Protocol of the Session on April 2, 2004

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, sehr verehrte Vertreter der Landesregierung, verehrte Gäste auf der Besuchertribüne, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie alle sehr herzlich zur heutigen 104. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 2. April 2004. Neben mir haben Platz genommen als Schriftführer Frau Abgeordnete Wolf und Herr Abgeordneter Panse. Herr Abgeordneter Panse wird die Rednerliste führen. Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Herr Ministerpräsident Althaus, Herr Minister Kaiser, Herr Minister Dr. Sklenar, Frau Abgeordnete Dr. Klaus, Herr Abgeordneter Michel, Frau Abgeordnete Nitzpon, Herr Abgeordneter Dr. Pidde, Herr Abgeordneter Schemmel, Frau Abgeordnete Tasch, Herr Abgeordneter Dr. Vogel. Dann darf ich dem hohen Haus mitteilen und möchte sehr herzlich gratulieren - man sieht es schon an den Blumen -, dass unser Kollege Dr. Hahnemann heute seinen Geburtstag, und zwar den 50. Geburtstag hat. Ich möchte sehr herzlich gratulieren, ihm alles Gute wünschen, Wohlergehen und eine gute Zeit.

(Beifall im Hause)

Dann habe ich noch - ja, Herr Abgeordneter Pohl.

Frau Präsidentin, zur Geschäftsordnung. Sehr geehrte Frau Präsidentin, im Namen meiner Fraktion beantrage ich, dass der eingereichte Antrag "Täuschung der Öffentlichkeit über den Weiterbau der ICE-Trasse NürnbergErfurt und den ICE-Bahnhof Erfurt durch Mitglieder der Thüringer Landesregierung" der SPD-Fraktion in der Drucksache 3/4150, der bisher nicht auf der Tagesordnung steht, in der heutigen Plenarsitzung nach den weiteren Anträgen beraten wird. Die Dringlichkeit des Antrags wird mein Fraktionskollege Frieder Lippmann begründen.

Dann hören wir die Begründung der Dringlichkeit. Dass er bisher nicht auf der Tagesordnung steht, versteht sich von selbst, denn er lag gestern Morgen noch nicht vor, aber jetzt hören wir die Dringlichkeit und bei entsprechenden Mehrheiten ist es selbstverständlich möglich, ihn draufzusetzen. Ich bitte, dass dem Kollegen Lippmann jetzt zugehört wird und der Kollege Lippmann das Wort ergreift.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, es hat in den letzten Tagen widersprüchliche Pressemit

teilungen zum Bau der ICE-Trasse Erfurt-Nürnberg gegeben. Es hat zum Teil sich widersprechende Äußerungen von Bahnchef Mehdorn und dem Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur Reinholz zu einem Treffen der beiden gegeben. Es hat eine Fülle von Pressemitteilungen der Landesregierung dazu gegeben, die dem ganzen Projekt nicht nur nicht dienlich, sondern dem ganzen Projekt schädlich sind. Wir fordern die Landesregierung auf, diese Angelegenheit hier richtig zu stellen

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Ein Witz.)

(Unruhe bei der CDU)

und Bericht zu geben. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Gut, das war die Begründung der Dringlichkeit. Es ist bei Aufnahme eine Fristverkürzung notwendig, eine Zweidrittelmehrheit, deswegen frage ich, wer stimmt der Fristverkürzung zu, damit wir diesen Antrag auf die Tagesordnung nehmen, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind keine zwei Drittel. Wer ist dagegen? Danke. Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall - ach doch, Herr Nothnagel enthält sich; etliche Enthaltungen sagen meine Schriftführer. Gut, jedenfalls ist die Zweidrittelmehrheit, die notwendig wäre für eine Aufsetzung, nicht erreicht und daher bleibt dieser Antrag dann für das Plenum im Mai.

Jetzt komme ich zur Tagesordnung, wie sie gestern festgestellt wurde, und zwar zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 1

Regierungserklärung des Innenministers zum Thema: "Stadtumbau - Mehr Wohnund Lebensqualität für unsere Bürger" dazu: Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 3/4119

Ich darf Sie, sehr verehrter Herr Innenminister Trautvetter, bitten, uns die Regierungserklärung abzugeben.

Vielen Dank. Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, seit 1990 ist es im Freistaat zu einer entscheidenden Verbesserung der Wohnund Lebensqualität gekommen.

(Beifall bei der CDU)

Diese Entwicklung hat die Landesregierung durch eine gezielte Förderpolitik und die Setzung von Rahmenbedingungen für die Gestaltung des Stadtumbauprozesses maßgeblich bestimmt.

(Beifall bei der CDU)

Unter Stadtumbau versteht die Landesregierung die umfassende Aufgabe für modernen, zukunftsorientierten Wohnungs- und Städtebau. Stadtumbau ist und bleibt deshalb ein Kernelement unserer Politik.

(Beifall bei der CDU)

Entscheidender Maßstab war und ist dabei stets das Interesse der Menschen in unserem Land. Wohnungs- und Städtebau schafft Rahmenbedingungen für Lebensqualität und gestaltet maßgeblich die Lebensumwelt. Die Wohnung ist Ort der Geborgenheit, bietet Zuflucht und Sicherheit, ist Lebensraum der Familie. Über die Wohnung hinaus bilden unsere Städte und Gemeinden das Umfeld für unser tägliches Leben, für unser wirtschaftliches Handeln, aber auch für unsere emotionale und kulturelle Bindung. Lebensqualität und Städtebau gehören eng zusammen. Die Infrastruktur im sozialen, kulturellen und technischen Bereich - nicht zuletzt Handels- und Dienstleistungseinrichtungen oder Einrichtungen für vielfältige Freizeitaktivitäten - eröffnen Möglichkeiten zu Kommunikation. Ziel unserer Wohnungs- und Städtebaupolitik ist ein Mehr an Lebensqualität sowohl im unmittelbaren privaten als auch im öffentlichen Bereich. Lassen Sie es mich auf eine Formel bringen: Wir wollen mehr Stadt, wir wollen mehr Urbanität. Unsere Politik trägt dabei der Struktur unseres Landes Rechnung; sie ist auf die reiche Landschaft an Klein- und Mittelstädten ebenso ausgerichtet wie auf den ländlichen Raum und seine Gemeinden.

(Beifall bei der CDU)

Wohnungs- und Städtebau ist für die Landesregierung ein entscheidendes Politikfeld, denn es geht um die unmittelbare Betroffenheit aller Bürgerinnen und Mitbürger, um die langfristigen Wirkungen, um die außerordentlich hohe Komplexität der Entscheidungen. Wohnungs- und Städtebau ist eng verknüpft mit Maßnahmen in den Bereichen Soziales und Familie, Wirtschaft, Umwelt und Denkmalschutz.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, verantwortliche Entscheidungen zum Wohnungs- und Städtebau bedürfen einer gründlichen Analyse der Ausgangssituation sowie einer realistischen Prognose unseres künftigen Bedarfs. Die Bedarfsprognose aller Teilbereiche wird maßgeblich von der demographischen Entwicklung unseres Landes bestimmt und eine oberflächliche Betrachtung lässt manchen vorschnell zu der Entscheidung kommen, der Bevölkerungsrückgang werde automatisch auch Aufgaben im Woh

nungs- und Städtebau lösen. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere demographische Entwicklung stellt für die Entwicklung unserer Städte und Gemeinden, für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur eine wachsende politische Herausforderung dar. Unser Ziel ist ehrgeizig. Trotz der schwierigen demographischen Rahmenbedingungen wollen wir die Chancen für eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung nutzen. Der Freistaat steht hier in vorderster Reihe. Die Landesregierung hat die demographische Entwicklung frühzeitig erkannt und in ihre politischen Entscheidungen einbezogen. Über die Komplexität und Vielschichtigkeit der Auswirkungen der demographischen Entwicklung haben wir uns keinen Illusionen hingegeben. Nur so war und ist es möglich, die Folgen der Bevölkerungsentwicklung durch aktives politisches Handeln zu meistern. Nahezu alle Politikfelder werden schon heute von der Bevölkerungsentwicklung bestimmt. Diese Entwicklung wird in den nächsten Jahren noch einschneidender. Die Vorstellung, Bevölkerungsentwicklung sei ausschließlich ein Problem der Wohnungswirtschaft, des Städtebaus und der Landesplanung, muss sich von der Wirklichkeit korrigieren lassen. Die Landesregierung hat von Anfang an darauf gesetzt, in diesem schwierigen Prozess Agierende und nicht nur Reagierende zu sein. So hat für die Landesregierung die Familienpolitik einen hohen politischen Stellenwert.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich an dieser Stelle nur die Initiativen der Landesregierung erwähnen, die darauf abzielen, ein neues zukunftsorientiertes Familienbild als gesellschaftliches Leitbild zu vermitteln. Gerade das Bild von der Familie als zukunftsfähiger Lebensform hat in Deutschland während der vergangenen Jahrzehnte nicht immer im Mittelpunkt des politischen Handelns gestanden. Familie und das Ja zu Kindern ist eng verknüpft mit wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und das Landesbündnis für Familie, das unser Ministerpräsident ins Leben gerufen hat, soll sich mit diesen Rahmenbedingungen befassen und Vorschläge für deren weitere Verbesserung unterbreiten. Wir wollen eine familienfreundliche Atmosphäre in Städten und Gemeinden schaffen und brauchen junge Familien, damit Stadt und Gemeinde lebendig bleiben. Ein wesentliches Instrument hierfür bildet die Gründung lokaler Bündnisse für Familien. Denn Familien sind die wichtigste Zukunftsgarantie für unsere Städte und Gemeinden.

(Beifall bei der CDU)

Die Aussicht auf eine sichere wirtschaftliche Zukunft in Thüringen ist nicht nur geeignet, die Bürger an unser Land zu binden; sie erleichtert auch den Wunsch nach Familie und damit nach Kindern. Beide Aspekte sind für die Zukunft Thüringens von großer Bedeutung. Die Rahmenbedingungen, die die Bundesregierung in den letzten Jahren zu verantworten hat, geben nicht die erforderlichen Impulse. Die zögerliche Reformpolitik des Bundes hat ganz entscheidend zur Verschlechterung der Zukunftsperspek

tiven der deutschen Wirtschaft, insbesondere in den neuen Ländern, geführt. Wir wollen für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger - insbesondere für die jungen Menschen positive Perspektiven.

(Beifall bei der CDU)

Das setzt voraus, dass sich der Bund für die neuen Länder wirklich überzeugend engagiert. Alle seriösen Umfragen und Erkenntnisse belegen die Bindung der Thüringerinnen und Thüringer an ihr Land, an die Thüringer Städte und Gemeinden, an die Thüringer Heimat. Diese tiefe Bindung an unser Land und seine Schönheit braucht aber auch Perspektive für die wirtschaftliche Zukunft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich die allgemeine demographische Entwicklung im Hinblick auf die Entwicklungen im Wohnungs- und Städtebau präzisieren. Wir stellen in den letzten Jahren eine massiv zunehmende Differenzierung in der Einwohnerentwicklung einzelner Städte und Gemeinden fest. Die Städte müssen überproportionale Einwohnerverluste hinnehmen und diese Tendenz wird nach allen Prognosen weiter so anhalten. Um die Dimensionen darzustellen: Nach den Prognosen des Landesamts für Statistik bis 2020 gegenüber 1990 wird Thüringen einen Bevölkerungsverlust von 15 Prozent hinnehmen müssen. Viele Städte haben diese Zahl bereits heute überschritten und werden bis 2020 bis zu 30 Prozent ihrer Einwohner verlieren. Bevölkerungsverluste in dieser Größenordnung bergen die Gefahr, dass die betroffenen Städte nicht nur vor schwer wiegenden kommunalen Problemen stehen, sie können auch ihre wichtigen Aufgaben in den Regionen immer schlechter erfüllen. Insofern ist es nicht nur eine Aufgabe der Städte, selbst Strategien zu entwickeln, um die Einwohnerzahl zu stabilisieren, auch die Regionen und nicht zuletzt das Land müssen sich dieser Aufgabe stellen. Die Städte verfügen über Infrastruktur im sozialen, im kulturellen und im Bildungsbereich. Sie haben wichtige Funktionen bei der Verknüpfung der örtlichen und regionalen Infrastrukturen mit den zentralen Infrastrukturen. Hieraus resultieren wesentliche Standortfaktoren für die wirtschaftliche Entwicklung sowohl der Regionen als auch des Freistaats insgesamt. Der Landesentwicklungsplan, den die Landesregierung im Mai beschließen wird, setzt genau hier an. Er wird fortentwickelte, den aktuellen Anforderungen angepasste Rahmenbedingungen für die Zukunft unserer Städte benennen. Die Anhörung zum Landesentwicklungsplan hat uns in der Ausrichtung unserer planerischen Entwicklungsvorstellungen bestärkt. Das aus dem LEP von 1993 weiterentwickelte Zentrenkonzept bietet für die städtebauliche Entwicklung unserer Städte in den nächsten Jahren eine gute Basis.

Die Anwendung der Steuerungsmöglichkeiten der Raumordnung und Landesplanung hat wesentlich zur Begrenzung bzw. Vermeidung ungeordneter städtebaulicher Entwicklungen beigetragen. Extreme städtebauliche Fehlentwicklungen, etwa im Bereich des großflächigen Einzel

handels oder der extensiven Entwicklung von Wohnbauflächen, konnten in Thüringen vermieden werden.

(Beifall bei der CDU)

Die verantwortungsvolle, wenn auch nicht immer konfliktfreie Abstimmung der überörtlichen Planung mit der kommunalen Bauleitplanung hat sich bewährt.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir können heute durchaus von einer Thüringer Planungskultur reden, die sichtbar zu positiven Ergebnissen in der städtebaulichen Entwicklung geführt hat. Planungskultur bedingt Verantwortung aller Beteiligten, Vertrauen im Verhältnis zwischen kommunalen Behörden und Landesbehörden, Abkehr von zentralistischen Planungsvorstellungen und - das ist mir ganz besonders wichtig - die bewusste Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in die Planungsprozesse.

Die Öffentlichkeit von Planung ist nicht nur ein Teil des demokratischen Selbstverständnisses. Sie schafft vielmehr Identifikation und stärkt das Bürgerengagement. Nicht zuletzt führt die Beteiligung der Öffentlichkeit in aller Regel auch zu besseren Planungsergebnissen. Die Akzeptanz von Planung kann durch die frühzeitige Einbeziehung der Bevölkerung wesentlich erhöht werden. Auch das gehört zu den Standortfaktoren. Wir werden künftig noch mehr auf den Sachverstand und das Engagement unserer Bürger vertrauen.

(Beifall bei der CDU)

Der Freistaat hat zur Unterstützung der Planungskultur in der Bauleitplanung die Ausschreibung städtebaulicher Wettbewerbe bei schwierigen Planungsproblemen bzw. bei Planungen von großem öffentlichem Interesse konsequent gefördert. Seit 1993 haben wir ausschließlich mit Landesmitteln städtebauliche Planungen der Gemeinden mit 10,3 Mio. rstützt. Die Erfolge bestärken uns, diesen Weg fortzusetzen.

(Beifall bei der CDU)

Wir sehen uns dadurch bestätigt, dass Gemeinden zunehmend bereit sind, städtebauliche Planungen in Form einer offenen Diskussion im Rahmen eines Wettbewerbs auch ohne zusätzliche Landesförderung zu betreiben. Dass es sich nicht zuletzt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten lohnt, in eine gute Planung zu investieren, zeigen Ergebnisse wie das mittlerweile international beachtete Wohngebiet "Am Horn" in Weimar oder die Gestaltung historischer Plätze und des Kurparks in Bad Langensalza.

(Beifall bei der CDU)

Man kann weitere Beispiele nennen, die Stadtbücherei Suhl, Theater und Theaterplatz Erfurt sowie das Bahnhofs

umfeld in Erfurt. Meinungsvielfalt ist hier nicht hinderlich, sondern führt zu besseren Ergebnissen.

(Beifall bei der CDU)

Gerade die beispielgebende städtebauliche Entwicklung in Leinefelde ist das Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs und wäre ohne diesen nicht denkbar. Vorläufige Krönung dieser Entwicklung war die Verleihung des Deutschen Städtebaupreises an die Stadt Leinefelde und Leinefelde ist als einziger deutscher Beitrag für den Europäischen Städtebaupreis im Jahr 2004 nominiert.