Protocol of the Session on November 8, 2001

Ja, ich weiß, das hören Sie nicht so gern vom DGB, aber die machen auch Studien, wie andere auch. Zitat: "Hohe Abwanderungsquoten gibt es gerade in denjenigen Bevölkerungsgruppen, die für die wirtschaftliche und soziale Stabilität des Landes mitbestimmend sind", und, "Die Wanderungsverluste Thüringens überschreiten mittlerweile das Maß der Normalität."

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Das ist falsch.)

Der Verweis von Herrn Althaus seinerzeit im Hinblick auf eine Veranstaltung des DGB, der PDS, der SPD und anderen, Landesjugendring, an der zwar die CDU nicht teilgenommen hat, aber sie dann von außerhalb bewertet hat, dass er dann Panikmache vorwirft, das finde ich der Situation nicht angepasst, meine Damen und Herren.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Sie hätten es gern schlechter.)

Nein, wir hätten es nicht gern schlechter, Herr Ministerpräsident, wir hätten es gern mit Ihnen gemeinsam besser, aber dazu gehört, dass man auch mal die anderen mit einbindet.

Noch mal zum Thema "Abwanderung": Sie wissen ganz genau um die soziale Situation hier in Thüringen. Sie wissen nach wie vor, dass wir zu wenig betriebliche Ausbildungsplätze haben, junge Leute deshalb weggehen. Sie wissen nach wie vor um das Problem der Entlohnung, das wissen Sie sehr genau. Sie wissen um Ihre Kürzung im Bereich des zweiten Arbeitsmarkts. Sie wissen um viele soziale Rahmenbedingungen. Als aktuelles Beispiel sei nur die Finanzierung im Bereich der Altenpflegeausbildung genannt. Wenn man nicht mal mehr bereit ist, über eine angemessene Stichtagsregelung nachzudenken, damit Jugendliche in ihrer Ausbildung nicht gefährdet werden, dann weiß ich nicht mehr, wie ernst Sie das meinen, dass junge Leute hier in Thüringen bleiben sollen.

Alles in allem, Herr Ministerpräsident, diese so genannte Regierungserklärung hat ihren Namen nicht verdient. Sie sagen: "Thüringens Jugend hat Zukunft." Ich sage es mit den Worten von Albert Schweitzer: "Keine Zukunft vermag gutzumachen, was du in der Gegenwart versäumst." Deshalb, Herr Ministerpräsident, handeln Sie endlich, damit wir und auch die nachfolgenden Generationen tatsächlich eine gute Zukunft haben. Danke schön.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Abgeordneter Althaus.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrte Damen und Herren Abgeordneten, wir haben heute eine wichtige Debatte am Tag vor dem 9. November, einem Tag, der wie kein anderer für deutsche Geschichte und ihre Widersprüchlichkeit steht. Wir haben gerade auf unserem Flur der CDU-Landtagsfraktion am gestrigen Tag eine Ausstellung eröffnet von einer Zeitzeugin, die in Theresienstadt leiden musste, von Helga Weissová. Diese Ausstellung macht sehr deutlich, wo unsere Verantwortung im Blick vor dieser Geschichte anzusetzen hat, dass Diktaturen, ob nationalsozialistische oder sozialistische, nie wieder in Deutschland oder in anderen Teilen der Welt gesellschaftlich gestalten dürfen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist es gut, dass wir nun nach fast zwölf Jahren gemeinschaftlich sagen können, Deutschland hatte die Chance, nach 1945 im Westteil eine freiheitlich-demokratische Ordnung aufzubauen und dass am 9. November 1989 die Mauer zerfiel, dass Stacheldraht zerfiel und wir ebenfalls das Glück haben, diese freiheitlich-demokratische Ordnung gemeinsam für die Zukunft auch zu sichern. Es ist uns allen sehr bewusst, gerade auch im Blick auf die vergangenen Wochen und Monate, wie wichtig es ist, Demokratie nicht als Zustand nur zu beschreiben, sondern Demokratie als Lebensform, die aktiv von jedem gelebt werden muss, zu verankern und dauerhaft zu bewahren.

(Beifall bei der CDU)

Es ist uns sehr bewusst, dass das Funktionieren der Demokratie auch heißt, insbesondere das Polarisieren in einer Gesellschaft aktiv zu verhindern. Denn immer dort, wo polarisiert wird, entwickeln sich Extreme und genau diese Extreme sind die Gefahren für die Demokratie.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin Ihnen, Herr Ministerpräsident, sehr dankbar, dass Sie heute Ihren Bericht zu Radikalismus und Extremismus in Thüringen sehr umfassend dargestellt haben und ihn auch aufgebaut haben auf einer Analyse insbesondere der Situation der Jugend in Thüringen. Ich erinnere noch einmal daran, im letzten Jahr haben die CDU-, SPD- und PDS-Landtagsfraktion in diesem Haus einmütig erklärt: "Die Aktivitäten extremistischer Gruppierungen müssen aufmerksam beobachtet und neue Entwicklungen erkannt werden. Extremistischen Straftätern gilt eine konsequente Verfolgung und Bestrafung, die Einheit aus Prävention und Repression bietet die besten Chancen, den Gefahren des politischen Extremismus erfolgreich und effektiv entgegenzuwirken."

(Beifall bei der CDU)

Was wir damals im Angesicht der unmenschlichen und verbrecherischen Schändung der Erfurter Synagoge gemeinschaftlich festgestellt haben, gilt zum heutigen Tag ebenso. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir uns in jedem Jahr seit dieser Zeit regelmäßig mit diesem wichtigen Thema befassen und dazu eine Regierungserklärung hören und dann auch in der Debatte die Entwicklungen näher betrachten. Zwei spektakuläre Anschläge hat der Ministerpräsident in seiner Rede aufgeführt: März 2001 - drei vermutlich rechtsextreme Täter zerren einen Palästinenser in Suhl aus einem Bus, schlagen und verletzen ihn, und Januar 2001 - auf einem Friedhof in Weimar werden Gräber mit Hakenkreuzen beschmiert und geschändet. Er hat berichtet, dass die Gesamtzahl extremistischer Straftaten - dies sind vor allem Propagandadelikte - zwar gestiegen ist, aber auch berichtet, dass die Zahl der Gewalttaten mit rechtsextremistischem oder fremdenfeindlichem Hintergrund in der ersten Hälfte dieses Jahres zurückgegangen sind und auch die Zahl der Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Dies ist eine positive Entwicklung, die wir feststellen müssen und wofür wir auch dankbar sein müssen für Thüringen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist der Vorwurf an die Landesregierung und an alle in dieser Exekutive Wirkenden, im Blick auf Rechtsextremismus und Gewaltstraftaten versagt zu haben, schlicht falsch und er ist auch ein Affront gegen all diejenigen, die sich einsetzen, insbesondere gegen die Polizei, die Justiz und den Verfassungsschutz in diesem Freistaat.

(Beifall bei der CDU)

Zahlreiche Maßnahmen sind in den letzten Jahren entwickelt worden, präventive und repressive Maßnahmen, Maßnahmen, die wir täglich erfahren, z.B. auch in der Bildungsarbeit in Thüringen. Und wenn Sie, sehr geehrte Frau Pelke, von einer Bildungskatastrophe in Thüringen sprechen, scheinen Sie ein anderes Land vor Augen zu haben, jedenfalls nicht Thüringen, in dem eine solide Bildungspolitik gestaltet wird und in dem junge Menschen

ihre Schulen verlassen mit erfolgreichen Bildungsabschlüssen, die ihnen Chancen bieten in ganz Deutschland.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Sojka, PDS: 13 Prozent ohne Abschluss)

Auch die Koordinierungsstelle Gewaltprävention im Innenministerium bietet sehr erfolgreich das Netzwerk, das notwendig ist, um für Aufklärung, für Vernetzung im Blick auf die notwendigen präventiven und repressiven Maßnahmen gegen Gewalt, Extremismus und Fremdenfeindlichkeit zu sorgen. Auch die Reorganisation des Verfassungsschutzes war ebenfalls der richtige Weg, besser als ihn aufzulösen und neu zu gründen, wie es die SPD vorgeschlagen hat.

(Beifall bei der CDU)

Gerade die letzten Tage haben doch sehr deutlich gemacht, dass die vielen Vorwürfe von der Opposition im Blick auf den Innenminister und den Verfassungsschutz unhaltbar sind und schlicht politischer Art waren, aber nichts mit realen Gründen zu tun hatten.

(Beifall bei der CDU)

Die Debatte der letzten Jahre hat aber auch gezeigt, dass es neben diesen repressiven und präventiven Maßnahmen über Polizei, Justiz, Verfassungsschutz und Bildung im Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbereich auch darauf ankommt, dass sich Zivilcourage entwickelt und auch deutlich darstellt. Dafür möchte ich mich auch im Namen der CDU-Fraktion hier im Landtag herzlich bedanken, dass überall in Thüringen diese Zivilcourage deutlich erfahrbar ist.

(Beifall bei der CDU)

Denn der Kampf gegen Extremismus ist eben nicht nur eine staatliche Veranstaltung, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe, und neben den Mitteln der Politik wird sie erfolgreich gestaltet, wenn jeder sich verantwortlich fühlt, die Demokratie zu stärken und dafür zu sorgen, dass Freiheit und Sicherheit auch zukünftig gelebt werden kann. Dazu gehört Toleranz, dazu gehört der Respekt vor dem Anderen, vor dem Fremden und auch seinen Werten. Das muss das gesellschaftliche Klima in Thüringen prägen, in einem Thüringen, das, Gott sei Dank, weltoffen lebt und in eine Zukunft geht, in dem das sich vereinigende Europa in einer sich pluralisierenden Gesellschaft besondere Chancen bietet. Und, sehr geehrter Herr Hahnemann, Ihre Vermischung von wichtigen Fragen unter einer einzigen Überschrift, nämlich "Ausländer und der Umgang mit Ausländern" ist unverantwortlich. Sie dürfen nicht die Asylrechtsproblematik des Artikels 16 im Grundgesetz mit den Bürgerkriegsflüchtlingen und der Frage der Zuwanderung so schlicht und simpel verbinden.

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Das haben wir doch gar nicht gemacht.)

Wenn Sie sagen, das würde draußen so getan, dann hätten Sie gerade als verantwortlicher Politiker die Pflicht, darauf hinzuweisen, dass unsere humanitäre Verantwortung im Blick auf das individuelle Asylrecht unbestritten ist bei der Union, dass ebenfalls unbestritten ist, dass wir eine humanitäre Pflicht im Blick auf Bürgerkriegsflüchtlinge haben, aber dass es ebenfalls unbestritten ist, dass wir eine Begrenzung der Zuwanderung im nationalen Interesse wollen.

(Beifall bei der CDU)

Dies ist keine inhumane Auffassung, sondern die Auffassung aller Staaten in dieser Welt. Deshalb müssen wir gerade als Politiker in diesem Land darauf achten, dass wir sauber und auch in der Argumentation klar sprechen und insbesondere mit den Jugendlichen darüber sprechen, wie unsere Demokratie auch zukünftig gelebt werden kann. Denn die Demokratie muss immer wieder neu angenommen werden, sie wird sich nicht vererben. Demokratie muss demzufolge auch überzeugen. Deshalb ist es sehr ermutigend und für die freiheitliche Demokratie in Thüringen auch stabilisierend, wenn der Ministerpräsident als Ergebnis der Studie von Forscherinnen und Forschern aus Jena feststellt: "Thüringen sagt Ja zu Freiheit, Demokratie und Weltoffenheit - ein gutes Fundament, um für die Zukunft einen guten Weg zu gehen."

(Beifall bei der CDU)

Wenn das Ergebnis dieser Studie, so wurde dargestellt, bewertet, dass wir beim Kampf gegen Extremismus und Gewalt sowie beim Aufbau des Freistaats auf die junge Generation bauen können, dann ist das für uns, gerade auch für uns als Landespolitiker, sehr erfreulich, denn damit wird unsere Zukunft auch gut gestaltbar. Wenn unsere Jugend im Blick auf Familie, auf eigene Kinder, auf die Identifikation mit Thüringen eine mehrheitlich positive Antwort gibt, dann ist das die Grundlage für uns, hier Zukunftsgestaltung verantwortlich vorzunehmen. Wir spüren, dass die Erfahrungen mit der jungen Demokratie in Thüringen natürlich auch Erfahrungen mit der aktiven Politik sind und dass Teilhabe erlebbar sein muss. Deshalb braucht die repräsentative Demokratie ganz selbstverständlich die Ergänzung durch die direkt demokratischen Elemente. Nicht umsonst hat der erste Thüringer Landtag in diesem Freistaat diese direkt demokratischen Elemente als Ergänzung der repräsentativen Demokratie in der Thüringer Verfassung dauerhaft festgeschrieben.

(Beifall bei der CDU)

Teilhabe und Teilnahme erfordert Transparenz. Wir haben im September, also vor einigen Wochen, als CDUFraktion sehr konkrete, sehr geehrte Frau Pelke, Vorschläge zur Weiterentwicklung der direkt demokratischen

Elemente vorgelegt.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Sehr mäßig.)

Wir werden auch an diesem Ziel weiter festhalten, die direkt demokratischen Elemente im Gesamtkonzept der Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements weiterzuentwickeln, aber, sehr geehrter Herr Dr. Hahnemann, wir werden nicht den Fehler begehen, Demokratie umzudefinieren. Es gibt nicht mehr oder weniger Demokratie, es gibt nur verschiedene Formen der Demokratie.

(Beifall bei der CDU)

Dass Deutschland sich nach dem Zweiten Weltkrieg für eine repräsentative Demokratie entschieden hat, hatte und hat gute Gründe. Dass dies unveränderlich geschehen ist, hat ebenfalls gute Gründe, weil man sich eben nicht für die Zukunft von Mehrheiten, auch von Stimmungen in der Gesellschaft abhängig machen wollte, sondern weil man von der Geschichte gelernt hat und diese repräsentative Demokratie in der Dauer für Deutschland festgelegt hat.

(Beifall bei der CDU)

Herr Dr. Hahnemann, ich kann auch Ihre scheinbar ohne mathematische Kenntnisse versehene Argumentation im Blick auf Mehrheit nicht nachvollziehen. Sie erwecken den Eindruck, als wenn 360.000 Thüringer, die das Volksbegehren unterschrieben haben, die Mehrheit in diesem Freistaat sind. Wir nehmen diese Unterschriften sehr ernst, das haben wir auch in vielen Debatten deutlich gemacht, aber die Mehrheit der Thüringerinnen und Thüringer sind 360.000 nun wirklich nicht. Und ich bitte Sie, bei aller Diskussion auch deutlich festzustellen, dass es auch mit der Thüringer Verfassung nicht darum geht, die Frage zu stellen, parlamentarische Demokratie Ja oder Nein. Mit Ihrer Aussage, Sie wären ja auch nicht dafür, eine komplette Infragestellung der parlamentarischen Demokratie vorzunehmen, ignorieren Sie die Thüringer Verfassung, denn Vorrang hat die repräsentative Demokratie. Das ist nur selbstverständlich und das haben wir mit der Wiedervereinigung Deutschlands, Gott sei Dank, als wichtigen Wert erworben.

(Beifall bei der CDU)

Ich wäre Ihnen auch dankbar, wenn Sie ein wichtiges Verfassungsorgan dieses Landes ernster nehmen, den Thüringer Verfassungsgerichtshof, der mit einem sehr klaren Votum am 19. September vor die Thüringer Öffentlichkeit getreten ist und erklärt hat, dass dieser konkrete Inhalt des Volksbegehrens mit der Thüringer Verfassung nicht vereinbar ist. Der Wertschätzung dem Verfassungsgerichtshof und der Stabilität unserer Demokratie gegenüber ist es wichtig, deutlich zu machen, dass wir entsprechend reagieren und agieren, aber nicht einfach die

Verfassungsgerichtsentscheidung und die Verfassung beiseite legen und meinen, wir könnten nach politischem Gutdünken selbst über alles entscheiden. Diese Selbstherrlichkeit hat, Gott sei Dank, in unserem Rechtsstaat keine Zukunft mehr.

(Beifall bei der CDU)