Protocol of the Session on March 16, 2000

Alle demokratischen Kräfte sind vielmehr aufgefordert, durch einen breiten gesellschaftlichen Grundkonsens die Ablehnung gegenüber allen extremistischen Kräften im rechten und im linken Bereich deutlich zum Ausdruck zu bringen. Wir sind doch schließlich vor zehn Jahren nicht auf die Straße gegangen, um uns jetzt von rechten und linken Extremisten auf eben diesen Straßen anpöbeln zu lassen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Es ist davon auszugehen, dass die in Thüringen angesiedelten rechtsextremen Parteien und Organisationen auch in Zukunft versuchen werden, hier durch öffentliche Veranstaltungen aktiv zu werden. Damit stellt sich die Frage, wie in Zukunft damit umgegangen werden soll. Über eine konkrete Maßnahme zur Extremismusbekämpfung mit Blick auf die Skinheadkonzerte habe ich Sie bereits in meiner Landtagsrede im Nachtrag zu Schorba informiert. Wir wollen erreichen, dass die Polizeikräfte eines Landes den Extremisten, wenn diese überraschend den Veranstaltungsort wechseln, automatisch auch ins Nachbarland folgen. Mit Sachsen und Sachsen-Anhalt haben wir bereits Übereinstimmung in diesen Fragen auf der Ministerebene erzielt. Wir werden jetzt dieses Thema noch in die entsprechende Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz einbringen, um dann eine Erweiterung der diesbezüglichen Verwaltungsvereinbarung zwischen den Ländern zu erreichen. Ich bin mir sicher, dass wir dadurch Überraschungen wie in Schorba weitestgehend vermeiden können. Ob sie ganz vermeidbar sind, wage ich hier nicht zu behaupten. Wie Sie wissen, gab es kürzlich ähnliche Probleme in Schleswig-Holstein, Nähe Bad Segeberg, nachdem eine angemeldete Veranstaltung in Niedersachsen verboten worden war und die Skinhaeds nach Schleswig-Holstein ausgewichen sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zur Bekämpfung extremistischer Straftaten habe ich bereits vor zwei Wochen ein umfassendes polizeiliches Konzept der Öffentlichkeit vorgestellt. Im Freistaat wird in Zukunft bei der Extremismusbekämpfung eine konsequente harte Linie gefahren. Durch Polizeimaßnahmen soll die extremistische und gewaltbereite Szene in Thüringen systematisch verunsichert werden. Es soll ein permanent hoher Überwachungs- und Verfolgungsdruck auf die extremistische Szene im Freistaat ausgeübt werden und ihre unpolitischen Mitläufer sollen dabei aus der Anonymität herausgeholt werden, um dadurch den Rädelsführern das Nachwuchspotenzial zu entziehen. Dies erscheint uns eine Chance zu sein, den rechtsradikalen Sumpf allmählich trockenlegen zu können. Die Konzeption zur Extremismusbekämpfung, die polizeiliche Konzeption beinhaltet hierzu konkrete von der Polizei umzusetzende Maßnahmen. Im präventiven Bereich soll die Polizei z.B. durch verdeckte Maßnahmen verstärkt zur Verhinderung von Straftaten beitragen. Regelmäßig sollen bei den einschlägig bekannten Szenetreffs Razzien und Personenkontrollen durchgeführt werden. Im Vorfeld von Veranstaltungen wie etwa Geburtsund Todestage früherer Nazigrößen sollen einschlägig bekannte Rechtsextremisten notfalls per Vorladung von der Polizei über Art, Datum und Ort von Veranstaltungen befragt werden. Die Vorladung kann mit einem Zwangsgeld von bis zu 5.000 DM durchgesetzt werden. Diese polizeiliche Konzeption sieht auch vor, den Verfassungsschutz noch stärker bei der Extremismusbekämpfung einzusetzen.

(Beifall bei der CDU)

Vor allem soll herausgefunden werden, aus welchen Quellen sich die extremistischen Organisationen finanzieren. Zudem sollen die Thüringer Verfassungsschützer ihren Beitrag dazu leisten, dass sich Extremisten an keinem Ort im Freistaat unbeobachtet fühlen können. Wir stehen mit dieser Vorgehensweise übrigens nicht allein. Beispielsweise hat der bayerische Innenminister Beckstein erst an diesem Montag bei der Vorstellung seines Verfassungsschutzberichts eine ebenso harte und klare Vorgehensweise gegenüber extremistischen Gewalttätern angekündigt. Auch Bundesminister Otto Schily hat in dieser Woche geklärt, dass jegliche Gewaltaktionen zur Durchsetzung politischer Anliegen unter keinen Umständen akzeptiert werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weise darauf hin, dass ich dieses Konzept bereits in der Landtagsdebatte zu Schorba im Dezember letzten Jahres angekündigt hatte. Denn gerade die Ereignisse von Schorba haben in einer bemerkenswerten Art und Weise deutlich gemacht, dass es bislang für das polizeiliche Tätigwerden zur Extremismusbekämpfung zwar einzelne Anweisungen gab, aber noch keine Gesamtkonzeption. Dies vielleicht zu Ihren Äußerungen in der Öffentlichkeit, Herr Pohl. Das Neue an dieser Konzeption besteht daher darin, dass hier erstmals ein umfassender Maßnahmen- und Aufgabenkatalog, eine Sammlung von Leitlinien und konkreten Handlungsanweisungen für den Einsatz der Polizei zusammengetragen und zum Teil neu gefasst wurde. Gleichzeitig wird von den Polizisten gefordert, den zur Verfügung stehenden Spielraum im präventiven und repressiven Bereich mit dem Ziel der Extremismusbekämpfung voll auszuschöpfen. Die Polizisten vor Ort können damit auch sicher gehen, dass sie für das von ihnen nunmehr geforderte harte Vorgehen die volle Rückendeckung haben.

(Beifall bei der CDU)

Für die Polizei galt in der vergangenen Legislatur wohl eher die Regelung, es darf nichts passieren. Offenbar hatte man Angst davor, dass ein hartes Vorgehen vielleicht einmal Wellen schlagen würde und dadurch bekannt werden könnte, dass ausgerechnet unter einem SPD-Innenminister es zu der bereits genannten Häufung rechtsradikaler Aktionen in Thüringen kommen konnte.

Das Polizeikonzept zur Extremismusbekämpfung, meine Damen und Herren, bietet die Grundlage für eine entschiedene und konsequente Bekämpfung sowohl des Rechtswie auch des Linksextremismus. Der Rechtsstaat darf weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge blind sein.

(Beifall bei der CDU)

Umso weniger kann ich aktuelle Meinungsäußerungen akzeptieren, wonach man doch Verständnis haben müsse für die Gewaltbereitschaft der linken Störer in Erfurt. Die gefährlichste Äußerung kam hierbei vom jetzigen Thüringer Vorsitzenden der Gewerkschaft HBV, der sogar eine Entschuldigung bei den linken Störern forderte und sich

dagegen aussprach, die Handlungen der Störer zu kriminalisieren. Was er damit konkret einforderte, ist doch nichts anderes als ein Straftatenbonus für Gewaltbereite, in diesem Falle gewaltbereite Linke. Wohin soll das aber führen, meine Damen und Herren, wenn Gewerkschaftsführer in beispielloser Manier dazu aufrufen, Straftaten zu ignorieren oder zu verharmlosen?

(Beifall bei der CDU)

Im Übrigen, der Aufschrei im rechtsextremen Bereich nach der Vorstellung der Extremismuskonzeption zeigt zumindest, dass wir an richtigen Stellen angesetzt haben. Im nationalen Infotelefon der rechten Szene spricht man jetzt bezüglich unserer angekündigten Maßnahmen gegen die Rechtsextremisten von einer Missachtung von Grundrechten der nationalen Deutschen. Offenbar hat man Angst, dass so genannte nationale Versammlungen jetzt nicht mehr so einfach stattfinden können, womit sie sicherlich auch Recht haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich bitte nochmals bezüglich der IWG-Demonstration am letzten Februar-Samstag in Erfurt eines klar herausstellen: Es gab keinen rechtlichen Grund für das Ordnungsamt Erfurt, die Demonstration zu verbieten. Wer anderes behauptet, erzählt blanken Unsinn. Das Versammlungsrecht hat Verfassungsrang. Auch das scheint manchen, auch der Abgeordnetenkollegen, nicht gänzlich klar zu sein. Das Versammlungsrecht genießt absoluten Vorrang vor den jeweiligen Polizeigesetzen der Länder. Das Versammlungsgesetz selbst und die bisherige Rechtsprechung dazu setzen den Rahmen für ein Verbot extrem eng. Ein Verbot wäre durch das Verwaltungsgericht wie in vielen anderen Städten auch wieder aufgehoben worden. Die Rechtsradikalen hätten nur einen weiteren großen Sieg vor Gericht feiern können und dann sogar noch mit gerichtlicher Erlaubnis demonstrieren dürfen, ganz so wie das am vergangenen Wochenende in Berlin der Fall war. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit kann gemäß Artikel 8 Abs. 2 Grundgesetz eingeschränkt werden. Dieses ist durch das Versammlungsgesetz geschehen und dort sind die Verbotsgründe aufgeführt. Danach kann es aber nur um den Schutz gleichwertiger Rechtsgüter gehen. Insofern haben sich behördliche Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Solche Schutzgüter müssen in ihrer Wertigkeit der Versammlungsfreiheit entsprechen. Damit man sieht, wie hoch die Versammlungsfreiheit im Grundgesetz verankert ist, kann man die vergleichbaren Rechtsgüter als Beispiel heranziehen. Das sind z.B. das Leben, die Gesundheit, die Freiheit oder der Bestand des Staates und seiner Einrichtungen. Wenn nun sogar der Herr Kollege Dittes - wo sitzt er denn, ach ja, er steht dort hinten - der Überzeugung ist, dass Verbote von Demonstrationen nicht der richtige Weg sind, sollte dies vielleicht zu denken geben. Herr Dittes hat sicherlich gemerkt, dass die Einschränkung der Versammlungsfreiheit, die ein solches Demonstrationsverbot erfordert hätte, irgendwann auch einmal gegen die linksextremistische

Szene und gegen linksextremistische Gruppierungen gerichtet werden könnte.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, dass andere diese Grundrechtsbeschränkung als Zivilcourage bezeichnen würden, so ein Kommentar z.B. in einer großen Thüringer Tageszeitung, aber so klang es auch an bei Ihnen, Herr Hahnemann, in der Einbringung des PDS-Antrags, dieses ist für mich jedenfalls überhaupt nicht nachvollziehbar. Die Auswertung der letzten Polizeieinsätze in Gera und in Erfurt hat ergeben, dass die Polizei korrekt gehandelt hat. Straftaten wurden noch an Ort und Stelle verfolgt. Die weitere Bearbeitung der Fälle wurde an die Staatsanwaltschaft übergeben. Die Straftaten bleiben somit nicht ohne Folgen. Die Zusammenarbeit zwischen den Ordnungsämtern der Städte Gera, Erfurt und im Landesverwaltungsamt und der Polizei hat sehr gut funktioniert. Auf den engen Spielraum beim Demonstrationsrecht habe ich hingewiesen. Es soll jetzt aber als Ergebnis der Auswertung von Gera und Erfurt bei zukünftigen Anmeldungen von Demonstrationen größter Wert auf die Einschätzung der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gelegt werden, dies insbesondere, wenn damit zu rechnen sein wird, dass gewaltbereite Skins teilnehmen. Das ist unseres Erachtens der einzige Weg, um den Ordnungsämtern ein Verbot von Demonstrationen politischer Extremisten im Vorfeld zu ermöglichen.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Keine neue Erkenntnis.)

Dazu sollen die Polizei, Versammlungsbehörden, Verfassungsschutz und weitere Stellen noch effizienter als bislang zusammenarbeiten. Auch die benachbarten Bundesländer sollen mit einbezogen werden. Doch irren wir uns nicht, es wird auch in Zukunft für die jeweiligen Kommunen nur selten möglich sein, eine Demonstration extremistischer Gruppen zu verbieten. Die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit gelten eben auch für diejenigen Personen, für die Bürger mit demokratischer Gesinnung nur Abscheu empfinden können. Bei der Prüfung von Verbotsmöglichkeiten sollte aber in Zukunft der enge Spielraum bis zur Grenze der Rechtsstaatlichkeit ausgeschöpft werden. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich selbst kenne kein Ordnungsamt, das mit dieser Frage leichtfertig umgeht. Ich bin mir ganz sicher, dass sie alle Möglichkeiten für ein Verbot prüfen, und selbstverständlich wird das Landesverwaltungsamt auch in Zukunft allen Städten und Landkreisen dafür beratend zur Seite stehen. Nicht umsonst hat die Stadt Gera die Zusammenarbeit mit dem Landesverwaltungsamt ausdrücklich gelobt. Das Landesverwaltungsamt soll zudem bei den Demonstrationen, die nicht verboten werden können, in enger Zusammenarbeit mit dem Ordnungsamt vor Ort noch stärker die Möglichkeiten ausloten, um zumindest durch Auflagen und eventuell durch Einflussnahme auf Zeit und Ort der Demonstration so gut es geht den Imagescha

den für das Land zu begrenzen. Der Rechtsstaat muss hier Zähne zeigen und deutlich machen, dass Aufzüge wie in Gera oder Erfurt in Thüringen nicht erwünscht sind. Und die Polizei wird auch von der Möglichkeit Gebrauch machen, gegebenenfalls vor Ort ergänzende oder verschärfende Auflagen zu erteilen und deren Einhaltung genau zu kontrollieren. Werden diese Auflagen dann nicht eingehalten, wird die Polizei keine Scheu haben, die Versammlung aufzulösen.

Lassen Sie mich kurz als Einschub zu einem Punkt kommen, der, denke ich, wichtig ist bei der Behandlung dieser ganzen Angelegenheit. Einer der wesentlichen Unterschiede im Ablauf der Demonstrationen in Erfurt und in Gera ist folgender: In Gera gab es zwei angemeldete Aufzüge und durch die Auflagen des Ordnungsamts in Gera und durch die Maßnahmen des Polizeiführers vor Ort konnten in Gera die beiden gegnerischen Demonstrationszüge voneinander getrennt gehalten werden. Dies war die wesentliche Voraussetzung dafür, dass es in Gera nicht zu den Zwischenfällen kam, wie wir sie in Erfurt leider feststellen mussten. Denn, meine Damen und Herren, wie soll die Polizei vor Ort streng auch noch mit zusätzlichen Auflagen gegenüber angemeldeten Demonstrationen von Rechtsextremisten vorgehen, wenn sie ständig zu tun hat mit der Abwehr linksextremer Störer? Das müssen Sie mir mal erklären.

(Beifall bei der CDU)

Nicht zuletzt aus diesem sehr einleuchtenden Vergleich des Ablaufs der beiden Demonstrationen von Gera und Erfurt habe ich dann in der Folgediskussion angeraten, dass es doch ein viel deutlicheres Zeichen ist, wenn Gegendemonstrationen nicht unbedingt gleichzeitig stattfinden. Der Sinn einer gleichzeitig stattfindenden Gegendemonstration ist mir sowieso nicht klar. Das Zeichen einer starken Gegendemonstration ist mindestens genauso umfänglich und stark und noch viel wirkungsvoller, wenn man die gesammelte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich allein richten kann, meine Damen und Herren.

Es ist mir natürlich klar, wenn wir noch einmal zu der Problematik "Veranstaltungsanmeldung" kommen, dass fast alle fein raus wären, wenn die Ordnungsämter es einfach darauf ankommen lassen würden, wenn sie wider besseres Wissen eine angemeldete Demonstration, für die es keine Verbotsgründe gibt, einfach verbieten würden. Die Buhmänner wären dann nicht mehr die Stadtverwaltung oder das Landesverwaltungsamt oder das Innenministerium, nein, man würde mit leichtfertigen, aber rechtlich unhaltbaren Verbotsverfügungen den schwarzen Peter der Justiz zuspielen. Im Klartext: Zuerst würde die Verwaltung womöglich sogar gegen Recht und Gesetz verstoßen, um dann mit anzusehen, wie sich die ganze Empörung der Bevölkerung auf die Gerichte entlädt, wenn diese rechtlich notwendigerweise die Verbote wieder einkassieren müssen. Wie schon gesagt, ich kann mir gut vorstellen, dass den Rechtsradikalen ein solches Vorgehen gewiss gut in den

Kram passt. Aber auch die Linksradikalen würden in ihrer Kritik nicht nachlassen. Anstelle von Zweifeln an den Politikern würden dann Zweifel am Rechtsstaat geäußert werden und man würde den Richtern vorwerfen, dass sie auf dem rechten Auge blind seien. Und nicht wenigen bei den Linksradikalen würde dies gewiss sogar besser in ihr Kampfkonzept gegen den demokratischen Staat passen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Versuche, Demonstrationen der NPD zu verbieten, gab es in der Vergangenheit immer wieder. Ich erinnere daran, dass die NPD in den letzten beiden Jahren in Dresden, Leipzig, Chemnitz, Goslar, Nürnberg, Göppingen, Münster, Rostock, Bonn, Hannover, Kiel, Magdeburg, Angermünde, Köln, Lüneburg, Osnabrück und Rosenheim Kundgebungen angemeldet hatte. Alle diese Demonstrationen wurden von der jeweiligen Stadt verboten. Alle Kundgebungen haben aber dennoch stattgefunden, weil alle Verbote von den Gerichten wieder aufgehoben wurden. Bei den einzelnen Demonstrationen gab es zum Teil 3.000 oder 5.000 Teilnehmer und in einigen Fällen sogar massive Ausschreitungen. Aber keinem der Politiker dort, jedenfalls ist es mir nicht bekannt, sind diese schwachsinnigen Äußerungen eingefallen, dass nun gerade Sachsen oder Bayern oder Niedersachsen Aufmarschgebiet der Rechtsradikalen würde. Nicht zuletzt erinnere ich an die Ereignisse vom letzten Wochenende in Berlin, dass es gelang, die Rechtsradikalen am erneuten Durchmarsch durch das Brandenburger Tor zu hindern. Das war hoffentlich ein dauerhafter Erfolg und wird sich bei zukünftigen Aufzügen so wiederholen lassen.

Die Kundgebung selbst konnte aber nicht verhindert werden und dies, obwohl der Imageschaden für ganz Deutschland durch den Neonaziaufmarsch in Berlin wohl kaum noch größer sein kann. Der jetzt immer wieder zu hörende Appell an Politiker nach Gesetzesänderungen macht meines Erachtens in erster Linie nur eines deutlich, dass man nämlich die grundgesetzlichen Verankerungen der Versammlungsfreiheit nicht begriffen hat. Wer die Versammlungsfreiheit für politische Extremisten einschränken möchte, der muss das Grundgesetz ändern und der muss sich aber auch der Gefahr bewusst sein, dass die Einschätzung, wer Extremist ist, je nach eigenem Standpunkt eine sehr unterschiedliche sein kann. Kann man denn wirklich davon ausgehen, dass Deutschland auch in Zukunft immer von Parteien regiert wird, die sich um die politische Mitte gruppieren, meine Damen und Herren? Die Stärke einer Demokratie zeigt sich doch darin, dass sie mit dem Gedankengut und den Aktionen der politischen Extremisten gesellschaftlich, politisch und, sofern es sich um Straftaten handelt, auch polizeilich umzugehen versteht.

Meine Damen und Herren, die Polizei kann aber nur die polizeilich relevanten und strafrechtlich sanktionierten Ausformungen extremistischer Bestrebungen bekämpfen. Sie kann nicht deren Ursachen und Wurzeln beseitigen. Das

ist auch nie behauptet worden, auch nicht bei der Vorstellung des polizeilichen Konzepts zur Extremismusbekämpfung. Deshalb läuft die Kritik, die an dieses Konzept gestellt wurde, eigentlich ins Leere. Die Extremismusbekämpfung, das ist uns sicher allen klar, ist in der Tat eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die bereits in der Familie und in der Schule beginnen muss. Die Bekämpfung darf zudem nicht erst dann gestartet werden, wenn der Extremismus bereits auf der Straße sichtbar wird. Es muss vielmehr bereits dann gehandelt werden, wenn sich die ersten Ansätze dafür durch irgendwelche leichtfertigen Äußerungen oder Handlungen ankündigen. Und die Extremismusprävention ist natürlich auch Aufgabe der Eltern. Eine Erziehung ohne ausreichende Wertevermittlung fördert Intoleranz und Gewaltbereitschaft. Der politische Extremismus ist damit eine Herausforderung an alle demokratischen Kräfte unseres Landes, aber die Stärke einer Demokratie zeigt sich ja gerade darin, diese Herausforderungen zu meistern.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit zu dem Sofortbericht.

(Beifall bei der CDU)

Damit ist der Sofortbericht gegeben. Das Verlangen nach Aussprache ist mir auch bereits signalisiert worden; ich denke, darüber müssen wir nicht eigens abstimmen. Es liegen schon entsprechende Redemeldungen vor. Es hat zunächst das Wort der Abgeordnete Pohl, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, erprobt die politische Rechte Thüringen als Aufmarschgebiet? Ereignisse wie die Randale anlässlich eines Skinkonzerts im vergangenen Herbst in Schorba und die Demonstration gegen ein Asylbewerberheim am 12. Februar dieses Jahres in Gera sprechen dafür. Die Frage hat sich erneut nicht nur mir gestellt, als am 26. Februar dieses Jahres mehrere Hundert Neonazis und Skinheads durch die Landeshauptstadt marschiert sind und lauthals ihre Parolen brüllten.

Meine Damen und Herren, die Thüringer dürfen nicht in den Ruf kommen, auf dem rechten Auge blind zu sein.

(Beifall bei der SPD)

Die über 1.000 Teilnehmer der Demonstration am vergangenen Wochenende in Erfurt haben aber auch gezeigt, dass dem nicht so ist.

(Beifall Abg. Emde, CDU)

Rechte, die glauben, in Thüringen ein Heimspiel zu haben, haben am vergangenen Wochenende in Erfurt gezeigt bekommen, dass sie den entschiedenen Widerstand fast aller demokratischer Kräfte in Thüringen zu spüren bekamen.

(Beifall bei der SPD)

Die Thüringer CDU und die von ihr getragene Landesregierung haben allerdings durch ihre Nichtteilnahme nicht dazu beigetragen, ihren Willen auch an diesem Sonnabend gegen Rechts zu begründen. Da hilft auch das Auftreten eines einzelnen Erfurter Oberbürgermeisters nichts. Indes traf sich die Thüringer CDU mit ihrer hessischen Schwesterpartei, die im vergangenen Jahr die Landtagswahlen durch die Mobilisierung der Stammtische gegen die doppelte Staatsbürgerschaft für sich entschieden hat, und das war sehr viel wichtiger.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es war seit den Randalen von ca. 1.000 Neonazis am 13. November letzten Jahres in Schorba nicht das erste Mal, dass Innenministerium und Verfassungsschutz von den Ereignissen überrascht wurden. Es scheint, dass die Aufklärung im Vorfeld und die Zusammenarbeit mit den zuständigen Ordnungsbehörden völlig vernachlässigt worden ist.

Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat in der Aktuellen Stunde zu den Ereignissen in Schorba vom zuständigen Innenminister gefordert, die Aufklärung im Vorfeld zu verstärken und die Kooperation mit dem Verfassungsschutz zu intensivieren. Obwohl Sie das auch nach den Ereignissen in Schorba, Herr Innenminister, uns hier verkündet haben, ist nicht viel passiert. Unbelehrbar wurden wieder die gleichen Fehler wie damals begangen. Die Frage der fehlerhaften oder überhaupt nicht erfolgten Ermittlungen im Vorfeld stellt sich gerade bei dem Aufmarsch der Rechten in Erfurt im besonderen Maße. Aus diesen Gründen haben wir die Landesregierung um einen Bericht gebeten. Wo Fehler und Versäumnisse so offenkundig hervortreten wie hier, hat das Parlament die besondere Verantwortung, Kontrolle auszuüben und eben auch Rechenschaft zu verlangen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Innenminister, das, was wir heute von Ihnen gehört haben, war für uns alle hier oder wenigstens für viele nicht richtig befriedigend.

(Beifall bei der SPD)

Schon im Vorfeld hat mich gestört, dass Sie die besondere Verantwortung, die mit diesen Ereignissen zusammenhängt, nicht annehmen. Schon einen Tag nach den Ereignissen wiesen Sie alle Vorwürfe als haltlos zurück und machten die anderen für alles verantwortlich. Meiner Partei warfen Sie

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Mit Recht!)