Protocol of the Session on January 24, 2002

Bedrohung ist, desto tiefer die Eingriffsmöglichkeit.

Weiterhin sind folgende Änderungen geplant: Um die Strukturen bei Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität, aufzuhellen und diese Strukturen aufzubrechen, schaffen wir die Möglichkeit, mit verdeckten Ermittlern im Vorfeld zu arbeiten. Unverzichtbare Voraussetzungen für einen solchen Eingriff sind tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass schwere Straftaten geplant sind. Mit anderen Worten: Es geht nicht darum, einen bestimmten Personenkreis auszuspionieren, um dann dort erst Verdachtsmomente zu suchen. Vielmehr sind solche Verdachtsmomente Voraussetzungen dafür, solche Strukturermittlungen überhaupt erst aufnehmen zu können. Daneben wollen wir auch die Möglichkeiten des Verfassungsschutzes für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität nutzbar machen. Andere Bundesländer, wie z.B. Bayern und Saarland, praktizieren dieses bereits mit großem Erfolg.

Mit der Erweiterung des Beobachtungsauftrags des Landesamts für Verfassungsschutz erhält der Verfassungsschutz eine zusätzliche Aufgabe, aber er erhält keine erweiterten Befugnisse. Das wird in der Diskussion fälschlicherweise immer wieder unterstellt. Die Trennung zwischen Verfassungsschutz und Polizei, wie sie sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewährt hat, wird nicht aufgegeben. Mit anderen Worten: Wir schaffen keine Geheimpolizei.

(Beifall bei der CDU)

Es bleibt dabei, es gilt das so genannte Trennungsgebot. Die Aufgabe des Verfassungsschutzes beschränkt sich auf das Sammeln und Auswerten von Informationen. Die Ermittlungsergebnisse können an die Polizei abgegeben werden. Der Verfassungsschutz selbst hat keine polizeilichen Befugnisse wie vorläufige Festnahme, Durchsuchung, Beschlagnahme oder erkennungsdienstliche Maßnahmen. Durch diese Gesetzesänderung werden also nicht die Befugnisse, sondern - ich wiederhole - lediglich die Aufgaben des Verfassungsschutzes erweitert. Wenn der Verfassungsschutz künftig auch die organisierte Kriminalität beobachten soll, dann entspricht dies dem Trennungsgebot, weil er sie beobachten soll. Die Befugnisse bleiben auf die reinen nachrichtendienstlichen Mittel beschränkt.

Allen Formen der schweren Kriminalität, meine Damen und Herren, wie Staatsschutzdelikte, Betäubungskriminalität oder organisierte Kriminalität haben eines gemeinsam: Führenden Köpfen und Hintergrunddrahtziehern kommt man mit herkömmlichen Ermittlungsmethoden kaum auf die Spur. Dies gilt besonders für die international agierende organisierte Kriminalität mit ihrem extrem hohen Gefahrenpotenzial, die den freiheitlichen Rechtsstaat im Kern bedroht. Deshalb sind wir gut beraten, meine Damen und Herren, den Verfassungsschutz auch hier zu nutzen.

Auch die Bekämpfung des politischen Extremismus, insbesondere von rechts, ist trotz leicht rückläufiger Zahlen weiter ein Schwerpunkt der Landesregierung. Wir wollen daher den verdeckten Einsatz technischer Mittel in Wohnungen, das heißt, Abhörmaßnahmen durch die Polizei, künftig auch zur Bekämpfung von Staatsschutzdelikten gesetzlich ermöglichen. Die entsprechenden Tatbestände sind exakt definiert und damit erweitern wir die zu schützenden Rechtsgüter.

Erfolge in der Bekämpfung des Extremismus erwarten wir auch von der Möglichkeit, personenbezogene Daten bereits von Jugendlichen unter 16 Jahren durch den Verfassungsschutz speichern zu können. Bisher waren es 16 Jahre und wir wollen es auf 14 Jahre absenken. Diese Maßnahme richtet sich insbesondere gegen junge Rechtsextremisten. Unsere Erfahrungen gerade in den letzten Jahren haben gezeigt, dass die extremistischen Zuläufe immer jünger werden bei diesen Gruppen. Aber auch hier, meine Damen und Herren, schieben wir Datenmissbrauch einen Riegel vor. Wir haben besonders kurze Löschfristen bei diesem Tatbestand, und zwar greifen die dann, wenn die Gründe für die Speicherung entfallen sind.

Eine weitere Neuerung: Um Rechtsbrecher abzuschrecken, um Steuergelder zu sparen, schlagen wir eine weitere Maßnahme vor. Künftig soll, wer ein gerichtlich bestätigtes Versammlungsverbot bricht, an den Kosten für den Polizeieinsatz beteiligt werden. Das ist keine Strafe, wie dies irrtümlicherweise in der Presse so bezeichnet wurde, sondern es ist eine Kostenerstattung, so eine Art Gebühr. Die maximale Höhe der Kosten liegt bei jeweils 5.000  Zahlungspflichtig sein kann sowohl der Veranstalter als auch jeder einzelne Teilnehmer. Thüringen ist damit das erste Land mit einer solchen Regelung, eine Regelung, die Extremisten sicher abschrecken wird, Aufzüge trotz Verbots durchzuführen.

(Beifall bei der CDU)

Fazit, meine sehr geehrten Damen und Herren: Sowohl mit dem Programm für mehr Sicherheit in Thüringen, das wir mit dem Nachtragshaushalt beschlossen haben, als auch mit der Novellierung des Polizei- und Sicherheitsrechts verwirklichen wir Grundsätze, die wir in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zu Beginn dieser Legislatur schon einmal hier in diesem Hause vorgetragen haben. Bernhard Vogel hat es am 13. Oktober 1999 so formuliert: "Die Bürger unseres Landes wollen in Freiheit und Ordnung leben. Freiheit und Sicherheit sind für sie von elementarer Bedeutung. Sie erwarten vom Staat zu Recht, dass er diesen Schutz bietet und Rechtsbrechern gegenüber sein Gewaltmonopol anwendet."

Meine Damen und Herren, im Interesse aller rechtstreuen Bürgerinnen und Bürger in Thüringen verringern wir hier in unserem Land mit diesem Gesetz die Freiräume für Verbrecher und wir tun dies, damit der Freistaat Thüringen auch künftig eines der sichersten Länder in Deutschland

bleiben kann. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU). Vizepräsidentin Dr. Klaubert: Ich eröffne die Aussprache. Zu Wort hat sich Abgeordneter Dr. Hahnemann, PDS-Fraktion, gemeldet. Abgeordneter Dr. Hahnemann, PDS: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Minister, trotz des Rückgangs der Inflation des 11. September 2001 als Generalbegründung für politische Maßnahmen werden die Argumentationen nicht unbedingt ehrlicher. Der 11. September hat viele offene Fragen in der Diskussion um die so genannte innere Sicherheit beantwortet. Er hat u.a. dafür gesorgt, dass keine neuen Fragen gestellt werden können. Er hat auch dafür gesorgt, dass sich derjenige verdächtig macht, der Fragen stellt. Er hat dafür gesorgt, dass die Menschen die widersprüchlichsten Tatsachenbehauptungen glauben. Und er hat dafür gesorgt, dass bisweilen gar keine Tatsachen mehr behauptet werden müssen. Wir müssen Krieg führen. Warum? Weil sonst der Kanzler das Handtuch wirft. Wir brauchen neue Polizeigesetze. Warum? Weil wir sie brauchen. Das reicht zur Begründung. (Zwischenruf Abg. Schwäblein, CDU: Sie hören nicht zu.)

Die Thüringer Version eines solchen Dialogs lautet: Warum brauchen wir ein neues verschärftes Polizeirecht? Weil sich die Kriminalität entwickelt. Kriminalität ist, wie der Thüringer Innenminister sagt, dynamisch. Nicht wichtig ist dabei, wie sie sich entwickelt, ob sie sich statistisch nach oben oder nach unten entwickelt. Dazu sei gesagt, die Kriminalität sinkt. Es ist einfach wichtig, dass sie sich entwickelt. Wer soll das glauben? Wer soll das verstehen? Damit sind wir dann schon bei der ersten interessanten Frage: Was ist der Grund für diese Gesetzesnovellierung?

Aus der Sicht der PDS-Fraktion fehlt dem Gesetzentwurf der Landesregierung die Tatsachenbegründung. Er ist aufgrund der tatsächlichen Entwicklung der Kriminalität schlichtweg eigentlich nicht erforderlich. Wofür sonst also, wenn nicht wegen der Kriminalitätsentwicklung, ist der vorliegende Entwurf erforderlich? Er stärkt den Staat und er demonstriert dem Bürger Handlungsfähigkeit. Er suggeriert Sicherheit, wo er oft genug selbst Unsicherheit schafft. Geheimdienstliche und polizeiliche Strukturen werden erweitert oder auf den aktuellen Stand technischer Möglichkeiten oder anderer Landespolizeigesetze gehoben. Nicht unbedingt, um aktuell bei Konflikten zu intervenieren, sondern um sozusagen auf Vorrat Verfahren und Ermächtigungen bereit zu halten, die nach Gutdünken der Apparate der inneren Sicherheit eingesetzt werden können. Wir gehen davon aus, dass eine solche, nur auf die Erweiterung der eigenen Handlungsfreiheit zielende Begründung für eine Gesetzesverschärfung nicht ausreicht. Im

Verhältnis Staat - Bürger ist der Staat stets nachweisund begründungspflichtig für Grundrechtseingriffe. Dieser Nachweis- und Begründungspflicht ist das Thüringer Innenministerium nach unserer Auffassung bis jetzt nicht ausreichend nachgekommen.

(Beifall bei der PDS)

Insofern folgt die Einbringung der Thüringer Polizeigesetznovelle nicht der sicherheitspolitischen Notwendigkeit - und das haben Sie, Herr Minister, vorhin selbst angedeutet -, sondern dem Moment der größten Plausibilität. Der Innenminister räumte ein, dass das Vorgeschlagene nicht der Terrorismusbekämpfung dienen soll. Er hat hier erwähnt, dass es schon recht lange gehegte Pläne sind, die in Wirklichkeit gesetzt werden. Zur Durchsetzung von Verschärfungen im Bereich der so genannten inneren Sicherheit werden immer wieder Panik und Orientierungslosigkeit genutzt oder nötigenfalls auch produziert. So werden konkrete schwere Verbrechen dramatisiert, um weit reichende Grundrechtseingriffe über Teilbereiche dann auch fürs Ganze salonfähig zu machen. Hierzu wiederum gehört insbesondere das Vorhandensein einer bestimmbaren Gefahr als Anknüpfungspunkt für polizeiliche Maßnahmen. Dazu gehört auch eine der Rechtsweggarantie des Grundgesetzes gerecht werdende gerichtliche Kontrolle und eine parlamentarische Kontrolle, die diesen Namen auch verdient. Wir fragen kritisch nach, inwieweit der Gesetzentwurf der Landesregierung den rechtsstaatlichen Erfordernissen genügt. Dazu zählen wir neben der Erforderlichkeit, der Geeignetheit und der Verhältnismäßigkeit geplanter Maßnahmen, insbesondere gegenüber grundrechtlich geschützten Gütern, auch das Vorhandensein klarer polizeirechtlicher Ermächtigungsgrundlagen.

Das Innenministerium selbst brüstet sich damit, dass die Novelle die polizei-, verfassungsschutz- und ordnungsrechtlichen Befugnisse insbesondere im vordeliktischen Bereich von schwer nachweisbaren Kriminalitätsformen erweitere. Die damit einhergehenden Probleme liegen auf der Hand. Gefahrendefinitionen benötigen keine konkreten Anhaltspunkte; sie müssen nicht mehr gegenwärtig sein, sie müssen nur noch prognostiziert werden. Sie müssen auch nicht mehr konkret einem Störer oder potenziellen Täter zugeordnet sein, sondern einem Umfeld potenzieller Täter. Sogar Strukturermittlungen soll die Polizei nach diesem Gesetz durchführen können. Mit der Zunahme so genannter präventiver Verdachtsschöpfungen wird eine Abkehr vom Störerbegriff vorangetrieben und die rechtsstaatlich verankerte Unschuldsvermutung ausgehebelt. Allzu schnell wird man da plötzlich selbst als Kontakt- und Begleitperson, als Umfeld bei Strukturermittlungen, als Objekt der Rasterfahndung präventiv als potenzieller Täter verdächtigt, als potenzielles Umfeld einfach mit abgehört oder einfach auf offener Straße unschuldig dem verhaltensnormierenden Auge der Videokamera unterworfen.

Legt man einen grund- und menschenrechtsbezogenen Rechtsstaatsbegriff zu Grunde, der seine Geschichte in

der Abwehr und dem Kampf gegen Willkürherrschaft findet, muss durchaus die Frage aufgeworfen werden, ob nicht einige der hier vorgeschlagenen Regelungen durchaus als rechtsstaatswidrig bezeichnet werden können. Zu einem rechtsstaatlichen Verhältnis gehört - so sieht es unsere Fraktion -, dass Gesetze durch möglichst eindeutige Rechtsbegriffe für den Bürger sicher berechenbar sind. Es gehört insofern dazu, Gesetze in ihren Konditionen durchschaubar und bestimmbar zu machen. Dies ist hier in vielen Punkten sehr vernachlässigt, wenn nicht gar aufgegeben worden. Im Gesetzentwurf der Landesregierung findet man dagegen eine Reihe unbestimmter, dem Gebot der Normenklarheit widersprechender Rechtsbegriffe, die bis zu generalklauselartigen Formulierungen reichen, wie z.B. die Eingriffsgrundlage für geheimpolizeiliche Methoden in § 34 Abs. 2. Demnach sollen Observationen durchführbar und technische Mittel einsetzbar sein, wenn sie "zur Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe erforderlich sind", und wenn "eine dafür wesentliche Aufklärung auf andere Weise erschwert oder entscheidend verzögert würde." Unseres Erachtens wird hier dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Gebot der Normenklarheit in keiner Weise Rechnung getragen. Ich frage Sie: Welche polizeiliche Aufgabe ist denn gemeint? Die Verkehrssicherung? Welcher Maßstab existiert für "erschwert" oder "entscheidend verzögert"? Die rechtsstaatlich durchschaubare Konditionalform wird vom Zweck unterlaufen; auch dieser muss sich an keiner rechtlichen Größe messen. Auf der Grundlage derartiger Schwammigkeit unter dem Titel "Auslegungsfähigkeit entsprechend der Vielgestaltigkeit des Lebens" erhalten Polizei und Verfassungsschutz weite Spielräume auch da, wo andere bürgerrechtsfreundliche kriminaltechnische Möglichkeiten denkbar wären oder ein Eingreifen eigentlich gar nicht erforderlich ist. Der Staat wird so für den Bürger unberechenbar. Hierzu erklärt die Landesregierung in der Gesetzesbegründung souverän, der Grad der Bestimmtheit hänge entscheidend davon ab, inwieweit die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs und der Normenzweck es nahe legen, schnell wechselnden Situationen entsprechen zu können.

Problematisch erscheinen uns auch die Regelungen zur Datenverwendung jenseits des Erhebungszwecks in § 34 Abs. 5. Während § 34 Abs. 3 die Verwendung von mit geheimen polizeilichen Methoden ermittelten Daten an den Erhebungszweck bzw. die Schwelle der erheblichen Straftat koppelt, wird diese Hürde in § 34 Abs. 5 noch unterlaufen. Die Daten können verwendet werden, wenn sie zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung oder einfachen Straftaten benötigt werden. Wir halten es vor diesem Hintergrund schon für bemerkenswert, mit welchem Aufwand die Sicherheitspolitiker das Pathos des Rechtsstaats und der Bürgerrechte bemühen.

Mit dem Begehren nach einer Ausweitung der Befugnisse geht auch die Anforderung des Vorhandenseins einer konkreten Gefahr verloren und eine praktische Absenkung der Eingriffshürden tritt ein. An die Stelle von konkre

ten Gefahren treten allgemeine kriminalpolizeiliche Erwägungen, die einen schweren Grundrechtseingriff, z.B. in das Telekommunikationsgeheimnis, das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung oder in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, rechtfertigen sollen. Zum Beispiel soll für die Rasterfahndung nicht mehr "wie in der bisherigen Regelung" die Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person Voraussetzung sein. Die Methode soll eingesetzt werden können, soweit dies zur Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung erforderlich ist.

Nicht verschweigen darf man an dieser Stelle, dass Thüringen mit der Neuregelung vermeiden will, was die Berliner Polizei vor einigen Tagen mit einem Beschluss des Berliner Oberlandesgerichts erdulden musste. In der Behandlung einer Klage eines Betroffenen gegen die seit Oktober laufende Rasterfahndung konnte das Gericht keine gegenwärtige Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person nach den Anschlägen vom 11.09. erkennen. Insofern stellt das Oberlandesgericht mit seiner Entscheidung die Rechtmäßigkeit der Rasterfahndung in Frage. Es hat dabei auf widersprüchliche Äußerungen aus dem Bundesinnenministerium zu dieser Frage verwiesen. Während in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Rasterfahndung das Bundesinnenministerium mit dem Bestehen einer gegenwärtigen Gefahr durch Terrorismus argumentierte, erklärte man gleichzeitig auf Nachfrage, ob diese Gefahr dann nicht auch bei Castortransporten vorläge, eine gegenwärtige Gefahr bestünde nicht. Eine für Umweltschutzanliegen zuständige Mitarbeiterin von Greenpeace kommentierte das zu Recht mit den Worten: "Hier wird die Gefahreneinschätzung offenkundig je nach politischer Notwendigkeit getroffen." Der Studentenrat von Jena hat auf das Berliner Urteil reagiert. Er geht auch davon aus, "dass die durch das Thüringer Innenministerium im Rahmen der Rasterfahndung durchgeführten Maßnahmen rechtswidrig sind".

Aber zurück zur Gesetzesnovelle: Mit ihr sollen ebenso die Eingriffsinstrumentarien verändert werden, was regelmäßig auch eine Erweiterung der Eingriffstiefe gegenüber bisherigen Ermittlungsmethoden nach sich zieht. Mit dem Gesetzentwurf wird das technische Instrumentarium der Polizei und des Verfassungsschutzes erweitert. Videoüberwachungstechnologien sollen nun anlassunabhängig eingesetzt werden können, Telefonverbindungsdaten übermittelt und die Reichweite des "großen Lauschangriffs" ausgeweitet werden. Als problematisch erscheinen auch die weit reichenden Eingriffe in die Strukturen der Sicherheitsapparate selbst. Polizei und Geheimdienste werden, und das ist unzweifelhaft, enger miteinander verzahnt. Beide Apparate erhalten erweiterte Zuständigkeiten im Revier des jeweils anderen. Die geplanten neuen Regelungen, die der Polizei erweiterte operative Mittel wie z.B. den "nicht offen ermittelnden Polizeibeamten" zugestehen und dem Landesamt nicht nur ein neues Überwa

chungsprofil von Bestrebungen gegen die Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker einräumen, sondern ihm auch mit der Zuständigkeit für den Bereich der so genannten organisierten Kriminalität neue Aufgaben im klassischen polizeilichen Aufgabengebiet der Kriminalitätsbekämpfung zuschreiben, durchlöchern die technisch ohnehin bereits weitgehend aufgeweichte Grenze zwischen exekutiver Polizei einerseits und informationeller Behörde andererseits. Das Landesamt soll demnach zukünftig Bestrebungen beobachten, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Beide Bestimmungen sind extrem vage. Es bleibt damit dem Amt überlassen, seine Beobachtungsobjekte relativ autonom zu bestimmen. Es ist nicht zu erwarten, dass durch das Amt zukünftig Personen, die zum weltweiten Krieg des Guten gegen das Böse aufrufen, unter Beobachtung gestellt werden, wenn sie Deutschland besuchen. Vielmehr stellt die Formulierung einen weiteren Blankoscheck aus, alle möglichen Gruppen oder sozialen Milieus auszuspionieren. Zudem wird das aus den Erfahrungen mit der geheimen Staatspolizei und dem Rechtssicherheitshauptamt resultierende verfassungsgemäße Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz unterlaufen, Herr Minister.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Es wird nicht richtiger dadurch, dass Sie es behaupten.)

Herr Minister, es ist doch Augenwischerei, wenn man die gewischten Augen davor verschließt, dass die wechselseitige Übernahme von Beobachtungsgebieten, das heißt, von Aufgabenbereichen, nicht den Einstieg in die ganz maßgebliche Reduktion der Trennung der beiden Bereiche mit Notwendigkeit nach sich zieht. Und nicht nur das, die Koordinierung mit anderen Sicherheitsbehörden und Strafverfolgungsbehörden für den Bereich der Beobachtung der organisierten Kriminalität soll in Richtlinien geregelt werden. Hier wird folglich die konkrete Ausprägung des Trennungsgebots außerhalb des Gesetzes geregelt, was gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstößt und verfassungsrechtlich bedenklich ist. Im Übrigen erhebt sich natürlich die Frage, warum der Verfassungsschutz die Beobachtungssphäre der organisierten Kriminalität zugewiesen bekommt. Mir ist nicht bekannt, dass wir ein merkenswertes Anwachsen der organisierten Kriminalität hätten. Aber auch in anderen Bereichen erfolgen Aufweichungen von bisherigen Grenzen.

Im Waffenarsenal der Polizei soll sich einiges ändern. Polizeilich eingesetzte Waffen werden nicht mehr, wie Bürgerrechtsorganisationen fordern, abschließend im Gesetz genannt, sondern es wird ein Spielraum eröffnet, der sich lediglich durch den Vergleich mit der Schusswaffe begrenzen lässt. Die Information darüber, welche schlagkräftigeren, gefährlicheren Waffentypen denn für Sonder

einheiten eingeräumt werden, wird in Richtlinien und Weisungen des Ministeriums gedrängt. Wir fragen hier, wie dieses Vorgehen dem aus dem Zitiergebot folgenden Bestimmtheitsgrundsatz Rechnung trägt und wie beim Offenhalten eines weit reichenden Waffenarsenals die Grenze zwischen Polizei und Militär in der Zukunft gestaltet und eingehalten werden soll.

Kritischen Lesern des Gesetzentwurfs hält die Landesregierung entgegen: Den erweiterten Grundrechtseingriffen stehe eine weit reichende parlamentarische sowie eine verbesserte gerichtliche Kontrolle und ein verbesserter Datenschutz gegenüber. Es gehört jedoch zu den auftragsgemäßen Fertigkeiten von Geheimdiensten und Geheimpolizeien, ihre Tätigkeit kunstvoll zu verdunkeln. Aus diesem Grund bestehen bekanntermaßen erhebliche Schwierigkeiten, eine parlamentarische Kontrolle wirksam auszuüben. Die neuen Exekutivebefugnisse, die polizeiliches Handeln auf Generalklauseln und auf vage polizeiliche Prophezeiungen künftig eintretender Gefährdungen stützen, lassen die Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle dagegen vollends zur Farce werden. Wie soll kontrolliert werden, wenn pauschale Ermächtigungen der Exekutive geschaffen sind oder die geheimpolizeiliche Abteilung oder der Verfassungsschutz fortlaufend ausgebaut werden? Hier wird mit dem Gesetzentwurf schließlich auch staatsanwaltschaftliche Kontrolle ausgehebelt, wenn weit reichende Strukturermittlungen unmittelbar von der Polizei wahrgenommen werden können, ohne dass ein Täterkreis umschrieben ist, bei dem Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Erst dann, wenn Anhaltspunkte und Personenbezug ermittelt sind, kommt der Fall der Staatsanwaltschaft zu Gehör. Fraglich wird hier immer wieder sein, ob nicht durch die konkrete Ermittlungstiefe und -breite auch das Ermittlungsverbot tangiert wird. Wir fragen auch: Wenn eine richterliche Kontrolle polizeilichen Handelns gewollt ist, warum können dann Anordnungen von geheimpolizeilichen Einsätzen nach drei Monaten um denselben Zeitraum verlängert werden, ohne dass eine neue richterliche Überprüfung stattfindet. Wenn es ihr ernst ist mit der gerichtlichen Kontrolle, muss sich die Landesregierung auch fragen lassen, wie sie denn dem betroffenen Bürger eine gerichtliche Kontrolle der gegen ihn ausgeübten Maßnahmen ermöglichen will, wie sie in diesem Zusammenhang die Information der Betroffenen sowie deren Auskunftsrechte stärken will. Sie muss erklären, wie sie 13 Jahre nach dem Ende der Stasi dem Bürger erklären will, dass sie nicht nur 14-Jährige beim Verfassungsschutz bereits informationell erfassen will, sondern auch ihre ohnehin nur dürftigen, weil nahezu generalklauselförmig ablehnbaren Auskunftsrechte zu den über sie beim Landesamt für Verfassungsschutz gespeicherten Daten weiter einschränken will. Ich frage Sie: Wie soll ein Bürger sich gerichtlich gegen Maßnahmen wehren, die ihm nicht bekannt sind? Gegenüber dem eingeschränkten Auskunftsrecht des betroffenen Bürgers soll nun das Landesamt die Möglichkeit erhalten, personenbezogene Daten in seine erweiterte Öffentlichkeitsarbeit einzubeziehen, was zur Folge hätte, hoheitliche Verrufungserklärungen sind vorpro

grammiert.

Nicht nur vor diesem Hintergrund steht die Frage, inwieweit die neuen Regelungen die konkrete Wahrnahme von Grund- und Bürgerrechten einschränken, z.B. wie die anlassunabhängige Videoüberwachung das Verhalten im öffentlichen Raum unter Anpassungsdruck setzt. Wir sehen auch in den polizeikostenrechtlichen Regelungen der Sicherheitsgesetzesnovelle eine Regelung, die bedenklich in anderes Rechtsmaterial eingreift, ins Versammlungsrecht nämlich. Wir meinen, dass von der Regelung in erster Linie ein Abschreckungseffekt ausgeht, der das Versammlungsrecht auszuhöhlen droht. Schließlich ist das demonstrationsrechtliche Geschehen nach einem ersten Verbot oft hoch dynamisch. Aus Angst, mit hohen Kosten bedroht zu sein, nehmen die Bürger in der Folge möglicherweise ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sicherheitshalber nicht mehr wahr.

Unklar, Herr Minister, ist zudem...

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Sie malen ein falsches Bild!)

Nein, nein, ich male kein falsches Bild, weil eine..., Herr Minister darf ich reden? Sie machen es mir nur extrem schwer. Die vordemonstrative Situation ist teilweise so dynamisch und so unklar, dass man zu dem Zeitpunkt, wo man am Demonstrationsplatz erscheint, nicht sicher weiß, ob eine Demonstration noch verboten, schon genehmigt oder schon wieder verboten ist. Diese Unsicherheit könnte dazu führen, dass Bürgerinnen und Bürger um der eigenen Sicherheit und des Verzichts auf finanziellen Verlust willen gleichzeitig auch auf das Demonstrationsrecht verzichten. Das ist einfach ein Effekt,

(Beifall bei der PDS)

der ist nicht von irgendwoher geholt, das ist eine ganz konkrete Erfahrung, die wir von Saalfeld bis... einfach auch teilweise selbst gemacht haben.

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Weil es das Problem des Veranstalters ist!)

Unklar ist zudem bei jeder sicherheitsrechtlichen Regelung, warum Wirkungen und Nebenwirkungen prinzipiell nicht evaluiert werden. Anfragen aus meiner Fraktion in diesem Zusammenhang wurden äußerst sparsam oder gar nicht beantwortet. Wir kritisieren immer wieder, dass all die neuen Erweiterungen und Befugnisse völlig ohne nachvollziehbare Evaluierung oder Befristung auskommen sollen, bis hin zur neuen weit reichenden Strukturermittlungskompetenz und den neuen Aufgabenbereichen des Verfassungsschutzes.

In der Konsequenz kann ich hier zusammenfassend sagen, dass die PDS-Fraktion die anlassunabhängige Videoüberwachung, den dreimonatigen Platzverweis aus einem ge

samten Gemeindegebiet, die Übertragung polizeilicher Kompetenzen im Bereich der so genannten organisierten Kriminalität auf einen geheim operierenden Nachrichtendienst, die Ausweitung operativer Befugnisse für die Polizei, die Strukturermittlungen ohne Tatverdächtige, das heißt, gegen nahezu alle und jeden, und die neu zu treffenden Demonstrationskostenregelungen ersatzlos ablehnt.

Wir werden uns im Rahmen der aus unserer Sicht erforderlichen weit reichenden Anhörung im Innenausschuss auch anderen, von uns kritisch gesehenen Maßnahmen zuwenden, z.B. der Frage, wieso eine derart weit reichende Rechtsgrundlage für das Erstellen von Tarnpapieren erforderlich sein soll, wie sie in § 12 a des Thüringer Personalausweisgesetzes vorgesehen ist.

Vieles, über das wir heute sprechen, steht im Thüringer Landtag bereits seit November des letzten Jahres zur Diskussion. Wie ja bekannt ist, plädiert die PDS-Fraktion im Gegensatz zur ihrer kritischen Haltung bezüglich der hier vorliegenden Verschärfung des Sicherheitsrechts in anderen Bereichen durchaus für problemspezifische Veränderungen des Polizeiaufgabengesetzes. Das jedoch nicht allein stehend, sondern innerhalb eines umfassenderen kriminalpräventiven Handlungskonzepts. Wir haben diese Haltung hier in der vergangenen Sitzung in Bezug auf die Wegweisung im Bereich häuslicher Gewalt deutlich gemacht. An Stelle der hier vorgeschlagenen unspezifischen und damit beinahe grenzenlosen Verschärfung des bestehenden Rechts sollte aus Sicht der PDS-Fraktion eine problemspezifische Lösung getroffen werden, die weitere Maßnahmen außerhalb des Polizeirechts mit umfasst, wie z.B. Interventionsprogramme. Die PDS erachtet aufgrund seiner Dauer den dreimonatigen Platzverweis auch gerichtlich für umstritten; er ist kein Ersatz einer spezifischen Regelung gegen häusliche Gewalt. Platzverweise sollten auf die unmittelbare Gefahrenabwehr beschränkt bleiben und nicht über die Vermischung der besonderen Einschüchterungssituation bei Gewalt im Nahraum des Opfers mit Platzverweisregelungen aus anderen Anlässen salonfähig gemacht werden.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Das hat doch mit Platzverweis nichts zu tun, § 18 (2) hat nichts mit häuslicher Gewalt zu tun.)

Aber dieser Platzverweis.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Das wird deutlich gesagt!)

Mit der Wegweisung wollen wir eine Lücke schließen zwischen dem unmittelbaren Auflösen der physischen Gefahrensituation, der psychischen Drucksituation und einem daraus erforderlich werdenden Handlungs- und Besinnungszeitraum für die betroffene Frau und der Entscheidungszeit der Gerichte. Nicht aber wollen wir der ohnehin willkürlichen Platzverweispraxis nun auch noch einen längeren zeitlichen Rahmen geben.