr Demokratie in Thüringen" bereits einmal gemacht hat? Den Fehler nämlich, einen unausgereiften und zu weit gehenden Entwurf vorzulegen, der dann der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht standhalten kann. Das muss man bei dem von PDS und SPD vorgelegten Entwurf leider feststellen. Fast wäre man versucht zu sagen, Eile mit Weile. Es geht hier um so

grundlegende Dinge für das Funktionieren unserer parlamentarischen Demokratie, dass eine gründliche Überprüfung unabdingbar ist. Ob dann ein Gesetzentwurf ein paar Wochen früher oder später vorliegt, ist dabei nicht so sehr entscheidend, Frau Thierbach. Entscheidend ist, ob man den Willen zur Einigung auf der Grundlage der Verfassung und unter Berücksichtigung des Vorrangs der parlamentarischen Demokratie hat. Herr Abgeordneter Hahnemann, das ist genau der Punkt, den Sie in der Vergangenheit nicht haben akzeptieren wollen und bei dem ich fürchte, dass es auch in Zukunft für Sie ein Hindernis sein wird, die Schritte zu tun, die notwendig sind, um zu einer Einigung zu kommen. Wir haben jedenfalls diesen Willen. Wenn Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten von der Opposition, ihn haben, werden wir zu einer Einigung kommen. Der von Ihnen hier vorgelegte Entwurf ist in dieser Form aber noch nicht zielführend.

Lassen Sie mich, nachdem Herr Abgeordneter Schemmel dies getan hat, einen kurzen Blick auch auf die gesamtdeutsche, so haben Sie gesagt, Diskussion werfen. Ich glaube, das tut uns gut, denn wir sind in Thüringen eines der Länder, in denen wir uns intensiv um eine Verbesserung des bürgerschaftlichen Engagements bemühen. Deshalb ist es auch gut, wenn wir uns in diese Diskussion, was auch die gesamtdeutsche Diskussion betrifft, mit einbringen. Ich denke, in diesem Punkt können wir stolz sein, dass wir uns in Thüringen anders als in anderen Ländern im Moment so intensiv mit dieser Frage befassen. Aber auch auf Bundesebene, wie gesagt, gibt es Bestrebungen, Elemente unmittelbarer Demokratie einzuführen. Wie sehr gerade hier aber eine gründliche Prüfung und Abwägung erforderlich ist, zeigt etwa der Umstand, Herr Schemmel, und das müssen wir mit berücksichtigen, dass mit Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und damit die Länderinteressen tangiert werden. Wer soll denn bei Zustimmungsgesetzen, aber auch bei Einspruchsgesetzen, mit dem Bundesrat verhandeln? Oder soll der Bundesrat dann außen bleiben, wie es Rotgrün auf Bundesebene offenbar beabsichtigen? Wir müssen an dieser Stelle sehen, dass unser Grundgesetz mit seiner föderalen Ordnung auf das System der repräsentativen Demokratie zugeschnitten ist. Die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit zwischen dem Bund und den Ländern mittels der ausschließlichen, der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung lässt meiner Meinung nach plebiszitäre Elemente kaum zu. Auch das Vermittlungsverfahren im Bundesrat, dem viele Bundesgesetze ihre endgültige Form verdanken und das es den Ländern ermöglicht, ihre Interessen bei der Bundesgesetzgebung, die sie, die Länder, ja stark betrifft, einzubringen, ist nur im parlamentarisch-repräsentativen System möglich. Ein Weiteres kommt hinzu: Politische Fragen auf Bundesebene sind regelmäßig so komplex und schwierig, dass sie einfache plebiszitäre Nein/Ja-Antworten nicht zulassen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wollen wir wirklich etwa Fragen des Ausländerrechts und des Strafrechts den Plebisziten zugänglich machen? Sollen in Zukunft Abstimmungskämpfe mit "Ausländer raus"- und "Wegsperren, aber für

immer"-Parolen geführt werden können? Meine sehr geehrten Damen und Herren, pauschal mehr Plebiszite zu fordern ist populär, verantwortliche Politik ist das nicht. Verantwortliche Politik

(Beifall bei der CDU)

ist, genau zu prüfen, zu unterscheiden und Veränderungen abgewogen und mit Augenmaß aufzunehmen. Genau das wollen wir in Thüringen tun. Allerdings ist mit populistischen Schnellschlüssen in so schwierigen Fragen niemandem gedient. Wir müssen vielmehr unter Berücksichtigung - um das noch einmal zu betonen -, unter Berücksichtigung der Thüringer Verfassungsrechtslage unseren Weg gehen, unter Beachtung des von der Verfassung vorgesehenen Vorrangs der parlamentarischen Demokratie die vorhandenen plebiszitären Elemente angemessen verstärken.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend nochmals die Bereitschaft betonen, über alle Punkte zu sprechen. Wir wollen das bürgerschaftliche Engagement stärken und wir wollen das tun unter der gebotenen Wahrung des Vorrangs der parlamentarischen Demokratie und unter hinreichender Berücksichtigung des Urteils des Thüringer Verfassungsgerichtshofs aus dem vergangenen Jahr. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich kann damit die Aussprache schließen und wir kommen zur beantragten Überweisung. Es war Überweisung an den Justizausschuss beantragt. Wer dieser Überweisung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? Nicht der Fall. Enthaltungen? Auch nicht, dann so überwiesen und ich kann den Tagesordnungspunkt 2 schließen.

Ich komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 3

Gesetz zur Änderung der Thüringer Kommunalordnung und anderer Gesetze Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/2206 ERSTE BERATUNG

Ich gehe davon aus, die Landesregierung wünscht Begründung, Herr Innenminister Köckert.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Novellierung der Thüringer Kommunalordnung ist eines der zentralen innenpolitischen Gesetzesvorhaben dieser Legislaturperiode. Um es vorwegzunehmen, die Thüringer Kommunalordnung hat sich in ihren Grundzügen, in ihren Fundamenten bewährt. Die grundlegenden

Prinzipien bleiben daher unangetastet.

(Beifall bei der CDU)

Aber, Sie wissen, das Bessere ist bekanntlich der Feind des Guten und nichts ist so gut, als dass es nicht noch verbessert werden könnte - auch unsere Kommunalordnung. Es ist Zeit, sie nach Erfahrungen aus den vergangenen acht Jahren zu überarbeiten. In vielen Diskussionen mit den kommunalen Spitzenverbänden, in Veranstaltungen mit Bürgern und kommunalen Funktionsträgern und auch in einer vom Innenministerium eingesetzten Arbeitsgruppe wurde die Kommunalordnung auf ihren Änderungsbedarf hin überprüft. Zahlreiche Vorschläge aus der Arbeit der Arbeitsgruppe und aus verschiedenen Anhörungen haben wir eingearbeitet. An dieser Stelle will ich gleich zu Beginn der Debatte all denen danken, die an dieser Novellierung so konstruktiv mitgewirkt haben,

(Beifall Abg. Zitzmann, CDU)

vor allem den kommunalen Spitzenverbänden, auch den Vertretern der vom Innenministerium eingesetzten Arbeitsgruppe aus Gemeinde- und Städtebund, aus dem Thüringischen Landkreistag, aus dem Innenministerium und dem Landesverwaltungsamt. Aber Dank gilt auch den ehrenamtlichen Gemeinderats- und Kreistagsmitgliedern, den Bürgermeistern und Landräten für ihre Hinweise und Anregungen. Nicht zuletzt sei es mir gestattet, will ich natürlich auch den Mitarbeitern der Kommunalabteilung in meinem Haus danken, die an dieser Novellierung monatelang gearbeitet haben.

(Beifall Abg. Fiedler, CDU)

Meine Damen und Herren, wir passen die Thüringer Kommunalordnung an die neuere Rechtsentwicklung und an die Bedürfnisse der Praxis an. Die Thüringer Kommunalordnung als Grundlage des täglichen Handelns in den kommunalen Verwaltungen muss ja als Arbeitsinstrument den Anforderungen der Zeit entsprechen, sie muss vor allen Dingen zeitgemäße, präzise, praktikable Verfahrensregelungen schaffen. Das ist als Maßstab für diese Novelle vorausgesetzt. Wir wollen aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht nur anpassen, sondern wir wollen mit dieser Novellierung auch gestalten. Wir wollen Akzente einer modernen Kommunalverfassung setzen. Mit dieser Novellierung verbinden wir fünf große Ziele:

Erstens: Wir stärken die Identifizierung des Bürgers mit seinem unmittelbaren gemeindlichen Umfeld.

Das zweite Ziel heißt, mehr Effizienz in der Verwaltung befördern, also größere und leistungsfähigere Strukturen werden unterstützt.

Das dritte Ziel lautet, Erweiterung der Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements.

Wir wollen viertens das kommunale Wirtschaftsrecht modernisieren, wir wollen den veränderten Rahmenbedingungen in Zeiten der Liberalisierung der Märkte Rechnung tragen.