Hin und wieder hatte man das Gefühl, man müsste aufpassen, dass bei der Planung des weiteren Umgangs mit dem Volksbegehren und bei der Bearbeitung anderer Gesetze dieser Gesetzentwurf z.B. im Justizausschuss nicht in den Dunstkreis des Tagesordnungspunkts "Sonstiges" geriet. Die Auseinandersetzung um diese Initiative aus dem Volk, egal ob die parlamentarischen oder die außerparlamentarischen, standen immer unter dem Vorbehalt der ausstehenden Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in Weimar. Doch die Berufung der Mehrheit auf diese ausstehende Entscheidung hat andere Ursachen. Diese Ursachen sollten benannt sein, damit nicht der Eindruck entsteht, die Landesregierung und ihre Klage seien wie ein Deus ex Machina über uns gekommen. Recht deutlich wurde eigentlich, dass Sie, meine Damen und Herren, dieses Volksbegehren nicht wollen. Anfangs hielten Sie sich an die Hoffnung, die nötigen Unterstützungsunterschriften würden vielleicht nicht zusammenkommen. Am Ende ruht Ihre Hoffnung darauf, dass das Verfassungsgericht in Weimar für Sie die Ablehnung des Bürgerwillens übernimmt. Das hat sich im Verlauf des Volksbegehrens und der Behandlung des Gesetzentwurfs im Landtag deutlich kristallisiert.
Die augenfällige Unlust, den Gesetzentwurf des Volksbegehrens dem Verfahrensgesetz gemäß zu beraten, gipfelte dann in den beiden letzten Justizausschuss-Sitzungen. Nachdem der Wissenschaftliche Dienst der Landtagsverwaltung festgestellt hatte, dass eine Klage gegen das Volksbegehren die Frist zur abschließenden Beratung des Volksbegehrensgesetzentwurfs nicht verlängert, war klar, der Landtag muss innerhalb des vorgeschriebenen halben Jahres drei Beratungen zum Gesetzentwurf durchführen. An deren Ende muss ein Beschluss über die Verfassungsänderung stehen. Also wurde für diese beiden Sitzungstage die zweite Beratung vorgesehen und eine Sondersitzung für den 20. September geplant, einen Tag nach dem Urteilsspruch in Weimar, am letzten Tag der uns per Gesetz zur Verfügung stehenden Frist. Die eigentliche Debatte entspann sich aber um die Frage, ob der zuständige Ausschuss dem Landtag zur zweiten Beratung eine Beschlussempfehlung präsentieren müsse oder ob sich das vermeiden ließe. Doch die Hoffnung, sich neuerlich um eine klare Haltung zum Willen von mehr als 380.000 Menschen drücken zu können, zerschlug sich an unserer Geschäftsordnung. Diese verlangt auch für die zweite Beratung eine Beschlussempfehlung. So kam es zu jener unseligen Drucksache mit der Nummer 3/1756, die all die
Hilflosigkeit der gewählten Politiker im Umgang mit solchem bürgerlichen Engagement verrät, dessen Art und Maß nicht von der etablierten Politik bestimmt sind.
Mit 5 : 1 Stimmen empfiehlt der Justizausschuss dem hohen Haus: "In Achtung vor dem Landesverfassungsgericht empfiehlt der Justizausschuss dem Landtag, vor dem Urteilsspruch im anhängigen Verfahren zum Gesetzentwurf nach Artikel 82 der Verfassung des Freistaats Thüringen... nicht abschließend zu beraten." Üblicherweise sollte eine Beschlussempfehlung den Vorschlag des federführenden Ausschusses zur Entscheidung des Plenums über eine Vorlage enthalten. Annahme, Ablehnung oder Änderung wären die normalen Formen des Umgangs auch und gerade mit dem Gesetzentwurf des Volksbegehrens gewesen. Doch da ergeben sich für die herrschenden Politiker ganz einfach Probleme. Sie hängen zusammen mit der bedauerlicherweise weit verbreiteten Betrachtung der Menschen im Land ausschließlich als Wahlvolk nicht aber auch als Bürgerschaft.
Eine Mehrheit dieses Hauses ist nicht in der Lage noch bereit, den Gesetzentwurf des Volksbegehrens zu akzeptieren. Sie hat aber auch nicht den Mut, sich konsequent vom Ansinnen des Volksbegehrens zu distanzieren. Warum bis heute die Möglichkeit der ändernden Bearbeitung des Volksbegehrensgesetzentwurfs nicht genutzt wurde, bleibt parlamentarisches Geheimnis. Die Erklärung, der eingebrachte Gesetzentwurf dürfe nicht verändert werden, ist nicht schlüssig. Nein, die Ablehnung des konkreten Gesetzesvorschlags resultiert aus einer allgemeinen Abneigung gegen Plebiszite, die von den politischen Eliten als Störfaktor im parlamentarisch-demokratischen Trott empfunden werden.
Was in der Beschlussempfehlung hinter der "Achtung vor dem Landesverfassungsgericht" versteckt wird, das sind auf der einen Seite die Aversionen gegen direkte Demokratie überhaupt, speziell aber gegen das vorliegende konkrete Ansinnen der Thüringer Initiative. Auf der anderen Seite verführt ganz offensichtlich eine Angst, sich zum Verfassungsgericht in Widerspruch zu begeben, dazu, den Gesetzentwurf lieber gar nicht erst ernsthaft zu beraten. Viel lieber als eine ernsthafte Beratung und Bearbeitung des Volksbegehrens im Landtagsplenum ist scheinbar der herrschenden Mehrheit ein unverbindlicher parlamentarischer Plausch und dieser immer mit dem Blick nach Weimar und immer in der Hoffnung, dass die Klage der Landesregierung dem ungebetenen plebiszitären Spuk ein baldiges Ende setzt. Das bietet den Vorteil, dass sich gewählte Vertreter des Volkes ihre politische Weste nicht mit einer Ablehnung des Bevölkerungswillens
beflecken müssen. Auf diese Weise hofft man dann wohl auch, eine dritte Beratung des Volksbegehrens letztlich vermeiden zu können. Schließlich stehen irgendwann wieder Wahlen an und man möchte doch den eigenen bevölkerungsfreundlichen Anstrich und den seiner Partei nicht ernsthaft riskieren, denn am Ende wissen natürlich auch die linientreuesten Fraktionäre der CDU, dass die mit ihren Stimmen verabschiedete und von der Bevölkerung bestätigte Verfassung des Freistaats noch immer und unverändert vom Grundsatz der Volkssouveränität getragen wird. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Es verwirklicht seinen Willen durch Wahlen, Volksbegehren und Volksentscheid." Was Wunder, wenn es den regierenden Politikerinnen und Politikern jetzt nicht so recht gelingt, sich einfach hinzustellen und den Menschen zu sagen, das mit Volksbegehren und Volksentscheid sei alles nicht so ernst gemeint gewesen, denn man müsste befürchten, bei den nächsten Wahlen vielleicht nicht mehr ganz so Ernst genommen zu werden. Und welcher gut bezahlte Politiker, meine Damen und Herren, möchte ausgerechnet bei Wahlen nicht Ernst genommen werden? So erklärt sich denn auch, dass in Nordrhein-Westfalen die in der Opposition befindliche CDU sich die Forderung nach direkter Demokratie regelrecht auf die Fahnen geschrieben hat, während die regierende CDU hier in Thüringen es ewig und drei Tage nicht geschafft hat, mit den Vertretern der Initiative für mehr Demokratie in Thüringen auch nur zu reden. Genau hier aber...
Sehr geehrter Herr Wunderlich, schauen Sie mal in den Kalender und zählen Sie die vielen Wochen von Beginn der Initiative an
Genau hier aber, meine Damen und Herren, liegen die nachhaltigen Vorteile der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Meinungsbildung und an den Entscheidungen in ihren ureigenen Angelegenheiten mit den Mitteln direkter Demokratie. Plebiszite sind ein probates Mittel
gegen viele der Verkrustungen, die sich mit der Allmacht der Parteien über die parlamentarische Demokratie gelegt haben. Es ist ja eben nicht so sehr das Verdienst der Initiative für mehr Demokratie in Thüringen, einen Gesetzentwurf erarbeitet zu haben. Es ist vielmehr das Verdienst dieser Initiative aus mehr als 20 Verbänden und Parteien, Tausende Leute aktiviert, auf den Straßen und Plätzen dieses Landes mit Bürgerinnen und Bürgern über das Ansinnen dieses Volksbegehrens geredet zu haben, um sie zur Unterstützung zu bewegen. Sie haben damit etwas erreicht, was der parteienzentrierte Parlamentarismus nur noch selten leistet, nämlich eine hunderttausendfache Debatte über die Vor- und Nachteile der unmittelbaren Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern
an der Meinungsbildung und an den politischen Entscheidungen ihres Lebens. Im Zusammenwirken mit den Auseinandersetzungen der politischen Ebene selbst, den öffentlichen und wissenschaftlichen Foren und deren medialer Widerspiegelung ist dieses Volksbegehren vor allem die Initiale zu einem breiten gesellschaftlichen Diskurs über das, was unsere Demokratie eigentlich ausmacht, nämlich die Volkssouveränität. In einer Zeit, wo ein Generalsekretär der SPD auf Pressekonferenzen und in Talkshows die Freiheit des repräsentativen Mandats wegen Verstoßes gegen den Parteiegoismus fürs Schafott vorschlägt, kann dieser Effekt des Volksbegehrens nicht hoch genug geschätzt werden.
Und eines, meine Damen und Herren, sollten wir nicht vergessen, jedenfalls nicht wir hier im Osten. Es waren so genannte Minderheiten, die 1989 einer Kaste von Politikern und einem den Menschen entfremdeten System mit dem Ruf "Wir sind das Volk!" den Laufpass gegeben haben.
Es wundert nicht, dass in jenem Stabilitätskanon der Macht, z.B. im Lehrgebäude des Prozessvertreters der Landesregierung, nämlich bei Herrn Isensee, diese praktische Erfahrung deutscher Politik keine Rolle spielt.
Ich glaube also, meine Damen und Herren, wir sind gut beraten, wenn wir uns an dem orientieren, was Herr Huber aus Jena in seinem Gutachten als einen tragenden Wert des Volksbegehrens für mehr Demokratie in Thüringen festgestellt hat: Nicht die Gefährdung der Demokratie wäre eine Folge der Annahme des Gesetzentwurfs, sondern eine Optimierung des Demokratieprinzips.
Wir Abgeordnete sind neben allen unseren Tagesaufgaben diesem Grundverständnis unseres Mandats anhaltend verpflichtet. Die Art und Weise, wie hier im Hause mit dem Gesetzentwurf des Volksbegehrens umgegangen wurde, der Umstand, dass man die Mehrheit dieses Hauses zur politischen und gesetzlichen Pflicht regelrecht zwingen musste, das alles belegt, wie wichtig der unmittelbare Einfluss der Bürgerschaft auf die etablierte Politik ist und bleiben wird. Danke schön.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte mit einer kleinen Episode beginnen, einer Episode aus der mündlichen Verhandlung des Verfassungsgerichts, einer kleinen, aber, ich denke, außerordentlich erhellenden Episode. Einer der von der Regierung angerufenen Gutachter, ein seriöser, rechtschaffen konservativer Professor, bekennt während der Verhandlung: Da könnte doch jede kleine Gruppe kommen und behaupten, wir sind das Volk. Vom Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs aber dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass dieses mit den kleinen Gruppen und mit diesem komischen Ruf eine der wichtigsten Erfahrungen der Bürger und Bürgerinnen hierzulande sei, entgegnet unser Professor: Ich komme ja auch aus Bonn. Ich glaube,
der Professor hat hier weniger das geografische als das politische Bonn gemeint und wohl das politische Bonn der Ära Adenauer; das Bonn, in dem aus der falschen, damals sicherlich verständlichen Einschätzung, die Weimarer Republik wäre auch durch die Plebiszite gefährdet gewesen, die Aufnahme von plebiszitären Elementen in das Grundgesetz ein Tabu war; aus dem Bonn, in dem man sich getrost auf den Demokraten Theodor Heuss berufen konnte, der sagte, wegen der negativen Weimarer Erfahrung habe der parlamentarische Rat von der Aufnahme von Plebisziten ins Grundgesetz abgesehen. Wiewohl der Demokrat Heuss in diesem Moment auch außer Acht gelassen hatte, dass in den damals neu gegründeten Ländern die Möglichkeit der Plebiszite in die Länderverfassungen schon Eingang gefunden hatte.
Meine Damen und Herren, zwei Gedanken zu dieser kleinen Episode: Wir leben nicht mehr in diesem Bonn. Es hat sogar für alle, die es nicht wahr haben wollen, einen Umzug gegeben. Die CDU selbst hat begriffen, dass 40 oder 50 Jahre deutsche Geschichte verflossen sind. Sie hat es begriffen, wenn sie meint, es muss eine neue so
ziale Marktwirtschaft entwickelt werden und wenn sie die Ehrhardt'schen Gedanken revidiert. Mit dem Begriff der neuen sozialen Marktwirtschaft reagiert sie auf die Entwicklung der letzten 50 Jahre, auf Entwicklung der Marktwirtschaft und ich postuliere, nicht nur die Marktwirtschaft hat sich in den letzten 50 Jahren entwickelt, sondern auch die Verfassungswirklichkeit und die Wirklichkeit in dieser Bundesrepublik Deutschland.
Mein zweiter Gedanke: Der Professor aus Bonn hat offensichtlich die Erfahrung der Ostdeutschen kaum in sein Kalkül einbezogen. Ich finde das schade, aber eigentlich hat er auch nicht die Entwicklung der Verfassungswirklichkeit und Verfassung in den westdeutschen Bundesländern in den vergangenen 10 - 15 Jahren berücksichtigt, auch da hätte er zu anderen Schlüssen kommen müssen. Ich habe mir daraufhin dann sein Gutachten genau durchgelesen und es entspricht dem Eindruck, der sich mir während dieser kleinen geschilderten Episode offenbarte.
Meine Damen und Herren, für die Sozialdemokraten in diesem Hause erkläre ich heute und gerade auch heute Sie wissen, welcher Termin vor uns steht -, dass wir eindeutig zu dem Anliegen der Initiative stehen, plebiszitäre Demokratie nicht gegen, sondern an der Seite der parlamentarischen Demokratie erlebbar zu machen, harmonisch vereint. Ich hatte bereits in der ersten Lesung von der notwendigen Geburt der embryonal angelegten Plebiszite in der Verfassung gesprochen. Diese unsere eindeutige Haltung entspricht nicht Parteitaktik oder irgendeinem Zeitgeist, sondern es ist die gelebte Kontinuität sozialdemokratischer Politik. Herr Vogel, wenn Sie mir das glauben, dann
Herr Vogel, Sie kennen doch den Kaisersaal, der zu vielen repräsentativen Veranstaltungen auch Ihrer Partei genutzt wird. Stellen Sie sich diesen Kaisersaal 1891 vor, als das Erfurter Programm der Sozialdemokratie entwickelt wurde, stellen Sie sich dort 235 vielleicht meist rauschebärtige Delegierte vor, die zu einem Zeitpunkt, als es noch darum ging parlamentarische Demokratie überhaupt erlebbar zu machen, daran gedacht haben, dass es
auch plebiszitäre Elemente geben muss und die in das Erfurter Programm die Forderung nach direkter Gesetzgebung durch das Volk aufgenommen haben.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen vielmals. Und wenn natürlich der Ministerpräsident Vogel weiß, dass das Erfurter Programm später in Frage gestellt wird, so handelt es sich ja um ganz andere Begrifflichkeiten im Erfurter Programm, denn die Forderung nach der direkten Gesetzgebung durch das Volk ist nie wieder in Frage gestellt worden. Deswegen sage ich, wir handeln nicht nach Parteitaktik und Zeitgeist, sondern wir handeln in Kontinuität sozialdemokratischer Politik.
Ich kann Ihnen auch ein Wort zu Müntefering sagen. Ich weiß, wie schwierig es ist, und Sie wissen es auch in Ihrer Partei, die Soldaten - ich sag mal - in Reih und Glied zu halten...