Protocol of the Session on December 12, 2023

Herr Borchert, ich habe eine ganz kurze Frage. Sie haben in Ihrer Rede von einer verbindlichen Schullaufbahnempfehlung gesprochen. Haben Sie sich versprochen oder haben Sie dies gemeint?

Der richtige Weg wäre eine verbindliche Laufbahnempfehlung, so wie ich es soeben ausgesprochen habe, aber es gibt leider nicht die Möglichkeit, diese bis in die letzte Instanz verbindliche Laufbahnempfehlung durchzusetzen. Die Koalition hat aber dafür gesorgt, dass wir den Eltern besser zeigen können, wo ihr Kind nach der Beendigung der Grundschule am besten aufgehoben ist. Es ist verbindlich, dass die Eltern mit ihren Kindern diesen Weg gehen müssen, aber die letzte Entscheidung liegt logischerweise nach wie vor bei den Eltern.

Für uns ist es wichtig, den Eltern ins Gewissen zu reden, damit sie merken, dass viele Kinder in der falschen Schulform unterrichtet werden und sie ihnen damit mehr Schaden zufügen, als es ihnen nutzt.

Herr Lippmann, das gilt nicht nur für die Schüler, sondern das gilt auch für die Lehrer, die sich jeden Tag an den Schulen engagiert für ihre Schüler einsetzen. Diese Lehrer - es sind ganz viele, aber nicht alle - müssen wir auch schützen; denn sie sind eines Tages zerschlissen und können nicht mehr. Die Lehrer können nicht in einer Unterrichtsstunde all das leisten, was ich gerade versucht habe, zu erläutern. Das können sie nicht.

Deshalb gehört es dazu, entsprechende Voraussetzungen zu schaffen, damit diese Lehrer so leben und arbeiten können, wie sie es im Studium gelernt haben, und zwar auch wenn sich die Zeiten geändert haben.

Frau Sziborra-Seidlitz.

Vielen Dank. - Herr Borchert, ich schließe direkt an. Sie haben viele - das muss ich anerkennend anmerken - sehr intensive und sehr deutliche Gedanken geäußert, die sehr damit spielen und darauf abheben, wie wir heute Schule gestalten.

Ich will bei dem Punkt Schullaufbahn einhaken, weil Sie dazu außer eben in Ihrer Antwort nichts gesagt haben. Bereits im Jahr 2010 hat die PISAStudie Deutschland attestiert, dass die frühe Segregation, also Aufteilung der Kinder in verschiedene Bildungszweige, den Leistungsab-

stand zwischen den schlechtesten und den besten Schülern vergrößert, ohne dass sich dabei die Gesamtleistung der Schülerinnen verbessert. Das heißt, die Leistungsschwachen werden schlechter, ohne dass die Leistungsstarken dadurch stärker werden. Dieser Befund hat sich in den letzten zehn Jahren verschlechtert. Der Abstand ist größer geworden.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus diesem Befund? Gibt es diesbezüglich etwas, von dem Sie sagen, dort könnten wir andere Ansätze wagen?

Ich beziehe mein Wissen aus dem in der Praxis Erlebten und den vielen, vielen Gesprächen, die ich mit Lehrerinnen und Lehrern der Gymnasien führe, die teils nicht mehr in der Lage sind, diese Differenziertheit, die entsteht, wenn man alle Kinder und Jugendlichen zusammenlässt, wie Sie es gerade angesprochen haben, umzusetzen. Das funktioniert nicht.

In unserem Bildungssystem gibt es genug Möglichkeiten, um nach oben oder auch um wieder nach unten zu gehen. Kein Kind ist verloren. Ich bin zu 100 % davon überzeugt: Wenn die Kinder in ihrem Umfeld gleiche Bildungsvoraussetzungen haben, dann kommt dabei viel mehr heraus, als es jetzt der Fall ist. Wir zerstören gerade unsere Lehrerinnen und Lehrer, die das umsetzen sollen, was Sie gerade vorgelesen haben. Das ist nicht möglich.

Vielen Dank, Herr Borchert. - Es folgt Herr Dr. Tillschneider.

(Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE, steht nach wie vor am Saalmikrofon)

Ja, Sie haben wirklich sehr viel angerissen, aber auch - -

Eine Nachfrage?

Sie ist noch nicht fertig, oder?

Ich habe Frau Sziborra-Seidlitz nicht gesehen. Jetzt haben Sie schon angefangen. - Frau Sziborra-Seidlitz, können wir es gleich machen oder danach?

Ja, bitte. Soll sie es gleich machen. Oder will sie nicht?

Dann machen wir es gleich. Okay. - Vielen Dank, Herr Dr. Tillschneider. - Frau Sziborra-Seidlitz.

Vielen Dank. - Ich habe noch eine Nachfrage. Also, Länder wie Japan, PISA-Gewinner, gewinnen unter anderem deshalb, weil der Abstand zwischen den leistungsschwachen und den leistungsstarken Schülern nicht so groß ist. Trotzdem sind sie Gewinner. Sollten wir nicht

genauer hingucken, was sie in diesen Schulen anders machen, wie es gelingt, diesen Leistungsabstand nicht so groß werden zu lassen? Sollten wir, wenn wir über die PISA-Studie reden, nicht auch so ins Detail gehen, dass wir uns nicht darauf ausruhen, dass unser Schulsystem nun einmal so ist, wie es ist? Würden Sie mit mir darin

Frau Sziborra-Seidlitz, kurz.

übereinstimmen?

Ja. Jetzt.

Es gibt in der PISA-Studie keine Gewinner. Auch das Land, das Sie angesprochen haben, ist für mich kein Gewinner; denn - das ist den meisten hier bekannt - die Art und Weise, in der die PISAStudie in den Ländern durchgeführt wird, ist sehr unterschiedlich. Von der Warte her kann ich Vergleiche nicht akzeptieren. Wir sind hier und Japan ist irgendwo anders. Dort gibt es andere Voraussetzungen als hier. Wenn ich anfange, darüber nachzudenken, wie man es in Japan macht, dann ist das verlorene Zeit.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist Denkfaul- heit, was Sie hier betreiben!)

Ich kann nur wiederholen, wir zerstören unsere Lehrerinnen und Lehrer, die jeden Tag draußen

kämpfen, wenn wir nicht endlich einsehen, dass wir etwas verändern müssen,

(Tobias Rausch, AfD: Wer regiert denn?)

wenn wir gemerkt haben, dass es nicht funktioniert.

Herr Tillschneider.

Jetzt Herr Dr. Tillschneider.

Sie haben in einem Parforceritt wirklich sehr viel angerissen, sind deshalb aber eher oberflächlich geblieben. Ich will einen Punkt vertiefen. Es hat mich sehr gewundert, dass Sie die USA als Beispiel angeführt haben. Die USA haben ein schlechtes - schlechtes! - Bildungssystem. Sie haben es uns als Vorbild vorgestellt. In den USA ist es so, dass sie an den Universitäten zwar aufholen, an den Eliteuniversitäten, aber das, was man mit der deutschen Hochschulreife vergleichen kann, hat ein deutlich schlechteres Niveau und - das ist gerade das Übel in den USA - sie haben kein einheitliches Bildungswesen, sondern jede Schule macht, was sie will. Das führt zu großen Niveauunterschieden zwischen den einzelnen Schulen, aber insgesamt, im Durchschnitt zu einem schlechteren Niveau.

Außerdem wäre es fatal, wenn die Schüler schon recht früh, meinetwegen in der Sekundarstufe II - so wie ich Sie verstanden habe -, darüber entscheiden könnten, in welche Richtung sie gehen, nur noch spezifische Lehrinhalte rezipierten und man den allgemeinen Bildungsanspruch fahren ließe.

Ich möchte Sie fragen: Wollen Sie tatsächlich das, was unser Bildungssystem starkgemacht hat und wohin wir eigentlich zurück müssten, nämlich eine Einheitlichkeit zumindest auf der Ebene der Bundesländer und einen Allgemeinbildungsanspruch, den jeder erfüllen muss, egal was er nachher macht, fahren lassen?

Herr Borchert.

Den allgemeinen Bildungsanspruch werden wir immer behalten. Was Sie gesagt haben, das habe ich mir angehört. Gucken Sie nach Skandinavien. Dort funktioniert das, natürlich noch nicht bei Zehn- und Elfjährigen. Ich rede von 15Jährigen, 16-Jährigen. Das muss man differenziert sehen.

Es gibt in den USA garantiert auch positive Beispiele, genauso wie es bei uns positive Beispiele gibt. Im Endeffekt gibt es keine Lösung, die von woanders herkommt, die wir hier in irgendeiner Form eins zu eins umsetzen könnten.

Was ich in meiner Rede gesagt habe, ist genau das, was ich jetzt gern wiederhole: Wir müssen den Regionen, den Schulen mehr Freiheit geben, um das umzusetzen, was in dieser Region, in dieser Schule passt. Das ist einmal das eine und einmal das andere. Den Königsweg wird es nicht geben.

Vielen Dank, Herr Borchert.

(Zustimmung bei der CDU)

Für die Landesregierung spricht Ministerin Frau Feußner. Während sie sich auf den Weg zum Podium macht, darf ich ganz herzlich mit Ihnen Schülerinnen und Schüler der Schule des Zweiten Bildungswegs aus Magdeburg oben auf der Tribüne begrüßen. Passend zum Thema gucken sie sich heute diese Debatte an.

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Feußner, bitte.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die PISA-Studie zeigt uns an, an wie vielen Stellen wir dringenden Handlungsbedarf haben, der über das Feld der Schulen weit hinausgeht.

Die Ursachen müssen gründlich, vertieft und auch unvoreingenommen analysiert werden. Keine Frage: Die Ergebnisse der PISA-Studie sind schlecht, aber nach den Ergebnissen von PIRLS, IGLU, TIMMS, auch des letzten IQB-Bildungstrends, bei denen ähnliche Testungen unter unseren Schülern vorgenommen wurden, konnte man sicherlich nicht mit gravierenden Abweichungen rechnen, auch da zum Teil gleiche Klassenstufen, auch im gleichen Zeitraum, getestet wurden. Also, die Ergebnisse waren aus meiner Sicht nicht wirklich überraschend.

Ich möchte an dieser Stelle nur festhalten, dass wir in Sachsen-Anhalt bei der IQB-Studie nicht unbedingt schlecht abgeschnitten haben; im Gegenteil.

Bei der PISA-Studie wird es keine länderbezogene Auswertung geben, sodass wir diesen Vergleich an der Stelle nicht anstellen können. Für die PISA-Studie wurde nur Deutschland als Ganzes ausgewertet.

Die PISA-Studie ist ein Teil der Gesamtstrategie der KMK zum Bildungsmonitoring. Allerdings

umfasst Schule gerade in Deutschland mehr als die in der OECD-Studie erfassten Bereiche. Insbesondere möchte ich darauf hinweisen, dass auch Gesellschaftswissenschaften und kulturelle Bildung, all diese Dinge, bei der PISA-Studie und auch bei den anderen Testungen bisher nie eine Rolle gespielt haben.