Protocol of the Session on October 13, 2000

Meine Damen und Herren, ich eröffne die 29. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am heutigen 13. Oktober 2000. Ich darf die Damen und Herren Abgeordneten, Vertreter der Landesregierung und Gäste auf der Besuchertribüne herzlich begrüßen. Neben mir haben Abgeordnete Zitzmann und Abgeordneter Pohl Platz genommen. Abgeordneter Pohl wird die Rednerliste führen. Für die heutige Sitzung haben sich Minister Dr. Birkmann, Abgeordneter Böck, Abgeordneter Braasch, Abgeordneter Dittes, Abgeordnete Dr. Fischer, Abgeordneter Prof. Dr. Goebel, Abgeordneter Kölbel, Abgeordnete Lehmann, Abgeordnete Dr. Wildauer, Abgeordnete Katja Wolf, Abgeordnete Zimmer und Frau Vizepräsidentin Ellenberger entschuldigt.

Ich habe aber noch eine angenehme Aufgabe, und zwar darf ich unserem Innenminister, Herrn Christian Köckert, sehr herzlich zum Geburtstag gratulieren. Im Namen des hohen Hauses alles Gute, Herr Minister,

(Beifall im Hause)

und vor allen Dingen eine gute Hand bei Ihrer Amtsführung und weiter gute Zusammenarbeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir zur heutigen Tagesordnung. Ich darf den Tagesordnungspunkt 6 aufrufen

Einwilligung des Landtags in eine überplanmäßige Verpflichtungsermächtigung im Haushaltsjahr 2000 bei Kapitel 07 08 Titel 686 74 Antrag der Landesregierung - Drucksache 3/1003 dazu: Beschlussempfehlung des Haushaltsund Finanzausschusses - Drucksache 3/1031

Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Emde. Ich bitte Herrn Abgeordneten Emde den Bericht zu geben.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete, der eben benannte Antrag war vor der ersten Beratung bereits an den Haushalts- und Finanzausschuss überwiesen worden. Dieser Ausschuss hat ihn am 6. Oktober 2000 beraten. Es geht dabei um überplanmäßige Verpflichtungsermächtigungen in Kapitel 07 08, also Wirtschaftsministerium. Es geht darum, bis zu fünf Jahre laufende Maßnahmen im Rahmen des Programms "50 PLUS" auch durchfinanzieren und genehmigen zu können. Der Haushalts- und Fi

nanzausschuss empfiehlt und hat einstimmig dem stattgegeben, diesem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU)

Wir kommen zur Aussprache. Wortmeldungen liegen nicht vor, soweit ich sehe. Damit kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses in der Drucksache 3/1031. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke, das sieht fast nach Einstimmigkeit aus. Gegenprobe. Nicht der Fall. Enthaltungen? Das ist auch nicht der Fall, damit einstimmig angenommen. Ich darf den Tagesordnungspunkt 6 schließen und danke für die Zügigkeit dieser Beratung. Es ist abgestimmt und erledigt.

Jetzt kommen wir zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 7

Untersuchungsbericht des Justiz-Staatssekretärs a.D. Dr. Karl-Heinz Gasser zum Thüringer Verfassungsschutz Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 3/959

Wird Begründung gewünscht? Das ist nicht der Fall. Dann hat die Landesregierung angekündigt, den Sofortbericht zu geben. Ich bitte den Herrn Innenminister.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bedanke mich zu Beginn noch einmal für die freundlichen Glückwünsche.

Frau Präsidentin, im Namen der Landesregierung gebe ich den folgenden Sofortbericht zum Untersuchungsbericht des Staatssekretärs a.D. Dr. Karl-Heinz Gasser zum Verfassungsschutz in Thüringen. Ich bitte allerdings um Ihr Verständnis, wenn ich mich dabei - wie bereits in der Pressekonferenz am 1. September - auf den Untersuchungsgegenstand und einige Erkenntnisse und Schlussfolgerungen beschränke und inhaltlich nicht auf Einzelheiten des Berichts eingehe.

Wie Sie wissen, habe ich Herrn Staatssekretär a.D. Dr. Karl-Heinz Gasser am 13. Juni mit der Durchführung einer Untersuchung im Landesamt für Verfassungsschutz beauftragt. Er sollte die Vorwürfe prüfen, die in den vorangegangenen Wochen vor allem in den Medien gegenüber dem Landesamt und seinem am 8. Juni vom Dienst suspendierten Präsidenten erhoben worden waren. Er sollte zudem untersuchen, inwieweit sich bestimmte Vorgänge auf die Funktionsfähigkeit des Landesamts auswirken. Der Auftrag schloss insofern die Ermittlung von Ursachen für bestimmte Vorgänge mit ein als auch das Entwickeln

von Handlungsvorschlägen.

Herr Staatssekretär a.D. Dr. Gasser führte die beauftragte Untersuchung durch und übermittelte Ende August seinen schriftlichen Bericht. Ich habe daraufhin den Ministerpräsidenten über den Bericht informiert und empfohlen, Herrn Dr. Roewer von seinem Amt als Verfassungsschutzpräsident zu entbinden. Herr Ministerpräsident schlug dem Kabinett am 30. August daraufhin vor, Herrn Dr. Roewer in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen; das Kabinett hat dem zugestimmt. Daraufhin wurde Herr Dr. Roewer mit Urkunde vom 31. August diesen Jahres in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Der Vizepräsident Herr Nocken wurde von mir daraufhin beauftragt, bis zur Einsetzung eines neuen Präsidenten die Leitung der Behörde zu übernehmen. Das zuständige Gremium des Thüringer Landtags wurde von mir über Ergebnisse des Berichts unterrichtet.

Zunächst ein Wort zur Durchführung der Untersuchung: Herr Dr. Gasser hat mit allen Mitarbeitern des Amts und des zuständigen Referats im Ministerium ein Gespräch geführt. Allen Befragten wurde dabei die Vertraulichkeit ihrer Angaben zugesichert. Auf die Personalakten hatte Herr Dr. Gasser aus rechtlichen Gründen keinen Zugriff.

Nun zur allgemeinen Erkenntnislage: Heute ist deutlich, dass das Amt in Teilbereichen in seiner vollen Funktionsfähigkeit gestört war. Zudem wurde eine deutliche Unruhe, mangelnde Motivation und zum Teil auch Angst unter den Mitarbeitern deutlich. Nicht zuletzt die seit Jahren spürbaren Spannungen führten zu Spaltungsprozessen innerhalb des Amts, was für die Arbeit und die Leistungsfähigkeit des Amts insgesamt nicht förderlich war. Für die im Landesamt festzustellenden Missstände kann man mehrere Ursachen verantwortlich machen. Dazu zählt der Versuch einer Neuausrichtung des Amts. Offenbar waren bei der Leitung des Amts selbst keine klaren Vorstellungen und Grundziele vorhanden. Dies führte bei den Mitarbeitern zur Verunsicherung und zu Zweifeln an der fachlichen Qualität der neuen Linie. Zudem muss man wissen, dass damals - 1995/1996 - in der Öffentlichkeit mehrfach darüber geredet wurde, ob man den Verfassungsschutz überhaupt noch brauche. Verantwortlich handelnde Personen der damaligen Zeit sprachen von einer Abschaffung des Verfassungsschutzes. Auch das hat sicher nicht zur Beruhigung unter den Mitarbeitern des Landesamts beigetragen.

Zu den Ursachen für die Situation im Landesamt zählen auch grundlegende Fehler bei der Personalauswahl, bei der Personalstruktur und der Personalführung. Es wurden Mitarbeiter eingestellt und mit Aufgaben und Führungsfunktionen betraut, denen sie nicht gewachsen waren. Eine Vorbereitung auf ihre Tätigkeit durch Fach- und Führungslehrgänge unterblieb weitgehend. Diese Personalpolitik war sowohl gegenüber dem Amt, aber auch gegenüber den eingestellten neuen Mitarbeitern unverantwortlich. Diese Fehlentwicklung ging einher mit der unzureichen

den Fachaufsicht durch das zuständige Referat bzw. durch die zuständige Abteilung im Innenministerium.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass der 1995 unternommene Versuch der Neuausrichtung des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz gründlich misslungen ist. Soweit die damit verfolgten Ziele und Ideen überhaupt erkennbar sind, wurden sie jedenfalls nicht hinreichend innerhalb des Amts vermittelt. Deshalb scheiterte man gründlich bei der Umsetzung des an sich positiven Gedankens einer Modernisierung der Verfassungsschutzarbeit. Aufgrund vielfältiger fachlicher Mängel und persönlicher Fehler trat letztlich sogar das Gegenteil ein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir bitte einige Anmerkungen zum Vorgang "Dienel". Hinsichtlich der Bewertung der Tatsache, dass ein Mann wie Dienel als Informant eingesetzt wird, habe ich es schon im Juni als fraglich eingeschätzt, ob hier das notwendige Fingerspitzengefühl gezeigt wurde. Heute kann dies klar verneint werden. Der Einsatz von Dienel, so wie er stattgefunden hat, war sicher ein Fehler; dies aber nicht etwa, weil er der rechtsextremen Szene angehört. Wenn man über Erkenntnisse aus dieser Szene etwas erfahren will und man Informanten braucht, die Erkenntnisse aus dieser Szene vermitteln, dann müssen diese Informanten zwangsläufig dazugehören. Es war aber ein fachlicher Fehler, den ersten Mann einer Gruppierung als Informanten zu führen, da der Vorwurf, das Amt selbst führe über den Informanten diese Gruppierung, nicht ausreichend widerlegt werden kann.

Der Sachverhalt einer gemeinsamen Aktion des Landesamts und seines Informanten Dienel zu Lasten des Gewerkschaftsfunktionärs Lucifero - darüber wurde kürzlich in den Medien berichtet - wird zurzeit überprüft. Es wird nicht ausgeschlossen, dass dies eine der nicht wenigen Schutzbehauptungen Dienels ist, mit der er seine in manchen Kreise augenscheinlich diskreditierende Zusammenarbeit mit dem Landesamt stilisieren möchte.

Zur Heron-Verlagsgesellschaft: Hier wissen wir inzwischen, dass die Gründung dieses Verlags ursprünglich, und zwar in einem einzigen Fall, offenbar einen nachrichtendienstlichen Zweck erfüllte, danach aber der Verlag für die Öffentlichkeitsarbeit des Landesamts eingesetzt wurde. Dieses war letztlich breiteren Kreisen bekannt. Für nachrichtendienstliche Zwecke war er spätestens dadurch im hohen Maße ungeeignet. Die finanziellen Transaktionen zwischen dem Landesamt und dem Verlag sind mittlerweile Gegenstand einer eigenen Untersuchung des Landesrechnungshofs.

Zusammenfassend, meine Damen und Herren, kann man sagen, dass die in den letzten Jahren entstandenen Probleme und Funktionsstörungen beim Landesamt durch eine Reihe von Maßnahmen behebbar sind und die volle Funktionsfähigkeit des Amts wiederhergestellt werden kann. Daran arbeiten wir jetzt. Hierzu liegen konkrete Vor

schläge vor. Diese werden durch das Innenministerium geprüft. Ein Teil von ihnen befindet sich schon in der Umsetzung. Von Seiten des Innenministeriums besteht ein enger Kontakt mit der Leitung des Landesamts. Ich selbst habe sowohl mit dem Personalrat als auch in einer Dienstversammlung mit allen Bediensteten des Amts gesprochen. Lassen Sie mich eindeutig klarstellen: Es ist keineswegs beabsichtigt, das Landesamt aufzulösen und in das Innenministerium einzugliedern. Das Landesamt bleibt eine selbständige Behörde.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte bekräftigen, dass die vorhandenen Probleme und Funktionsschwächen des Amts reparabel sind. Gleichzeitig will ich an dieser Stelle noch einmal all das Reden von einer angeblichen Funktionsunfähgkeit des Landesamts für Verfassungsschutz zurückweisen. Insbesondere der Fraktionsvorsitzende der SPD tut sich in dieser Richtung hervor. Man gewinnt manchmal den Eindruck, dass all diejenigen, die die angebliche Funktionsunfähigkeit des Amts beklagen, möglicherweise dieses Amt nicht wollen, und man fragt sich schon, woher manche Leute diese Informationen haben wollen, die sie eigentlich nicht haben können. Vielleicht gibt uns der Fraktionsvorsitzende der SPD darüber Auskunft.

(Beifall bei der CDU)

Die Polizei hat in letzter Zeit eine Vielzahl von Einsätzen, u.a. auch gegen die rechtsextremistische Szene, erfolgreich durchführen können. Ohne die Zuarbeit auch des Landesamts für Verfassungsschutz wäre dies nicht so möglich gewesen. Dies gilt sowohl für die Verhinderung von Skinheadkonzerten, aber auch für die Erstellung von Gefährdungsprognosen im Vorfeld von rechtsextremistischen Demonstrationen. Ohne die konkreten Hinweise des Landesamts, die von der Polizei dann weitergegeben wurden, hätten manche Verbotsverfügungen in den vergangenen Monaten vor Gericht keinen Bestand gehabt. An dieser Stelle möchte ich dem Amt, was trotz der schwierigen Situation weiter seine Arbeit getan hat, danken.

(Beifall bei der CDU; Abg. Schemmel, SPD)

Das Kabinett hat in seiner Sitzung am vergangenen Dienstag über die Neubesetzung des Amts des Präsidenten des Landesamts beschlossen, der am 15. November 2000 sein Amt antritt; ein weiterer Schritt hin zu einer Beruhigung des Amts und zu einem Neubeginn ist damit getan. Ich bin mir sicher, dass es in relativ kurzer Zeit gelingen wird, das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz wieder in das für seine leistungsfähige Arbeit notwendige ruhige Fahrwasser zu steuern.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Untersuchungsbericht wurde vom Innenministerium in Auftrag gegeben, um in der nicht eindeutigen Situation ein klareres Bild zu gewinnen und um mögliche

Handlungsnotwendigkeiten zu erkennen. Der Bericht ist damit Teil internen Verwaltungshandelns. Es ist daher auch nicht daran gedacht, diesen Bericht zu veröffentlichen. Eine Veröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt würde zudem die Umsetzung der Untersuchungsergebnisse, das heißt die von allen gewollten Konsequenzen, gefährden bzw. zunichte machen. Nach Abschluss der im Amt notwendig durchzuführenden Maßnahmen kann er von den Mitgliedern des dafür zuständigen Gremiums dieses Hauses, das ist die Parlamentarische Kontrollkommission, eingesehen werden.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Bis jetzt noch nicht.)

Dem zweiten Teil des Antrags der SPD-Fraktion kann daher nicht entsprochen werden. Wenn Sie richtig zugehört haben, Herr Schemmel, ich habe gesagt: Nach Abschluss der im Amt notwendig durchzuführenden Maßnahmen kann er von den Mitgliedern des dafür zuständigen Gremiums dieses Hauses, der PKK, eingesehen werden.

(Beifall bei der CDU)

Wir kommen damit zur Aussprache. Ich gehe davon aus, dass sie beantragt wird.

(Zuruf Abg. Schemmel, SPD: Ja.)

Die SPD-Fraktion beantragt diese. Dann hat das Wort der Abgeordnete Schemmel.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Tatsache, dass unser Geburtstagskind jetzt uns allen gesagt hat, dass dieser Bericht der zuständigen Parlamentarischen Kontrollkommission bisher nicht vorliegt, die macht eigentlich unseren Antrag erst einmal so richtig wichtig, dass in diese Sache einmal ein gewisses Stück Öffentlichkeit hereinkommt.

(Beifall bei der SPD)

Ich meine, zum Berichtsersuchen mache ich mir keine Sorgen, wenn ich an den letzten Tagesordnungspunkt gestern Abend denke, als ein Berichtsersuchen als erfüllt stattgegeben wurde, bei dem der Minister Schuster selbst erklärt hatte, dass er den Bericht nur unvollständig vorgetragen hat und diese ruhmreiche Fraktion hier in der Mitte mit voller Kampfeskraft trotzdem dieses Berichtsersuchen als erfüllt angesehen hat.

(Beifall bei der SPD)

Dann muss ich einmal sagen, ist mir auch nicht bange, dass Ihnen ein solcher Bericht heute als Geburtstagsgeschenk überreicht wird und als erfüllt abgestimmt wird mit dieser gewaltigen Kraft dieser Einheitspartei in der Mitte.

(Beifall bei der SPD)

Aber nun einmal ein bisschen zur Erinnerung an die Vorgänge selbst. Ich will beim Antrag bleiben und heute gar nicht so grundsätzlich über Verfassungsschutz im Lande Thüringen sprechen. Im Landesamt für Verfassungsschutz - und wir brauchen nicht lange zurückzudenken - lag ja vieles im Argen, ging es drunter und drüber. Sie können sich erinnern an das Bekanntwerden von Quellen, an die Informationslecks und an die Personalquerelen. Das alles gipfelte folgerichtig nach einem schamhaften Zögern, wie es in solchen Fällen wohl immer der Fall ist, in der Versetzung des Präsidenten in den wohlverdienten Ruhestand.

Der Innenminister, unser Geburtstagskind, stellte damals fest: "Das Landesamt ist momentan in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt." Wenn das ein Innenminister eines Staates sagt, da können Sie sich ein Bild machen und da liegt die Beurteilung unter der Berücksichtigung, dass dies eine der Innenminister sagt, das andere der Oppositionsführer, da liegt die Beurteilung meiner Meinung nach sehr nahe beieinander. Dann ging es drunter und drüber in diesem Amt.