Protocol of the Session on November 9, 2001

Moment mal, Herr Abgeordneter, es ist eine unerträgliche Unruhe hier im Raum. Ich bitte wirklich, dass man dem Redner zuhört. Wir haben auch Gäste auf der Besuchertribüne, das alles hinterlässt einen Eindruck, der ist nicht gut für unser Haus. Bitte.

Danke, Frau Präsidentin.

Herr Schemmel, Sie können dann auch noch hier das Wort ergreifen.

Herr Schemmel, Sie sind doch dann gleich dran.

Das Quorum beträgt zurzeit 6 Prozent der Stimmberechtigten, das sind ca. 120.000 Unterschriften. Die CDU-Fraktion hat für eine Absenkung auf 50.000 Stimmen plädiert. Ich denke, in diesem Punkt wird man sich sicher einigen können. Das zurzeit einfachgesetzlich in dem bereits erwähnten BVVG geregelte Quorum von 5.000 Unterschriften für den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens soll in die Verfassung übernommen werden. Auch diese Regelung ist unverändert aus dem letztlich gescheiterten Volksbegehren übernommen. In diesem Punkt besteht kein Dissens, denn auch die CDU-Fraktion will diese Änderung. Beim Unterstützungsquorum für das Zustandekommen eines Volksbegehrens haben sich SPD und PDS eine zugegeben interessante neue Variante einfallen lassen, sie schlagen nämlich eine Differenzierung vor. Für verfassungsändernde Gesetze soll das Quorum von 14 auf 10 Prozent gesenkt werden und für einfache Gesetze soll es von 14 auf 7 Prozent gesenkt werden.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Bayerische Verhältnisse!)

Das Volksbegehren "Mehr Demokratie e.V." zielte noch auf eine Absenkung auf 5 Prozent. Nun haben sich SPD und PDS zwar nach oben bewegt und das 10-ProzentQuorum für verfassungsändernde Gesetze deckt sich mit der von der CDU gewollten einheitlichen Absenkung auf 10 Prozent. Ob am Ende der Gesetzesberatung die vorgeschlagenen 7 Prozent bei einfachen Gesetzen herauskommen können, wird man sehen müssen. Ich persönlich bin da eher skeptisch, wenn ich mir die Ausführungen des Verfassungsgerichts vor Augen führe.

Beim Volksentscheid über einfache Gesetze soll es künftig kein Quorum mehr geben. Hier wurde eine weitere Forderung aus dem Volksbegehren unverändert übernommen; zurzeit bedarf es der Zustimmung mindestens eines Drittels der Stimmberechtigten. Die CDU will das bestehende Quorum unverändert beibehalten. In dieser Frage bestehen somit unterschiedliche Auffassungen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es für die ausreichende Legitimation eines per Volksbegehren zustande gekommenen Gesetzentwurfs eines Unterstützungsquorums bedarf. Hier scheint es mir, dass sich SPD und PDS noch nicht von dem Gedanken verabschiedet haben, sich die Rosinen aus anderen einschlägigen Gesetzen anderer Länder herauszupicken.

(Beifall bei der CDU)

Gleiches, meine Damen und Herren, gilt beim Volksentscheid über verfassungsändernde Gesetze. Hier würde das Zustimmungsquorum nach dem Willen des vorliegenden Gesetzentwurfs künftig nur noch 25 Prozent der Stimmberechtigten betragen. Auch dieser Vorschlag stammt unverändert aus dem vor dem Verfassungsgericht gescheiterten Volksbegehren.

Meine Damen und Herren, die CDU vertritt die Auffassung, dass das zurzeit geltende Quorum, Zustimmung von mindestens 50 Prozent der Stimmberechtigten, unverändert bleiben muss. Die Verfassung muss erschwert abänderbar bleiben.

(Beifall bei der CDU)

Es gilt der Satz, den die Landtagspräsidentin Frau Lieberknecht in einem Interview in der "Ostthüringer Zeitung" am 25. Oktober 2001 zum Tag der Verfassung gesagt hat - Frau Präsidentin, ich darf zitieren?

Danke schön. "Die Verfassung darf nicht den Eindruck von Beliebigkeit erwecken und den Zeitgeist bedienen."

(Beifall bei der CDU)

Erfreulich ist, dass die noch in dem Volksbegehren "Mehr Demokratie e.V." enthaltene Forderung, Volksbegehren mit Auswirkungen auf den Landeshaushalt zuzulassen, in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht mehr enthalten ist. In diesem Punkt scheinen SPD und PDS das Urteil des Verfassungsgerichts vom 19. September richtig gelesen und auch erkannt zu haben, dass es sich hierbei nicht lediglich um eine Klarstellung, sondern um eine unzulässige materielle Änderung der Verfassung handelte. Deutlich erkennbare Unterschiede zwischen den Vorschlägen der CDU in dem vorliegenden Gesetzentwurf bestehen bei den Fragen Sammlungsort und Sammlungszeitraum. SPD und PDS wollen die bestehenden Regelungen, also vier Monate Sammlungszeitraum und freie Unterschriftensammlung, unverändert lassen.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Ja, so steht es in der Verfassung!)

Insbesondere die von der CDU favorisierte Sammlung in Amtsstuben wird von Rednern der Opposition kritisiert, obwohl diese Sammlungsart in der überwiegenden Mehrzahl unserer Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland, nämlich in 10 von 16 Ländern, vorgeschrieben ist.

(Beifall bei der CDU)

Diesen Kritikern halte ich die folgenden Ausführungen des Verfassungsgerichts vom 19. September entgegen: Das Verfahren der amtlichen Unterschriftensammlung erschwert zwar einerseits die Zustimmungsniederlegung Unterschriftsleistung und beinhaltet gegenüber den freien Sammlungen zusätzliche Anforderungen, denn der Bürger, der seine Unterstützung zum Volksbegehren dokumentieren möchte, muss sich zu einer Behörde begeben, dort während der Dienstzeit durch Vorlage seines Personalausweises seine Identität nachweisen, um sich dann gegebenenfalls nach Überprüfung seiner Daten nach melderechtlichen Gesichtspunkten in die Unterstützungsbögen eintragen zu können; das Verfahren der amtlichen Unterschriftensammlung verstärkt jedoch andererseits die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der Unterschriftsleistung

(Beifall bei der CDU)

und damit auch deren legitimationsvermittelnde Eignung. Denn es macht einen erheblichen Unterschied aus, ob ein auf der Straße, im privaten Kreis oder bei anderen Gelegenheiten von einem Betreiber des Volksbegehrens angesprochener Bürger seine Unterschrift an Ort und Stelle sofort ohne besonderen Aufwand leistet, oder ob er den beschwerlicheren Weg auf sich nehmen muss, um in eine Amtsstube in der vorgeschriebenen Art und Weise seine Überzeugung von der Unterstützungswürdigkeit des Volksbegehrens per Unterschrift zu dokumentieren.

Das Verfahren der freien Stimmabgabe überzeugt hingegen auch deswegen in seiner Hinweiskraft auf den wirklichen Unterstützungswillen, weil die Möglichkeit der Unterschriftensammlung an jedem beliebigen Ort die Abstimmungsfreiheit der Bürger durchaus beeinträchtigen kann.

(Beifall bei der CDU)

So kann ein stimmberechtigter Bürger auf der Straße bei öffentlichen Veranstaltungen oder im privaten Bereich zur Unterstützung des Volksbegehrens angesprochen und zur Dokumentierung seiner Unterschrift aufgefordert werden, ohne dass ihm möglicherweise im Einzelnen der Inhalt und Sinn des Gesetzentwurfs verständlich erläutert wird.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Wie bei der CDU-Kampagne doppelte Staatsangehö- rigkeit bzw. Ausländerzuzug.)

Er kann auch, insbesondere durch Dritte, die dem Volksbegehren gegenüber positiv eingestellt sind und die mit dem Angesprochenen mehr oder weniger eng verbunden sind, zur Unterschriftsleistung gedrängt werden. Es besteht dann zweifellos die Gefahr, dass er nicht ohne Zwang, ohne Druck oder sonstige unzulässige Beeinflussung, möglicherweise auch unüberlegt seine Unterschrift leistet und nicht, wie es an sich geboten ist, mit den notwendigen Erkenntnissen aus freien Stücken seine Unterstützung mit seiner Unterschrift bekräftigt. Kurz gesagt, die amtliche Sammlung stellt zwar eine höhere Hürde dar, sie führt aber

gerade dadurch zu einer höheren demokratischen Legitimation der Unterschriftsleistung. Die freie Sammlung erzeugt Zweifel, dass der Unterstützer mit den notwendigen Kenntnissen über den Inhalt des Begehrens aus freien Stücken seine Unterschrift abgibt. Daher ist die amtliche Sammlung die demokratischere Art der Stimmabgabe und gegenüber der freien Sammlung grundsätzlich vorzuziehen.

Von den Rednern der antragstellenden Fraktionen werden die vorliegenden Gesetzentwürfe heute sicherlich an den Justizausschuss beantragt zu überweisen. Namens der CDU-Fraktion, meine Damen und Herren, schließe ich mich diesem Antrag auch an: Überweisung an den Justizausschuss zur dortigen Weiterberatung.

Der Ministerpräsident hat gestern Morgen in seinem Bericht zum Radikalismus und Extremismus im Freistaat Thüringen angekündigt, dass die Landesregierung sehr bald ihre konkreten Vorschläge zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements unterbreiten wird. Es wird sinnvoll sein, den vorliegenden Gesetzentwurf von SPD und PDS mit dem zu erwartenden Gesetzentwurf der Landesregierung im Justizausschuss gemeinsam zu beraten. Über die Gesetzentwürfe wird man dann im Justizausschuss sowohl auf anderen Ebenen sicherlich miteinander reden müssen, denn für eine Änderung der Verfassung ist bekanntlich eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Man wird sehen, was am Ende dabei herauskommen wird. Gewinner sollten auf jeden Fall die Bürgerinnen und Bürger Thüringens sein.

(Beifall bei der CDU)

Die Verhandlungen sollten deshalb ohne inhaltliche Vorbedingungen und grundsätzlich ergebnisoffen geführt werden. Wir, die CDU-Fraktion, sind zu konstruktiven, zielführenden Gesprächen mit der SPD bereit. Das ist bereits mehrfach gesagt worden. Mit der PDS wird es allerdings das sei hier nochmals klargestellt - keine Gespräche geben. Die Gründe dafür sind allgemein bekannt. Hierauf brauche ich nicht weiter einzugehen, Herr Ramelow.

Leitfaden bei der in den nächsten Wochen und Monaten zu führenden Debatte wird sicher die Entscheidung des Verfassungsgerichts sein. Daher möchte ich Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss meiner Ausführungen noch einmal die vielleicht wichtigste Aussage des Gerichts vom 19. September in Erinnerung rufen.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Wem, SPD oder PDS?)

Uns allen, Herr Ramelow, uns allen. Ich denke, die Präsidentin hat mit ihrem Aufruf zu Beginn der Veranstaltung eigentlich gesagt, dass es uns allen gilt, was wir heute hier tun.

(Beifall bei der CDU)

Ich darf kurz die Aussage des Gerichts in Erinnerung rufen: Im Demokratieprinzip der Thüringer Verfassung ist der Vorrang der parlamentarischen Gesetzgebung vor der Volksgesetzgebung angelegt. Dieser Vorrang ist im Verfahren der Volksgesetzgebung institutionell abzusichern. Wie hat gestern Morgen der Ministerpräsident doch so zutreffend gesagt: "Es geht um mehr Engagement und Partizipation, meine Damen und Herren, und nicht um eine andere Form von Demokratie." Danke schön, denn Recht hat er.

(Beifall bei der CDU)

Es hat jetzt das Wort der Abgeordnete Dr. Hahnemann, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist zwar zufällig, aber ich glaube es ist gut und wichtig, dass wir ausgerechnet an einem 9. November über Demokratie und ihre Zukunft sprechen. Einfach deshalb, weil es nicht um den Zeitgeist geht, sondern um den Geist der Demokratie. Und welche Komponente des Geistes von Demokratie Sie, Herr Kollege Wetzel, eben berührt haben, hat mich meinerseits insbesondere an diesem Tag negativ berührt.

(Beifall bei der PDS)

Ich glaube, wir haben allen Grund und, ich glaube, ich habe die berechtigte Hoffnung, dass mir die Kolleginnen und Kollegen der miteinbringenden Fraktion hier zustimmen, diesen Tagesordnungspunkt unter das Motto zu stellen "Im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger". Denn wir müssen uns darüber bewusst bleiben, es ist Ausgangspunkt und Wesenskern der Demokratie und jedes demokratischen Gemeinwesens, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Das bedeutet aber nichts anderes, Herr Seela, dass Bürgerinnen und Bürger selbst bestimmen. Sie können eben auch ab und an entscheiden, bestimmten Leuten die Aufgabe des Regierens zu übertragen. Aber diese Beauftragten, d.h. die dafür abgeordneten Parlamentarier als Repräsentanten, haben ihre Aufgabe mit dem Ziel der Verwirklichung der Selbstregierung der Bürgerinnen und Bürger zu erfüllen. Der Monitor 2001, den wir gestern besprochen haben, hat zu 86 Prozent ein Bekenntnis von Thüringer Bürgerinnen und Bürgern ausgewiesen, mittels direkter Demokratie mehr Teilhabe an politischen Entscheidungen, und das heißt ja letzten Endes an den eigenen Angelegenheiten, zu bekommen.

Dieser Gesetzentwurf trägt zwar den Absender der beiden Oppositionsfraktionen der SPD und der PDS, er ist aber in enger Zusammenarbeit mit dem Trägerkreis des Volksbegehrens "Mehr Demokratie in Thüringen" erarbeitet. Die inhaltlichen Eckpunkte des Gesetzentwurfs sind vom Bündnis vorgeschlagen. Der Text des vorgelegten Gesetzentwurfs hält sich also eng an den ursprünglichen Ge

setzentwurf von "Mehr Demokratie in Thüringen". Faktisch ist damit dieser Entwurf nicht eigentlich ein neuer, sondern ein notgedrungen veränderter. Und dieser Gesetzentwurf, Herr Kollege Wetzel, konzentriert sich auf die Verfassungsregelungen zu Volksbegehren und Volksentscheid. Wir wollten uns auch nicht - und das sage ich ganz bewusst und nicht ohne ein Lächeln in Bezug auf Ihre vorherige Bemerkung - dem Vorwurf aussetzen, die repräsentative Demokratie durch die Ehrenamtsdemokratie ersetzen zu wollen.

(Beifall bei der PDS)

Denn mehr als 380.000 Bürgerinnen und Bürger Thüringens haben mit ihrer Unterschrift unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Stärkung direkter Demokratie, direkter eigener Mitsprache und Einflussnahme auf politische Entscheidungen in Thüringen wollen. Dieses Anliegen hat sich auch mit dem Urteilsspruch des Verfassungsgerichtshofs in Weimar nicht erledigt, nur bleibt nach dem Urteilsspruch allein der parlamentarische Weg, um diesem unmissverständlich geäußerten Willen von Thüringer Bürgerinnen und Bürgern zur Wirksamkeit zu verhelfen. Die PDS-Fraktion oder genauer beide Oppositionsfraktionen verstehen sich damit als so etwas wie der parlamentarische Arm des Bündnisses "Mehr Demokratie in Thüringen", das ja auch nach dem Urteil aus Weimar sein Engagement fortsetzt. Wir scheuen uns daher nicht zuzugeben, Initiator des vorliegenden Gesetzentwurfs ist das Bündnis "Mehr Demokratie". Wir scheuen uns nicht nur nicht, es ist uns sogar sehr wichtig, genau dieses deutlich zu machen. Dieser Gesetzentwurf ist auch und vor allem ein Entwurf des Bündnisses "Mehr Demokratie in Thüringen".

(Beifall bei der PDS)

Ich bin überzeugt, ein solches Vorgehen entspricht besten demokratischen Grundsätzen und Gepflogenheiten.

(Beifall bei der PDS)

Das Anliegen der Stärkung direkter Demokratie ist unter allen Umständen wert, parlamentarisch weiter vorangetrieben zu werden. Die Unterschriften von mehr als 380.000 Menschen in diesem Land sind eine an Deutlichkeit wohl kaum zu übertreffende Aufforderung an uns.